CHARKIW / März 2022
„Slava Ukrajini“ (etwa: Ruhm der Ukraine) oder „Stand with Ukraine“ – als Schlagwörter für Solidarität sind diese Begriffe fast schon in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen. In besonderer Weise gilt das Mitgefühl des Bezirks Steglitz-Zehlendorf unserer Partnerstadt Charkiw. Zusammen mit der Hauptstadt Kiew und der im Süden des Landes gelegenen Hafenstadt Mariupol ist sie für den russischen Aggressor von großem strategischem Wert. Umso wichtiger ist es, dieser Aggression die Kraft zivilgesellschaftlicher Solidarität und Hilfsbereitschaft entgegenzusetzen. Symbolisch hat das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf vorgelegt: Auf Anregung der Landeshauptstadt Hannover, Deutschlands „Lead City“ des internationalen kommunalen Friedensnetzwerks „Bürgermeister für den Frieden/Mayors for Peace“, hat der Bezirk am 25. Februar 2022 vor dem Rathaus Zehlendorf die grün-weiße Flagge des Bündnisses gehisst. An gleicher Stelle weht seit Mitte März 2022 die blau-gelbe ukrainische Nationalflagge.
Ehrenamtliches Engagement im Bezirk
Symbolische Unterstützung ist das eine, tatkräftige Hilfe das andere:
Als klar wurde, dass sich viele Flüchtlinge auf den Weg in die Nachbarländer und auch in Richtung Berlin machen, setzte eine unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ein – auch bei uns in Steglitz-Zehlendorf. Die unterschiedlichsten Trägergesellschaften, Verbände, Kirchengemeinden, private Initiativen boten ihre Hilfe an. Etliche Initiativen gründeten sich ganz spontan – gewissermaßen als humanitäre Start-ups. Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf ist bemüht, alle Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten möglichst lückenlos auf der Webseite www.steglitz-zehlendorf.de/ukraine zu bündeln. Die dreisprachige Seite (Deutsch/Ukrainisch/Russisch) richtet sich sowohl an Bürgerinnen und Bürger, die Geld- und Sachspenden beisteuern, als auch an jene, die neuankommende Flüchtlinge aus Charkiw oder anderen Regionen der
Ukraine bei sich beherbergen möchten (https://www.unterkunft-ukraine.de/). Um die Initiativen praktisch und unbürokratisch zu koordinieren bzw. Akteure zu vernetzen, luden Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg, Bezirksstadtrat Tim Richter (Bürgerdienste und Soziales) und Bezirksstadträtin Carolina Böhm (Jugend und Gesundheit) am 9. März 2022 zu einem informellen Austausch in den Bürgersaal des Rathauses Zehlendorf ein. Die Palette der anwesenden zivilgesellschaftlichen Organisationen reichte vom Diakonischen Werk Steglitz und Teltow-Zehlendorf e.V. (http://dwteltow-zehlendorf.de/) über die Freiwilligenagentur Steglitz-Zehlendorf (http://freiwilligenagentur.info/ukraine-hilfe-im-bezirk/) bis zum Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf (https://www.willkommensbuendnis-steglitz-zehlendorf.de/). Auch thematisch wurde ein großer Bereich abgedeckt: die medizinische Versorgung von Ukraine-Flüchtlingen inklusive Fragen zur Corona-Impfung, die Frage der Registrierung und Unterkunft, die Einrichtung von Willkommensklassen, Kommunikations- und Begegnungsmöglichkeiten für die Ankommenden, Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen, Akquise von Sprachmittlern, und vieles mehr.
Sprachmittlerinnen und Sprachmittler gesucht
Einen großen Bedarf gibt es an Menschen mit Ukrainisch- und/oder Russischkenntnissen, die sich als Dolmetscher oder Dolmetscherin zur Verfügung stellen. Aufgrund ihrer Kompetenz im Fremdsprachenbereich hat die Victor-Gollancz-Volkshochschule am 13. März 2022 potentielle Helfer bzw. private Gastgeber zu einem dreistündigen Crashkurs eingeladen, in dem ein Basiswortschatz in Ukrainisch und Russisch vermittelt wurde: Ein erster und wichtiger Schritt, um Verständigung zwischen Einheimischen und Flüchtlingen zu ermöglichen. Wer mit Ukrainisch- und Russischkenntnissen unterstützen kann, meldet sich bitte per E-Mail an ehrenamtskoordination@laf.berlin.de oder engagement@ba-sz.berlin.de.
Spendenaktion des Städtepartnerschaftsvereins Steglitz-Zehlendorf e.V.
Wenige Tage nach dem Beginn der Attacken auf Charkiw hat der Städtepartnerschaftsverein Steglitz-Zehlendorf e.V. zum Zeichen seiner Solidarität ein Spendenkonto eingerichtet. Unter dem Kennwort „Charkiw-Hilfe“ wird zu Spenden aufgerufen, um dringend benötigte Medikamente, Krankenhausbedarf und Babyartikel zu beschaffen: https://www.bsz-spv.de/charkiw-hilfe/. Die Resonanz ist überwältigend. Mittlerweile ist ein stolzer Betrag von rund 38.000 Euro zusammengekommen (Stand 17. März 2022). Ein erster Hilfstransport hat das Krankenhaus Nr. 18 in Charkiw bereits am 6. März 2022 erreicht. Neben dem Städtepartnerschaftsverein waren an der erfolgreichen Aktion eine Reihe weiterer Akteure beteiligt: das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB), die Arbeiterwohlfahrt (AWO) e.V. Luckenwalde, die Bayer AG, Apotheken, verschiedene Arztpraxen, ein Wuppertaler Krankenhaus, freiwillige Kraftfahrer. Ein besonderer Dank geht an Olga Pischel, Vorstandsmitglied des Städtepartnerschaftsvereins, für ihren unermüdlichen Einsatz.
“Der Transport der Hilfsgüter durch die Ukraine wurde in Absprache mit der Stadtverwaltung von Charkiw und der Regierung militärisch begleitet und ist nach zwei ungewissen Tagen … in Charkiw angekommen”,
schreiben die Organisatoren in einer Pressemitteilung. Und liefern eine Rückmeldung aus Charkiw nach:
“Ärzte, Notfallhelfer und Bevölkerung der Stadt sind allen Helfern und ihrer Partnerstadt Zehlendorf für die medizinische Hilfe dankbar”.
Ein zweiter Hilfstransport wird vorbereitet und bricht demnächst in Richtung Ukraine auf. Der Städtepartnerschaftsverein hat Erfahrung in der Organisation von Hilfstransporten: Im Zusammenhang mit der Besetzung der Krim 2014 und den kriegerischen Auseinandersetzungen in den selbsternannten ostukrainischen „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk fanden ähnliche Transporte statt.
“Es ist ihr gemeinsamer fester Wille, mit engen und vielfältigen Kontakten die Bürgerinnen und Bürger beider Städte freundschaftlich miteinander zu verbinden und damit zur gegenseitigen Verständigung und zu einem dauerhaften Frieden beizutragen”.
So steht es in der Partnerschaftsurkunde vom 24. Oktober 1990 geschrieben. Den Freundschafts- und Friedenappell mit Leben zu erfüllen, das ist die Kernbotschaft im Jahr eins der „Zeitenwende“. Diese ist spätestens am 24. Februar 2022 angebrochen.
Nur wenige Wochen vor dieser „Zeitenwende“, dem völkerrechtswidrigen Überfall Putins auf die souveräne Ukraine, beherrschte nur ein Thema die Diskussionen in Charkiw: Wie bekommen wir die hohen Corona-Fallzahlen in den Griff? Beim Anblick der aktuellen Zerstörung wirkt das Pandemiethema wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Niemand konnte sich je vorstellen, dass das Virus der Kriegsrhetorik tatsächlich in einen heißen Krieg mitten in Europa münden würde. Die Pandemie sei der einzige „Störfaktor, der alle Reisen in Frage stellt“, schrieb unser Ansprechpartner bei der Stadtverwaltung Charkiw noch am 21. Januar 2022. Seit dem Beschuss ihrer Stadt sind die Menschen aus Charkiw Reisende wider Willen, die als Kriegsflüchtlinge Schutz vor allen in den Nachbarländern, aber auch in Deutschland und der gesamten EU suchen. Mit unseren Charkiwer Freunden stehen wir im regelmäßigen Austausch und lassen uns aus erster Hand berichten. Statt Inzidenzzahlen schickt uns Charkiw nun Bedarfslisten: Medikamente, haltbare Lebensmittel, Babyartikel. Da sich die Meldungen fast stündlich ändern, kann niemand voraussagen, wie sich die Situation in den nächsten Tagen und Wochen entwickelt.