05/2024 – Antisemitische Vorfälle häufen sich

Januar 2024: Israel-Staatsflagge weht als Zeichen der Solidarität vor dem Rathaus Zehlendorf

Januar 2024: Israel-Staatsflagge weht als Zeichen der Solidarität vor dem Rathaus Zehlendorf

Mai 2024

Infolge der schrecklichen Geschehnisse vom 7. Oktober 2023 verschwimmen auch hierzulande immer mehr die Grenzen zwischen legitimer Kritik an der israelischen Regierung und antiisraelischen bzw. antisemitischen Reflexen. Es erhärtet sich der Eindruck, dass Antisemitismus vielschichtig ist und sich keineswegs auf das rechtsradikale bzw. rechtsextreme Milieu beschränkt. Nicht erst seit dem 7. Oktober ist Israelhass ein verbindendes Element zwischen ultrarechten, islamistischen und linken, “antiimperialistischen” Aktivisten.

Es ist kein Geheimnis, dass die in Zehlendorf ansässige Burschenschaft Gothia stramm rechtes Gedankengut bedient und Aktivisten der „Identitären Bewegung“ zu ihrem Gästekreis zählt. Die sogenannten „Freunde der Staatsreparatur“ in Lichterfelde-Ost halten eigenen Aussagen auf ihrer Internetseite zufolge die Bundesrepublik für einen Schadensfall und reparaturbedürftig, „da sie in wesentlichen Demokratiebereichen Schäden aufweist“. In rechten Milieus wird Antisemitismus gerne verschleiert und versteckt sich häufig hinter immer aggressiver werdender Israelfeindschaft.

Wie der Senat in Reaktion auf die Anfrage eines Abgeordneten des Berliner Landesparlaments berichtet, sind auch Berliner Schulen gegen ultrarechtes Denken nicht immun. Demnach wurden 2021 in Steglitz-Zehlendorfs Schulen zwei rechte Gewalttaten im Bereich „politisch motivierter Kriminalität“ gezählt, 2022 waren es schon vier, 2023 sogar zwölf – also das Dreifache gegenüber dem Vorjahr. Ein neuer Höchststand ist für 2024 zu erwarten. Allein vom 1. Januar bis zum Beginn der Sommerferien sind sechs einschlägige Strafverfahren aktenkundig. Die genannten Zahlen umfassen verschiedene Straftatbestände: Volksverhetzung; Körperverletzung; Verwendung von Kennzeichen terroristischer, faschistischer und verfassungswidriger Organisationen.

Broschüre über antisemitische Vorfälle in Berlin des Jahres 2023 (hrsg. 2024)

Broschüre über antisemitische Vorfälle in Berlin des Jahres 2023 (hrsg. 2024)

RIAS vermeldet Zahlen für 2023: Antisemitische Vorfälle berlinweit auf Höchststand

Im Mai 2024 hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) eine Broschüre herausgegeben, in der sie antisemitisch motivierte Vorfälle des Jahres 2023 dokumentiert. Mit berlinweit 1.270 solcher Vorfälle ist das die höchste Anzahl innerhalb eines Kalenderjahres, die jemals seit Bestehen des RIAS-Projekts im Jahre 2015 ermittelt wurde. Der 7. Oktober 2023 ist eine Zäsur, sowohl im Hinblick auf die Zunahme von antisemitisch motivierten Zwischenfällen, als auch auf das subjektive Sicherheitsempfinden der in der Bundeshauptstadt lebenden Jüdinnen und Juden.

62 Prozent aller ermittelten Vorfälle des Gesamtjahres 2023 ereigneten sich in den knapp drei Monaten zwischen dem 7. Oktober und Jahresende. „Antisemitismus ist seitdem deutlich präsenter in Berlin; bereits bestehende Formen von Antisemitismus haben sich verstetigt und verschärft“, schreibt RIAS in einer Pressemitteilung vom Mai 2024. „Besonders gravierend zeigen sich die Auswirkungen auf den Alltag von Berliner Jüdinnen und Juden – jüdisches Leben fand im öffentlichen Raum nach dem 7. Oktober noch eingeschränkter statt als zuvor schon“, ziehen die Autoren ein eher pessimistisches Fazit.

Es ist kaum überraschend, dass der „israelbezogene Antisemitismus“ in der RIAS-Studie als die am häufigsten registrierte Erscheinungsform registriert wird. Damit wird die Zuordnung zum rechtsextremen bzw. rechtspopulistischen Spektrum deutlich übertroffen. Häufig vermischt sich Israelhass mit einer Täter-Opfer-Umkehr, indem die Politik der israelischen Regierung mit der nationalsozialistischen Genozid-Politik gleichgesetzt wird. Vielfach wird die Politik Israels dämonisiert und die Existenz des Staates delegitimiert. Insgesamt trägt der antiisraelische Aktivismus mit 15,5 Prozent der im Jahr 2023 ermittelten Vorfälle ganz erheblich zum sprunghaften Anstieg des Antisemitismus bei.

Israelfeindschaft gilt als verbindende Klammer zwischen verschiedenen politischen Milieus, die sich im Normallfall weit voneinander entfernt verorten.

Antisemitische Vorfälle nach Berliner Bezirken im Jahr 2023: Steglitz-Zehlendorf liegt mit 29 Vorfällen im Mittelfeld

Antisemitische Vorfälle nach Berliner Bezirken im Jahr 2023: Steglitz-Zehlendorf liegt mit 29 Vorfällen im Mittelfeld

Tatort Steglitz-Zehlendorf

Der berlinweit schwerwiegendste Zwischenfall ereignete sich in der Nacht zum 18. Oktober 2023, als Vermummte versuchten, einen Brandanschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Mitte zu verüben. Von einer derart brutalen Enthemmung ist Steglitz-Zehlendorf 2023 gottseidank verschont geblieben. Kein Ruhmesblatt ist allerdings die israelfeindliche Haltung zahlreicher Studierender: Mit Blick auf das Massaker vom 7. Oktober identifiziert die RIAS-Studie „Formen der Entsolidarisierung und einen Mangel an Empathie“ an Hochschulen und Universitäten. Es werde zwar auf das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung hingewiesen, nicht aber auf die jüdischen Opfer der Hamas-Terrorattacken.

„Steglitz-Zehlendorf sticht heraus“, konstatiert RIAS in seiner Broschüre: Gegenüber dem Vorjahr 2022 hätten sich die antisemitisch motivierten Vorfälle fast verdreifacht – von 11 auf 29. Mit den im Berlinvergleich siebtmeisten Vorfällen liegt Steglitz-Zehlendorf im Mittelfeld. Die unrühmliche Liste führt der Bezirk Mitte mit großem Abstand an (189 Vorfälle), gefolgt von Friedrichshain-Kreuzberg (126) und Neukölln (118). Hinter Steglitz-Zehlendorf liegen noch Treptow-Köpenick (22), Lichtenberg (21), Marzahn-Hellersdorf (18), Reinickendorf (10) und Spandau (9).

Ein ganz wesentlicher Anteil an den steigenden Zahlen in unserem Bezirk wird dem antiisraelischen Aktivismus von Studentinnen und Studenten beigemessen. Allein nach dem 7. Oktober wurden elf Vorfälle im Bereich Hochschule bekannt. Am 14. Dezember 2023 kam es zu einer Hörsaalbesetzung der Freien Universität (FU) und zu einem Redebeitrag, in dem das Existenzrecht Israels bestritten wurde.

Eine Sachbeschädigung in einem Steglitzer Wohnhaus wurde am Silvestertag 2023 gemeldet: An einer Wohnungstür, an der eine Mesusa (am Türpfosten befestigte jüdische Schriftkapsel) hängt, wurde ein Böller platziert und entzündet. Am 26. Mai stand an einer Hauswand „Drecks-Juden“ zu lesen, am 2. Oktober der Schriftzug „Kauft nicht beim Jud‘“ an der Wand eines Steglitz-Zehlendorfer Supermarktes.

Jede dieser Schmierereien ist eine zu viel. Bitte melden Sie antisemitische Vorfälle auf der RIAS-Webseite oder telefonisch unter (030) 817 985 821.

RIAS Berlin ist ein Projekt des Vereins für Demokratische Kultur in Berlin e.V. (VDK) und wird gefördert von der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, sowie der Amadeu-Antonio-Stiftung.