10/2023 – Auf den Spuren des jüdischen Thessaloniki

23. Oktober 2023: Führung durch die Sammlungen des Jüdischen Museums Thessaloniki mit Nassim Mevorach (Mitte) und Dr. Xenia Eleftheriou, Scientific Officer des Museums

23. Oktober 2023: Führung durch die Sammlungen des Jüdischen Museums Thessaloniki mit Nassim Mevorach (Mitte) und Dr. Xenia Eleftheriou, Scientific Officer des Museums

Oktober 2023

23. Oktober 2023: Führung durch das Jüdische Museum

Als ich während eines mehrwöchigen Griechenland-Aufenthaltes am 23. Oktober 2023 eine exklusive Führung durch die Sammlungen des Jüdischen Museums Thessaloniki erhielt, stand die jüdische Gemeinschaft weltweit unter dem Schock der terroristischen Attacken vom 7. Oktober 2023 auf israelische Zivilisten. Dass sich Nassim Mevorach und Dr. Xenia Eleftheriou, „Scientific Officer“ des Museums, dennoch bereiterklärten, mich zu empfangen und mir die Schätze der Sammlungen zu zeigen, erfüllt mich mit Dankbarkeit.

Entstanden ist das Museum 2001, als dank des früheren Bürgermeisters Giannis Boutaris (2011-2019) die Erinnerungskultur der Stadt wichtige Impulse erhielt. In diesem Kontext spielte sicher auch die Ernennung Thessalonikis zur „Europäischen Kulturhauptstadt“ im Jahre 1997 eine wichtige Rolle. Das Museum legt einen Schwerpunkt auf die Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Deportation der Juden ab 1943 durch die Nationalsozialisten.

Seit mehr als 2000 Jahren gibt es jüdisches Leben in Thessaloniki, der größten und bedeutendsten Stadt Nordgriechenlands. Der Apostel und Judenchrist Paulus, weitgereister Missionar und auch „Apostel der Völker“ genannt, gründete die frühchristliche Gemeinde von Thessalonich. Nach der Vertreibung der sephardischen (spanischen und portugiesischen) Juden von der iberischen Halbinsel im Jahre 1492 ließen sich viele von ihnen im damals osmanischen Thessaloniki (türkisch: Selanik) nieder. Auch Juden aus vielen anderen Teilen Südeuropas siedelten sich dort an und gründeten zahlreiche Synagogen.

Jüdisches Museum Thessaloniki

Jüdisches Museum Thessaloniki

Jüdisches Museum Thessaloniki

Jüdisches Museum Thessaloniki

Bis zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stellten Jüdinnen und Juden sogar die Bevölkerungsmehrheit Thessalonikis. Durch den großen Stadtbrand von 1917 und den Zuzug vieler anatolischer „Pontosgriechen“, die im Zuge des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausches in den 1920er Jahren einwanderten, änderten sich langsam die Mehrheitsverhältnisse. Im 19. Jahrhundert hatte sich Französisch zur Bildungs- und Verkehrssprache unter Geschäftsleuten entwickelt. Viele Juden wurden in ihren Schulen in dieser Sprache unterrichtet, zuhause sprach man in der Regel das von der iberischen Halbinsel in die Fremde mitgebrachte „Ladino“ oder „Judenspanisch“: ein Idiom, das einem veralteten Spanisch gleicht.

Während des Zweiten Weltkriegs zählte Thessaloniki zum deutschen Besatzungsgebiet, weitere Besatzungszonen beanspruchten die verbündeten Italiener und Bulgaren. Nach dem Allianzwechsel Italiens dehnte Hitlerdeutschland seine Herrschaft auf ganz Griechenland aus. Nahezu alle Juden wurden deportiert und ermordet, nur wenige überlebten. Im Dezember 1942 entweihten die Besatzer den großen jüdischen Friedhof Thessalonikis und machten ihn – durchaus mit Billigung griechischer Kollaborateure – dem Erdboden gleich. Viele Grabsteine wurden als günstiges Baumaterial zweckentfremdet. Im Jüdischen Museum erzählte eine Wechselausstellung mit dem Titel „Ghost Cemetery“ davon: Photographien zeigten vormals jüdische Grabsteine, die immer wieder im modernen Stadtbild Thessalonikis auftauchen – auch dort, wo man es nicht vermutet. Die Ausstellung startete am 17. Oktober und lief bis 10. Dezember 2023. Sie wurde im Rahmen der „Photobiennale“ Thessaloniki präsentiert.

Holocaust-Denkmal Thessaloniki

Holocaust-Denkmal Thessaloniki

Nach dem Besuch des Jüdischen Museums stattete ich dem Holocaust-Denkmal auf dem Freiheitsplatz einen Besuch ab. An diesem Ort mussten sich im Juli 1942 die Juden der Stadt versammeln, wo sie gedemütigt und für ihren Zwangsarbeits-Einsatz registriert wurden. Zum Zeitpunkt meines Besuchs lag ein Kranz vor dem Denkmal, den der deutsche Botschafter im Namen der Bundesrepublik Deutschland niedergelegt hatte.

Aktuell besteht die Jüdische Gemeinde Thessalonikis aus 1000, vielleicht 1500 Mitgliedern.

Jüdisches Museum Thessaloniki

Jüdisches Museum Thessaloniki

Einer der Nachfahren spanischer Juden, die sich 1492 in Thessaloniki niedergelassen haben, ist Estrongo Nachama (1918-2000), der sich als Oberkantor der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zeit seines Lebens für den Dialog zwischen Juden und Christen eingesetzt hat. Bevor er 1943 von Thessaloniki nach Auschwitz deportiert wurde, wirkte er als Kantor in der Synagoge seiner Geburtsstadt. Seiner großartigen Baritonstimme ist es zu verdanken, dass er überlebt hat und nach Berlin zurückkehren konnte. In Würdigung seiner Verdienste hat das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf am 16. Februar 2024 einen Platz in Dahlem nach ihm benannt. An der feierlichen Benennungszeremonie nahmen auch Vertreter der in Steglitz ansässigen Hellenischen Gemeinde zu Berlin e.V. teil.

24. Oktober 2024: Besichtigung der Monastir-Synagoge Thessaloniki

24. Oktober 2024: Besichtigung der Monastir-Synagoge Thessaloniki

24. Oktober 2023: Besichtigung der Monastir-Synagoge

Vorab durch das Jüdische Museum arrangiert, konnte ich am 24. Oktober 2023 einen exklusiven Besichtigungstermin in der Monastir-Synagoge, dem zentralen Gotteshaus der jüdischen Gemeinde von Thessaloniki, wahrnehmen. Es liegt inmitten des ehemaligen Ghettos, das während der NS-Besatzung eingerichtet wurde. Nach dem großen Brand der Stadt (1917) wurde das Gebäude in den Jahren 1925 bis 1927 von Juden aus dem früheren Monastir (osmanischer Name einer nordmazedonischen Stadt, die heute Bitola heißt) im spanisch-maurischen Architekturstil errichtet. Den Zweiten Weltkrieg hat die Synagoge nur deshalb unbeschadet überstanden, weil sie vom Griechischen Roten Kreuz beschlagnahmt worden war. Eine Restaurierung im Jahre 2016 wurde mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen.

3. November 2023: Gespräch mit Generalkonsulin Sybilla Bendig im Deutschen Generalkonsulat Thessaloniki

3. November 2023: Gespräch mit Generalkonsulin Sybilla Bendig im Deutschen Generalkonsulat Thessaloniki

3. November 2024: Zu Gast im Deutschen Generalkonsulat

Den Eingangsbereich des Deutschen Generalkonsulats Thessaloniki ziert ein stilisierter Berliner Buddy-Bär, dessen Körper auf Beinen ruht, die antiken Säulen nachempfunden sind. Die beiden Wahrzeichen von Thessaloniki und Berlin, Weißer Turm und Brandenburger Tor, gehen auf dem Bärenkörper gewissermaßen eine ikonographische Symbiose ein. Wo Berlin auf Thessaloniki trifft, geht es zunächst um gutes deutsch-griechisches Einvernehmen. In einer jahrhundertelang jüdisch geprägten Stadt ist aber auch der Umgang mit Antisemitismus ein wichtiges Thema, nicht erst seit den Ereignissen vom 7. Oktober 2023.

Generalkonsulin Sybilla Bendig empfing mich am 3. November 2023 zu einem Gedankenaustausch in ihrem Büro. Es wurde schnell klar, wie sehr sie die Frage beschäftigt, wie man antisemitischen Tendenzen entgegentreten könne. Ihr war wichtig zu betonen, dass sich das Konsulat in einem besonders intensiven Austausch mit der Jüdischen Gemeinde zu Thessaloniki befinde. Wir stimmten darüber überein, dass die Bekämpfung des Antisemitismus angesichts der aktuellen Situation besonders hohe Priorität genießt.

Deutsch-griechischer Berliner Bär im Eingangsbereich des Deutschen Generalkonsulats Thessaloniki

Deutsch-griechischer Berliner Bär im Eingangsbereich des Deutschen Generalkonsulats Thessaloniki

Zu Gast in Griechenland mit dem Hospitationsprogramm „LoGo Europe“

Im Oktober/November 2023 hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen des vom Berliner Senat geförderten Qualifizierungs- und Wissenstransferprojekts „LoGo! Europe“ an einer vierwöchigen Hospitation für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung teilzunehmen. Als gastgebende Kommune hatte ich das rund 40.000 Einwohner zählende zentralmakedonische Oreokastro gewählt, gelegen im Einzugsgebiet von Thessaloniki und nur wenige km von dessen Stadtzentrum entfernt. Im Osten grenzt das Gemeindegebiet von Oreokastro an Langadas, mit dessen Ortsteil Sochos der Bezirk Steglitz-Zehlendorf (früher Bezirk Steglitz) schon 1993 eine Städtepartnerschaft ins Leben rief.

Die geographische Nähe des Standorts Oreokastro zu Thessaloniki erwies sich als ideal, um von dort aus die Zentren und Hauptanziehungspunkte jüdischen Lebens und jüdischer Kultur bequem und schnell zu erreichen.

Christian Urlaub
Beauftragter für Antisemitismusprävention und Partnerschaften