01/2023 – Steglitz-Zehlendorf positioniert sich gegen Antisemitismus: Zur Debatte über Umbenennungen von Straßen und Plätzen

Schreibmaschine tippt das Wort Antisemitismus

Januar 2023

BVV spricht sich für solidarisches Steglitz-Zehlendorf aus

Unter dem Eindruck der Unterwanderung von Anti-Impfprotesten durch antisemitisch gesinnte Demonstranten im Herbst 2022 verabschiedete die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf am 14. September 2022 eine Resolution, die sich von „Holocaust-Verharmlosungen“, „antisemitischer Hetze“ und Verschwörungsmythen distanziert. Hintergrund war der Versuch einiger sogenannter „Spaziergänger“, legitime Proteste für die Verbreitung extremen Gedankenguts zu instrumentalisieren.

Wörtlich stellt die BVV in ihrem Beschluss 156/VI fest:

„Steglitz-Zehlendorf hat keinen Platz für Antisemitismus, NS-Relativierungen und Rechtsextremismus“.

Stolperstein für Miszyslaw Nathanblut (1882-1942) vor dem Haus Kurstraße 3

Stolperstein für Miszyslaw Nathanblut (1882-1942) vor dem Haus Kurstraße 3

Zur Diskussion über Straßen- und Platzumwidmungen

Immer wieder werden Umbenennungen belasteter Straßen- oder Platznamen als ein denkbares Mittel genannt, um den Antisemitismus in Berlin den Boden zu entziehen. Steglitz-Zehlendorf macht hier keine Ausnahme.

Den Stein ins Rollen brachte ein vielseitiges Dossier zu „Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen“, die im Zeitraum Mai bis Oktober 2021 im Auftrag des Ansprechpartners des Landes Berlin zu Antisemitismus, Prof. Dr. Samuel Salzborn, entstanden ist. Je nach Grad der Intensität antisemitischer Tendenzen werden den betroffenen Bezirken abgestufte Handlungsempfehlungen gegeben.

Zwar hat die Diskussion über die Umbenennung von Straßen und Plätzen mit der Veröffentlichung der Liste nicht ihren Anfang genommen, aber noch einmal deutlich Fahrt aufgenommen. In erster Linie bezieht sich die Debatte auf historische Figuren, die antisemitischer Tendenzen verdächtig sind, derer aber dennoch in Form von Straßen- und Platznamen gedacht wird. Sie erstreckt sich aber auch auf Personen, die eine unrühmliche Rolle im Zusammenhang mit dem Kapitel Kolonialismus gespielt haben.

Sie ist mitunter lebhaft und leidenschaftlich. Man versucht, Anwohnerinnen und Anwohner, Bürgerinnen und Bürger in die Diskussion einzubeziehen. Bei aller Schwierigkeit, einzelnen Persönlichkeiten durch ein Schwarz-Weiß-Schema wirklich gerecht zu werden: solche Diskussionen tun gut. Sie tragen zu einer Selbstvergewisserung und zur Selbstpositionierung gegenüber der geschichtlichen Erblast bei. Mutmaßlich sind die wenigsten Menschen, seien sie historisch einflussreiche Akteure oder nicht, charakterlich nur schlecht oder nur gut. Entscheidend ist, was überwiegt, wie schwerwiegend das ist und welche Auswirkungen es hat.

Für Steglitz-Zehlendorf führt das von Politikwissenschaftler Dr. Felix Sassmannshausen recherchierte Dossier insgesamt 44 Straßen- und Platznamen mit mutmaßlich antisemitischen Bezügen auf. Dabei ist für jeden Einzelfall zu berücksichtigen, dass es deutliche individuelle Abstufungen in der Bewertung der Intensität gibt. Außerdem gilt es immer auch den Einfluss des die jeweilige Epoche prägenden Zeitgeistes zu bedenken.

Davidstern vor blauem Himmel gehalten durch Stacheldraht

Umbenennungen und ihre denkbaren Alternativen

Ob die Umbenennung von Straßen und Plätzen der Königsweg ist, um sich mit der Vergangenheit zu versöhnen, oder ob nicht die Aufstellung von erläuternden Infotafeln (sogenannte Kontextualisierung, digital oder analog) einen ganz ähnlichen Zweck erfüllen kann, ist Gegenstand der aktuellen Debatte.

Ziemlich eindeutig ist der Sachverhalt bei der Steglitzer Treitschkestraße, benannt nach dem Historiker und Reichstagsabgeordneten Heinrich Treitschke (1834-1896): Er gilt als einer der geistigen Wegbereiter des NS-Antisemitismus. In einer Denkschrift formulierte er 1879 einen verhängnisvollen Satz: „Die Juden sind unser Unglück“. Am 14. September 2022, dem Tag der Antisemitismus-Resolution, beschloss die BVV, das Bezirksamt werde „ersucht, die Steglitzer Treitschkestraße umzubenennen“.

Eine Umbenennung ist auch aus Lankwitz zu vermelden. Der „Maria-Rimkus-Weg“ ersetzt künftig den Maerckerweg. Einen entsprechenden Beschluss hatte die BVV am 16. Juni 2021 gefasst. Maria Rimkus (1910-2001) ist eine sehr würdige Namensgeberin. Bereits 2011 war eine Lankwitzer Seniorenfreizeitstätte in „Maria-Rimkus-Haus“ umbenannt worden, um die Wohltäterin und „Gerechte unter den Völkern“ zu ehren.

Im Zusammenhang mit der Pacelliallee ist der Bezirk einen anderen Weg gegangen: Anstelle einer Umbenennung gestaltet man die nach Papst Pius XII. (Eugenio Pacelli, 1939-1958) benannte Straße zu einem „Geschichtslehrpfad“ um. Der entsprechende BVV-Beschluss zur Schaffung einer „Allee des Gedenkens und Nachdenkens“ fiel am 25. August 2021.

Hitzig waren die Debatten um Hindenburgdamm und Gallwitzallee. Geeinigt hat man sich in beiden Fällen auf eine Kontextualisierung vor Ort mit erklärenden und veranschaulichenden Hinweistafeln.

Inmitten eines aktuellen Meinungsstreits befindet sich der Lichterfelder Kadettenweg. Dabei steht die Frage im Raum, ob der in der NS-Zeit umbenannte Weg wieder seinen ursprünglichen Namen zurückerhalten und an Julius Stern erinnern soll. Bis 1935 trug der Weg den Namen des jüdischen Komponisten und Musikpädagogen. Ganz offensichtlich war die damalige Umbenennung aus antijüdischen Beweggründen heraus erfolgt.