12/2022 – Die Erinnerung wachhalten: Enthüllung einer Gedenkstele über das „Sanatorium Lichterfelde“

2. Dezember 2022 Stelenenthüllung Jungfernstieg: stv. Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (rechts) mit Nina Haeberlin von der Stolpersteininitiative der ev. Markusgemeinde Steglitz

2. Dezember 2022 Stelenenthüllung Jungfernstieg: stv. Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (rechts) mit Nina Haeberlin von der Stolpersteininitiative der ev. Markusgemeinde Steglitz

Dezember 2022

Einen unschätzbar wichtigen Beitrag zur regionalhistorischen Erinnerungskultur leisten neben den Stolpersteinen die Erinnerungsstelen, die es überall im Bezirk Steglitz-Zehlendorf gibt. Mittlerweile ist das Netz der Erinnerungsstelen, die einem einheitlichen System zur Sichtbarmachung von Erinnerungskultur im öffentlichen Raum folgen, auf 27 Standorte angewachsen (Stand: Dezember 2022). Entworfen werden die in unserem Bezirks aufgestellten Stelen von Karin Rosenberg, konzipiert und in Auftrag gegeben vom Kulturamt Steglitz-Zehlendorf.

Am 2. Dezember 2022 ist die bislang letzte Erinnerungsstelle im vertrauten roten Design hinzukommen: am Jungfernstieg/Ecke Bruno-Walter-Straße in 12207 Berlin-Lichterfelde, dem Standort des ehemaligen Sanatoriums Lichterfelde.

Nina Haeberlin von der Stolpersteininitiative der evangelischen Markuskirchengemeinde Steglitz hat das Projekt initiiert und seit 2018 ausführlich zum Thema recherchiert.

Netz der regionalhistorischen Informationsstelen in Steglitz-Zehlendorf (Stand: August 2022)

Netz der regionalhistorischen Informationsstelen in Steglitz-Zehlendorf (Stand: August 2022)

Bis 1962 standen am Standort Jungfernstieg 14 die Reste des im Jahre 1889 von den jüdischen Ärzten Dr. Max Goldstein und Dr. Albert Lilienfeld gegründeten Sanatoriums für Nerven- und Suchtkranke, das später unter der Bezeichnung „Sanatorium Lichterfelde“ firmierte. Stadtentwickler Johann Anton Wilhelm von Carstenn (1822-1896) hatte das Gebäude als repräsentatives Gesellschaftshaus errichten lassen, welches ursprünglich die Funktion hatte, gesellige Zusammenkünfte zu beherbergen.

Im Privatsanatorium wurden Patienten des gehobenen, nicht ausschließlich jüdischen Bürgertums aus dem gesamten Reichsgebiet behandelt. Als jüdischen Ärztinnen und Ärzten 1938 die Approbation entzogen wurde, führte das in der Folge zur Emigration von Charlotte Goldstein, der Tochter des Sanatoriumsgründers, und ihrer Familie nach Schweden. In einem Pachtvertrag wurde das Sanatorium der 1939 gegründeten „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ überstellt, die die beiden Gebäude Jungfernstieg 14 und 18 in den Jahren 1940 und 1941 als „Siechenheim“ für die jüdische Wohlfahrtspflege nutzte. Zum Dezember 1941 befahl das Reichssicherheitshauptamt schließlich die Räumung des Heims.

2. Dezember 2022: Ansprache der Bezirkskulturstadträtin Cerstin Richter-Kotowski bei der Stelenenthüllung

2. Dezember 2022: Ansprache der Bezirkskulturstadträtin Cerstin Richter-Kotowski bei der Stelenenthüllung

Grundlage der Errichtung der Stele ist ein Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf vom 19. Mai 2021, der folgenden Wortlaut trägt:

„Das Bezirksamt erarbeitet und errichtet eine Gedenkstele und eine Publikation, die an die zunächst „Goldstein’sches Sanatorium“ und später „Jüdisches Siechenheim“ benannte Einrichtung erinnert, die vormals im Jungfernstieg 14/18 in Lichterfelde lag und während der Zeit des Nationalsozialismus und der Deportationen in Konzentrationslager bis zu 80 Menschen Unterkunft und Schutz bot“.

Anlässlich der Stelenenthüllung formulierte Cerstin Richter-Kotowski, stellvertretende Bezirksbürgermeisterin und Bezirkskulturstadträtin:

„Seit 2008 leisten die von Karin Rosenberg entworfenen Stelen einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur in Steglitz-Zehlendorf (…). Thematisch decken die Stelen ein breites, sehr vielfältiges Themenspektrum ab – immer jedoch rücken sie historische Ereignisse, Orte und Persönlichkeiten ins öffentliche Bewusstsein, die in der Geschichte und Topographie des Bezirks verankert sind“.

Das Bezirksamt hat im Zusammenhang mit der Stelenenthüllung zwei Pressemitteilungen veröffentlicht, eine vom 22. November 2022 zur Vorberichterstattung, eine vom 5. Dezember 2022 zur Nachberichterstattung. Beide Pressemitteilungen geben den Stelentext im gesamten Wortlaut wieder.

Nur wenige Monate früher – im Oktober 2022 – war bei einer Stolpersteinverlegung am Standort Jungfernstieg Nr. 18 an die Familie der Tochter des Sanatoriumsgründers, Charlotte Goldstein, erinnert worden.

Wer sich des Geschehenen erinnert, sich den dunklen Stunden der Geschichte stellt, beugt dadurch antisemitischen Tendenzen vor. Insofern ist regionale Erinnerungskultur immer auch ein Beitrag zur Antisemitismusprävention.