Im Herzen der ehemaligen Villenkolonie Alsen am Wannsee liegt unweit der Villa Liebermann eines der bedeutendsten Landhäuser von Berlin im Dornröschenschlaf. Aus Anlass des 80. bzw. 75. Todestags seiner Erbauer und des 100. Todestags seines Architekten soll in diesem Monat an das Landhaus Oppenheim erinnert werden – zumal dessen zukünftige Nutzung momentan ungewiss ist. Anders als das vom gleichen Architekten stammende Landhaus Springer, das deutlich sichtbar an der höchsten Stelle des Grundstücks Am Großen Wannsee 39 thront, ist das benachbarte Landhaus Oppenheim seit den 1980er Jahren durch eine Wohnblockbebauung seiner stadträumlichen Wirkung vollends beraubt. Allein eine schmale Sichtachse am ehemaligen Wendepunkt der Straße gibt einen eingeschränkten Blick auf das Gebäude frei. Erreichbar ist es nur noch über das Grundstück Zum Heckeshorn Nr. 38. – Wie aber ist es zu dieser Situation gekommen?
1909, vor 100 Jahren, umfasste das 14150qm große, parkartige Grundstück der Familie Oppenheim die heutigen Hausnummern Am Großen Wannsee 41 – 47A sowie das Seegrundstück Nr. 46-46A. Das weit zurück liegende Landhaus war über eine gegenüber der Colomierstraße gelegene, lang gestreckte Zufahrt erschlossen. Zum Anwesen des Chemikers und Generaldirektors der AGFA Dr. Franz Oppenheim (1852-1929), Mitbegründer der IG Farbenindustrie AG 1925, und seiner Frau Margarete, einer sehr bedeutenden Kunstsammlerin, gehörten ferner ein Gärtner- und Pförtnerhaus, ein Stall- und Garagengebäude sowie ein Treibhaus. Die Entwürfe für das 1907-08 erbaute Landhaus sowie alle Nebengebäude und auch für die herausragende, mit zahlreichen Tierplastiken August Gauls geschmückte Gartenanlage stammten von Alfred Messel, dem bekannten Architekten des Wertheim-Warenhauses in der Leipziger Straße. Spätere Umgestaltungen des Gartens erfolgten nach Ideen von Alfred Lichtwark und Messels
Schüler Paul Baumgarten, ein Rosengarten entstand nach dem Entwurf von Willy Lange.
Die Oppenheims gehörten zu den bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten der tonangebenden Oberschicht Berlins. Rund zwanzig Jahre lang führten sie in ihrem Sommersitz am Wannsee ein reges gesellschaftliches Leben auf hohem kulturellem Niveau. Franz Oppenheim starb 1929, Margarete 1934, und so mussten sie die Unmenschlichkeit des Naziregimes nicht mehr erleben. Nach der Emigration ihrer Erben bemächtigte sich 1938 der Sicherheitsdienst (SD) des Anwesens und unterhielt dort unter dem Tarnnamen „Institut für Altertumsforschung“ ein geheimes Ostforschungsinstitut, auch „Wannsee-Institut“ genannt. 1940 dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unterstellt, welches inzwischen auch Grundstückseigentümer geworden war, gehörte es bis Kriegsende zu den Schwerpunkten geheimdienstlicher Präsenz in Wannsee. Nach 1945 wurde das Anwesen als Reservelazarett genutzt und später vom Krankenhaus Wannsee für die auf dem Grundstück errichtete Krankenpflegeschule übernommen.
Bürgerlichem Engagement ist es zu verdanken, dass das damals leerstehende, vom Verfall bedrohte Landhaus Oppenheim nicht abgebrochen, sondern 1983 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Der Abriss der Nebengebäude und die Bebauung des Grundstücks mit Wohnblocks konnte indes nicht verhindert werden. Rund 25 Jahre lang, bis zum März 2009, beherbergte das Landhaus Oppenheim dann ein Drogentherapiezentrum.
Wer sich heute mit dem Landhaus Oppenheim beschäftigt wird schnell feststellen, dass trotz des über die Jahre hinweg erfolgten Substanzverlustes der prägende Charakter des Hauses erhalten geblieben ist. Obwohl häufig „Villa“ genannt, ist das Gebäude typologisch ein Landhaus im besten Sinne. Als solches wird es auch in den Entwürfen Alfred Messels bezeichnet. So ist der lang gestreckte, neunachsige Baukörper mit Wirtschaftsflügel an der Hofseite ebenerdig ohne Sockel in den Garten gesetzt. Er wird von gewaltigen Mansarddächern überfangen. Die von seitlichen Risaliten gerahmte, nahezu symmetrische Gartenseite besitzt eine stark repräsentative Note. Dagegen wird die asymmetrisch angelegte Hofseite von einer malerischen Gestaltung mit Turm und Eingangspergola geprägt. Die Fassaden sind, typisch für Messel, sandfarben verputzt und mit Eckbänderungen sowie Fenstergewänden aus hellem Stein versehen. Die weiß gestrichenen Fenster besitzen eine feingliederige
Sprossenteilung. Die Dächer sind mit Biberschwanzziegeln eingedeckt, wobei die Mansarden Doppel- und die Walme Kronendeckung zeigen. Das Haus im Ganzen erinnert mit seiner Gestaltung an Gutshäuser des 18. und frühen 19. Jahrhunderts – ohne aber ein bestimmtes Vorbild zu zitieren. Kernstück im Inneren des Hauses ist eine 24 m lange und 3,80 m breite Galerie, in der einst eine Auswahl von Werken der eindrucksvollen Kunstsammlung Margarete Oppenheims ausgestellt war. Die Galerie trat hier bemerkenswerter Weise an Stelle der die Gesellschaftsräume traditionell erschließenden Diele oder Halle und ist wie diese mit Kamin und Treppe zum Obergeschoss ausgestattet. Sie öffnet sich mit vier Fenstertüren zur Hofseite hin und bekommt somit das Licht von Westen her. Eine flach gewölbte, feine Stuckdecke, ein glänzender Marmorboden mit Schachbrettmuster und eine Einfassung durch vier rote Stuckmarmorsäulen an den beiden Schmalseiten verleihen ihr gemeinsam mit dem zarten
figuralen Reliefdekor an den Fenstergewänden eine noble, glanzvolle Note. Möglicherweise diente hier die Bildergalerie Friedrichs des Großen im Park Sanssouci formal als Vorbild. Das in Verlängerung der Galerie nach Norden hin gelegene Speisezimmer gibt mit seinem großen Bogenfenster den Blick in den Garten frei – und bot mit dieser Sichtachse gewissermaßen die Möglichkeit einer Fortsetzung der Galerie durch im Freiraum befindliche Skulpturen. Eine Aussicht auf den Wannsee ist indes nur durch die zur Gartenseite hin en filade liegenden, einst mit hochkarätigen Gemälden ausgestatteten Gesellschaftsräume möglich. An der Nordostecke des Gebäudes vermittelt eine großzügige Loggia zwischen Haus und Garten.
Unter den von Alfred Messel entworfenen Villen und Landhäusern kommt dem Haus Oppenheim heute in zweifacher Hinsicht besondere Bedeutung zu. Zum einen ist es das einzige erhaltene Landhaus des kaiserzeitlichen Berlin, das konzeptionell mit einer Galerie zur Aufnahme einer Kunstsammlung ausgestattet ist. Zum Anderen gehört es zu den sehr wenigen Landhäusern in Berlin, die schon vor Erscheinen der architekturtheoretischen Schriften von Paul Mebes und Friedrich Ostendorf an der Herren- und Gutshausarchitektur der Zeit um 1800 orientiert waren. Dabei zeigt es in seiner von zurückhaltender Gediegenheit und Eleganz geprägten Gestaltung aber keine vordergründige Repräsentation, wie sie zum Beispiel die nahe gelegene, 1914 errichtete Villa Marlier von Messels Schüler und Mitarbeiter Paul Baumgarten vorführt, sondern es war ganz individuell auf die besonderen Bedürfnisse seiner Bewohner zugeschnitten. Schließlich ist es das letzte erhaltene Landhaus, das der für die Berliner
Architekturgeschichte seiner Zeit stilbildende Architekt Alfred Messel vor seinem Tod 1909 in Berlin baute. Die Geschichte der Familie Oppenheim und ihres Landhauses steht in der Reihe zahlreicher Schicksale jüdischer Bewohner von Wannsee. Wie schon bei der Villa Liebermann geschehen, scheint es auch hier an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen und anhand einer denkmalpflegerisch konsequenten Behandlung und angemessenen Nutzung das Anwesen und seine ehemaligen Bewohner entsprechend zu würdigen.
Adresse: Ortsteil Wannsee, Zum Heckeshorn 38