Groß-Berlin und die Folgen für die beiden Verwaltungsbezirke
9. Dezember 2017, 14 Uhr
Schwartzsche Villa, Grunewaldstraße 55
12165 Berlin-Steglitz
Am 27. April 1920 beschloss die Preußische Landesversammlung (später Preußischer Landtag) das “Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin”. Vorausgegangen waren Debatten über Eingemeindungen und die Struktur eines demokratischen Berlins und seiner Bezirke. Ziel war eine weitgreifende kommunalpolitische Reform. Die Bezirke Steglitz und Zehlendorf wurden neu gebildet und zum XII. bzw. X. Verwaltungsbezirk von Groß-Berlin. In der Folge entwickelte sich in den Bereichen Wohnungsbau und Infrastruktur eine rege Bautätigkeit.
Das Symposion nimmt Groß-Berlin und seine Folgen für die beiden Bezirke Steglitz und Zehlendorf in den Fokus. In das Thema Groß-Berlin führt Harald Bodenschatz ein. Er erörtert das Groß-Berlin-Gesetz und stellt die stadtplanerischen Prämissen für den erweiterten Stadtraum dar. Im Baubereich traten nun, so Celina Kress in ihrem Beitrag, öffentliche Wohnungsbaugesellschaften als neue Akteure neben privaten Bauunternehmern wie Adolf Sommerfeld auf. Ein wesentlicher Faktor für die Gründung Groß-Berlins war die drängende Wohnungsfrage. Große Siedlungen wurden errichtet. Frank Rattay wendet sich drei Beispielen zu, der Onkel-Tom-Siedlung, der Heidehofsiedlung und der Siedlung Unter den Eichen. Neben den Siedlungen wurden Infrastrukturprojekte realisiert, zwei besonders bedeutende erläutern Heike Stange bzw. Matthias Oloew: In Zehlendorf entstand der einzige Rathausneubau im neuen Groß-Berlin und das Strandbad Wannsee wurde zum Freibad für Groß-Berlin und größten Freibad Europas ausgebaut. Abschließend moderiert Nikolaus Bernau eine Podiumsdiskussion, welche die Gegenwart und die Zukunft in den Blick rückt. Dabei wird es auch um aktuelle Planungen im Bezirk gehen. Das Podium bilden der Stadtplaner Harald Bodenschatz, der Zukunfts- und Stadtforscher Ludwig Engel und Sabine Lappe, Leiterin des Stadtentwicklungsamtes Steglitz-Zehlendorf.
Das Symposion ist der Auftakt zu einem auf mehrere Jahre angelegten architekturhistorischen Schwerpunkt des Fachbereichs Kultur Steglitz-Zehlendorf. Ausgehend von Groß-Berlin (1920) werden vielfältige Themen, Aspekte und Projekte des “Neuen Bauens” in Steglitz und Zehlendorf in unterschiedlichen Formaten vorgestellt.
PROGRAMM, 9. Dezember 2017
14:00 Uhr
Eröffnung durch die Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski, Schirmherrin des Symposions
14:10 Uhr
Einführung durch Dr. Brigitte Hausmann, Leiterin des Fachbereichs Kultur
14:20 Uhr
Prof. Dr. Harald Bodenschatz, Sozialwissenschaftler und Stadtplaner
Auf dem Weg nach Groß-Berlin Voraussetzungen für das “Neue Bauen”
1920 war ein Umsturzjahr für Berlin: Nach jahrzehntelangem Streit wurde Groß-Berlin geschaffen – als riesige Einheitsgemeinde mit zwanzig Bezirken. In sozialer, verkehrlicher und wirtschaftlicher Hinsicht war Groß-Berlin zu diesem Zeitpunkt längst vorhanden – als Produkt eines schrillen Wettbewerbs vieler Städte und Kommunen. Die Entscheidung für Groß-Berlin war denkbar knapp, sie fiel in einer Zeit größter Unsicherheit. Sie schuf aber auch den Boden für das Neue Bauen mit all seinen Widersprüchen. Publikation: Wohnungsfrage und Stadtentwicklung, Herausgeber mit Klaus Brake (100 Jahre Groß-Berlin 1), Berlin 2017 u.a.
14:50 Uhr
Dr. Celina Kress, Architektin und Planungshistorikerin, team BEST und Center for Metropolitan Studies/TU Berlin Für die Gemeinschaft! -
Neue Akteure beim Bau von Groß-Berlin ab 1920
Die wesentlichen Merkmale der Wohnungsproduktion in Berlin unterlagen nach dem Ersten Weltkrieg einem strukturellen Wandel. Es entstanden neue wichtige Institutionen der Wohnungsbauproduktion und der Wohnungsverteilung. Zentrale Akteure waren die gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften. Ein Repräsentant war der in Steglitz ansässige Bauunternehmer Adolf Sommerfeld. Die Bau- und Erschließungstätigkeit seiner Firmengruppe während der 1920er und frühen 1930er Jahre schlägt eine interessante Brücke zwischen der privaten und der gemeinwirtschaftlichen Wohnungsproduktion. Publikation: Adolf Sommerfeld | Andrew Sommerfield. Bauen für Berlin 1910-1970, Berlin 2011 u.a.
15:20 Uhr
Frank Rattay, Stadtplaner/Architekturhistoriker, Mitglied des Heimatvereins Zehlendorf e.V.
Zwischen Tradition und Moderne – Wohnungsbau in Steglitz und Zehlendorf 1920-1930
Vor dem Hintergrund eines Fehlbestandes an Wohnungen nach dem Ersten Weltkrieg avancierte der Wohnungsbau zur wichtigen Bauaufgabe der Weimarer Republik. Bekannte Architekten wie Bruno Taut (Onkel-Tom-Siedlung mit U-Bahn), Paul Mebes & Paul Emmerich (Heidehof) oder Otto Rudolf Salvisberg (Siedlung am Botanischen Garten) beeinflussten in Steglitz und Zehlendorf das bauliche Geschehen und entwarfen Beispiele des Neuen Bauens sowie einer gemäßigten Moderne. Doch die neuen Bauvorhaben stießen nicht nur auf Zustimmung: Bauformen wie das Flachdach und der Zuzug einkommensschwächerer Bevölkerungsschichten provozierten lokalen Widerstand. Publikation: (mit Renate Ammann), Paul Mebes und Paul Emmerich – Meister der gemäßigten Moderne, Herausgeber Beamten-Wohnungs-Verein zu Berlin eG, Berlin 2015
16:10 Uhr
Heike Stange, Wissenschaftliche Mitarbeiterin (Regionalgeschichte) des Fachbereichs Kultur Das Rathaus Zehlendorf -
Im Spannungsfeld von Groß-Berlin und dem Bezirk
In den 1920er Jahren kämpfte der neue Bezirk Zehlendorf, der ab 1920 zu Groß-Berlin gehörte, um ein zentrales Verwaltungsgebäude. Dafür stellte er ein Grundstück zur Verfügung und gewann die Zustimmung des Magistrats von Groß-Berlin. Ausgeschrieben wurde ein Wettbewerb für ein Rathaus mit zentralen Verwaltungen und Schwimmbad, an dem sich etwa 80 Architekten beteiligten. Die Realisierung und Finanzierung führte zu einem Streit zwischen Groß-Berlin und Bezirk. Trotz allen Auseinandersetzungen zwischen dezentralen und zentralen Zuständigkeiten entstand das Zehlendorfer Rathaus in Groß-Berlin – die Eröffnung erfolgte 1929. Publikation: Der “Rathauskampf”, in: Abgesägt. Im Nationalsozialismus verfolgte Kommunalpolitikerinnen und -politiker in Steglitz und Zehlendorf 1933-1945. Berlin 2016
16:40 Uhr
Matthias Oloew, Kulturhistoriker und Autor
Das Strandbad Wannsee – Ein Weltstadtbad
Mit den Gebäuden des Strandbads Wannsee, die Martin Wagner zusammen mit Richard Ermisch schuf, verbanden sich mehrere Gedanken: Einerseits sollte es ein Ausdruck für das freie, gleiche und demokratische Miteinander der Menschen sein, andererseits ein weltstädtischer Lido, der dazu beitragen sollte, Berlin ein Gesicht von der Wasserseite zu geben. Für den Reformer Martin Wagner stellen die Gebäude des Strandbad Wannsee den Scheitelpunkt dar für seine Beschäftigung mit der Schaffung gesunder Lebensverhältnisse in der Stadt. Der Magistrat gewann die Erkenntnis, weniger zentrale Projekte wie das Strandbad zu fördern, sondern ein dezentrales Netz an Bädern aufzubauen. Publikation: 100 Jahre Strandbad Wannsee, Berlin 2007 u.a.
17:10 Uhr
Podiumsdiskussion mit Ausblick auf die Gegenwart
Teilnehmer_innen: Prof. Dr. Harald Bodenschatz, Sabine Lappe (Leiterin Stadtentwicklungsamt) und Ludwig Engel (Zukunfts- und Stadtforscher)
Moderation: Nikolaus Bernau, Architekturkritiker, Journalist und Autor