Würdigung einer Wissenschaftspionierin – Enthüllung der Informationsstele „Clara Immerwahr“

Pressemitteilung vom 14.11.2024

Enthüllung der Stele

Enthüllung der Stele

Am Montag, den 11.11.2024, wurde an der Ecke Hittorfstraße/Faradayweg in Berlin-Dahlem eine regionalhistorische Informationsstele enthüllt, die der Chemikerin Clara Immerwahr gewidmet ist. Die Stele erinnert an die bekannte Physikerin, die vielen vor allem in Erinnerung bleibt als die erste deutsche promovierte Chemikerin und als unermüdliche Kämpferin gegen Diskriminierung und ungleiche Bildungschancen. Die Stele gibt einen umfassenden Überblick über das Leben und Wirken von Clara Immerwahr.

Zeit ihres Erwachsenenlebens war Clara Immerwahr für die Öffentlichkeit in erster Linie die Ehefrau von Fritz Haber, vor allem nach dessen Berufung zum Direktor des neuen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie hier in Berlin-Dahlem im Jahr 1911. Eine Zuschreibung, die bis heute nachwirkt – nicht zuletzt durch ihre tragische Selbsttötung am 2. Mai 1915 im Garten hinter der Direktorenvilla, die häufig als direkte Reaktion auf den ersten Einsatz des von Fritz Haber entwickelten Giftgases im 1. Weltkrieg interpretiert wird, den Clara Immerwahr ablehnte. Dass Clara Immerwahr selbst eine ausgezeichnete Wissenschaftlerin war und im Dezember 1900 als erste deutsche Studentin an einer preußischen Universität promovierte, rückt dabei häufig in den Hintergrund.

Die 30. Regionalhistorische Informationsstele des Bezirks Steglitz-Zehlendorf, die nun der Öffentlichkeit übergeben wurde, möchte vor diesem Hintergrund ganz bewusst auch und gerade an die Chemikerin Clara Immerwahr erinnern. Seit 2008 leisten die von Karin Rosenberg entworfenen Stelen einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur in Steglitz-Zehlendorf – mit ihrem markanten roten Design sind sie zu einem Markenzeichen des Bezirks geworden. Thematisch decken die Stelen ein breites, sehr vielfältiges Themenspektrum ab – immer jedoch rücken sie historische Ereignisse, Orte und Persönlichkeiten ins öffentliche Bewusstsein, die in der Geschichte und Topographie des Bezirks verankert sind.

v.l.n.r. Geschäftsführende Direktorin des Fritz-Haber-Instituts Prof. Dr. Beatriz Roldán Cuenya, Wissenschaftshistorikerin Prof. Dr. Annette Vogt, Bezirksstadträtin Cerstin Richter-Kotowski

v.l.n.r. Geschäftsführende Direktorin des Fritz-Haber-Instituts Prof. Dr. Beatriz Roldán Cuenya, Wissenschaftshistorikerin Prof. Dr. Annette Vogt, Bezirksstadträtin Cerstin Richter-Kotowski

Bezirksstadträtin Cerstin Richter-Kotowski:
„Es freut mich ganz besonders, dass zum ersten Mal eine Frau mit einer bezirklichen Stele geehrt wird. Clara Immerwahr war eine beeindruckende Frau, eine Pionierin der Wissenschaft und eine wahrhafte Kämpferin für Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit!
Ein großer Dank geht an das Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft und die Geschäftsführende Direktorin Beatriz Roldán Cuenya. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts haben die Idee einer Stele für Clara Immerwahr tatkräftig unterstützt und nach gemeinsamen Beratungen den Standort auf dem Gelände des Fritz-Haber-Institutes möglich gemacht. Ebenso gebührt der Autorin des Stelentextes Annette Vogt, der Grafikerin Karin Rosenberg und den Mitarbeiterinnen im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, die die Abbildungen für die Stele zur Verfügung gestellt haben, besonderer Dank.”

Stele Clara Immerwahr-Haber

Stele Clara Immerwahr-Haber

Text der Informationsstele

Clara Helene Immerwahr wurde am 21. Juni 1870 in Polkendorf (Wojczyce, Polen) bei Breslau (Wroclaw) als jüngstes von vier Kindern des Chemikers Philipp Immerwahr (1839–1908) und seiner Frau Anna (1846–1890) geboren. Sie und ihre Schwestern besuchten höhere Mädchenschulen, in denen es kaum naturwissenschaftlichen Unterricht gab. Clara interessierte sich früh für Chemie, absolvierte 1892/93 das Lehrerinnenseminar in Breslau und besuchte als Gasthörerin Vorlesungen an der Universität. Da Frauen in Preußen erst ab dem Wintersemester 1908/09 regulär studieren durften, war sie auf die Unterstützung der Professoren angewiesen. Als Externe legte sie 1897 an einem Jungengymnasium das Abitur ab und studierte Naturwissenschaften. Zu ihren Förderern gehörten die Chemiker Albert Ladenburg (1842–1911) und Richard Abegg (1869–1910), ihr Doktorvater.

Im Dezember 1900 promovierte Clara Immerwahr in Chemie als erste deutsche Studentin an einer preußischen Universität. Sie erhielt eine unbezahlte Assistentenstelle und veröffentlichte von 1900 bis 1901 vier wissenschaftliche Arbeiten zur Messbarkeit schwerlöslicher Salze von Metallen. An eine akademische Karriere als Chemikerin war nicht zu denken, da Frauen nicht habilitieren durften. Als sie 1901 den Chemiker und Professor an der TH Karlsruhe Fritz Haber (1868–1934) heiratete, mag sie sich erhofft haben, in die Tradition berühmter Forscherpaare wie den Lavoisiers oder Marie Sklodowska und Pierre Curie treten zu können.

Von 1901 bis 1910 lebte das Paar in Karlsruhe, wo Clara bis zur Geburt ihres Sohnes Hermann im Labor ihres Mannes arbeitete und an seinem Lehrbuch „Thermodynamik technischer Gasreaktionen“ (1905) mitwirkte, das ihr „zum Dank für stille Mitarbeit“ gewidmet wurde. Die gewünschte gemeinsame Forschungstätigkeit mit ihrem Mann ergab sich jedoch nicht. Frau Professor Haber sollte, den gesellschaftlichen Normen der Zeit entsprechend, repräsentieren, nicht forschen. Sie hielt Vorträge beim Karlsruher Volksbildungsverein, beispielsweise 1905/06 über „Chemie in Küche und Haushalt“, 1910 zu „Naturwissenschaften im Haushalt“ beim Arbeiterbildungsverein.

1911 zog die Familie nach Berlin. Während Fritz Haber Direktor des neuen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem und Professor an der Berliner Universität wurde, blieb Clara eine intellektuell erfüllende Tätigkeit versagt. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs engagierte sich Fritz Haber in der Giftgasforschung. Am 2. Mai 1915 erschoss sich Clara Haber im Garten der Direktorenvilla mit der Dienstwaffe ihres Mannes. Die Frage nach den Motiven für die Selbsttötung ist bis heute nicht endgültig zu beantworten. Den verfügbaren Quellen zufolge spielten nicht nur ihre Ablehnung des Giftgaseinsatzes, sondern auch mehrere persönliche Gründe eine Rolle.

Clara Immerwahr-Haber bleibt in Erinnerung als die erste deutsche promovierte Chemikerin, als eine Frau, die gegen Diskriminierung und ungleiche Bildungschancen kämpfte. Mehrere Preise und seit 2006 ein Gedenkstein erinnern an die Ausnahmepromovendin.

Text: Annette Vogt