Auf Spurensuche
Wie eine Feldforscherin geht Andrea Pichl auf Spurensuche. Im Fokus stehen die Gestaltungsformen des Alltäglichen, sowohl in historischer als auch gegenwärtiger Form. Es kann sich um vernachlässigte Architekturen im sozialen Wohnungsbau, um die Gestaltung von Vorgärten und Häusern ebenso wie von Inneneinrichtungen handeln, die ihr Interesse wecken. Bei Andrea Pichl gibt es die Komponente des Fremden. Es handelt sich vorrangig um eine erhöhte Sensibilität, ähnlich wie ein fremder Blick auf das Eigene, welches Pichls künstlerische Praxis ausmacht. Dabei kombiniert sie Beobachtungen ihrer eigenen Gesellschaft mit solchen, die sie während Reisen macht. Nach ihrem Rechercheprozess verarbeitet Pichl ihre künstlerische Interpretation, verdichtet durch eine tiefe theoretische Auseinandersetzung mit Design- und Kunsttheorien, in verschiedenen Medien wie Collagen, Fotografien, Installationen und Zeichnungen.
Forschungsprojekt „Behelfsheim”
Neustes Forschungsprojekt von Andrea Pichl ist das „Behelfsheim“, welches 1943 vom „Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau“ u.a. beim ehemaligen Bauhausschüler von Walther Gropius Ernst Neufert mit dem Ziel in Auftrag gegeben wurde, „Luftkriegsbetroffenen“, die Möglichkeit zu geben aus vorhandenen Werkstoffen Behelfsheime in Selbsthilfe bauen zu lassen.
Es waren einfache Miniatur-Eigenheime, frei stehend auf einem Grundstück, die in dieser Zeit nach strengen Regeln gebaut werden durften. Erst in den 1950er-Jahren wurde der anfängliche Verzicht auf gestalterische Maßnahmen erweitert, heute spricht man vom „wachsenden Haus“ in Privatgestaltung. Auf diese heutige Privatgestaltung richtet Pichl in der Schwartzschen Villa ihr Augenmerk. Ihre Installation greift die Gestaltungsformen heutiger Bewohner*innen der „Behelfsheime“ in Wilhelmshaven, Ost- und Westberlin auf und schafft einen eigenen künstlerisch-installativen Raum.
Zeichnungsserie “Stasizentrale”
Zusätzlich zeigt Andrea Pichl in der Schwartzschen Villa erstmalig ein größeres Konvolut ihrer Zeichnungsserie mit dem Titel Stasizentrale. Sie erstellte diese detailgetreuen Zeichnungen der Inneneinrichtung nach ihren eigenen Fotografien in den Räumen der ehemaligen Stasizentrale in Berlin-Lichtenberg. Es sind dabei neben der Büroeinrichtung von Erich Mielke ebenfalls bauliche Details zu sehen, wie ein Paternoster, das Tagebett von Mielke, sein Büro mit einem farbintensiven Teppich oder eine Sitzgruppe vor einer mit Holz getäfelten Wand. In der kleinen Galerie in der Schwartzschen Villa verdeutlicht Pichl mit ihren Zeichnungen die banale Gestaltung der Macht. Ferner arbeitet sie mit Dopplungen: Gezeichnete Vorhänge lässt sie auf Vorhänge drucken, sodass ein interessanter Entfremdungseffekt einsetzt. Schwarz angesprühte Pflanzen wirken ebenso irritierend.
Ihr Ostberliner Hintergrund macht Pichl zu einer sensiblen Beobachterin übergeordneter gesellschaftlicher Transformationen in Ost- und Westberlin. Es sind unterschiedliche Dogmen – also die Gestaltung der Macht vs. die Gestaltung des Profanen, die im Zentrum ihrer Ausstellung stehen und die sie mit Hilfe von Ironie freilegt. Pichl zeigt die Absurdität früherer ebenso wie gegenwärtiger Formen von Alltagsgestaltungen und zeigt dabei – ganz nach Pierre Bourdieu – die sozialen Nutzungsweisen in ihren feinen Unterschieden.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation bei DISTANZ mit Texten von Ulrike Kremeier und Christine Nippe.
Pressekontakt und weitere Informationen
Christine Nippe:
E-Mail: christine.nippe@kultur-steglitz-zehlendorf.de
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Veranstalter:
Fachbereich Kultur Steglitz-Zehlendorf
Telefon: 030 90 299 2302
Webseite: www.kultur-steglitz-zehlendorf.de