DER 9. VERANSTALTUNG ZUR REIHE “BAUSTEINE FÜR EINE
LOKALE AGENDA” AM
19. 03. 1998, 16.00 UHR, BVV-SAAL
Anwesend: siehe beiliegende Anwesenheitsliste
Referent: Herr Rainer Latour, Leiter des Stadtplanungsamtes
Herr BzStR Straßmeir begrüßt die Gäste der Veranstaltung und stellt Ihnen den Referenten, Herrn Rainer Latour, vor. Anschließend weist er auf die ausliegenden Unterlagen hin, u.a. auf das Protokoll vom Vortrag des BzStR Kleist.
Herr Latour verweist einleitend auf die Änderungen im Bau-GB zur nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung hin. Aus dem Bau-GB ergibt sich die Verpflichtung zum gerechten Abwägen von öffentlichen und privaten Belangen. Am Beispiel städtebaulicher Dichteverteilung veranschaulicht er die Entstehung und den Wandel von Leitbildern.
Anhand von Overhead-Folien gibt Herr Latour einen Überblick über räumliche Strukturprobleme und Entwicklungstendenzen (u.a. Folien zu Nutzungskonkurrenzen, Grünverbindung, Bevölkerungsentwicklung, Standorte sozialer Infrastruktur, Bauvorhaben 1989-97, potentielle Veränderungsbereiche). Er verdeutlicht an zwei Beispielen (ehemalige Kleingärten Cuno-Orber-Straße; Grünzug Grunewaldseen-kette) seine Auffassung, daß es im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung erforderlich sein kann, im Einzelfall auch Freiflächen geringer Größe/Anbindung/Qualität für andere Nutzungsarten zur Verfügung zu stellen. Im Sinne einer Bodenvorratspolitik sollten Erlöse dann für den Ankauf von Grundstücken reinvestiert werden, z.B. an der Grunewaldseenkette.
Anschließend kündigt er – im Sinne einer Leitbilddiskussion – die bevorstehende Erarbeitung und Abstimmung der Bereichsentwicklungsplanung (Nutzungskonzept) an.
Zum Vortrag liegt ein Thesenpapier vor (s. Anlage zu diesem Protokoll)
Im Anschluß an den Vortrag wurden folgende Aspekte diskutiert:
- Instrumentarium der “Bereichsentwicklungsplanung”
- Konflikte Freiflächen/Bauflächen
- Bauliche Dichte und soziale Infrastruktur
Frau Kleinschmidt fragt, wie es sich jetzt und in Zukunft mit dem Zugang zu öffentlichen Gewässern verhält, z.B. den Uferwanderwegen im Grunewald.
Herr BzStR Straßmeir versichert, daß die Ufer der Grunewaldseen weiterhin zu erreichen sein sollen; hierfür sind bereits bzw. werden vom BA Uferstreifen von den Eigentümern gekauft. Herr Latour ergänzt, daß für eine vorausschauende Bebauungsplanung vom BA aus Verkaufserlösen vorrätig Grundstücke gekauft werden sollen, um dringende Infrastrukturmaßnahmen zu gegebener Zeit realisieren zu können.
Pfarrer Raebel möchte wissen, ob es Zahlen über den Wohnungsleerstand gibt.
Herr BzStR Straßmeir nennt die Gründe für den Wohnungsleerstand: bei Wohnungswechsel unvermeidbar (kann bis zu 6 Monaten ohne Sanktionen leerstehen); geringe Nachfrage aufgrund von Wegzug; zu hohe Mieten, deshalb werden die Wohnungen für Gewerbe genutzt, um höhere Mieten zu erzielen; aus Spekulationsgründen. Einen systematischen Überblick gibt es nicht. Der Wohnungsleerstand dürfte aber insgesamt abnehmen, da für die Vorfinanzierung den Banken ein Nutzungskonzept vorgelegt werden muß, in dem 60% feste Mietverträge enthalten sein müssen.
Herr Böttcher kritisiert das späte Vorliegen und die unvollständige BEP; dem schließt sich Frau Schümer-Strucksberg an und ergänzt, ob es schon eine Übersicht über Vorhaben gäbe.
Herr Latour entgegnet mit dem Hinweis auf die BEP Wilmersdorf als Pilot-BEP für Berlin insgesamt den langen Vorlauf des BEP. Nach Prioritätsetzungen außerhalb des Bezirks ist nunmehr beabsichtigt, mit möglichst geringen Ressourcen ein Nutzungskonzept aufzustellen. Ziel ist es, an die Öffentlichkeit zu gehen, um Konsensbereiche und Konflikte zu diskutieren. Der Entwurf des Nutzungskonzeptes soll noch vor der Sommerpause dem zuständigen Ausschuß vorgelegt werden. Die gezeigte Folie stellt keine Übersicht über planerische Prioritäten dar, sondern zeigen potentielle Veränderungsbereiche.
Frau Henkel spricht die mangelnde Ästhetik z.B. bei Einfamilienhäusern und der Planung des Prager Platz an, sowie die geplante Bebauung an der Lentzeallee und hat Bedenken, daß sich so etwas wie die Bebauung der Pallasstraße und des Kreuzberger Zentrums wiederholen könnte.
Herr BzStR Straßmeir stellt fest, daß Stadtplanung und Baubehörde ästhetische Wünsche nicht verwirklichen kann, sondern nur Einfluß nehmen kann im Rahmen der gegebenen Rechtsgrundlagen (keine architektonische Steuerung, Beschränkung auf Aspekte des Stadtbildes).
Herr Latour antwortet zur Lentzeallee, hier bieten sich keine automatischen Lösungen an. Für die Bebauung müssen aus stadtplanerischer Sicht folgende Fakten berücksichtigt werden: die räumliche Situation; die denkmalgeschützten Gebäude; baulicher Bestand in der Nachbarschaft. Dies sei in der weiteren städtebaulichen Bearbeitung zu klären, wenn denn der FNP durch Senat- und Abgeordnetenhaus geändert wird.
Pfarrer Raebel möchte wissen, was auf Dauer mit den Kleingärten an der Johannisberger Straße geplant ist, z.B. seien die Kleingärten an der Spessart-/Homburger Straße vernichtet worden, die Bebauung läßt aber auf sich warten. Herr Böttcher kritisiert, daß bei den Bauanträgen zur Deidesheimer Straße das Gesamtbild nicht berücksichtigt wird. Frau Soltkahn fügt die Frage hinzu, ob der Bestand der Kleingärten im innerstädtischen Bereich bleibt und ob angedacht ist, “Loretta” auch zu bebauen.
Herr Latour versichert, daß die Kleingärten an der Johannisberger Straße als solche bestehen bleiben, denn so sei es auch im FNP dargestellt. Das Gelände der Kleingärten an der Spessart-/Homburger Straße wurde 1997 verkauft. Mit dem Bau wird demnächst begonnen. Der Grund für die Wartezeit zwischen Planierung der Kleingärten und dem Baubeginn sind die Fristen, die z.B. für die Antragsverfahren, die Abholzung (Brutzeiten der Vögel müssen berücksichtigt werden) etc. eingehalten werden müssen. Die Bebauung erfolgt auf Grundlage des 1992 festgesetzten Bebauungsplans unter Wahrung der baulichen Dimensionen der benachbarten Bebauung.
Das Gelände “Loretta” an der Lietzenburger Straße soll lt. BVV-Beschluß ein Gartenlokal bleiben. Es gibt keinen Bedarf der planungsrechtlichen Sicherung, da Berlin Grundstückseigentümer ist.
Herr Böttcher bezieht sich auf den Beschluß des “Deutschen Städtetages”, der besagt, daß Grünflächen zu Fuß zu erreichen sein müssen. Demzufolge könne das Grün der Kleingartenbesitzer der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden und würde so zum Allgemeingut.
Herr Latour verweist auf die methodische Problematik von Richtwerten, die planerische Problemlösungen im Einzelfall nicht ersetzen können. Unter Wahrung auch gesamtstädtischer Verantwortlichkeiten werden die jeweiligen Abwägungsprozesse von folgenden Prämissen begleitet: 1. Angebote für erforderliche Baupotentiale 2. Sicherung des Netzes von Grün- und Freiflächen 3. Verträglichkeit von baulicher Dichte und Freiflächenversorgung.
Herr Fehlmann wendet ein, warum überhaupt noch gebaut wird, angesichts des Wegzugs von 300 000 Einwohnern, vieler leerstehender Bürohäuser, Wohnungen etc.
Herr Latour entgegnet, parallel dazu gebe es Zuzüge nach Berlin sowie den Bedarf, der Randwanderung entgegenzusteuern. Für den Bezirk Wilmersdorf ergeben sich zu dem vorhandenen Leitbild als attraktiver Wohnbezirk zusätzliche Verpflichtungen durch Standortnachfragen ausländischer Staaten.
Herr BzStR Straßmeir geht zum allgemeinen Geschäftsordungsteil über und weist auf den Suttonbericht und den Senatsbeschluß zur Lokalen Agenda hin, der im LA-Büro einzusehen ist. Zur Zeit wird an einem Lokalen-Agenda -Bericht für das Bezirksamt Wilmersdorf gearbeitet.
Die nächste Ausschußsitzung findet am 26.3.98, 16.00 Uhr, statt und wird u.a. Lokale Agenda als Thema haben.
Das nächste Thema wird “Arbeit” sein, mit unterschiedlichen Inhalten und Referenten. Ort und Zeit stehen noch nicht fest.
31. März 1998
Porzner
Anlage:
Rainer Latour – Beiträge des Bezirks Wilmersdorf zu einer nachhaltigen Stadt- und Siedlungsentwicklung
1. Nachhaltigkeit in der Stadt- und Siedlungsentwicklung
Schonung Ressourcen, Flächenersparnis, Verkehrsvermeidung
Umweltverträglichkeit, Energieeffezienz, altersbeständige Bauweisen
lokale Kreisläufe, ökonomische Ver- und Entsorgung, verbesserte Produktionsverfahren
lebenswerte Umwelt, angemessene Wohnraumversorgung, zukünftsfähige Infrastruktur,
attraktive Wirtschaftsstandorte, Sozialverträglichkeit
städtebauliche Identität, Innenentwicklung, Nutzungsmischung
2. Nachhaltige räumliche Entwicklung im Bezirk Wilmersdorf
Ausgangssituation des Bezirks
Aktuelle Rahmenbedingungen und Problemstellungen
Funktionsmischung, Wohnen, Arbeiten
Städtebauliche Dichte
Wohnungsversorgung
Freiflächen, Infrastruktur
Stadtgestalt und öffentlicher Raum
3. Steuerungsbedarf und Instrumente
Planungsebenen
Bauleitplanung
informelle Planungen
Bündelung Instrumente
Umsetzung Planungsrecht
Partizipation
gesamtstädtische, bezirkliche Kompetenzen
regionale Zusammenarbeit
4. Kriterien, Zielkonflikte, Planbeispiele
5. Nachhaltigkeit und Agendaprozeß
1 Nachhaltigkeit in der Stadt- und Siedlungsentwicklung
1.1 Die ‘Generalklausel’ des Baugesetzbuches – als gesetzliche Grundlage der Stadtplanung – spiegelt die mittlerweile auch international formulierten Ziele der Nachhaltigkeit als Handlungsauftrag für kommunale Planungstätigkeit. Das Gesetz verkennt nicht das hohe Maß an Zielkonflikten zwischen den Einzelforderungen und verlangt daher den Bauleitplänen vor Beschluß durch die Gemeindevertretungen eine Abwägung im jeweiligen Planungsprozeß ab.
1.2 Städtebauliche Leitbilder waren in der Geschichte der Stadt entweder Vorgabe für oder Reaktion auf Prozesse der Stadtentwicklung, die von den jeweiligen wirtschaftlichen, technologischen, sozialen und kulturellen Bedingungen abhängig waren. Ihre Durchsetzungsfähigkeit in demokratischen Gesellschaften ist abhängig von der Akzeptanz, die sie bei den Beteiligten erzielen kann. Für die Auswirkungen heutiger Leitbilder hinsichtlich Flächen- und Ressourcenschonung, Innenentwicklung und Funktionsmischung bestehen noch deutliche Akzeptanzprobleme.
2 Nachhaltige räumliche Entwicklung im Bezirk Wilmersdorf
2.1 Durch seine stadträumliche Lage und seinen städtebaulichen Bestand (Funktionen in der Gesamtstadt, räumliche Gliederung, Image, Bau- und Nutzungsstruktur) bietet der Bezirk Wilmersdorf eine attraktive Ausgangsposition auch für künftige Aufgabenstellungen. Die Bestandorientierung, -pflege und -weiterentwicklung deckt räumlich weite Teile des Bezirks ab und ist quantitativ der dominierende Faktor. Eine alleinige “Festschreibung” bestehender Strukturen würde jedoch einer dynamischen Entwicklung in Zeiten des Strukturwandels widersprechen und wäre im Sinne der Nachhaltigkeitsdikussion auch schädlich.
2.2 Aktuelle Rahmenbedingungen und Problemstellungen werden durch folgende Themen beschrieben:
Nutzungskonflikte auf mehreren Ebenen (Zentrenstruktur; Bau-/Freifläche; Zweckbestimmung Freifläche; Wohnen/Büro; Produktion und Reparatur/Büro und Handel; Spezialisierung/Flexibilisierung Gemeinbedarfseinrichtungen)
Konkurrenz zum tradierten Leitbildes des “attraktiven innerstädtischen Wohnstandortes” zu gesamt- und hauptstädtischen Ansprüchen (Erfordernis neuer Bauflächen, Standorte ausländischer Vertretungen) sowie infolge des Strukturwandels (veränderte Verdrängungsmechanismen, neue Formen des Wohnens und Arbeitens)
sinkende Einwohnerzahl und weiterhin spezifische Einwohnerstruktur; veränderte Kriterien der Wahl von Wohnort und -form durch die Bevölkerung
veränderte Nachfrage nach Angeboten der sozialen Infrastruktur; deutlich gesunkene öffentlicher Mittel für Investition, Betrieb und Unterhaltung von Infrastruktureinrichtungen
2.3 Nur einzelne in die prägende Wohnbebauung mit den zugehörigen Dienstleistungen eingelagerten Bereichen mit produzierenden Betrieben, das Verwaltungszentrum am Fehrbelliner Platz sowie Büronutzungen, die sich infolge der Westwanderung der City (West) angesiedelt haben, stellen keine Funktionsmischung im vollen Spektrum dar. Unter den Bedingungen sehr hoher Bodenpreise ist die kleinräumige Nutzungsmischung zwischen Wohnen, Dienstleistungen und Handel ein realistisches Entwicklungsziel. Um Verdrängungen aus reinen Marktmechanismen zu verhindern, bedarf die schwächere Wohnnutzung des planerischen Schutzes. In gleicher Weise sollen die verbliebenen Gewerbebereiche vor Verdrängungen durch Büros oder großflächigen Einzelhandel geschützt werden, ohne daß die ansässigen Betriebe ihre Entwicklungschance verlieren.
2.4 Eine Nivellierung der baulichen Dichte (innerstädtische Reduzierung, Erhöhung in offen bebauten Bereichen) entspricht weder der Nachhaltigkeit noch den wirtschaftlichen Realitäten. Statt dessen sollen sich stadträumliche Lage sowie Funktion und vorhandene bauliche Strukturen in jeweils angemessenen Dichten spiegeln. Für Wilmersdorf besteht im Rahmen der bisherigen Handhabung kein Problem zu hoher Verdichtung. Speziell für Wohnungen ist jedoch infolge der Marktlage von einem Schwerpunkt der Nachfrage im mittleren und unteren Dichtesegment auszugehen, während tertiäre Nutzungen nach Überwindung der Marktschwäche weiterhin hohe Dichten nachfragen werden.
2.5 Die Bereitstellung von Wohnbauflächen und -potentialen entspricht dem Charakter und der Eignung des Bezirks. Sie hilft, vorhandene Infrastruktur auszulasten, ist für die Gemeinde hinsichtlich der Vorleistungen sehr kostengünstig und stellt einen Beitrag zur Verkehrsvermeidung sowie zur Stabilisierung des kommunalen Steueraufkommens dar. Nach dem Auslaufen der öffentlichen Förderung und wegen eines breiten Feldes von Alternativen in der Wohnraumversorgung sind alle Beteiligten gezwungen, marktfähige, d.h. von der Bevölkerung nachgefragte Wohnformen anzubieten. Wilmersdorf kann hier seinen Beitrag durch Stadtvillen und Eigentumswohnungen im Geschoßwohnungsbau liefern.
2.6 In den klassischen Sektoren der Innenentwicklung – “Baulücken”, Dachausbau, kleinteilige Nachverdichtung – bestehen noch Potentiale. Für spezifische Angebote im Rahmen der Berliner Wohnungsbaustrategie ist jedoch auch die Inanspruchnahme von Freiflächen erforderlich. Im Sinne von “Nachhaltigkeit” haben hier im Rahmen der Einzelabwägung gut erschlossene, eingestreute Freiflächen eine höhere Eignung als Bauflächen.
2.7 Ein innerstädtischer Bezirk kann und soll hinsichtlich seiner Freiflächenausstattung nicht mit Randbezirken konkurrieren. Zur Stützung der Wohnfunktion und der innerstädtischen Lebensqualität ist jedoch ein vernetztes System von öffentlichen Grün- und Freiflächen mit ökologischer Wirksamkeit durch Flächengröße und Zusammenhang von wesentlicher Bedeutung. Die Komplettierung des Systems der Grünzüge und die Sicherung der eingebundenen großen Freiflächen bleibt planerische Priorität.
2.8 Neben den bestehenden Einrichtungen der sozialen Infrastruktur verfügt der Bezirk dank Vorsorge in der Vergangenheit über eine ausreichende Zahl von freien Standorten. Die 1997 beschlossene Standortplanung berücksichtigt absehbare Bedürfnisse und einzelne Standortreserven. Für den Ausbau, bzw. die Stabilisierung der Infrastruktur werden künftig Richtwerte keine ausreichende Argumentation mehr sein. Vielmehr werden sich vor dem Hintergrund knapper Mittel die Fragen nach alternativen Betreibern und Finanzierungsmodellen sowie nach erhöhter Flexibilität der Standorte anstelle einer gruppenorientierten Spezialisierung verschärft stellen.
2.9 Die städtebauliche Struktur (Stadtgrundriß und –aufriß) trägt wesentlich zur Identität des Bezirks bei. Hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Stadtgestalt sind alle Vorhaben auf ihre Verträglichkeit zu überprüfen. Der öffentliche Raum muß uneingeschränkt allen Bürgern zur Verfügung stehen. Seine “Privatisierung” verbunden mit Nutzungseinschränkungen für die Allgemeinheit ist genauso abzuwehren wie das Übermaß an “Kommerzialisierung” in Gestalt einer Flut von Werbemaßnahmen.
2.10 Gemessen am Ausmaß des Strukturwandels in der Stadt sind die Veränderungen in Wilmersdorf gering. Dennoch besteht Bedarf, für betroffene Teile des Bezirks struktursichernde Bebauungspläne aufzustellen, um die Vielzahl von Einzelmaßnahmen auf die städtebaulichen Ziele des Bezirks abzustellen. Durch den zu erbringenden Beitrag zur Stadtentwicklung und nicht unerhebliche Flächen mit Veränderungspotentialen besteht ausreichender Anlaß über aktuelle Einzelplanungen hinausgehend die Leitbild- und Zieldiskussion innerhalb informeller Planungen im Bezirk voranzutreiben.
3 Steuerungsbedarf und Instrumente
3.1 “Liberalisierung”, “Privatisierung” und alleinig auf wirtschaftliches Gewinnstreben ausgerichtete Politikansätze sind nicht geeignet, Nachhaltigkeit, Allgemeinwohl und sozialen Ausgleich herbeizuführen. Ebensowenig sind staatlich oder kommunal verordnete Planungsergebnisse in der Lage, sich gegen die wirtschaftliche Entwicklung zu stemmen. Es bedarf vielmehr der Konsensbildung zwischen sich widersprechenden Interessen sowie zwischen dem politisch oder planerisch “Wünschbaren” und dem wirtschaftlich “Machbaren”.
3.2 Für die Sicherung einer nachhaltigen räumlichen Entwicklung ist die Bauleitplanung (mit dem Ergebnis der Rahmensetzung für private Bautätigkeit und Grundstücksnutzungen) alleine nicht ausreichend. “Informelle Planungen” (Bereichsentwicklungsplanung, Entwicklungs- und Blockkonzepte), die eingehende Zieldiskussionen anhand von Planungsalternativen und prinzipielle Konsensbildung ermöglichen, sowie “vertragliche Planungen” (städtebauliche, öffentlich-rechtliche Verträge) sind notwendige Ergänzungen.
3.3 Nicht nur im Sinne eines ökonomischen Verwaltungshandelns müssen integrale Planungen und Fachplanungen besser verknüpft werden. Die gegenwärtig fehlende Verläßlichkeit der kommunalen Investitionsplanung erschwert die Planungstätigkeit erheblich.
3.4 Der heutige Verzicht auf eine Bodenvorratspolitik und eine rein auf kurzfristige fiskalische Effekte abgestellte Grundstücksverkaufspolitik reduzieren die Chancen kommender Generationen. Für die Stabilisierung und Qualifizierung der örtlichen Lebensbedingungen ist die (partielle) Reinvestition zugunsten lokaler Vorhaben erforderlich. Hierbei reichen “Ad-hoc-Finanzierungen” aus Verkaufserlösen nicht aus.
3.5 Innerhalb des zweistufigen Verwaltungsaufbaus in Berlin sind die Einflußmöglichkeiten der Bezirke (noch?) gering. Dem Ruf nach höherer dezentraler Entscheidungsverantwortung muß jedoch zwingend eine höhere Verantwortlichkeit auch für unpopuläre Entscheidungen folgen, um gesamtstädtische Notwendigkeiten nicht zu unterlaufen.
3.6 Unabhängig von der Aufgabenteilung in Berlin ist eine funktionierende regionale Zusammenarbeit zwingend erforderlich. Andernfalls sinkt die Konkurrenzfähigkeit zu anderen Regionen, und die Erfordernisse einer nachhaltigen Entwicklung werden durch die Folgen innerregionaler Konkurrenz verdrängt.
3.7 Partizipation bei Planungsprozessen unterliegt der Entscheidungskompetenz demokratisch gewählter Gremien. Durch (rechtlich normierte) Bürgerbeteiligungen ist sichergestellt, daß sich alle Interessen in der Entscheidungsvorbereitung artikulieren können. Weitergehende Beteiligungen der Bevölkerung wären sinnvoll im Rahmen von Zielfindungsprozessen bei “informellen Planungen”. Sie erfordern jedoch ein hohes Engagement bei den Beteiligten in Zeiten abnehmender Bereitschaft der Bevölkerung, sich außerhalb direkter persönlicher Betroffenheit zu beteiligen.
4 Kriterien, Zielkonflikte, Planungsbeispiele
5 Nachhaltigkeit und Agendaprozeß
5.1 Mit den Ergebnissen von Istanbul und Rio wird bei ernsthafter Umsetzung die Chance eröffnet, Leitbilddiskussionen schärfer zu focussieren und stärker in permanente Handlungsstrategien zu etablieren.
5.2 Kostendruck und wirtschaftliche Konkurrenz infolge der “Globalisierung”, fiskalisch bedingt sehr beschränkte Handlungsfähigkeiten der Gebietskörperschaften sowie die geringe Bereitschaft zur bindenden Festschreibung struktureller politischer Ziele (zugunsten einer Fixierung auf kurzfristige Einzelprojekte) erschweren die Umsetzung nachhaltiger Ziele.
5.3 In der breiten Bevölkerung ist die Nachhaltigkeitsdiskussion noch nicht angekommen: Besitzstandswahrung und die Stärkung von Partikularinteressen, Konsum- und Verkehrsverhalten, der zunehmende “Rückzug in die Privatheit” sowie nicht zuletzt die “Abstimmung mit den Füßen” bei der Wohnortwahl stellen die größten Hindernisse für den Umsetzungsprozeß dar.