Auf dem Gelände rund um das Horst-Dohm-Eisstadion und das Stadion Wilmersdorf gibt es Bereiche, die nicht direkt für die Ausübung von Sport genutzt werden. Diese bergen ein bisher ungenutztes Potenzial für eine Aufwertung im Sinne des Naturschutzes.
Begonnen wurde im Winter 2019/2020 mit der Einbringung von Frühblühern an der Oberkante des Hangs an der Fritz-Wildung-Straße. Darüber hinaus entwickelte sich die Idee, die brachgefallenen Tribünenbereiche am Wilmersdorfer Stadion durch eine Beweidung mit Schafen zu pflegen. Zusätzlich bietet die Anlage noch weitere Möglichkeiten einer naturnahen Entwicklung z. B. im Hinblick auf Entsiegelung und Ansiedlung von Gehölzen.
Die Ausgangslage: brachgefallene Tribünenflächen
Die ehemaligen untergenutzten Zuschauertribünen wurden bereits 2005 entfernt und begrünt. An den Hängen hat sich neben dem damals gepflanzten wilden Wein ein starker Gehölzaufwuchs überwiegend bestehend aus Eschenahorn und Gartenbrombeere ausgebreitet, der regelmäßig geschnitten werden muss. Diese zählen zu den sogenannten „invasiven Arten“, die dichte und artenarme Bestände bilden. Im Rahmen eines Beweidungsprojekts soll der Gehölzaufwuchs daher nachhaltig zurückgedrängt werden, um eine Entwicklung der Flächen in ein artenreiches Grünland zu ermöglichen.
Eine Maßnahme: Aufwertung durch Beweidung
Schafbeweidung wirkt sich in mehrfacher Hinsicht auf die Artenvielfalt aus. Zum einen bewirkt sie Standortvielfalt, indem sie eine typische mosaikartige Biotopstruktur entstehen lässt: Manche Bereiche werden mehr, andere wenig stark abgefressen, und durch Tritt oder Lagern können offene Bodenstellen entstehen. Dort, wo Schafe etwas fallen lassen, erfolgt punktuell ein Nährstoffeintrag, insgesamt aber eher ein Nährstoffentzug. Dieser ermöglicht die Ansiedlung von Arten, die bei hohem Nährstoffgehalt nicht konkurrenzfähig sind. Zum anderen fressen Schafe selektiv: giftige oder bitter schmeckende Arten werden von Schafen verschont (z. B. die Zypressen-Wolfsmilch oder der Sandthymian). Auch Pflanzenarten mit Dornen oder Stacheln (z. B. Distelarten oder die Dornige Hauhechel) werden von den Schafen gemieden. Und wieder andere Arten bilden tief am Boden anliegende Rosetten (z. B. der Mittlere Wegerich), die vom Maul der Schafe nicht erfasst werden. Dafür sorgen die Schafe durch
den Verbiss der angrenzenden Vegetation, dass die Rosettenblätter ausreichend Licht erhalten. Arten, die gegen Verbiss geschützt sind, werden durch die Beweidung gefördert.
Wissenschaftliche Dokumentation
Die Herstellung von magerem Grünland im städtischen Zusammenhang – das ist ein Freilandexperiment, das auch für die wissenschaftliche Ökologie spannend ist. Daher wird die Biotopentwicklung in einem Monitoring der Technischen Universität Berlin untersucht. Für die Wissenschaft sind unter anderem folgende Fragestellungen interessant:
- Können Schafe die invasiven Arten erfolgreich zurückdrängen?
- Wie verändert sich der Lebensraum durch die Beweidung?
- Welche eingebrachten Arten können in einem solchen Biotop überleben?
- Wie weit werden die Arten infolge der Schafbeweidung ausgebreitet?
- Welche Insekten siedeln sich in der Folge an?
Hierzu entwickelte das Fachgebiet Ökosystemkunde / Pflanzenökologie der TU Berlin ein wissenschaftliches Monitoring, um die Effekte der Beweidung auf die Vegetation zu erfassen. In einem ersten Schritt wurden im April 2021 insgesamt 15 Untersuchungsflächen à 4 × 4 Meter eingerichtet. Auf diesen Flächen erfolgte im Mai 2021 eine erste Erfassung der Vegetation.
Um die Artenvielfalt auf den Flächen zu erhöhen, wurden sechs weitere Flächen à 6 × 4 Metern eingerichtet, auf denen im Dezember 2021 Saatgut von Magerrasen aus Berlin und Brandenburg sowie aus Südosteuropa jeweils streifenweise eingesät wurden. Hierzu sollen zukünftig folgende Fragestellungen weiter untersucht werden:
- Bestehen Unterschiede im Anwuchserfolg unterschiedlicher Arten und Herkünfte?
- Gibt es unterschiedliche Auswirkungen auf die Biodiversität der Flächen (z. B. Bestäuber) in Abhängigkeit von Artenzusammensetzung und Herkunft der Arten?
- Sind Arten südosteuropäischer Herkünfte besser an sich verändernde klimatische Bedingungen angepasst?
- Wie ist die spontane Vegetationsentwicklung ohne Einsaat?
Die Antworten auf diese Fragen geben Hinweise, wie Naturschutz in der Stadt in Zukunft effektiv entwickelt werden kann.