Halensee: Der unbekannte Kiez

Wer kennt den Stadtteil Halensee oder anders gefragt: Wo liegt er genau? Die Antwort würde lauten: Nah am See, bei der S-Bahn. Doch das ist nur zum Teil richtig. Denn der Halensee gehört zum Ortsteil Grunewald, der S-Bahnhof dagegen zu Halensee.
Im Ranking der Stadtteile von Charlottenburg-Wilmersdorf nimmt Halensee den letzten Platz ein, ist also mit 1,27 Quadratkilometer Fläche der kleinste. Außerdem ist Halensee der zweitkleinste Stadtteil in ganz Berlin. Kleiner ist nur noch das Hansaviertel in Moabit.
Was gehört nun alles zu Halensee?
Der Rathenauplatz im Westen definitiv und im Osten die Schaubühne am Lehniner Platz ganz knapp nicht. Dafür der Hochmeister- und der Henriettenplatz. Die Westfälische und die Cicerostraße. Und auch die Straßen, die nach Brandenburgischen Kurfürsten benannt wurden.
2004 wurden von der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf die Stadtteilgrenzen von Halensee genau festgelegt: „Der Ortsteil wird in etwa von der Stadtbahn und Ringbahn begrenzt. Östliche Grenzachse: Cicerostraße–Hochmeisterplatz–Lehniner Platz– Damaschkestraße. “. Halensee hat, laut Statistik vom Dezember 2022, ca. 15.700 Einwohner. Das sind mehr als im (flächenmäßig viel größeren) Ortsteil Grunewald: Dort leben nur 11.229 Menschen.

Schaubühne am Lehniner Platz

Schaubühne am Lehniner Platz

Lehniner Platz – Spargelfelder und Vergnügungen

Halensee entstand Ende des 19. Jahrhunderts als Mietshaussiedlung. Um 1914 war die Bebauung des Viertels weitgehend abgeschlossen. Davor gab es hier nur Sandboden und Spargelfelder. Was der Schriftsteller Theodor Fontane in seinem Roman „Frau Jenny Treibel“ mit den Worten kommentierte: „diese Wunderwelt, in der keines Menschen Auge bisher einen frischen Grashalm entdecken konnte (…), dieses von Spargelbeeten und Eisenbahndämmen durchsetzte Wüstenpanorama“.
Dass der Stadtteil zu einem bevorzugten Wohngebiet wurde, hat im Wesentlichen mit der Eröffnung des Ringbahnhofs Grunewald 1877 – später umbenannt in Bahnhof Halensee – und dem Ausbau des Kurfürstendamms zu tun.
Für Literaten, Künstler, russische Emigranten und Beamte war Halensee begehrt, nicht nur der bevorzugten Lage wegen. Innerhalb weniger Jahre hatte sich der obere Kurfürstendamm zu einem Vergnügungsviertel entwickelt. Vom Luna-Park, dem größten Vergnügungspark Europas am Halensee einmal abgesehen, gab es Tanzsäle und Konzertgärten und zwischen Heilbronner-, Karlsruher und Katharinenstraße die Radrennbahn Halensee.

Roscherstraße – Schüler, Kästner, Gedenken

Genau auf der Stadtteilgrenze von Halensee und Charlottenburg liegt die Roscherstraße. Im Gartenhaus der Nr. 16 lebte Erich Kästner. Am 1. Oktober 1929 war er hier eingezogen. Seiner Mutter schrieb er: „Na, die kleine Wohnung ist ganz reizend. In einer Seitenstraße vom Kurfürstendamm. Schön ruhig (…) in einem vierstöckigen Gartenhaus. Zu beiden Seiten was Grünes. Die Wohnung selber: 3 Zimmer, Morgensonne, Balkon (…), Zentralheizung, Telefon. Miete monatlich 170 M. (…) Das ist also nach Berliner Begriffen gar nicht so teuer (…)“. Das Gartenhaus gibt es nicht mehr: Kästners Wohnung verbrannte 1944 bei einem Bombenangriff.
15 Jahre lang lebte Kästner am Kurfürstendamm. Er war Stammgast im Café Leon, gleich gegenüber der heutigen Schaubühne am Lehniner Platz. Er spielte Tennis auf den Tennisplätzen, die nur einen kurzen Fußweg von seiner Wohnung entfernt waren. Eine Gedenktafel erinnert in der Roscherstraße nicht an ihn. Noch nicht. Und das hat mit einem Projekt zu tun, dem „Projekt Emil“ des Goethe-Gymnasiums in Berlin-Wilmersdorf. Zusammen mit ihrer Deutschlehrerin waren die Schüler auf den Spuren Erich Kästners in Berlin unterwegs. Sie besuchten Orte, die für ihn im positiven wie im negativen Sinne wichtig waren: Der Bebelplatz, wo seine Bücher im Mai 1933 von den Nationalsozialisten verbrannt wurden. Der Nikolsburger Platz, wo Emils Detektive die „Parole Emil“ schrien. Die Roscherstraße und ihre Umgebung. Die Schüler schrieben Artikel über Erich Kästner für ihre Schülerzeitung und sammelten Spenden für eine Gedenktafel am Haus Roscherstraße 16. 1.000 Euro sind bereits zusammengekommen. „Es gibt nichts Gutes … “

Gedenktafel für die Synagoge "Friedenstempel" Halensee, 8.11.2007, Foto: KHMM

Ehemalige Synagoge Friedenstempel

Nur ein paar Meter vom Lehniner Platz entfernt, den Kurfürstendamm hoch in Richtung Bahnhof Halensee, biegt rechts eine Seitenstraße ab, die nach Markgraf Albrecht benannt wurde. Besser bekannt ist der Begründer der Mark Brandenburg als Albrecht der Bär aus dem Adelsgeschlecht der Askanier.
Eigentlich ist die Markgraf-Albrecht-Straße eine gewöhnliche Wohnstraße, wie man viele in Halensee findet, mit Altbauten, schönen Hauseingängen und stuckverzierten Fassaden. Vor fünf Häusern sind Stolpersteine verlegt. 30 sind es insgesamt, die an die ehemaligen jüdischen Bewohner in der Straße erinnern. Die meisten dieser Bewohner wurden deportiert und ermordet.
Am Haus Nr. 11 fällt eine große Bronzetafel auf. „An dieser Stelle stand einst die Synagoge Friedenstempel“, ist zu lesen. Salomon Goldberg, der Besitzer des Lunaparks am Halensee, ließ die Synagoge bauen, an der sein Vater Kantor werden sollte. Ein passendes Grundstück fand er 1922 in der Markgraf- Albrecht-Straße und ein Jahr später, am 9. September 1923, zeitgleich mit der Synagoge Grunewald, wurde der „Friedenstempel“ eingeweiht. Doch Salomon Goldbergs Vater war inzwischen verstorben und konnte die Kantorenstelle nicht mehr antreten.
1929 übernahm die Jüdische Gemeinde zu Berlin den Friedenstempel. Salomon Goldberg war in finanzielle Schwierigkeiten geraten und konnte den Unterhalt für die Synagoge nicht mehr aufbringen. In der Pogromnacht am 9. November 1938 steckten Nationalsozialisten das Gotteshaus in Brand. Ein Zeitzeuge, der Rabbiner Max Nussbaum, berichtete: „Feuerwehr stand da, aber beschränkte sich auf den Schutz der Nachbargebäude. Unser Kantor führte mich durch eine Hintertür in das Innere. Die Hälfte der Bänke war zerhackt. Ich trat hinter den Thoraschrank und konnte eine ganz kleine Thorarolle herausziehen und unter meinen Regenmantel verstecken“. 1959 wurde die Ruine der Synagoge abgerissen und am 9. November 1988 die Gedenktafel enthüllt. Auf der Tafel steht auch ein Zitat Samuel Goldbergs anlässlich der Einweihung des Tempels 1923: „Der Tempel soll nicht allein religiösen Zwecken dienen, sondern auch eine Versammlungsstätte aller sein, die an der Herbeiführung eines wirklichen Friedens mitarbeiten wollen.“

Kurfürstendamm 140 - Gedenktafel für Rudi Dutschke

Kurfürstendamm/Joachim-Friedrich-Straße

Eine belebte Kreuzung am Kurfürstendamm Ecke Joachim-Friedrich-Straße. Direkt neben der Bushaltestelle ist eine steinerne Gedenktafel in den Bürgersteig eingelassen, kaum beachtet von den wartenden Fahrgästen.
Sie erinnert an das Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968, wenige Tage vor Ostern.
Dutschke war der Kopf der Studentenbewegung, für seine Gegner der Volksfeind Nummer 1. Nach dem Attentat folgten über Tage hinweg gewalttätige Proteste, die als „Osterunruhen“ in die Geschichte der Bundesrepublik eingingen.
Im Haus Kurfürstendamm 140 hatte der SDS, der Sozialistische Deutsche Studentenbund, damals sein Büro. Dort wollte sich Rudi Dutschke an jenem Frühlingstag 1968 Material für einen Artikel abholen. Als er wieder auf die Straße trat, wurde er vom Gelegenheitsarbeiter und Neonazi Josef Bachmann niedergeschossen. „Du dreckiges Kommunistenschwein“, soll er gerufen haben, bevor er drei Schüsse abgab, die Dutschke in Kopf, Brust und Schulter trafen. Rudi Dutschke überlebte das Attentat schwerverletzt, starb aber am 24. Dezember 1979 an dessen Spätfolgen.
Der kleine, verschmutzte Platz gleich an der Ecke ist der Agathe-Lasch-Platz. Agathe wer? Agathe Lasch, Berlinerin, Jüdin, geboren 1879. Sie wächst in kleinbürgerlichen, finanziell schwierigen Verhältnissen auf, macht Abitur und beginnt ein Germanistikstudium in Halle an der Saale. Zielstrebig ist sie und für die damalige Zeit emanzipiert. Viel beachtet wird ihre Doktorarbeit, die sie unter dem Titel „Die Geschichte der Schriftsprache in Berlin“ veröffentlichte. 30 Jahre alt ist sie da. Agathe Lasch geht in die USA, um dort als Germanistin an einem Frauencollege zu arbeiten, denn im deutschen Kaiserreich ist eine akademische Karriere für Frauen fast unmöglich. 1917 kommt sie zurück nach Deutschland und wird 1923 an der Universität Hamburg zur ersten Germanistikprofessorin in Deutschland berufen.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten endet ihre wissenschaftliche Karriere. Im August 1942 wird Agathe Lasch nach Riga deportiert. Dort verliert sich ihre Spur.

Kurfürstendamm – Automobile und der erste O-Bus

Das obere Ende vom Kurfürstendamm ist weder schick noch ein Ort zum Flanieren. Teure Modegeschäfte gibt es kaum, dafür Autohäuser, Karosseriebauer und Reparaturwerkstätten. Man muss nur die Karlsruher oder die Katharinenstraße entlang gehen. Schon damals, Ende des 19. Jahrhunderts, gab es hier Automobilbetriebe. Der weltweit erste Oberleitungsbus wurde in Halensee vorgeführt, die „Electromote“. Ein elektrisch betriebenes Verkehrsmittel, das nicht auf Schienen fuhr. Allerdings nur 540 Meter weit, länger reichte die Oberleitung nicht. Der Konstrukteur, besser gesagt der Erfinder, war Werner von Siemens, der sich mit der Electromote einen Traum erfüllte. „Wenn ich mal Muße und Geld habe, will ich mir eine elektro-magnetische Droschke bauen, die mich gewiss nicht im Dreck sitzen lässt“, soll er gesagt haben.
Geschwungene Fassade. Blau-weißes Mosaik. Typische Architektur der 1950er-Jahre. So präsentiert sich das Eduard-Winter-Haus. Vor mehr als 80 Jahren startete Eduard Winter sein erstes Autohaus in Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Generalvertreter für Volkswagen und Porsche. 1954 eröffnete er in Halensee seinen bekannten VW-Verkaufssalon und ließ das Gebäude an der Ecke Karlsruher Straße umbauen. Der Architekt Hans Simon ist weitgehend unbekannt. Kaum jemand weiß, dass er alle Eduard-Winter-Werkstätten und Autohäusern baute, die seit den 1950er-Jahren im Westteil von Berlin entstanden sind und die der Firma zum architektonischen Corporate Design, zum einheitlichen Erscheinungsbild verhalfen. Hans Simon studierte Architektur an der Technischen Hochschule Charlottenburg. Sein Lehrmeister war Hans Poelzig.
Übrigens: 1956, zu Eduard Winters 70. Geburtstag, wurde der Kurfürstendamm für den Verkehr gesperrt. An jeder Ecke, bis hoch zur Karlsruher Straße, standen Volkswagen, an denen Eduard Winter werbewirksam langsam vorbeifuhr.

Henriettenplatz

Henriettenplatz – Kunst im öffentlichen Raum

Laut ist der Henriettenplatz. Menschen haben es eilig, hasten zur Bushaltestelle. Autos dicht an dicht. Der Eisladen ist seit kurzem geschlossen. Die Miete konnte der Besitzer nicht mehr aufbringen. Der Wohlfühlfaktor am Henriettenplatz ist gering. Trotz der Bäckereien, die draußen Tische aufgestellt haben. Aber außer für einen schnellen Kaffee bleibt kaum jemand sitzen. Einmal um den ganzen Platz laufen? Warum nicht.
Der Henriettenplatz ist nach Louise Henriette von Oranien benannt worden, einer niederländischen Prinzessin, die den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm heiratete, der als Großer Kurfürst in die Geschichte Preußens einging. Eine kleine Stele erinnert an sie und ihren Gemahl. Zur 750-Jahr-Feier Berlins, 1987, wurde der Henriettenplatz umgestaltet und zeitgenössische Kunst aufgestellt, die heute wie selbstverständlich zum Straßenbild gehört. Damals ein nicht unumstrittenes Projekt, das heftige, kontroverse Diskussionen auslöste.
Der bronzene Obelisk fällt auf. Über zehn Meter ist er hoch. Bei gutem Wetter fängt sich in ihm das Sonnenlicht. Dann beginnt der Obelisk zu strahlen. Heinz Mack heißt der Künstler, der gegenüber auch die Kolonnaden gestaltete: einen Säulengang als Wartebereich für den Bus. Das dritte Kunstwerk am Platz wird kaum wahrgenommen. Der Medusenbrunnen ist seit Jahren eingezäunt und wird als Mülleimer missbraucht. Wann er wieder Wasser sprudelt, das weiß niemand so recht.

Die Westfälische Straße – das Herz von Halensee

Was macht Halensee aus für Christian Koch? Der Florist muss nicht lange überlegen. „Die gesetzte Bürgerlichkeit“, antwortet er. Ist die Westfälische Straße bürgerlich? Ein bisschen schon. Sehr früh und sehr schnell wird sie wichtig. Seit Ende des 19. Jahrhunderts verbindet sie die neuen, reichen Viertel in Grunewald mit Wilmersdorf und Schöneberg. In den darauffolgenden Jahrzehnten zieht es immer mehr Menschen in den Lunapark, das Vergnügungsparadies am oberen Ende des Kurfürstendammes, und damit nach Halensee. Kluge Geschäftsleute begreifen: Der große Andrang der Berliner und der Grunewalder muss mit Dingen des täglichen Bedarfs versorgt werden, mit Gemüse, Obst, Milch, Brot, Fleisch, Wein und Blumen. Die Westfälische Straße wird zur Einkaufsstraße und zum Mittelpunkt von Halensee.
„Vorne Kudamm, hinten Grunewald und mittendrin Blumen Koch und das schon in der vierten Generation“, sagt Christian Koch voller Stolz. Seit 1912, ohne Unterbrechung, ist Blumen Koch auf der Westfälischen Straße. Immer im gleichen Haus. „Heute ist nebenan der Italiener, als ich bei meiner Mutter in die Lehre ging, war es ein Rad- und ein Fischladen“, erzählt er. Den Fischladen gibt es nicht mehr, auch nicht den Fahrradladen. Einige Geschäfte in der Westfälischen Straße stehen leer.
Christian Koch ist Florist mit Leib und Seele. Mit seiner Frau hat er vor zwanzig Jahren den Laden umgekrempelt, „wir gestalten die Räume immer wieder anders“, sagt er. Und für dieses Engagement bekam das Ehepaar den Grenander-Preis, den Preis der Berliner Wirtschaft für hervorragende Serviceleistung und Kreativität.
Den besten Wein in der Umgebung verkauft Monsieur Degouy seit mehr als 40 Jahren an der Westfälischen Straße im La Cave du Bacchus, übrigens die erste Weinhandlung in Berlin, die nur französische Weine anbot.
Wie würde ein Vergleich mit anderen Straßen aussehen? Ganz einfach, sagt Christian Koch: „Großes Spektrum, Tradition, gute Qualität.“

Hochmeisterplatz

Hochmeisterplatz

Westfälische Straße Nummer 64, fast am Hochmeisterplatz. Am rot gestrichenen Haus erinnert eine Gedenktafel an zwei mutige Menschen: Margarete Sommer und Otto Ostrowski. Er war Politiker, Bürgermeister von Prenzlauer Berg und kurz nach dem zweiten Weltkrieg für einige Monate Oberbürgermeister von Berlin. Sie hatte ihren eigenen Laden in der Westfälischen Straße und verkaufte Schreibwaren. Beide zeigten während des Nationalsozialismus Zivilcourage, sie halfen verfolgten Menschen und versteckten zwei Jüdinnen. Erst in ihrer gemeinsamen Wohnung, dann im Abstellraum des kleinen Ladens. Es waren die Schriftstellerin Inge Deutschkron und ihre Mutter Ella. 1943 werden Margarete Sommer und Otto Ostrowski ausgebombt und finden eine Zuflucht in Brandenburg, weit weg von Berlin. Was wird aus den beiden Jüdinnen? Für fast ein Jahr führt Inge Deutschkron das Schreibwarengeschäft. Sie und ihre Mutter überleben den Holocaust.
Auch ein Gedenkstein am Eingang der Hochmeisterkirche erinnert an den Holocaust und an die Pogromnacht am 9. November 1938.
„Am 15. Februar 1901 treffen sich kirchlich interessierte Männer aus Halensee, um über geeignete Mittel zur Behebung des kirchlichen Notstands zu beraten“, ist in der Chronik der Hochmeisterkirche zu lesen. Denn es gibt zu dieser Zeit in Halensee keine Kirche. Eine Turnhalle wird sonntags als Gottesdienstraum genutzt, zu der nur wenige Gläubige kommen. 1905 wird ein geeignetes Grundstück auf einem verwilderten Acker gekauft und der Architekt Otto Schnock mit dem Bau einer Kirche im neoromanischen Stil beauftragt. 1910 wird sie geweiht, im zweiten Weltkrieg stark zerstört. Der Wiederaufbau beginnt 1953. Und mit dem Kirchenlied „Ein feste Burg … “ wird die Kirche am Reformationstag 1958 ein zweites Mal geweiht.
Der Hochmeisterplatz trägt seinen Namen seit 1892, davor hieß er Buchwaldplatz. Die Grünanlage mit Spielplatz und Liegewiese plante Erwin Barth, der Gartendirektor von Berlin. Aber warum ist die Wiese wellig? Um Fußballspiele zu verhindern.

Gedenktafel für Vladimir Nabokov, 10.5.2011, Foto: KHMM

Nestorstraße 22 – Bedrückend wie Kopfschmerz

„Das Haus, in dem Fjodor wohnte, war ein Eckhaus und ragte vor wie ein riesiges rotes Schiff, das an seinem Bug ein komplexes gläsernes Turmgebilde trug, als sei ein langweiliger, solider Architekt plötzlich verrückt geworden und habe einen Ausflug in den Himmel gemacht“, so beschreibt Vladimir Nabokov in seinen Roman „Die Gabe“ sein Wohnhaus in der Nestorstraße 22. Das Gebäude an der Ecke Paulsborner Straße, direkt hinter der Hochmeisterkirche, steht noch, das „gläserne Turmgebilde“ wurde abgerissen.
In diesem Haus wohnte Vladimir Nabokov fünf Jahre lang. 1922 kam er nach Berlin, allerdings nicht freiwillig. Er studierte in Cambridge, als sein Vater in Berlin ermordet wurde. Ein Anhänger des russischen Zaren hatte ihn bei einem Treffen von Exilrussen erschossen. Nabokovs Mutter brauchte Hilfe und Beistand.
Damals lebten in der Stadt mehr als 300.000 russische Migranten, die vor der Oktoberrevolution 1917 geflohen waren. Ein Zentrum war der Wittenbergplatz. An der Bayreuther Straße hatte der Slovo-Verlag seine Räume, in dem die ersten Bücher Nabokovs erschienen. 15 Jahre blieb Nabokov in Berlin. Die Stadt scheint er nicht geliebt zu haben: „Blaue Abende in Berlin. Verwirrung, Armut, Liebe und eine geradezu physisch-schmerzende Sehnsucht nach dem noch frischen Geruch Russlands.“ Dennoch: In Berlin schreibt er Gedichte und sieben Romane, darunter „König Dame Bube“ oder „Die Gabe“.
Nabokov heiratet und zieht mit seiner Frau Vera nach Halensee. Sein einziges Kind, Dimitrij, wird geboren. Vom Schreiben kann Nabokov allerdings nicht leben. Er arbeitet als Tennislehrer auf den Tennisplätzen am Kurfürstendamm, gibt Englisch- und Französischunterricht. Nur einmal verdient er richtig Geld, als der Berliner Ullstein-Verlag die Rechte an seinem Roman „König Dame Bube“ kauft.
1937 verlässt Vladimir Nabokov Berlin. Er geht nach Frankreich, von dort aus in die USA. Nach Deutschland kommt er nie wieder.

Die kleine Weltlaterne - Kniepenszene Nestorstraße Halensee

Nestorstraße 22 – Mythos der Kneipenszene

„Man ging zu ihr, um das Leben zu spüren. Es gibt Kneipen, in die geht man, um das Leben zu vergessen. Bei ihr konnte sich der Stammgast wie ein Teil des ganz großen Ganzen fühlen“, konnte man 2010 im Berliner Tagesspiegel lesen. Zu Hertha Fiedler in die „Kleine Weltlaterne“ ging man also, um das Leben zu spüren.
1958 hatte Hertha Fiedler die Kneipe übernommen, die sich damals noch in Kreuzberg in der Kohlfurter Straße befand, hatte und machte sie zum „verqualmten Geheimtipp“. Am Tresen saßen Arbeiter neben Akademikern, arme Künstler neben reichen Promis. Die Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt und Henry Miller kamen nur so – zum Trinken. Günter Grass setzte sich für die Kneipenwirtin auf einen Elefanten und las aus der „Blechtrommel“.
Für die Künstler hatte Hertha Fiedler ein großes Herz. Besonders für die Maler. Kurt Mühlenhaupt stellte seine Bilder bei ihr aus. Kunststudenten aus dem Kiez kamen, kriegten ein Bier und etwas zu essen und bezahlten mit Kunst, wenn sie kein Geld hatten – und das hatten sie meistens nicht. „Meine Wände sind so leer, hängt doch mal was auf“, wurden sie von der Kneipenwirtin aufgefordert. Damals ahnte Hertha Fiedler nicht, dass sie einmal das Bundesverdienstkreuz für Künstlerförderung bekommen würde. Die „Kleine Weltlaterne“ war nicht nur Kneipe und Galerie, sie war auch der Beginn so mancher Karrieren in der Kunstszene. Hertha Fiedler kam aus der DDR, aus Chemnitz. „1955 habe ich meinen Sohn an die Hand genommen und fuhr mit ihm nach West-Berlin, ich bin abgehauen“, erzählte sie gerne, wenn sie gefragt wurde, wie sie nach Kreuzberg kam. Als das Viertel um die Kohlfurter Straße zum Sanierungsgebiet wurde, zog Hertha Fiedler 1975 vom Szene-Bezirk Kreuzberg nach Halensee in die Nestorstraße 22. Geändert hat das kaum etwas: Weiter pilgerten Promis und Künstler in die „Kleine Weltlaterne“, weiter kamen die Stammgäste. Statt „Kreuzberger Nächte sind lang“ hieß es nun „Halenseer Nächte sind lang“. 2008 starb Hertha Fiedler. Ihr Mythos bleibt – und die Kneipe auch. Die wird heute von Herthas Sohn bewirtschaftet, und auch Kunst gibt es dort weiterhin.

Cicerostraße – markant und futuristisch

Genau auf der Ortsteilgrenze verläuft die Cicerostraße. Der Bürgersteig der linken Seite gehört noch zu Halensee, die Gebäude auf der rechten Seite teilweise zu Wilmersdorf. Ohne die Häuser mit ihren geschwungenen Balkonen und den Backsteinbändern an der Fassade nicht bewundert zu haben, geht kaum jemand durch die Straße. Immer wieder ist ein staunendes „großartig“ zu hören. Immer wieder bleiben Passanten stehen, um Fotos zu machen. „Weltkulturerbe“ nennt Reinhard Brüggemann den sogenannten WOGA-Komplex an der Cicerostraße, den der Architekt Erich Mendelsohn für den Berliner Verleger Hans Lachmann-Mosse baute. Seiner Frau Felicia Mosse gehörte die Wohnungs-Grundstücks-Verwertungs-Aktiengesellschaft, WOGA, die den Bau zum Teil finanzierte.
Weltkulturerbe ist das Ensemble nicht, steht aber immerhin unter Denkmalschutz. „Es ist Mendelsohns einziges städtebauliches Bauensemble und ist in Architektur und Nutzungsmischung genial“, sagt Reinhard Brüggemann, der selbst Architekt ist und im WOGA-Komplex wohnt.
Mendelsohn gründete 1918 ein eigenes Architekturbüro in Berlin und stellte in der Ausstellung „Bauen in Beton und Eisen“ seine Skizzen aus, die dem Fabrikanten Gustav Hermann gefielen. Er beauftragte Mendelsohn mit dem Bau einer Hutfabrik, die den jungen Architekten bekannt machte. Zuvor hatte Mendelsohn in Potsdam den Einsteinturm gebaut, ein Sonnenobservatorium für die Überprüfung von Albert Einsteins Relativitätstheorie. Expressionistische, organische Architektur wird zum Markenzeichen Erich Mendelsohns. Zwischen 1925 und 1931 entstanden die Bauten an der Cicerostraße. Ein Kino – heute Theater Schaubühne am Lehniner Platz – gehörte ebenso zum Ensemble wie das Kabarett der Komiker und das Café Leon, das Stammcafè von Erich Kästner, der gegenüber in der Roscherstraße wohnte. Mittendrin liegen die Tennisplätze, die schon vor 1920 existierten. Der Tennisclub Blau-Weiß ließ sie anlegen.
Seit 2007 sind die Plätze ungenutzt. Bäume, Sträucher und Unkraut haben sie überwuchert. Obwohl sie unter Denkmalschutz stehen, sollen die Tennisplätze bebaut werden. Dagegen wehren sich die Anwohner. Aber noch ist nichts geklärt und alle Fragen offen.

Route Halensee

Route Halensee

Den Stadtspaziergang gibt es auch auf komoot. Weitere Informationen sind auf der Webseite von komoot zu finden.