Station 5.1: Paul-Hertz-Siedlung
Die Paul-Hertz-Siedlung wurde von 1960 bis 1965 nach Plänen von Wils Ebert, Werner Weber und Fritz Gaulke auf ehemaligem Kleingartenland für die GEWOBAG errichtet. Der Wohnungsbau hier in Charlottenburg-Nord sollte die Wohnungsnot der Nachkriegszeit beheben. Die Paul-Hertz-Siedlung galt als ein Musterbeispiel für die „aufgelockerte Stadt“. Das heißt: Die Häuser stehen nicht direkt an der Straße, sondern eher versteckt im Grünen. In den achtstöckigen Häusern gibt es mehr als 2.600 Wohnungen. Es sind überwiegend kleinere Wohnungen zwischen 1 ½ und 3 Zimmern. Die durchschnittliche Wohnungsgröße beträgt 65 qm. In der Paul-Hertz-Siedlung leben rund 3000 Mieter, davon sind 1400 Kinder und Jugendliche.
Wegen der Luftsicherheit verlangte die alliierte Flugsicherheitsbehörde, die ursprünglich geplanten 13 Stockwerke auf 8 zu reduzieren. Nach dem Abzug der Alliierten wurden von 1993 bis 1996 viele Gebäude trotz heftigster Mieterproteste aufgestockt.
Die Siedlung schließt an die seit 1929 entstandene Siedlung Siemensstadt in Charlottenburg-Nord auf der anderen Seite des Kurt-Schumacher-Damm an.
Die Paul-Hertz-Siedlung wurde nach dem SPD-Politiker Paul Hertz benannt, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg für den Wiederaufbau im damaligen West-Berlin eingesetzt hatte. Der 1887 geborene Paul Hertz trat 1905 in die SPD ein und war von 1920 bis 1933 Mitglied des Reichstages. Er emigrierte 1933 und engagierte sich in den USA im Council for a Democratic Germany, in dem linksbürgerliche Demokraten, Sozialistinnen und Christen beider Konfessionen sowie eine Anzahl namhafter Schriftstellerinnen, Künstler und Wissenschaftlerinnen aktiv waren und für ein demokratisches Nachkriegsdeutschland kämpften. Ernst Reuter holte ihn 1949 nach Berlin zurück. Hertz hatte bis zu seinem Tod mehrere Senatorenposten inne: Marshall-Plan und Kreditwesen, Wirtschaft und Finanzen. Als Senator war er auch für das Berliner Notstandsprogramm zuständig. Er starb 1961 und hat ein Ehrengrab auf dem Waldfriedhof Zehlendorf.
Weil sich das Viertel in unmittelbarer Nähe der Gedenkstätte Plötzensee befindet, wurden fast alle Straßen nach Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern benannt. Die meisten der hier auf den Straßenschildern geehrten Widerstandskämpfer und –kämpferinnen wurden in Plötzensee hingerichtet. Deswegen gab es Streit zwischen dem Senat und dem Bezirk, denn der Senat war gegen die Straßenbenennung nach Widerstandskämpfer*innen. Letztendlich konnte sich der Bezirk durchsetzen.
Station 5.2: Reichweindamm / Herkunft des Namens
Der Reichweindamm wurde nach Adolf Reichwein benannt, der 1898 in Ems geboren wurde. Reichwein war ein bedeutender Reformpädagoge und Kulturpolitiker der SPD. In den 1920er-Jahren war Reichwein in Berlin und in Thüringen in der Bildungspolitik und der Erwachsenenbildung tätig. Er gründete und leitete die Volkshochschule und das Arbeiterbildungsheim in Jena. Danach war er Leiter der Pressestelle und persönlicher Referent des preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker. Von 1930 bis 1933 war Reichwein Professor an der Pädagogischen Akademie Halle. 1933 wurde er entlassen. Daraufhin ging er nach Tiefensee und machte in einer Einklassen-Schule bis 1938 viel beachtete Unterrichtsversuche. Er experimentierte mit Arbeitspädagogik, Projektarbeit, handlungsorientiertem Unterricht, Unterricht beim Wandern und richtete einen Schulgarten ein, auch den Film bezog er in seinen Unterricht ein. Ab 1939 war Reichwein dann Museumspädagoge am Staatlichen Museum für deutsche
Volkskunde.
Reichwein gehörte der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis an und wäre, hätte ein Attentat Erfolg gehabt, Kultusminister geworden. Bei einem Treffen mit der KPD hatte sich ein Spitzel eingeschleust, auf dessen Betreiben hin Reichwein von der Gestapo verhaftet wurde. Am 20. Oktober 1944 wurde er in Plötzensee hingerichtet.
Station 5.3: Heckerdamm 221 / Helmuth-James-von-Moltke-Grundschule
Die gebundene Ganztagsgrundschule am Heckerdamm 221 wurde bei ihrer Eröffnung 1966 nach dem Juristen und Landwirt Hellmuth James Graf von Moltke benannt. Er wurde 1907 im schlesischen Kreisau geboren. Er war Gründer und Mittelpunkt des Kreisauer Kreises, einer Widerstandsgruppe gegen die Nationalsozialisten. Als tief religiöser evangelischer Christ war Moltke einerseits entschieden gegen das NS-Unrechtsregime, aber auch gegen ein Attentat auf Hitler. Er wollte deshalb keine Zusammenarbeit mit Widerstandsgruppen, die auf einen gewaltsamen Umsturz hinarbeiteten. Moltke verhalf jedoch dem letzten, sechsten Flugblatt der Weißen Rose zu großer Wirkung, indem er es im März 1943 nach Skandinavien schmuggelte. Der Text wurde in Oslo übersetzt und in den Medien Norwegens und Schwedens verbreitet. Im Juli 1943 ließ die britische Armee bei ihren Bombeneinsätzen Fotokopien des Flugblatts über Deutschland abwerfen. Moltke wurde im Januar 1944 von der Gestapo verhaftet und ein Jahr
später in Plötzensee hingerichtet. Hier ein Zitat aus einem seiner letzten Briefe an seine Söhne:
… ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und des Absoluten, des erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat.
Wir gehen nun weiter zum evangelischen Gemeindezentrum Plötzensee.