Kommunalpolitischer Rundgang am 29.9.2001

Durch die Paul-Hertz-Siedlung

Bezirksbürgermeister Andreas Statzkowski

Die Paul-Hertz-Siedlung wurde 1960-65 nach Plänen von Wils Ebert, Werner Weber und Fritz Gaulke auf ehemaligem Kleingartenland am Heckerdamm, östlich des Kurt-Schumacher-Damms für die GEWOBAG errichtet. In den 8stöckigen Häusern gibt es mehr als 2.600 Wohnungen. Wegen der Luftsicherheit verlangte die alliierte Flugsicherheitsbehörde, die ursprünglich geplanten 13 Stockwerke auf 8 zu reduzieren. Die Straßen wurden nach Widerstandskämpfern benannt, weil sich in unmittelbarer Nähe die 1952 eingeweihte Gedenkstätte Plötzensee befindet. Auch die Stätten der evangelischen und katholischen Kirche erinnern daran.

Die Siedlung schließt an die seit 1929 entstandene Siedlung Siemensstadt in Charlottenburg-Nord an, dessen westlicher Teil 1956-61 gebaut wurde.

Die Siedlung wurde benannt nach dem 1961 verstorbenen SPD-Politiker Paul Hertz, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg für den Wiederaufbau im damaligen West-Berlin eingesetzt hatte. Der 1887 geborene Paul Hertz trat 1905 in die SPD ein, war 1920-33 Mitglied des Reichstages, 1933 emigriert, 1950 von Ernst Reuter als Mitarbeiter für den Wiederaufbau nach Berlin geholt, Senator für Marschallplan und Kreditwesen, zuständig für das Notstandsprogramm und Wirtschaftssenator.

Klausingring

1962 benannt nach Friedrich Karl Klausing, Offizier, geb. am 24.5.1920 in München, als Widerstandskämpfer am 8.8.1944 in Plötzensee hingerichtet

Bernhard-Lichtenberg-Straße

1962 benannt nach dem Theologen und Dompropst Bernhard Lichtenberg, geb. am 3.12.1875 in Ohlau, Schlesien, kam 1900 als katholischer Pfarrer nach Berlin-Lichtenberg, 1913-1930 Seelsorger in der Herz-Jesu-Kirche in Charlottenburg, seit 1932 Dompfarrer an der St. Hedwigs-Kathedrale, seit 1938 Dompropst in Berlin, gehörte zum Vorstand des Friedensbundes Deutscher Katholikern, predigte engagiert gegen den Nationalsozialismus, rettete Verfolgte vor der Gestapo, wurde 1941 verhaftet und zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt, am 5.11.1943 in Hof auf dem Transport ins KZ Dachau gestorben.

Kirchnerpfad

1962 benannt nach der Journalisten, Sozialfürsorgerin und Widerstandskämpferin Johanna Kirchner, geb 1889 in Frankfurt/M, seit ihrem 14. Lebensjahr in der SPD, nach 1933 illegal weiter aktiv, 1935 Flucht nach Frankreich, dort nach dem deutschen Überfall 1940 inhaftiert und an die Gestapo ausgeliefert, im Mai 1943 zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt, am 21.4.1944 in einem neuen Verfahren zum Tode verurteilt, am 9.6.1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Delpzeile

1962 benannt nach dem Jesuiten und Widerstandskämpfer Alfred Friedrich Delp, geb 1907 in Mannheim, 1941-44 in München-Bogenhausen als Seelsorger, seit 1942 Kontakt zum Kreisauer Kreis, im Juli 1944 mit Helmuth Graf Moltke verhaftet, am 12.1.1945 zum Tode verurteilt, am 2.2.1945 in Plötzensee hingerichtet.

Teichgräberzeile

1962 benannt nach dem Schlosser, Gewerkschaftsfunktionär und Widerstandskämpfer Richard Teichgräber, geb 1884 in Dahlen, wegen illegaler Gewerkschaftsarbeit am 15.12.1934 verhaftet, am 6.10.1937 wegen “Hochverrats” zu 3 ½ Jahren Zuchthaus verurteilt, ins KZ Buchenwald überführt, danach in die KZ Lublin und Auschwitz, am 25.2.1945 im KZ Mauthausen gestorben.

Wiersichweg

1962 benannt nach dem Maschinenbauer und Widerstandskämpfer Oswald Wiersich, geb. 1882 in Breslau, aktiver Gewerkschafter, 1933 inhaftiert, nach seiner Entlassung unter Polizeiaufsicht, 1935 Verbindung zu Widerstandsgruppen, am 22.8.1944 verhaftet, am 1.3.1945 in Plötzensee hingerichtet.

Heckerdamm

1950 benannt nach dem Architekten Oswald Hecker (1869-1921)

230-232
Katholische Kirche Maria Regina Martyrum mit dem Karmel-Kloster.
1960-63 als “Gedenkkirche zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit 1933-45”, d.h. als Gedächtniskirche der deutschen Katholiken für die Opfer des Nationalsozialismus unweit der Gedenkstätte Plötzensee von den Würzburger Architekten Hans Schädel und Friedrich Ebert erbaut. Zweigeschossiger verblendeter Stahlbetonbau; Oberkirche mit Tauf- und Beichtkapelle, kryptaartiger Gedenk- und Andachtsraum zu ebener Erde; Feierhof mit Campanile, Kreuzweg, Freialtar. Zahlreiche Skulpturen, u.a. Sitzende Madonna aus Südfrankreich um 1320; vergoldete Marien-Plastik von Fritz König über dem Eingang weist auf den Namen der Gedenkstätte hin. Im Gedenkraum der “Märtyrer für Glaubens- und Gewissensfreiheit” Pieta von Fritz König, ferner vier Bodenplatten mit Inschriften zum Gedenken an Opfer der NS-Gewaltherrschaft. Hier befindet sich auch das Grab des 1934 von den Nationalsozialisten erschossenen Leiters der Katholischen Aktion, Erich Klausener und eine Gedenkstätte für den Dompropst Lichtenberg, der 1943 auf dem Weg ins Konzentrationslager starb. Den matt erhellten Andachtssaal der Oberkirche beherrscht ein großes Altarwandbild von Georg Meistermann, eine Vision des himmlischen Jerusalem.

Karmel Kloster (Karmeliterinnen), 1983-84 von Theo Wieland. Neubau von Wohntrakt und Gemeinschaftshaus, sowie Umbau eines älteren Gemeindehauses auf dem Gelände der Kirche. Vom Karmel Heilig Blut in Dachau gegründet, weist es auf den Zusammenhang zwischen dem KZ Dachau und der Hinrichtungsstätte Plötzensee hin. Die Pfarrei Maria Regina Martyrum wurde 1982 zugunsten des Klosters aufgegeben.

226
Evangelisches Gemeindezentrum Plötzensee, 1970 eingeweiht, 16 Tafeln des Plötzenseer Totentanzes von Alfred Hrdlicka von 1970 erinnern an die im nahen ehemaligen Zuchthaus Plötzensee Hingerichteten (darunter Generalfeldmarschall von Witzleben, die Generäle Hoepner und Stief, Helmuth Graf von Moltke, der Gewerkschafter Wilhelm Leuschner, der Sozialdemokrat Julius Leber, der Jesuitenpater Alfred Delp, der preußische Finanzminister Johannes Popitz, der Oberbürgermeister von Leipzig, Carl Friedrich Goerdeler, Regierungspräsident Ernst von Harnack)

222
Seniorenwohnhaus

221
Helmuth-James-von-Moltke-Grundschule
benannt nach dem 1907 in Kreisau (Schlesien) geborenen Juristen, Landwirt und Widerstandskämpfer, Gründer und Mittelpunkt des Kreisauer Kreises, am 23.1.1945 in Plötzensee hingerichtet; letzte Briefe aus dem Gefängnis Tegel.
am 11.3.1966 (59.Geburtstag Moltkes) wurde die Schule feierlich eröffnet, sein Sohn Konrad von Moltke enthüllte das Portrait seines Vaters an der Gedenkwand.
Ausstellung bis zum 7.10.2001 “Leben in der Paul-Hertz-Siedlung” von Bewohnerinnen und Bewohnern unter der Leitung des Heimatmuseums erarbeitet: So 10-12, Di und Do 17-19 Uhr, 175seitiges Buch für 5.- DM.

210
Jugendfreizeitheim

Reichweindamm

1962 benannt nach dem Pädagogen, Kulturpolitiker und Widerstandskämpfer Adolf Reichwein, geb. am 3.10.1898 in Bad Ems, trat 1930 in die SPD ein, 1933 als Professor für Geschichte in Halle entlassen, kam als Dorfschullehrer nach Tiefensee bei Berlin, leitete seit 1939 die Schulabteilung des Volkskundemuseums in Berlin, Kontakte zum Kreisauer Kreis und zu kommunistischen Widerstandsorganisationen, im Juli 1944 durch Verrat verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, am 20.10.1944 in Plötzensee hingerichtet.

Gloedenpfad

1963 benannt nach der Gerichtsreferendarin und Widerstandskämpferin Elisabeth Charlotte Gloeden, geb 1903 in Köln, gewährte seit dem 29.7.1944 dem von der Gestape wegen des Attentatsversuchts gejagten General Fritz Lindemann in ihrer Charlottenburger Wohnung, Kastanienallee 23, Unterkunft. Das Versteck wurde nach 5 Wochen entdeckt, Elisabeth Gloeden am 3.9.1944 verhaftet, am 26.11.1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, am 30.11.1944 hingerichtet.

Schwambzeile

1962 benannt nach dem Rechtsanwalt und Widerstandskämpfer Ludwig Schwamb, geb 1890 in Undenheim bei Mainz, seit 1921 SPD-Mitglied, später im Reichsbanner, in seiner Wohnung illegale Treffen des Widerstands, am 23.7.1944 verhaftet, am 13.1.1945 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, am 23.1.1945 in Plötzensee hingerichtet.

Terwielsteig

1962 benannt nach der Sekretärin und Widerstandskämpferin Rosemarie Terwiel, geb. 1910 in Boppard am Rhein, hatte seit 1940 Kontakt zur Widerstandsgruppe Schulze-Boysen, über die sie u.a. Pässe für jüdische Flüchtlinge beschaffte, schrieb auf ihrer Schreibmaschine illegale Aufrufe u.a. gegen die Euthanasie, am 17.9.1942 in ihrer Charlottenburger Wohnung Lietzenburger Str.6 verhaftet, am 26.1.1943 zum Tode verurteilt, am 5.8.1943 in Plötzensee hingerichtet.

Wirmerzeile

1962 benannt nach dem Rechtsanwalt und Politiker Josef Wirmer, geb 1901 in Paderborn, stand dem linken Flügel der Zentrumspartei nahe, seine Wohnungen in Lichterfelde und Steglitz waren Widerstandstreffpunkte, seit 1941 Kontakt zu Carl Goerdeler, Wirmer war für die Zeit nach dem Attentat auf Hitler als Justizminister vorgesehen, am 4.8.1944 verhaftet, am 8.9.1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, und am gleichen Tag 3 Stunden nach dem Urteil am 8.9.1944 in Plötzensee hingerichtet.

Leuningerpfad

1962 benannt nach dem Maurer und Widerstandskämpfer Franz Leuninger, geb 1898 in Mengerskirchen, seit 1923 Sekretär des christlichen Bauarbeiterverbandes, seit 1927 Bezirksleiter für Ober- und Niederschlesien, seit 1933 illegale Gewerkschaftsarbeit und Kontakt zu christlichen Widerstandsgruppen, am 26.9.1944 verhaftet, am 28.2.1945 zum Tode verurteilt, am 1.3.1945 in Plötzensee hingerichtet.

Bernhard-Lichtenberg-Straße

Strünckweg

1962 benannt nach dem Juristen und Widerstandskämpfer Theodor Strünck, geb am 7.4.1895 in Kiel, am 9.4.1945 in Flossenbürg mit Admiral Canaris und Generalmajor Hans Oster erschossen

Nächster Kommunalpolitischer Spaziergang:
Sa, 13.10.2001, 16-18 Uhr, rund um den Ludwigkirchplatz, Treffpunkt U-Bahnhof Spichernstraße.