260. Kiezspaziergang: Auf den Spuren von Pfarrer Dressel durch Alt-Charlottenburg

260. Kiezspaziergang - Bezirksbürgermeisterin Kerstin Bauch beim Start des 260. Kiezspaziergangs

Herzlich willkommen zum 260. Kiezspaziergang. Mein Name ist Kirstin Bauch und ich bin die Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf.

Bevor wir jetzt richtig in das heutige Thema einsteigen, vorweg ein Hinweis auf den nächsten Spaziergang: Am Samstag, 9. November erinnern wir an das Schicksal unserer jüdischen Mitbürger:innen zur NS-Zeit. Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger führt Sie zu wichtigen Erinnerungsorten in der City West. Der Treffpunkt ist um 14 Uhr am Savignyplatz.

Schloss Charlottenburg

Station 1: Schloss Charlottenburg

Wahrscheinlich hören viele von Ihnen heute zum ersten Mal von Pfarrer Johann Christian Gottfried Dressel. Obwohl er Charlottenburg vor 200 Jahren entscheidend prägte, ist er heute fast vergessen. Pfarrer Dressel lebte von 1751 bis 1824 und führte 46 Jahre lang die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde. Dabei wirkte er weit über die Kirche hinaus. Er reformierte das Schulsystem, führte moderne Lehrmethoden ein, ließ ein Schulgebäude errichten, legte einen neuen Friedhof an und
gründete ein Krankenhaus für Bedürftige. In seinen Tagebüchern und Chroniken dokumentierte er die Entwicklung der Gemeinde und Stadt. Seine Bemühungen und Ideen für ein modernes Charlottenburg und hinterließen ein nachhaltiges Erbe.

Wir reisen heute rund 250 Jahre zurück in die Zeit von Johann Christian Gottfried Dressel. Lassen Sie mich Ihnen also ein wenig dazu erzählen, wie Charlottenburg damals aussah und wie es sich hier so lebte.
Es war eine Zeit tiefgreifender politischer, sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen in Preußen und Europa. Die Stadt Charlottenburg war damals viel kleiner als heute. Das Areal war zwischen 1720 und 1855 begrenzt durch die Spree im Norden, die Nehringstraße im Westen und die Achse Zillestraße/Loschmidtstraße im Süden und Osten. Als König Friedrich I. dem Ort 1705 nach dem Tod seiner Frau Sophie Charlotte die Stadtrechte und den Namen Charlottenburg verlieh, wohnten hier nur eine Handvoll Hofbedienstete in einigen Häusern entlang der heutigen Schlosstraße. Als die Bürger Charlottenburgs 1711 vereidigt wurden, zählte man 87 “wirklich angebaut habende und seßhaft gemachte Personen”, 57 eingemietete Bewohner und 6 königliche Beamte. Das sind insgesamt 150 Menschen – nicht viel für eine Stadt.

Die Bevölkerung bestand hauptsächlich aus Bauern, Handwerkern, Tagelöhnern und Bediensteten des Hofes sowie einer wachsenden Zahl von Gewerbetreibenden und Kleinbürgern. Die Stadt war von der barocken Charlottenburger Residenz geprägt, die im Zentrum stand. Das sehen wir noch heute, dazu müssen wir nur einen Blick auf unser wunderschönes Schloss werfen.

Diese Pracht und der Reichtum waren nicht für alle da: Die Bevölkerung litt häufig unter Armut. Es war ein Nebeneinander aus dörflich-bäuerlichen Strukturen und höfisch-städtischem Leben. Dressel beschreibt Charlottenburg bis 1740 als einen „erbärmlichen Ort”. Der Einfall, zwischen Berlin und Spandau eine dritte Stadt zu gründen, sei sehr sonderbar gewesen, und die neue Stadt war aus eigener Kraft nicht überlebensfähig. Friedrich Wilhelm I. hatte sogar angeordnet, einen Teil der Einwohner nach Berlin umzusiedeln und Charlottenburg in ein Dorf zu verwandeln. Nur die Nachlässigkeit seiner Verwaltung und sein Tod 1740 verhinderten die Durchführung dieser Maßnahme. Ein Punkt, der Friedrich Wilhelm I. vielleicht auch abgehalten hat: Er hätte viele Schulden und andere Kosten abbezahlen müssen, das wäre sehr teuer für ihn geworden.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde Charlottenburg Ziel von Ausflüglern und Erholungssuchenden aus Berlin. Es waren das prächtige Lustschloss und der Charme einer Gartenstadt an der Spree, die viele Berliner zu einem Ausflug anlockten. Der Chronist Dressel staunte über diese unerwartete Entwicklung:

„Wer konnte damals vorhersehen, dass die Berliner an Sonn- und vielen Wochentagen Berlin verlassen, Meilen weit umher schwärmen und
ihr in der Woche verdientes Geld in Bier und Coffee Häusern daselbst verzehren würden?“

Zu Dressels Lebzeiten wuchs Charlottenburg von einem kleinen Dorf zu einer aufstrebenden Stadt. Um 1780 lebten hier etwa 2000 Menschen, 1800 waren es schon 3400. Gasthöfe und Schankwirtschaften entstanden und wurden zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor. Auch der Personentransport zwischen Berlin und Charlottenburg florierte; einige wohlhabende Berliner fuhren mit dem Schiff oder Boot nach Charlottenburg. Immer mehr Adelige und reiche Bürger bauten Landhäuser und Paläste als Sommerresidenzen. Das bescheidene Wachstum wandelte Charlottenburg allmählich von der Ackerbürgerstadt zur bevorzugten Sommerresidenz der vornehmen Berliner.

Charlottenburg unterstand zu dieser Zeit der preußischen Monarchie, die von Friedrich Wilhelm I. (Regierungszeit 1713-1740) Friedrich II., dem Großen (1740–1786), über dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm II. (1786–1797) bis hin zu Friedrich Wilhelm III. (1797–1840) regiert wurde.Preußen entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu einer bedeutenden Militär- und Wirtschaftsmacht, doch das einfache Volk hatte mit harter Arbeit und Armut zu kämpfen. Die Schichten waren klar gegliedert, wobei Adlige und Bürger an Einfluss gewannen, während Bauern und Tagelöhner oft unter schwierigen Lebensbedingungen litten. Der Alltag der Menschen war von Arbeit in der Landwirtschaft, Handwerk oder Kleinhandel bestimmt, während Bildung und Wohlstand vor allem einer kleinen Elite vorbehalten waren. Dressels Engagement für Bildungsreformen zeigt, dass er hier einen Wandel vorantreiben wollte.

Die politische Situation in Preußen war instabil, geprägt von Kriegen und geopolitischen Konflikten. Friedrich der Große führte Preußen in den Siebenjährigen Krieg (1756–1763), wodurch Preußen sich als eine der fünf Großmächte Europas etablierte. Dieser Krieg hat Dressels Kindheit entscheidend geprägt. Dazu erzähle ich Ihnen später mehr. Während der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm III. war Preußen in die Koalitionskriege gegen Napoleon verwickelt, was in der Niederlage gegen die Franzosen bei Jena und Auerstedt 1806 gipfelte. Die napoleonische Besetzung führte zu tiefgreifenden Reformen, die Dressel als Zeitzeuge miterlebte. Diese Reformen betrafen das Militär, die Verwaltung und die Gesellschaft, wie die Bauernbefreiung oder die Bildungsreformen.

Dressel lebte in einer Zeit, in der Preußen sich sowohl territorial als auch gesellschaftlich wandelte. Kriege, Reformen und der Aufstieg der bürgerlichen Schicht prägten das Leben der Menschen. Die wachsende Bedeutung von Bildung und sozialer Versorgung in dieser Zeit unterstrich die Notwendigkeit von Veränderungen, für die Dressel als Pfarrer und Reformer eintrat.

Gehen wir nun die Schloßstraße entlang bis zur Hausnummer 2. Da stand vor rund 300 Jahren das erste Charlottenburger Rathaus.

260. Kiezspaziergang- jetzt Seniorenheim

Station 2: Schloßstraße 2: Erstes Rathaus von Charlottenburg

An dieser Stelle stand vor rund 300 Jahren das erste Rathaus von Charlottenburg. Es wurde 1705 nur wenige Wochen nach der Verleihung der Stadtrechte eingerichtet. Das Gebäude war ursprünglich als Stadtpalais für einen Hofbeamten errichtet worden. Das Haus war 1702 nach Plänen und unter Leitung des Baumeisters Johann Eosander von Göthe erbaut worden, der auch am Bau des Schlosses Charlottenburg beteiligt war. König Friedrich I. kaufte es für 8.500 Taler und bestimmte es zum Rathaus. Hierin befand sich nicht nur die Stadtverwaltung, sondern auch das Gericht, die Polizei und sogar ein kleines Gefängnis. Auch die Dorfkirche war in einem ehemaligen Pferdestall auf dem Gelände untergebracht. Der Glockenturm, den man 1707 hinzugefügt hatte, diente gleichzeitig als Kirch- und Rathausturm.

König Friedrich I. selbst war der Bürgermeister der Stadt, sein Sohn Friedrich Wilhelm, der spätere Soldatenkönig, war sein Stellvertreter. Hof- und Staatsbeamte bildeten als Stadtverordnete den Magistrat. Die Aufgaben des Magistrats, der hier tagte, waren vielfältig. Neben der Verwaltung der Stadt verantworteten die Stadtverordneten auch die Aufsicht über die Kirche, die Schule und die Armenpflege.

Dem Magistrat, der hier im ersten Rathaus Charlottenburgs saß, hat Dressel seine Anstellung zu verdanken. Denn der 27-jährige Dressel war 1778 nicht der einzige Bewerber auf die Stelle des Pfarrers. Auch Feldprediger Steinhardt wollte das Amt und wurde von Königin Elisabeth Christine protegiert. Der Magistrat war über die Einflussnahme der Königin verärgert und fragte: „Warum man uns das Jus Patronatus gibt, wenn man uns doch bey der Wahl die Hände binden will.“ Es war jedoch nicht nur die Einmischung der Königin, die den Magistrat auf Dressels Seite trieb. Auch dessen Veröffentlichung zur Verbesserung von Schulprogrammen und der Schulanstalten fanden beim Magistrat Anklang, ebenso die Probepredigt, mit der Dressel seine Zuhörerinnen und Zuhörer beeindruckte.

Im Laufe seiner Amtszeit war das Verhältnis zum Magistrat nicht immer so harmonisch. Dressel war ein engagierter Pfarrer, aber auch ein streitbarer Charakter. Er nahm kein Blatt vor den Mund und scheute sich nicht, öffentlich auf Missstände hinzuweisen.

Denn als Dressel seine Pfarrstelle antrat, fand er eine Gemeinde vor, die in vielerlei Hinsicht in einem desolaten Zustand war. Die Kirche und das Pfarrhaus waren baufällig, es gab keine Orgel, und die Schule war vernachlässigt. Der Friedhof war viel zu klein, und auch die Armenversorgung war mangelhaft organisiert. Dressel erkannte diese Missstände und setzte sich während seiner gesamten Amtszeit für Verbesserungen ein. Dank seiner beharrlichen Arbeit gelang es ihm, viele dieser Probleme zu lösen.

Vieles von dem, was Dressel getan hat, ist überliefert, weil er nicht nur als Pfarrer aktiv war, sondern auch als Chronist der Stadt. Seine Vorgänger hatten ihm kaum Unterlagen hinterlassen. Sein Vor-Vorgänger ließ sich mit den Kirchenakten beerdigen, indem er seinen Sarg mit den Papieren statt mit Sägemehl ausstaffieren ließ. Dressels Vorgänger machte sich nicht einmal die Mühe, die Kirchenbücher korrekt zu führen. Deshalb nahm Dressel sich „als bald vor, alles zu sammeln, was ich theils aus mündlichen Erzählungen alter glaubwürdiger Leute erfahren konnte, theils worüber mir die kirch(lichen) Acten des Rathhauses den Aufschluß geben würden.“

Aus diesen Aufzeichnungen entstanden die die Pfarrchronik von 1813 und in einer Überarbeitung die Stadtchronik von 1816/17. Beide Schriften gehören zusammen mit Dressels Lebensbeschreibungen zweifellos zu den wichtigsten Quellen über die Frühgeschichte Charlottenburgs vor dem Beginn der Industrialisierung und Urbanisierung.

Wir gehen nur weiter die Schloßstraße entlang bis wir auf die Knobelsdorffstraße und Zillestraße stoßen. Dort befindet sich das sogenannte „Nasse Dreieck“.

260. Kiezspaziergang- Nasses Dreieck

Station 3: Nasses Dreieck (Schloßstraße/Ecke Zillestraße)

Im 18. Jahrhundert war an dieser Stelle Charlottenburg zu Ende. Dort, wo sich heute ein Grünstreifen und ein Sportplatz befinden, war ein Feuchtgebiet, in dem sich der Abfluss des Lietzensees und der Schwarze Graben, ein kleiner Seitenarm der Spree, vereinigten.
Im Jahr 1711 ließ der preußische König Friedrich I., der leidenschaftlicher Jäger und Fischer war, die Gräben zu einem Karpfenteich erweitern, der aber schon zu Dressels Zeiten verlandet und eine Wiese war. Deshalb nannte man das Areal zwischen der Hebbel-, Fritsche- und Zillestraße später „Nasses Dreieck“.

Trotz der Nähe zum Schloss hatten die meisten Charlottenburger nichts vom Prunk und Reichtum. Viele lebten in bitterer Armut. Dressel setzte sich unermüdlich für die Bedürftigen ein. Als Kind erlebte er selbst Armut und Leid. Während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) litt seine Familie große Not. Im Januar 1758 quartierte man 200 gefangene und kranke österreichische Soldaten im Untergeschoss des Schulhauses seines Vaters ein.

Sie brachten Krankheiten mit, die die gesamte Familie schwer trafen: Dressel erkrankte an der „Rothen Ruhr“, seine Brüder Siegfried und Ehrenfried starben an Auszehrung. Dressel, damals erst sieben Jahre alt, musste zeitweise die Eltern versorgen. Zudem erlitt die Familie durch Diebstahl und Plünderung großen materiellen Schaden. Der Vater klagte später gegen die Verantwortlichen der Einquartierung auf eine Entschädigung, wurde suspendiert, arbeitslos und verlor jede Chance auf eine andere Lehrerstelle. Dressels Vater versuchte zweimal, sich das Leben zu nehmen, und kam zeitweise ins Armenhaus. Im Dezember 1772 starb er in Werder, kurz nachdem er doch noch eine Rektorenstelle erhalten hatte. Da war er 53 Jahre alt. Diese frühen Erfahrungen sensibilisierten Dressel für Leid und Armut. In Charlottenburg bemerkte er, dass viele Menschen, vor allem Ältere und Kranke, in großer Not lebten und oft ohne Pflege oder Unterstützung elendig starben. Um ihnen zu helfen, plante er die Errichtung eines Armenkrankenhauses.

Pfarrer Dressel schrieb darüber in seiner Chronik:

„In diesem 1801ten Jahre brachte der Prediger Dressel etwas zur Vollendung, woran er 20 Jahre lang gearbeitet und sich dazu vor bereitet hatte, nämlich den Bau, eines Armen Krankenhauses u[nd] einer Leichenkammer. Als er sah, wie hülflos viele Arme krank liegen und zuletzt aus Mangel aller Pflege elendiglich in ihrem Kothe um kommen mußten; so faßte er mit Burgermeister Krull bald den Vorsatz, nicht eher zu ruhen, als bis sie der Stadt zu einem solchen Hause verholfen hätten. Krull gab dazu blos seine Einwilligung überließ aber den Dressel die Anlage und Ausführung.“

Dressel sammelte Geld bei den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und konnte auch König Friedrich Wilhelm III. für das Projekt gewinnen. Das erste Armenkrankenhaus in Charlottenburg eröffnete im Jahr 1802 in der heutigen Loschmidtstraße in Alt-Lietzow.

Das Armenkrankenhaus bot Platz für zwölf Patienten und war für viele ein wichtiger Zufluchtsort. Bis 1813 wurde es durch Spenden finanziert, später durch staatliche Zuschüsse. Dressels Einsatz rettete Leben und verbesserte das soziale Gefüge der Stadt erheblich.

Und was passierte mit dem Nassen Dreieck?

1856 wurde das Gebiet endgültig zugeschüttet. Vor dem Ersten Weltkrieg begann man an dieser Stelle vierstöckige Mietshäuser zu errichten – und das obwohl der Bauherr von dem sumpfigen Untergrund wusste. Die instabilen Häuser zeigten schnell Senkungsrisse, und trotz zahlreicher Reparaturversuche stürzte das erste Gebäude 1911 ein.
In den folgenden Jahrzehnten mussten immer wieder Gebäude abgerissen werden. Es lebte sich in den Häusern auch nicht sehr bequem. Die Wohnungen waren teilweise so schief, dass die Bewohner ihre Betten an einer Seite knapp 10 Zentimeter aufbocken musste, damit sie wieder waagerecht standen und man nicht Gefahr lief, nachts rauszufallen, wie ein SFB-Beitrag aus der Zeit illustriert. 1972 siedelten die letzten Mieter um. Das Bezirksamt Charlottenburg bot den etwa 150 Bewohnern Wohnungen in der neuen Spandauer Großsiedlung auf dem Falkenhagener Feld an. Die verbliebenen Häuser wurden abgerissen, und das Land blieb unbebaut.

Wir gehen weiter zur Haubachstraße /Ecke Wilmersdorfer Straße zum „Ackerbürgerhaus“.
260. Kiezspaziergang - Ackerbürgerhaus

Station 4: Wilmersdorfer Straße 18 (Ecke Haubachstraße): „Ackerbürgerhaus“ aus Dressels Zeit

Vor uns sehen wir ein Beispiel der ursprünglichen Bebauung Charlottenburgs – das Ackerbürgerhaus. Dieses Haus wurde um 1823 erbaut und repräsentiert den Baustil der frühen, eingeschossigen Häuser, die Eosander von Göthe als Modell für die neue Stadt Charlottenburg entworfen hatte. Das Ackerbürgerhaus diente der einfachen Landbevölkerung als Unterkunft. Man nannte sie Ackerbürger, weil sie zwar in der Stadt wohnten, aber vom Ackerbau außerhalb der Stadtmauern lebten. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Haus immer wieder gewerblich genutzt, unter anderem als Weißbierstube und Motorradhandel, bis es schließlich vom Denkmalschutz restauriert wurde. Die Stadt Charlottenburg wuchs im 18. und 19. Jahrhundert, und mit ihr auch die Bedürfnisse ihrer Bewohner. Der Platz war knapp, sowohl für Wohnraum als auch für Begräbnisstätten.

Mit der wachsenden Bevölkerung stießen die alten Friedhöfe rund um Charlottenburg an ihre Kapazitätsgrenzen. Innerstädtische Friedhöfe waren wegen Seuchengefahr zunehmend problematisch. Dressel erkannte die Notwendigkeit eines neuen Friedhofs und schlug vor, östlich des Dorfkerns von Lützow, auf damals noch unbebautem Land, einen neuen Friedhof anzulegen. Er wollte, dass dieser Friedhof nicht nur ein Begräbnisort, sondern auch ein Ort der Besinnung und Entspannung für die Bürger Charlottenburgs werden sollte.

Der Königliche Hofgärtner George Steiner wurde mit der Gestaltung beauftragt, und 1815 wurde der Luisenfriedhof I feierlich eingeweiht. Hier schuf man spezielle Bereiche für Kindergräber, Familienbestattungen und sogar einen Ehrenplatz für Charlottenburger, die in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gefallen waren. Dressels Vision, diesen Friedhof als wichtigen Bestandteil des städtischen Lebens zu gestalten, zeigt sich in der landschaftlich harmonischen Gestaltung mit kreisförmigen Wegen und offenen Flächen.

Das Ackerbürgerhaus und der Luisenfriedhof symbolisieren das Wachstum und den Wandel einer Stadt. Das Ackerbürgerhaus erinnert an die bäuerliche Vergangenheit Charlottenburgs, während der Luisenfriedhof den Übergang zu einer modernen, urbanen Gesellschaft verkörpert. Charlottenburg überwand seine agrarischen Wurzeln und entwickelte sich zu einer Stadt, die nicht nur Wohnraum, sondern auch städtische Infrastrukturen wie Friedhöfe und soziale Einrichtungen benötigte. Wir gehen nun weiter die Wilmersdorfer Straße hinauf zum Keramikmuseum in der Schustehrusstraße.

Keramik-Museum Berlin

Station 5: Keramikmuseum in der Schustehrusstraße

Dieses Gebäude ist das älteste Wohnhaus Charlottenburgs und wurde 1712 vom Goldschmied und Gelbgießer Gottfried Berger errichtet, nur wenige Jahre nachdem Charlottenburg als Idealstadt unter König Friedrich I. gegründet wurde. Der Entwurf basierte auf dem barocken Modellhaus von Eosander von Göthe – genau wie beim Ackerbürgerhaus, das wir gerade gesehen haben.

Das Haus selbst ist ein sogenanntes Doppelstubenhaus mit Mittelflur, typisch für die damalige Bauweise. Es hat fünf Fensterachsen, ist eingeschossig und besitzt eine Fachwerkkonstruktion, die bis heute gut erhalten ist. Ursprünglich befand sich Bergers Werkstatt im linken Seitenflügel des Hauses, wo er Schmuckknöpfe fertigte und gleichzeitig als Handwerker am Schloss Charlottenburg arbeitete.

1799 erhielt das Gebäude eine Toreinfahrt und wurde umgebaut. Doch es wurde vernachlässigt und verfiel. 1981 stellte man es unter Denkmalschutz, aber der damalige Besitzer versuchte dennoch, es an Heiligabend 1983 mit einem Bagger abzureißen. Nur das schnelle Eingreifen der Nachbarschaft verhinderte den Abriss. In den folgenden Jahren restaurierte man das Haus denkmalgerecht und verwendete alte Baumaterialien, um den Zustand zwischen 1800 und 1844 originalgetreu wiederherzustellen.

Seit Januar 2004 beherbergt das historische Gebäude das Keramikmuseum. Es dient als Ausstellungsort und begehbares Baudenkmal, das Einblicke in die Bauformen und Lebensweisen der damaligen Zeit bietet. Der Besuch des Hauses ist eine Reise in die barocke Vergangenheit Charlottenburgs und ein lebendiges Beispiel für die Erhaltung historischer Bausubstanz durch das Engagement der Bevölkerung.

Wir gehen weiter zum Gierkeplatz 4, dem Pfarrhaus der Luisengemeinde. An derselben Stelle stand im 18. Jahrhundert das Haus, in dem Pfarrer Dressel lebte.

260. Kiezspaziergang - Gedenktafel zu Dressel

Station 6: Gierkeplatz 4 – Pfarrhaus der Luisengemeinde mit Gedenktafel

Heute steht hier das Gemeindehaus der Luisengemeinde. In dem Vorgängerbau, dem Pfarrhaus, lebte Pfarrer Dressel von 1778 bis zu seinem Tod im Jahr 1824.

Dressel studierte Theologie in Halle, einem Zentrum der Aufklärung und des Pietismus. Dort wandte er sich vom orthodoxen lutherischen Denken ab und entwickelte eine rationalistische Theologie. Diese Bewegung, die Vernunft und Glauben vereinte, prägte sein ganzes Wirken. Für Dressel waren religiöser Fanatismus und Aberglaube Hindernisse auf dem Weg zu einem aufgeklärten Glauben. Er kritisierte dogmatische Strenge und förderte eine Religion, die den Menschen zu einem selbstbestimmten, vernunftgeleiteten Glauben führen sollte. Dressel setzte sich für Religionsfreiheit und Toleranz ein. In Charlottenburg, einer Stadt mit einer Simultankirche, war es für ihn selbstverständlich, dass sowohl lutherische als auch reformierte Gottesdienste stattfanden. Er tolerierte Katholiken, Reformierte und auch Juden gleichermaßen, solange man sich im Geiste des gegenseitigen Respekts begegnete. Mit dieser Einstellung war er seiner Zeit weit voraus: Im Entwurf der Stadtrechtsurkunde für Charlottenburg von 1705 hieß es noch, dass Juden der Zuzug nach Charlottenburg auf ewig verboten sei und sie kein Gotteshaus errichten dürften.

Dressel begrüßte die religiöse Union von Lutheranern und Reformierten, die König Friedrich Wilhelm III. 1817 einführte. Diese Union sollte konfessionelle Grenzen überwinden und die Einheit im Protestantismus stärken. Für den aufgeschlossenen Denker Dressel war dies ein wichtiger Schritt, der seine Überzeugungen von Glaubenstoleranz und Vernunftreligion unterstrich.

In einer Zeit, in der religiöse Spannungen und Intoleranz in Europa verbreitet waren, setzte Dressel in Charlottenburg ein starkes Zeichen für eine offene, tolerante und aufgeklärte christliche Lehre.

Die Gedenktafel an diesem Haus erinnert an das Wirken dieses außergewöhnlichen Pfarrers.

260. Kiezspaziergang- jetzt Musikschule

Station 7: Gierkezeile 39: Altes Schulhaus von Dressel (Gierkezeile/Ecke Behaimstraße)

Hier an der Gierkezeile 39 stand das erste Schulhaus von Charlottenburg, initiiert von Pfarrer Johann Christian Gottfried Dressel.
Das ursprüngliche Gebäude existiert zwar nicht mehr, doch seine Geschichte und Dressels Einfluss auf das Schulwesen bleiben bedeutend. Als Dressel 1778 nach Charlottenburg kam, fand er die Schule in einem desolaten Zustand vor.

Es gab keine festen Schulgebäude, keine ausgebildeten Lehrer und keinen strukturierten Unterricht. Viele Kinder, besonders aus armen Familien, besuchten kaum die Schule, da sie zu Hause arbeiten mussten. In der ländlich geprägten Stadt Charlottenburg war Bildung für viele Kinder kaum erreichbar.

Dressel erkannte die Notwendigkeit einer Schulreform, um den Kindern eine bessere Zukunft zu bieten. Als Verfechter der Aufklärung orientierte er sich an den reformpädagogischen Ideen von Johann Heinrich Pestalozzi und Eberhard von Rochow. Für ihn war Bildung nicht nur Pflicht, sondern der Schlüssel zu einem besseren Leben und einer gerechteren Gesellschaft. Er glaubte, dass eine fundierte Schulbildung die Kinder zu nützlichen Staatsbürgern machen würde.

Dressel setzte sich für den Bau des Schulhauses ein, dessen rechter Teil 1786 fertiggestellt wurde. Er führte die getrennte Unterrichtung von Mädchen und Jungen nach Geschlecht und Alter ein, eine damals fortschrittliche Maßnahme. Der Elementarunterricht nach Pestalozzi umfasste Religion, Rechnen, Schreiben, Geografie und Naturgeschichte – grundlegende Kenntnisse, die allen Kindern zugutekommen sollten.1798 erweiterte man das Schulgebäude um den linken Teil, um den wachsenden Schülerzahlen gerecht zu werden. Dressel hatte den Bau wegen der Kosten bewusst in zwei Phasen geplant.

Dressel kümmerte sich nicht nur um den Bau von Schulhäusern. Er kämpfte auch gegen die sogenannten Winkelschulen, private Einrichtungen, die oft ohne qualifizierte Lehrer arbeiteten und keiner staatlichen Aufsicht unterlagen. Diese Schulen boten schlechte Bedingungen und gefährdeten die Bildung und moralische Erziehung der Kinder. Dressel strebte ein geordnetes, staatlich beaufsichtigtes Schulwesen an.

Er führte regelmäßigen Unterricht für alle Kinder ein und gründete eine Industrieschule sowie eine Abendschule für arbeitende Jungen und Mädchen, um ihnen trotz ihrer Verpflichtungen Bildung zu ermöglichen. Ebenso wichtig war ihm, dass die Kinder in ihrer Freizeit spielten und sich körperlich austoben konnten. Dazu schrieb Dressel:

„Auch war er nicht dafür, den jungen Kindern alle Zeit zum Spiel zu rauben und sie von Morgen bis Abend ins Joch zu spannen. Zur Arbeit anzuwöhnen die Kinder ist wohl gut, aber ihren Körper durch freye Bewegungen in der Luft zu stärken, ist doch auch nicht übel – Auch war er sonderbar genug, es für hart zu halten den Kindern jede Gelegenheit zum Vergnügen zu rauben. Es ist, sprach er, oft die einzige Zeit, die Zeit der Kindheit, der sich der Arme in seinem Alter noch mit Freude erinnert“

Gehen wir nun zur Luisenkirche, der letzten Station auf unserem heutigen Kiezspaziergang. Dort treffen wir Herrn Pfarrer Stefan Kunkel ( i.R.)

Luisenkirche-160-Kiezspaziergang

Station 8: Luisenkirche

Die Geschichte der Luisenkirche ist eng verknüpft mit dem Wirken von Pfarrer Dressel, der hier fast 50 Jahre lang tätig war. Seine Vision und sein Engagement haben die Kirche und die Gemeinde nachhaltig beeinflusst.

Die Luisenkirche, wie wir sie heute kennen, wurde zwischen 1712 und 1716 erbaut, nach Plänen von Philipp Gerlach, und diente ursprünglich als Simultankirche für Reformierte und Lutheraner. Bemerkenswert ist, dass die Kirche damals keinen Turm hatte, sondern nur einen hölzernen Dachreiter. Dieser war allerdings schon nach 100 Jahren so baufällig, dass er teilweise abgetragen werden musste. Dressel war maßgeblich an der Renovierung und Umgestaltung der Luisenkirche beteiligt. Er nutzte geschickt die Einführung einer neuen Gottesdienstordnung, um die Unterstützung des Königs für den Bau eines neuen Turms zu gewinnen.
Der bedeutende Architekt Karl Friedrich Schinkel wurde schließlich 1822 beauftragt, die Kirche umzugestalten, und entwarf den steinernen Turm, den wir heute sehen. Leider erlebte Dressel die Fertigstellung nicht mehr. Zwei Jahre nach seinem Tode, 1826, erhielt die Kirche zu Ehren der beliebten Königin Luise von Preußen ihren heutigen Namen.

Dressel war ein Mann mit Weitblick und unermüdlichem Engagement. Er scheute nicht vor Widerständen zurück, wenn es darum ging, die Kirche und das Gemeindeleben zu verbessern. Ein Beispiel dafür ist die Einführung eines neuen Gesangbuchs, das vom König angeordnet worden war. Obwohl viele Gemeindemitglieder dagegen protestierten und Dressel sogar dreimal nachts die Fenster seines Pfarrhauses einwarfen, hielt er an der Reform fest – immer mit der Überzeugung, dass Ausdauer zum Ziel führt.

Ebenso zielstrebig war er, als es um die Ausstattung der Kirche ging. 1780 gelang es ihm, innerhalb von nur zwei Jahren eine neue Orgel für die Kirche zu beschaffen – ein Vorhaben, das seine Vorgänger in über 60 Jahren nicht umsetzen konnten. Die Freude der Gemeinde über die neue Orgel war so groß, dass die Charlottenburger selbst die Orgelpfeifen zur Kirche trugen, unterstützt von Dressel und dem Bürgermeister.

Für keine seiner Leistungen hat Dressel so viel Dank erhalten, wie für die Orgel. Darüber beklagte er sich lakonisch in der Stadtchronik:

„Es hat der Dressel noch manche andere, weit nützlichere und weniger
entbehrliche Dinge zu Stande gebracht; aber nie wieder solchen lauten Dank eingeärndtet. Wenn man nach 30 Jahren in Versuchung kam, einmahl etwas zu seinem Lobe zu sagen; so fieng man immer damit an: er hat uns die schöne Orgel verschafft – wir hätten noch keine wenn er nicht hier Prediger geworden wäre.“

Doch Dressels Engagement reichte weit über die Anschaffung der Orgel hinaus. Dressel gehört aufgrund seiner Schriften zu den bedeutendsten Chronisten des Berliner Raumes aus der Zeit um 1800.

Zu seinem 200. Todestag Dressel zeigt das Bezirksamt eine Ausstellung, die ich am Mittwoch, 16. Oktober, um 18 Uhr in der Luisenkirche eröffne. Dort sehen Sie auch Dressels Originalschriften, aus denen Sie heute einige Zitate gehört haben. Diese Schriften sind im Bestand unseres Verwaltungsinformationszentrum. Auch Dressels Stadtchronik von 1816/17 wird dann transkribiert in Buchform präsentiert werden.

Am 20. Oktober um 10:00 Uhr findet in der Kirche ein Festgottesdienst für Dressel statt. Dazu sind Sie alle herzlich eingeladen.

Außerdem wird es ein Programm mit Führungen durch die Ausstellung und Alt-Charlottenburg und mehreren Vorträgen im VIZ geben: zu Dressels Schulreform, das Armen-Krankenhaus und zu einem Gemälde von Charlottenburg, das die Ansicht der Stadt von Süden im Jahre 1826 zeigt. Das Programm können Sie dem Flyer entnehmen.

Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Teilnahme!

  • 260. Kiezspaziergang- Wohnhaus

    Ehemaliges Wohnhaus Dressels

  • 260. Kiezspaziergang- Kirstin Bauch mit der Gruppe
  • 260. Kiezspaziergang- Kirstin Bauch in der Luisenkirche

    Kirstin Bauch in der Luisenkirche

  • 260. Kiezspaziergang- Gruppe
  • 260. Kiezspaziergang - Gruppe
  • 260. Kiezspaziergang- Pfarrer Stefan Kunkel in der Luisenkirche

    Pfarrer Stefan Kunkel i.R. berichtet über die Luisenkirche