257. Kiezspaziergang: Zwischen Alleen, alten Villen und Schrebergärten

257. Kiezspaziergang - Heike-Schmitt-Schmelz

Herzlich willkommen zum 257. Kiezspaziergang. Mein Name ist Heike Schmitt-Schmelz. Ich bin als Bezirksstadträtin zuständig für das Ressort Schule, Sport, Weiterbildung und Kultur. Heute führt uns der Kiezspaziergang durch die Villenkolonie Westend.

Starten wir in den heutigen Spaziergang durch Westend.
Westend ist mit 13,53 Quadratkilometern der zweitgrößte Stadtteil im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf und hat knapp 41.000 Einwohner. Wer in Westend lebt, spricht gern von einem schönen Stadtteil, von einem grünen, lebenswerten Umfeld. Und das ist nicht übertrieben. Springen wir hinein in die Geschichte Westends und beginnen am Theodor-Heuss-Platz, der „gefühlten“ Mitte des Viertels.

Theodor-Heuss-Platz, 6.9.2011, Foto: KHMM

Theodor-Heuss-Platz

Wir stehen hier heute auf dem Theodor-Heuss-Platz. Schön ist der Theo, wie der Platz von den Anwohnern genannt wird, wirklich nicht. Vom Verkehr umtost, laut. Kein Ort, um lange zu verweilen. Oder doch? Der Blick über den Kaiserdamm hinunter ist beeindruckend. Immerhin liegt der Theo auf einer kleinen Anhöhe, rund 25 Meter über dem Meeresspiegel. Bei gutem Wetter ist in weiter Ferne das Rote Rathaus, der Sitz des Berliner Senats zu erkennen.
Der Platz wurde 1908 als Schmuckplatz angelegt und erhielt den Namen Reichskanzlerplatz. Anfangs war er noch unbebaut. Lediglich zwei U-Bahneingänge befanden sich dort. 1933 wurde der Platz umbenannt und hieß bis 1945 Adolf-Hitler-Platz. Die Nationalsozialisten planten umfangreiche Umbauten. Monumentale Kolonnaden sollten den Platz „einrahmen“ und ein überdimensioniertes Denkmal genau in der Mitte gebaut werden. Die Pläne wurden allerdings nie realisiert. Nach dem 2. Weltkrieg bekam der Platz seinen alten Namen zurück, den er bis zum Dezember 1963 behielt. Kurz nach dem Tod des ersten Bundespräsidenten wurde er in Theodor-Heuss-Platz umbenannt.

1985 wurde der Platz vom Gartenbauamt Charlottenburg nach einem Entwurf von Thomas Cordes umgestaltet. 1989 wurden die zwei Kopfskulpturen von Rainer Kriester aufgestellt. 1995 wurde die Brunnenskulptur ‘Blauer Obelisk’ der Berliner Künstlerin Hella Santarossa installiert. Der Brunnen ist 15 Meter hoch und besteht aus übereinander gestapelten Kuben aus mundgeblasenem blauem Antikglas. Das Brunnenwasser sollte eigentlich mit einer Pumpe von oben über die Skulptur geleitet werden. Wegen der Gefahr einer raschen Verkalkung stand jahrelang nur “stilles” Wasser im Brunnenbecken. Wie Sie vielleicht der Presse entnehmen konnten hatten Sprayer jüngst den Brunnensockel beschmiert. Unser Fachbereich Facility Management hat die Skulptur vor einigen Tagen wieder gereinigt. Wir hoffen, dass das lange so bleibt.

Theodor Heuss war es übrigens auch, der im September 1955 die „ewige Flamme“ entzündete. „Freiheit – Recht – Frieden“ werden auf dem Sockel angemahnt. Ein Appell so aktuell wie vor fast siebzig Jahren. Das Mahnmal war eine Initiative der deutschen Vertriebenenverbände und die Flamme sollte nur bis zur Wiedervereinigung Deutschlands brennen und dann erlöschen.
Vor einigen Jahren kam es hier zu einem kleinen Zwischenfall, der die Polizei auf den Plan rief. Ein wohnungsloser Mann hatte sich an der ewigen Flamme sein Mittagessen warm gemacht. Er durfte „zu Ende kochen“.

Infolge der Gasknappheit wegen des Ukrainekriegs hat die GASAG die Flamme am 30. September 2022 gelöscht. Die Kritik daran war jedoch so groß, dass die Flamme nach 12 Tagen wieder angestellt wurde. Dabei verfeuert die symbolische Opferschale laut Gasag pro Jahr rund 210.000 kWh – das entspricht dem Verbrauch von rund 15 Einfamilienhäusern oder fast 40 Ein-Personen-Haushalten.

Da es hier etwas ruhiger ist, erzähle ich Ihnen gleich jetzt noch etwas über die Reichsstraße, die wir heute wegen der Verkehrssituation aber meiden werden:

Reichsstraße und Ahornallee

Sieben Querstraßen hat der Theodor-Heuss-Platz. Eine davon ist die Reichsstraße, der Boulevard von Westend, die zentrale Einkaufsmeile. 1906 erhielt sie, zum Gedenken an die Reichsgründung 1871, ihren Namen. Davor hatte die Straße nur eine Nummer: 7a.
Gut zwei Kilometer ist die Reichsstraße lang. Sie beginnt am Theodor-Heuss-Platz und mündet hinter dem Brixplatz in den Spandauer Damm.
Shopping in Westend ist bodenständiger als am Kurfürstendamm und viel unaufgeregter als in der wuseligen Charlottenburger Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße.
Viele Läden auf der Reichsstraße sind alteingesessene Traditionsgeschäfte, die bereits seit einem halben Jahrhundert oder länger am Ort sind und die sich bislang noch gegen steigende Mieten und Gentrifizierung wehren konnten. Dass das so ist, ist der Verdienst der Interessengemeinschaft Reichstraße, in der sich viele der Geschäftsleute organisiert haben, mit dem Ziel, das besondere Flair der Straße zu erhalten. Denn nicht umsonst ist hier, so das Motto der Händler, im „Alltäglichen das Besondere“ zu finden.

Wir gehen aber nun statt in die Reichsstraße in die Ahornallee bis zur Hausnummer 30, wo ich Ihnen etwas über die Villenkolonie Westend erzählen möchte.

257. Kiezspaziergang - Ahornallee 30

Ahornallee 30

Die bekannte Berliner Malerin Sabine Lepsius beschrieb ihr neues Domizil, in das sie 1900 mit ihrer Familie zog so: „Es führte keine Fahrverbindung dorthin. Der Wald lag unserem Haus gegenüber und die Abendsonne stand über den Kiefern brennend rot“. Das war hier an der Ahornallee 30.

Die Geschichte von Westend begann im Mai 1866. Der Unternehmer Albert Werkmeister gründete die „Commandit-Gesellschaft auf Aktien“, um ein ca. 100 Hektar großes Areal am Rande des Grunewalds zu erwerben. Hier sollte nach dem Vorbild des Londoner Westends ein Stadtteil für „wohlhabende Bürger“ entstehen, die die Lage westlich der Metropole Berlin mit ihrer guten Luft schätzten. Von Kaiser Wilhelm I. stammt das Zitat, dass es sich in Westend „Gut atmen lasse (…)“, was sicherlich eine richtige Feststellung war. Denn in Berlin herrscht überwiegend Westwind, der den Rauch der Fabrikschlote Ende des 19. Jahrhunderts Richtung Osten pustete. Ein Quartier sollte entstehen mit großbürgerlichen Villen, gepflegten Gärten und einem eigenen Abwassersystem. Extra für die Villenkolonie wurde das Wasserwerk am Teufelssee errichtet, das älteste und heute noch erhaltene Wasserwerk Berlins.
Das Terrain wurde in 400 Grundstücke parzelliert, die im Schnitt 800 Quadratmeter groß waren. Wie ein Schachbrett durchziehen zwölf Alleen die Villenkolonie, die alle nach Baumarten benannt sind: Kastanienallee, Ulmenallee, Ahornallee, Eichenallee. Im Zentrum liegt der Branitzer Platz.
Die anfängliche Euphorie der Bauunternehmer verflog allerdings schnell. Denn der Deutsch-Österreichische Krieg verzögerte den Baubeginn. Nach dem Börsencrash von 1873 geriet auch die „Commandit-Gesellschaft“ in finanzielle Schwierigkeiten. Von 400 Grundstücken war noch nicht mal die Hälfte verkauft.

Als 1877 der Ringbahnhof Westend eröffnet wurde, kam das Baugeschehen wieder in Schwung. Doch erst als eine U-Bahn bis nach Westend fuhr, avancierte das Viertel zum bevorzugten Wohngebiet.
Nach dem 2. Weltkrieg wurden viele Grundstücke geteilt und Villen abgerissen. Das Erscheinungsbild veränderte sich und mit ihm die Einwohnerschaft. Aber: Alt-Westend oder „die Alleen“, wie die Villenkolonie auch genannt wird, blieb eine gute Adresse.

Seit 1985 gilt für Alt-Westend eine Erhaltensverordnung zum „Schutz der städtebaulichen Eigenart“. In der „Villenkolonie Westend” befinden sich 83 Baudenkmale; davon drei Ensembles, 13 Gesamtanlagen, 60 einzelne Baudenkmale und sieben einzelne Gartendenkmale. Die Erhaltungsverordnung soll den Bestand der Villen, Jugendstilhäuser und Fachwerkbauten sicherstellen, denn viele Gebäude weisen bauliche Besonderheiten auf, wie das Landhaus an der Ahornallee 33, zu dem wir jetzt ein Stück weitergehen werden.

Im Nebenhaus an der Ahornallee 32 sehen Sie übrigens eine Berliner Gedenktafel für Wilhelm Foerster (1832 – 1921). Er war Direktor der Berliner Sternwarte und einer der bedeutendsten Forscher auf dem Gebiet der Astronomie. Zusammen mit Werner von Siemens und Max Wilhelm Meyer gründete er 1888 die Bildungs- und Kulturgesellschaft “URANIA”.

257. Kiezspaziergang - Ahornallee 33

Ahornallee 33

Das Gebäude ist eine der am besten erhaltenen Villen in Westend. Besonders die Fassade mit ihren Schmuckelementen fällt auf. Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs ließ sie der Berliner Rechtsanwalt J. Kallmann vom Architekten Carl Stahl-Urach errichten, der auch das Haus Vaterland, DEN Vergnügungstempel der 1920er-Jahre, am Potsdamer Platz, baute. Die Villa Kallmann beherbergt heute die Katholische Schule Liebfrauen. Sie wurde 1926 von Bernhard Lichtenberg gegründet, der zu dieser Zeit Pfarrer der Herz-Jesu-Kirche in Charlottenburg war. 1941 schlossen die Nationalsozialisten die Schule, Bernhard Lichtenberg wurde verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er gehörte zu den katholischen Geistlichen, die sich offen gegen die Nazis stellten. Er protestierte gegen die systematische Ermordung geistig und körperlich behinderter Menschen, betete sonntags öffentlich für die Verfolgten gleich welchen Glaubens. Bernhard Lichtenberg starb auf dem Transport in das Konzentrationslager Dachau. 1996 wurde er seliggesprochen.

Wir spazieren jetzt ein wenig durch die Villenkolonie über die Klaus-Groth-Straße, rechts in die Lindenallee, biegen dann links in die Rüsternallee ab und dann rechts wieder in die Kastanienallee bis zum Haus Nr. 34.

257. Kiezspaziergang - Kastanienallee 34

Kastanienallee 34

Hier an der Kastanienallee 34 wohnte der Rundfunkpionier Alfred Braun. Er wurde am 3. Mai 1888 in Berlin geboren und erhielt 1907 nach seiner Ausbildung bei Max Reinhardt
sein erstes Engagement als Schauspieler am Berliner Schiller-Theater. Ab November 1924 begann Brauns Tätigkeit beim Rundfunk, zunächst als Sprecher, später auch als Regisseur der Funk-Stunde Berlin, dem ersten Radiosender Deutschlands. In die Rundfunkgeschichte eingegangen ist seine Live-Reportage von der Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Thomas Mann am 10. Dezember 1929. Der Machtantritt der Nationalsozialisten beendete 1933 vorläufig Brauns Karriere. Er war zeitweilig inhaftiert und ging nach seiner Entlassung über die Türkei in die Schweiz. Dort arbeitete er als Schauspiellehrer und war in der Spielzeit 1937/38 Regisseur am Stadttheater Basel. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kehrte er aber nach Deutschland zurück und arbeitete als Regieassistent, Sprecher und Drehbuchautor. 1954 wurde er zum ersten Intendanten des neugegründeten Sender Freies Berlin gewählt. Alfred Braun starb am 3. Januar 1978 und wurde auf dem Friedhof Heerstraße begraben.

Wir treffen uns gleich wieder direkt am Branitzer Platz.

Branitzer Platz

Branitzer-Platz

Kreisrund. Durchmesser: 100 Meter. Alter Baumbestand. Kastanien ringsherum. Attribute, die den Branitzer Platz auszeichnen, der fast in der Mitte der Villenkolonie liegt. Schon bei den ersten Planungen von Westend war ein zentraler Platz vorgesehen. Viel größer sollte er werden. Oval statt rund und bebaut mit einer Kirche und einer Schule. Sein Name: Kirchplatz.
Die Pläne wurden verworfen. Ein „Schmuckplatz“ entstand, es wurden Flieder und Rotdorn in der Mitte der Rasenfläche gepflanzt, am Rand Rosenrabatten. Ganz so üppig wie vor über hundert Jahren sieht es heute nicht mehr aus.
Aus Kirchplatz wurde der Branitzer Platz, benannt nach Branitz bei Cottbus, wo der preußische Landschaftsarchitekt Fürst Pückler einen berühmten Park anlegen und ein Schloss bauen ließ.

1943 wurde auf dem Platz -wie an vielen anderen Orten- ein Feuerlöschteich ausgehoben. In den Notjahren 1946-49 baute man hier in Kleingärten Gemüse an. 1950 wurde die Rasenfläche durch das Gartenbauamt wiederhergestellt. 1960 kamen am Rand kreisrunde Sommerblumen-Beete hinzu.
Heute ist der Platz ist ein für Berlin seltenes Beispiel eines nahezu unverändert durch die Zeiten gekommenen gründerzeitlichen Schmuckplatzes. Auch die umgebende Bebauung bietet noch ein relativ geschlossenes gründerzeitliches Erscheinungsbild. Deshalb wurde der Platz 1980 unter Denkmalschutz gestellt.

Am Branitzer Platz lebte allerhand Prominenz. Marlene Dietrich wohnte einige Jahre um die Ecke, an der Akazienallee. Der Schauspieler Curd Jürgens ist ganz in der Nähe aufgewachsen.

Am Branitzer Platz 1 lebte beispielsweise auch Bruno Cassirer

Sein Haus ist nicht mehr im ursprünglichen Zustand erhalten. Bruno Cassirer wurde 1872 geboren und war Verleger und Galerist. Mit seinem Cousin Paul Cassirer eröffnete er am 20. September 1898 in Berlin die Bruno und Paul Cassirer, Kunst- und Verlagsanstalt. Die beiden Verlagsgründer waren nicht nur Cousins, sondern auch gleichzeitig Schwager, da Bruno Cassirer Pauls Schwester Else heiratete. Zu den wichtigsten Kontakten während der frühen Berliner Jahre zählten die Maler Max Liebermann und Max Slevogt. Sie waren Mitglieder der am 2. Mai 1898 gegründeten Berliner Secession. Auf Vorschlag von Max Liebermann und von Walter Leistikow wurden die Cassirers als Sekretäre für die Secession berufen, was ihnen auf dem Kunstmarkt eine herausgehobene Position verschaffte. Ihre erste Ausstellung zeigte Werke von Max Liebermann, Edgar Degas und Constantin Meunier. In den folgenden drei Jahren war ihr Hauptziel, den Impressionismus in Deutschland bekanntzumachen. Ihr Schwerpunkt waren Werke von Max Slevogt, Max Liebermann und Lovis Corinth, die ihrer Meinung nach die künstlerische Avantgarde Deutschlands darstellten.
Am 30. August 1901 lösten Bruno und Paul ihr gemeinsames Unternehmen wegen persönlicher Differenzen auf. Paul Cassirer führte die Galerie und den Kunsthandel weiter, während Bruno Cassirer den Verlag behielt. Bei ihm erschienen weiterhin viele bedeutenden zeitgenössischen Künstler. Zudem gründete er 1902 die Monatsschrift Kunst und Künstler, die bis 1933, als sie den Nationalsozialisten zum Opfer fiel, eine wichtige Publikation der deutschen Kunstszene war. Der Schwerpunkt des Verlags lag neben der Kunst auf Dichtung und Philosophie. 1936 erschien das letzte Buch im Verlag Cassirer. Am 25. Februar 1937 wurde jüdischen Verlegern die Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer (RSK) entzogen. Ein Teil der Familie Cassirer emigrierte 1938 nach Oxford, wo Bruno Cassirers Schwiegersohn Günther Hell die Tradition des Verlages weiterführte und das Unternehmen B. Cassirer (Publ.) Ltd gründete. Zu den ersten englischsprachigen Büchern gehörten die Brief-Editionen von Edgar Degas und Paul Cézanne sowie Paul Gauguins Noa-Noa. Ferner wurde hier das vollständige Werkverzeichnis der Grafiken Goyas verlegt. Der Verlag besteht bis heute. Bruno Cassirer starb 1941 im Exil.

Branitzer Platz 7: Hans Brausewetter

In dem etwas kleineren Häuschen, was Sie hier rechts sehen, hat Hans Brausewetter gewohnt. Brausewetter wurde 1899 geboren und wurde nach mehreren begonnen und wieder abgebrochenen Studien Schauspieler. Er trat sowohl im Theater, vor allem im Deutschen Theater Berlin auf, als auch im Film. Dort spielte er häufig einen bei Frauen erfolglosen, aber sympathischen Typen. Brausewetter hatte als Jugendlicher am Ersten Weltkrieg teilgenommen und hatte 1926 als einziger Deutscher eine Rolle in dem monumentalen Antikriegsfilm „Verdun“. Brausewetter spielte in mehr als 100 Filmen mit. Im Dritten Reich geriet er aufgrund seiner Homosexualität mehrfach in Konflikt mit dem NS-Regime. So wurde Brausewetter im Oktober 1936 wegen Verstoßes gegen § 175 in Berlin verhaftet. Durch Intervention der Schauspielerin Käthe Haack bei Goebbels wurde er jedoch wieder freigelassen. Brausewetter starb während eines Bombenangriffs auf Berlin im April 1945.

Für uns geht es weiter über die Eichenallee bis zur Kreuzung mit der Eschenallee, da biegen wir rechts ab

Botschaften

In Westend haben sich einige Botschaften oder Botschaftsresidenzen angesiedelt. An der Botschaft von Kasachstan sind wir gerade an der Rüsternallee 18 vorbeigelaufen. Zwei weitere Beispiele sehen Sie hier an dieser Kreuzung. Neben Tansania (Eschenallee 9) hat hier auch die afrikanische Republik Kamerun (Ulmenallee 32) ihre Botschaft. Daneben haben auch die Länder Armenien, Burkina Faso, Kongo, Namibia und Tunesien ihre diplomatischen Vertretungen in Westend.

Wir biegen nach links in die Ulmenallee ab und gehen bis zur Ulmenallee 35, wo wir Amei von Hülsen-Pönsgen treffen.

Ulme35

Ulmenalle 35: Ehemaliges Kurhaus Westend für Nervenleidende/Ulme 35

Das Haus wurde 1896 für die „Weilersche Kuranstalt für Nervenleidende und Morphinisten“ erbaut. Mit Luftbädern und Hypnose wurde geworben und die Lage der Kuranstalt damals mit den Worten gepriesen: „sie ist in landschaftlicher wie in klimatisch, hygienischer Beziehung eine denkbar günstige“. Auf dem Gelände befand sich außerdem die Nervenheilanstalt Charlottenburg, die als „Privat-Irrenanstalt“ gegründet wurde und aus der später die „Kuranstalten Westend“ hervorgingen.
Anfang der 1950er Jahre übernahm die Freie Universität die Kuranstalten, aus denen eine Psychiatrischen Klinik wurde, die 2015 an den Campus Benjamin Franklin umzog. Das Bettenhaus der ehemaligen Klinik wurde zur Unterkunft für geflüchtete Menschen.
Als Anwohner Flugblätter in ihren Briefkästen fanden, auf denen dazu aufgerufen wurde, sich gegen die Unterbringung von Geflüchteten in der Nachbarschaft zu wehren, wurden Nachbarn und Ehrenamtliche der Initiative „Willkommen in Westend“ aktiv. Sie entwickelten Konzepte für die alte, 15 Jahre lang leerstehende Villa in der Ulmenallee 35. Im November 2015 wurden aus den „Kuranstalten Westend“ die „Interkulturanstalten Westend e. V.“. Im März 2017 war Schlüsselübergabe und die „Ulme 35“ konnte durch die Förderung des Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf ihre Türen öffnen. Seit 2023 ist sie Stadtteilzentrum.

Wir laufen nun weiter auf der Ulmenallee und biegen an der Bolivarallee links ab (Wir bleibnen auf der linken Straßenseite und schauen dann hinüber zum Haus Bolivarallee 9)

257. Kiezspaziergang - Bolivarallee 9-Miethaus von Peter Behrens

Bolivarallee 9/Miethaus von Peter Behrens

Die Eckhausanlage schräg gegenüber in der Bolivarallee 9 stammt von Peter Behrens und wurde von 1929 bis 1930 gebaut. Es sind Stahlskelettbauten, die mit Mauerwerk ausgefacht sind. Die Anlage steht unter Denkmalschutz. Peter Behrens, der von 1888 bis 1940 lebte, ist uns auch schon bei unserem letzten Kiezspaziergang begegnet, als Chef-Industrie-Designer bei AEG. Er war aber nicht nur das, sondern auch Maler und schon vor dem Ersten Weltkrieg als Architekt Wegbereiter der neuen Sachlichkeit.

Es geht weiter zum Steubenplatz.

Steubenplatz

Steubenplatz

Um 1900 war die Bebauung von Alt-Westend weitgehend abgeschlossen. Neu-Westend, wozu auch der Steubenplatz hier gehört, entstand ab 1913. An der Erschließung des neuen Wohngebiets war maßgeblich die Neu-Westend Aktiengesellschaft für Grundstücksverwertung beteiligt. Sie kaufte ein 134 Hektar großes Terrain, auf dem sich unter anderem die Trabrennbahn Westend befand. Nicht nur Pferderennen, auch erste Autorennen wurden dort ausgetragen. Als die Rennbahn Grunewald öffnete, wurde die Trabrennbahn geschlossen.

Der Steubenplatz selbst wurde um 1930 angelegt und nach Friedrich Wilhelm Graf von Steuben (1730-1794) benannt. Steuben war preußischer General und kämpfte unter Friedrich II. in den Schlesischen Kriegen. 1777 schloss er sich im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg der amerikanischen Kontinentalarmee an, in der er preußische Exerziermethoden und Dienstvorschriften einführte, und nahm mit eigenen Truppenkommandos am Kampf gegen die Engländer teil. Auf der Mittelinsel des Platzes steht seit 1961 die Reiterskulptur “Der Sieger”. Sie wurde 1902 von Louis Tuaillon (Tüajon) ursprünglich für den Wannseer Wohnsitz von Geheimrat Hans Arnhold, dem heutigen Sitz der American Academy, geschaffen. 1997 wurde die Plastik restauriert.

An der Westseite des Platzes befindet sich der unter Denkmalschutz stehende U-Bahnhof Neu-Westend. Der U-Bahnhof wurde 1922 eröffnet. Die ersten Bauarbeiten wurden allerdings bereits vor dem Ersten Weltkrieg begonnen, um die U-Bahnlinie weiter in Richtung Ruhleben zu verlängern. Es wohnten damals aber noch zu wenig Menschen in der Gegend, als dass sich ein U-Bahnhof wirtschaftlich hätte rechtfertigen lassen.
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich die Wohnsituation geändert, sodass die Hochbahngesellschaft den Ausbau des Bahnhofs fortführte. Sie beauftragte Alfred Grenander mit dem Entwurf. Aufgrund der damaligen schlechten Wirtschaftslage und den damit einhergehenden knappen Mitteln erhielt der Bahnhof nur einen grünen Anstrich. Eine Besonderheit hat der Bahnhof dennoch: Nach dem Neubau des Bahnhofs Nollendorfplatz 1926 gab es für das Eingangsportal des alten U-Bahnhofs keine Verwendung mehr, sodass dieser nun den U-Bahnhof Neu-Westend ziert. Der aus Muschelkalk bestehende Eingang mit Säulen und Laternen ist demnach älter als der Bahnhof selbst.

Wir schauen nun einmal auf die gegenüberliegende Straßenseite: zur Westend-Klause.

257. Kiezspaziergang - Westend-Klause

Reichsstraße 80b: Westend-Klause

Die Wohnanlage an der Reichsstraße 80b wurde 1924-27 von Peter Jürgensen gebaut. Darin befindet sich die Westend-Klause, die 1927 eröffnet wurde. Die Alt-Berliner Eckkneipe ist u.a. aus zwei Gründen besonders bekannt, zum einen wurden hier in den 80er-Jahren zahlreiche Folgen der “Drei Damen vom Grill” mit Brigitte Mira und Brigitte Grothum gedreht, die ja hier auf dem Steubenplatz auch Ihren Imbisstand hatten. Zum anderen wurde sie die Stammkneipe von Joachim Ringelnatz, als er 1930 von München nach Berlin zog. Berühmt war Ringelnatz nicht nur seiner schrägen Gedichte wegen, sondern auch und vor allem, wie er sie auf Kleinkunstbühnen vortrug. Dort wurden er und seine Gedichte lebendig. Wir werden gleich am Brixplatz noch einmal auf Ringelnatz zurückkommen.

Es überqueren nun die Reichsstraße an der Ampel und gehen weiter nach rechts Richtung Brixplatz zu unserer letzten Station.

Bronzetafel am Eingang zum Brixplatz, 22.9.2010, Foto: KHMM

Eingang zum Park vor Gedenktafel für Joachim Ringelnatz

In diesem Haus lebte Joachim Ringelnatz, der Verfasser skurril-grotesker Nonsens-Gedichte. Ringelnatz war sein Künstlername, als Hans Bötticher wurde er in Wurzen, in Sachsen, geboren. Ringelnatz: So heißt in der Seemannssprache das Seepferdchen. Zur See fahren, Matrose werden, war der absolute Traumberuf von Joachim Ringelnatz. Die Realität sah allerdings anders aus. Aber mit der Kunstfigur Kuddel Daddeldu, dem knurrigen Matrosen, wurde er auf den Kleinkunstbühnen ein gefeierter Star. Wild waren seine Shows. Er schrie, sang und zertrümmerte auch mal Stühle. Das Publikum war begeistert. Ein Kritiker schrieb im November 1930: „Jeden Abend kann man in der Nähe der Gedächtniskirche ein Wunder erleben, sehen und hören, die allerseltenste und allerkostbarste Spezies der Gattung Mensch: einen Dichter, einen ganz großen Dichter.“
Im Februar 1930 zog Ringelnatz nach Neu-Westend und dichtete: „Nach Berlin, nach Berlin, umzuziehen – wie das lockt!! – ich verdumpft, ich, verstockt und verstumpft, habe endlich mich auf den Kopf gestellt.“ Ganz oben im Haus Brixplatz 11, wo es eine weitere Gedenktafel gibt, wohnte er mit seiner Frau Leonarda, die er liebevoll Muschelkalk nannte. Es gefiel ihm am Sachsenplatz, wie der Brixplatz damals hieß.

Hier eine Kostprobe Ringelnatzscher Dichtkunst:

Morgenwonne
Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.
Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich “Euer Gnaden”.
Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.
1933 setzten die Nationalsozialisten Ringelnatz auf die „Schwarze Liste der meistgehassten Schriftsteller“, seine Bühnenauftritte wurden zur „Abwehr kommunistischer, staatsgefährdender Gewaltakte“ verboten. Das bedeutete für ihn das Ende seiner beruflichen Existenz. Ringelnatz geriet in bitterste wirtschaftliche Not. Er wurde unheilbar krank und starb hier in diesem Haus am 17. November 1935. Er wurde 51 Jahre alt. Begraben ist er auf dem Friedhof an der Heerstraße.

257. Kiezspaziergang - Heike-Schmitt-Schmelz am Brixplatz

Brixplatz

Kommen wir zum Platz selbst: Der Brixplatz wurde am 31. Juli 1947 nach dem Architekten, Geheimen Regierungsrat und zeitweiligem Rektor für Städtebau an der Technischen Hochschule, Joseph Brix (geboren 27. Juni 1859 in Rosenheim, gestorben 10. Januar 1943 in Berlin) benannt. Zuvor hieß er Sachsenplatz (1909-1947).

Im Bebauungsplan für Neu-Westend war 1909 zwischen Reichsstraße und Westendalle eine Kiesgrube verzeichnet, die in eine Grünfläche umgewandelt werden sollte. Die Gestaltung übernahm Charlottenburgs Gartendirektor Erwin Barth. Er schuf einen artenreichen märkischen Landschaftspark mit drei Teichen und einem Botanischen Lehrgarten. Außerdem ließ Barth einen Felsen aus Rüdersdorfer Kalk anlegen, aus dem ein Wasserfall sprudelte. Ein Pavillon und ein Spielplatz wurden gebaut. Nach Barths Vorstellungen sollten die Besucher den unteren Teil des Parks nicht betreten, um das Ökosystem nicht zu stören. Doch 1960 wurde die Senke für die Besucher geöffnet.
Dabei wurden die Pflegepfade zu öffentlich zugänglichen Parkwegen umgebaut. Durch diese Maßnahme entstand eine empfindliche Störung der naturgemäßen Lebensgemeinschaften durch die Parkbesucher; ein Überhandnehmen von Wasservögeln durch unerwünschtes Füttern war eine weitere negative Folgeerscheinung.
Als der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf 2003 die Pflege des Lehrgartens aus personellen und finanziellen Gründen aufgeben musste, gründete sich die Parkinitiative Brixplatz. Einige Anwohnerinnen und Anwohner kümmern immer montags von 10 bis 12 Uhr vor allem um den botanischen Lehrgarten mit seinen 340 Arten von Wild- und Nutzpflanzen der Mark Brandenburg.
Aufgrund der attraktiven Lage zogen viele Prominente in die Mietshäuser, vor allem an der Südseite des Parks. Der Boxer Max Schmeling lernte dort seine im Nachbarhaus wohnende spätere Frau, die Schauspielerin Anny Ondra kennen. Die Gedenktafel für beide befindet sich am Haus Brixplatz 9.
Im Haus Nummer 2 wohnte der Komponist Paul Hindemith. Die Schauspielerin Henny Porten zog 1935 mit ihrem jüdischstämmigen Ehemann aus ihrer Dahlemer Villa zum Sachsenplatz, da sie nicht in die politisch gewünschte Scheidung einwilligte. Aufgrund der Nürnberger Rassegesetze durften sie nur ihre Köchin behalten, was zur Bewirtschaftung der großen Dahlemer Villa nicht reichte. Beide überlebten die Zeit des Nationalsozialismus am Sachsenplatz.

Wir sind nun am Ende. Zum Schluss noch ein kleines Gedeicht von Ringelnatz:

Die Ameisen
In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Denn auf den letzten Teil der Reise.
(So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.)

Ich freue mich, dass Sie auch dieses Mal so zahlreich durchgehalten haben und hoffe, dass Ihre Beine weniger weh tun als den Ameisen.

  • 257. Kiezspaziergang - Ulme35 - Amei von Hülsen-Pönsgen

    Ulme35 - Amei von Hülsen-Pönsgen

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