252. Kiezspaziergang: Auf den Spuren von Erich Kästner durch die City West

252. Kiezspaziergang - Bauch

Herzlich willkommen zum 252. Kiezspaziergang. Mein Name ist Kirstin Bauch und ich bin die Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf.
Ich führe Sie heute auf der Spur von Emil und seinen Detektiven durch die City West. Das populäre Kinderbuch erschien 1929 und machte Erich Kästner zum bekannten Schriftsteller. Kästner selbst wurde am 23. Februar 1899 in Dresden geboren. Von 1927 bis 1929 wohnte Kästner in der Prager Straße 17 (heute etwa Nr. 10) in Wilmersdorf, danach bis Februar 1944 in der Roscherstraße 16 in Charlottenburg.

Erst einmal vorweg noch der Hinweis für den nächsten Kiezspaziergang: Den 253. Spaziergang führt meine Kollegin Heike Schmitt-Schmelz am Samstag, 9. März 2024. Treffpunkt ist um 14 Uhr am Lotte-Lenya-Bogen an der Kantstraße gegenüber des Theaters des Westens an der Skulptur „Der gestürzte Krieger“. Die Route führt dann bis zur Suarezstraße und wird auf dem Weg immer wieder Frauen vorstellen, die den Bezirk geprägt haben.

Zurück zu Emil und den Detektiven:
Wer sich nicht mehr genau an die Handlung erinnern kann: Der zwölfjährige Emil Tischbein reist aus der heimatlichen Kleinstadt Neustadt erstmals nach Berlin, um Verwandte zu besuchen. Seine Mutter hat ihm 140 Mark zur finanziellen Unterstützung seiner Großmutter mitgegeben. Dieses Geld wird ihm im Eisenbahnabteil von einem Mitreisenden, der sich Grundeis nennt, gestohlen. Da Emil selbst daheim etwas ausgefressen hat, wagt er nicht, sich an die Polizei zu wenden, und verfolgt den Dieb vom Bahnhof Zoo an auf eigene Faust. Er wird von dem gleichaltrigen Berliner Jungen Gustav mit der Hupe angesprochen: „Du bist wohl nicht aus Wilmersdorf?“ Gustav trommelt einige Freunde zusammen, die eine Kriegskasse anlegen und einen Nachrichtendienst organisieren („Parole Emil!“). Die Kinderdetektive beschatten den Dieb quer durch Berlin und sammeln Indizien. Dabei kommt es zum Streit, weil manche Jungen die ihnen übertragene Aufgabe nicht erfüllen wollen. Da Emil per Boten seine Verwandten informiert, gesellt sich auch seine Cousine Pony Hütchen zu den Detektiven.

Zurück zu Erich Kästner:
Erich Kästner kommt 1927 nach Berlin. Berlin war die Erfüllung seiner Träume. Der junge Autor hatte seit 1919 in Leipzig neben seinem Studium mit einer journalistischen Karriere angefangen. 1926 beschloss er: “Wenn ich 30 Jahre bin, will ich, daß man meinen Namen kennt. Bis 35 will ich anerkannt sein. Bis 40 sogar ein bißchen berühmt.”
Kein Wunder, dass es ihn mit Macht nach Berlin zog. Nach einem Besuch in Berlin am Neujahrstag 1927 schrieb er seiner Mutter:

“Es gruselte mich fast, wieder nach Leipzig zu müssen. Aber was will man machen? – Nun, es wird schon mal klappen mit Berlin. Jedenfalls der einzige Boden in Deutschland, wo was los ist! Paar Tage da drüben machen einen herrlich mobil.”

Noch im gleichen Jahr gelang ihm der ersehnte Sprung nach Berlin.

252. Kiezspaziergang - Bhf Zoo

Station 1: Bahnhof Zoo

Wir starten mit unserem Spaziergang hier am Bahnhof Zoo, weil er in dem bekannten Kinderbuch eine zentrale Rolle einnimmt. Kästner hatte ganz konkrete Orte vor Augen, als er seine Bücher schrieb. Er ließ sich bei der Wahl der Roman-Schauplätze von der Nachbarschaft seiner Wohnung und der Schreiborte in den Cafés inspirieren, andere kannte er aus seiner Arbeit als Journalist und Theaterkritiker.

Nicht weit von hier an der Kantstraße 152 befand sich von 1927 bis 1933 die Redaktion der von Carl von Ossietzky herausgegebenen “Weltbühne”, zu deren bekanntesten Mitarbeitern Kästner zählte. Verlegt wurde die “Weltbühne” nach dem Tod ihres Gründers Siegfried Jacobsohn von dessen Witwe Edith. Bei ihr trafen sich gelegentlich die Autoren der Zeitschrift. Edith Jacobsohn forderte Kästner bei einem dieser Treffen auf, ein Buch für ihren Kinderbuchverlag “Williams & Co.” zu schreiben. Kästner griff die Anregung auf und schrieb “Emil und die Detektive”.

Mit diesem Kinderroman hatte Kästner schon 1929 seinen ersten großen Erfolg. In einem kleinen Vorwort schreibt er, dass er eigentlich einen Südseeroman schreiben wollte, aber der Oberkellner Nietenführ aus seinem Stammlokal ihm klargemacht habe, dass man nur über Dinge schreiben kann, die man kennt, und deshalb habe er sich einfach in seiner Umgebung umgesehen. Er stellte hier als einer der ersten Kinderbuchautoren die Großstadt positiv dar. Er zeigt die Stadt der vielen Möglichkeiten, die Großstadtkinder mit ihrem Sprachwitz und schnellen Verstand, ihrer ruppigen Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft.

Auf der Verfolgungsjagd hinter dem Dieb her fährt Emil Tischbein mit der Straßenbahnlinie 177 vom Bahnhof Zoo in Richtung Süden, und obwohl er einen Dieb verfolgt, hat er ein Auge für die faszinierende Atmosphäre der Stadt:

“Diese Autos! Sie drängten sich hastig an der Straßenbahn vorbei; hupten, quiekten, streckten rote Zeiger links und rechts heraus, bogen um die Ecke; andere Autos schoben sich nach. So ein Krach! Und die vielen Menschen auf den Fußsteigen! Und von allen Seiten Straßenbahnen, Fuhrwerke, zweistöckige Autobusse! Zeitungsverkäufer an allen Ecken. Wunderbare Schaufenster mit Blumen, Früchten, Büchern, goldenen Uhren, Kleidern und seidener Wäsche. Und hohe, hohe Häuser. Das war also Berlin.”

Wir gehen jetzt zum Zoopalast.

252. Kiezspaziergang - Zoo Palast

Station 2: Zoopalast

Das bedeutendste deutsche Uraufführungskino der 20er- und 30er-Jahre war der “Ufa-Palast am Zoo”, der im Krieg zerstört wurde. An seiner Stelle entstand 1955-57 der “Zoo-Palast”.
Kästner hat von 1927 bis 1933 zahlreiche Filmkritiken für die “Neue Leipziger Straße” geschrieben. Bereits 1931 kamen drei Ufa-Filme ins Kino, an denen Kästner als Drehbuchautor mitgearbeitet hatte: “Das Ekel”, “Dann schon lieber Lebertran” und “Emil und die Detektive”.
Am 5. März 1943 hatte im “Ufa-Palast” vor 2.000 Gästen der berühmteste Film nach einem Kästner-Drehbuch Premiere: “Münchhausen”, der Großfilm zum 25. Gründungsjubiläum der Ufa. Allerdings wurde der Autor nicht genannt und durfte – laut einer Anweisung von Reichspropagandaminister Goebbels – in der Presse auch nicht erwähnt werden. Kästner hatte wohl gehofft, durch seine Beteiligung an dem Ufa-Projekt wieder legal als Filmautor arbeiten zu dürfen. Noch vor der Premiere des Films aber bekam er von der Reichsschrifttumskammer den Bescheid, seine Sondergenehmigung sei widerrufen und er sei “somit nicht mehr berechtigt, im Zuständigkeitsbereich der Reichsschrifttumskammer als Schriftsteller tätig zu sein.” Auch die “schriftstellerische Betätigung vom Inlande nach dem Auslande hin” wurde Kästner verboten.

Wir queren jetzt die Budapester Straße und gehen hinüber zum Breitscheidplatz.

252. Kiezspaziergang - Gedächtniskirche und Europacenter

Station 3: Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche

Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche war im März 1928, als die Leipziger Volkszeitung Kästners Artikel “Frühling in Berlin” veröffentlichte, natürlich noch keine Ruine, sondern stand inmitten eines verkehrsumtosten Platzes:

“Die Gedächtniskirche steht nicht nur im Mittelpunkt des Westens, sondern auch in dem des allgemeinen Interesses. Man trifft sich vor ihr, man nennt Revuen nach ihr; man schimpft auf sie, weil sie den Autos im Wege ist; man regt an, sie abzureißen und anderswo wieder aufzubauen; man lässt sich in ihr trauen. Sie könnte der Dom des Westens heißen, doch man nennt sie, unehrerbietig, wie man hier nun schon ist, die «Kino-Kirche«, weil sie rings von den Filmpalästen des Westens eingekreist wurde. Wie ein Museum liegt sie da. Zweihunderttausend Autos sausen täglich an ihr vorbei. Zwanzig- oder dreißigtausend Menschen laufen in die umliegenden Kinos – die Kirche steht stramm und leer.”

Nun schauen wir einmal Richtung Europacenter.

252. Kiezspaziergang - Europacenter

Europacenter

Statt des Europa Centers stand vor dem zweiten Weltkrieg hier das Romanische Café, in dem Kästner gern verkehrte. Über diesen Treffpunkt der Bohème der City West schreibt Kästner in der Neuen Leipziger Zeitung in seinem Artikel “Das Rendezvous der Künstler“:

“Das Romanische Café ist der Wartesaal der Talente. Es gibt Leute, die hier seit zwanzig Jahren, Tag für Tag, aufs Talent warten. Sie beherrschen, wenn nichts sonst, so doch die Kunst des Wartens in verblüffendem Maße. (…) Es ist ein infernalisches Gewirr von Charakterköpfen und solchen, die es sein wollen. Der erste Eindruck, den man hat: Haare, Mähnen, Locken, die bedeutend ins Gesicht fallen. Der zweite Eindruck: Wie oft wird hier die Leibwäsche gewechselt? Dieser zweite Eindruck ist vielleicht in vielen Fällen unberechtigt. Aber nichts ist ja bezeichnender für das Gesehene, dass man ihn trotzdem hat .(…) Man liest Berge von Zeitungen. Man wartet, daß das Glück hinter den Stuhl tritt und sagt: “Mein Herr, Sie sind engagiert!”

Aktuell kann hier die Ausstellung zum Romanischen Café besichtigt werden. Auf ca. 130 Quadratmetern im Atrium des Europa Centers können Sie in den „Neuen Berliner Westen“ der 1920er Jahre eintauchen und erfahren, wie damals gelebt, gearbeitet und geflirtet wurde. Die Ausstellung kann noch bis Sonntag, 30. Juni 2024, täglich (außer dienstags) von 12 bis 19 Uhr besucht werden.

252. Kiezspaziergang - Rankestraße 4

Station 4: Rankestraße 4

War man dann arriviert und etabliert, besuchte man an der Rankestraße 4 das Künstlerlokal „Schwanneckes Weinstuben“. Schwanneckes gab es seit 1921 eigentlich unter dem Namen „Weinstuben Stephanie“. Da Schwannecke aber selbst Schauspieler war und aus einer Schauspielerfamilie stammte, wurde er rasch in Theaterkreisen zur festen Adresse. Kästner schrieb über das Lokal:

“Man kann die Entwicklung eines Berliner Künstlers, Journalisten oder Schriftstellers nicht deutlicher erkennen, als wenn man hört: ‘Er geht nicht mehr ins Romanische. Er ist jetzt viel bei Schwannecke´. Diese Feststellung verrät, unausgesprochen, Kontraktabschlüsse, Avancement, Mehreinnahmen, herannahenden Ruhm. Die beiden Lokale liegen keine drei Minuten auseinander. Aber für manchen dauert der Weg vom einen zum anderen Jahrzehnte, und die meisten legen ihn nie zurück.”

Station 5: Schaperstraße

In der Schaperstraße 17 wohnt Jakob Fabian, die Hauptfigur von Kästners Roman “Fabian” (1931), zur Untermiete. Fabian war ein Pseudonym, unter dem Kästner gelegentlich publizierte. Die Romanfigur trägt viele Züge des Autors: Sie ist so alt wie er und stammt wie Kästner aus Dresden. Dort kommt Fabian um, nachdem er seine Berliner Anstellung als Werbetexter verloren, sein bester Freund sich erschossen hat und eine vielversprechende Liebesgeschichte in die Brüche gegangen ist. Über Berlin heißt es im Roman:

“Soweit diese riesige Stadt aus Stein besteht, ist sie fast noch wie einst. Hinsichtlich der Bewohner gleicht sie längst einem Irrenhaus. Im Norden residiert das Verbrechen, im Zentrum die Gaunerei, im Norden die Unzucht, und in allen Himmelsrichtungen wohnt der Untergang.”

Wir gehen weiter bis zur Ecke Trautenaustraße.

252. Kiezspaziergang - Litfaßsäule Trautenaustraße

Bundesallee/Trautenaustraße

Wir treffen hier wieder auf Emil, der ja immer noch dem Mann mit dem steifen Hut folgt, um sein Geld wiederzubekommen:

“Und die Straßenbahn fuhr. Und sie hielt. Und sie fuhr weiter. Emil las den Namen der schönen breiten Straße. Kaiserallee hieß sie. Er fuhr und wusste nicht, wohin (…). In der Trautenaustraße, Ecke Kaiserallee, verließ der Mann im steifen Hut die Straßenbahn. Emil sah’s, nahm Koffer und Blumenstrauß… und kletterte vom Wagen. Der Dieb ging am Vorderwagen vorbei, überquerte die Gleise und steuerte nach der anderen Seite der Straße. Dann fuhr die Bahn weiter, gab den Blick frei, und Emil bemerkte, dass der Mann zunächst unschlüssig stehenblieb und dann die Stufen zu einer Café-Terrasse hinaufschritt. Jetzt hieß es wieder einmal vorsichtig sein. Wie ein Detektiv, der Flöhe fängt. Emil orientierte sich flink, entdeckte an der Ecke einen Zeitungskiosk und lief, so rasch er konnte, dahinter. Das Versteck war ausgezeichnet. Es lag zwischen Kiosk und einer Litfaßsäule. Der Junge stellte sein Gepäck hin, nahm die Mütze ab und witterte.”

Die Litfaßsäule, die auf dem von Walter Trier gestalteten, quietschgelben Original-Buchcover von “Emil und die Detektive” zu sehen ist, steht zwar nicht mehr im Original. Doch am selben Platz an der Ecke Bundesallee (früher Kaiserallee)/Trautenaustraße gibt es nach wie vor eine Plakatsäule.

Während der Mann mit dem steifen Hut im Café Josty (heute Bio-Supermarkt) sitzt und Eier im Glas vertilgt, bekommt Emil nun endlich Unterstützung von Berliner Kindern.

“Plötzlich hupte es dicht hinter Emil! Er sprang erschrocken zu Seite, fuhr herum und sah einen Jungen stehen, der ihn auslachte. “Na Mensch, fall nur nicht gleich vom Stühlchen”, sagte der Junge. “Wer hat denn eben hinter mir gehupt? “fragte Emil. “Na Mensch, ich natürlich. Du bist wohl nicht aus Wilmersdorf, wie? Sonst wüsstest du längst, dass ich ‘ne Hupe in der Hosentasche habe. Ich bin hier nämlich bekannt wie ‘ne Missgeburt. “

Wenn wir nun einmal in die Trautenaustraße sehen, können wir auf den Nikolsburger Platz schauen.

Station 6: Nikolsburger Platz

Die Jungen beschlossen einen „Kriegsrat“ abzuhalten. „Wir gehen zum Nikolsburger Platz“, schlug der Professor vor. Da stehen Bänke in der Anlage und wir können in Ruhe reden“. Zwei mussten an der Litfaßsäule weiter Wache halten, sechs Detektive wurden als Stafetten zwischen Platz und Litfaßsäule aufgestellt, damit Nachrichten schnell ausgetauscht werden konnten.

Der Kriegsrat beschloss, eine Telefonzentrale einzurichten, falls sie sich aus praktischen Gründen trennen müssen und um sich untereinander austauschen zu können. Die Eltern vom kleinen Dienstag hatten ein Telefon.
Krumbiegel musste notieren: Bavaria 0579 und die Nummer auf 20 Zettel schreiben, damit alle Detektive über die Zentrale den neuesten Stand der Dinge erfahren konnten.
Dienstag war zwar nicht begeistert, zu Hause am Telefon zu sitzen, sah aber die Notwendigkeit ein. Außerdem wurde ein Bereitschaftsdienst eingerichtet, der sich am Nikolsburger Platz aufhielt. Im Wechsel konnten von dort die Jungen zwischendurch auch mal nach Hause, um die Eltern zu unterrichten und für Verpflegung zu sorgen.
„Ein paar Butterbrote wären ganz lecker“, meinte Emil, der seinen eigenen Proviant ja schon verspeist hatte. Und eins war auch klar, es konnte noch ein langer Abend werden.

Die Verfolgung des Diebs ging nun im Bezirk Schöneberg weiter – Die Kinder verfolgten den Dieb bis zu seinem Hotel am Nollendorfplatz, bewachten ihn über Nacht und stellten ihn anderntags auf dem Weg zur Bank, dieser versuchte noch zu flüchten, doch die Kinder konnten ihn festhalten bis die Polizei kam. Die Polizeiwache muss ganz in der Nähe gewesen sein, doch Erich Kästner verrät nicht, wo das war. Heute ist der Polizeiabschnitt 41 in der Gothaerstraße für den Nollendorfplatz zuständig.

Der Fall wäre also abgeschlossen und die Geschichte von Emil könnte hier ein Ende finden. Doch Erich Kästner hat sich zum Schluss noch selbst ins Spiel gebracht, denn in seinem Nebenjob war er ja auch Journalist und schrieb für eine Zeitung. Was lag also näher, mit Emil ein Interview zu führen.

Wir gehen nun weiter bis zu unserer letzten Station auf diesem Spaziergang zum Prager Platz:

252. Kiezspaziergang - Bauch Prager Straße

Station 7: Prager Platz 6-10

Kästner mietete sich nach seiner Ankunft als möblierter Herr bei der Witwe Ratkowski ein Zimmer in der Prager Straße 17, hier am Prager Platz, wo er bis 1929 lebte. Wilmersdorf war in dieser Gegend zu einem Teil der neuen City West geworden. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen suchte Kästner nicht die idyllische Ruhe im Grunewald am Rande der Großstadt. Ihn faszinierte das pulsierende Leben der neuen City zwischen Bahnhof Zoo, Kurfürstendamm, Kaiserallee und Nollendorfplatz.

Der City West blieb Kästner übrigens auch treu, als sich nach dem großen Erfolg von “Emil und die Detektive” eine Wohnung im Quergebäude des Wohnhauses an der Roscherstraße 16, unweit des Lehniner Platzes am Kurfürstendamm leisten konnte.

Am 31. August 1929 schreibt er seiner Mutter nach Dresden, dass er eine neue Wohnung in einer “Seitenstraße des Kurfürstendamms” gefunden habe und schickt ihr einen Grundriss.

“Liebes gutes Muttchen!
Na, die kleine Wohnung ist ganz reizend. In einer Seitenstraße vom Kurfürstendamm. Schön ruhig. Alle möglichen Autobusse, Straßenbahnen und Stadtbahnhof Charlottenburg 2 Minuten entfernt. In einem vierstöckigen Gartenhaus. Zu beiden Seiten bisschen was Grünes. Im 4. Stock. Fahrstuhl. Neubau, seit genau einem Jahr bezogen. Die Leute, junges Ehepaar, wollen sich vergrößern. Loben das Haus, die Wohnung etc. sehr. Haben noch 4 Jahre Kontrakt. Den übernehme ich, wenn ich miete. Der Wirt ist eine große Gesellschaft.
Die Wohnung selber: 3 Zimmer, Morgensonne, Balkon, 1 Bad, Klosett, zusammen, 1 Küche. 1 Mädchenkammer, kleine Diele, Speisekammer, zwei eingebaute Schränke. Zentralheizung, Telefon.
Die Zimmer sind nicht sehr groß…
Will Dir mal aufzeichnen, wie die Sache ungefähr im Plan aussieht.”

Kästners Stammcafé in den 30er-Jahren, nach seinem Umzug in die Roscherstraße, wurde das Café Leon am Kurfürstendamm 156. Es gehörte zum Neubau von Erich Mendelssohn neben dem Universum-Kino, der heutigen Schaubühne. Im “Café Leon” pflegte Kästner zu arbeiten, traf er Freunde und Geschäftspartner. Im selben Gebäude befand sich das “Kabarett der Komiker”, für das Kästner Texte schrieb und in dem die Schauspielerin und Sängerin Trude Hesterberg 1932 mit einem Kästner-Programm auftrat.

In der Roscherstraße 16 wohnt Kästner bis zum 15. Februar 1944, als das Haus von einer Fliegerbombe zerstört wird:

“Ein paar Kanister »via airmail« eingeführten Phosphors aufs Dach, und es ging wie das Brezelbacken. Dreitausend Bücher, acht Anzüge, einige Manuskripte, sämtliche Möbel, zwei Schreibmaschinen, Erinnerungen in jeder Größe und mancher Haarfarbe, die Koffer, die Hüte, die Leitzordner, die knochenharte Dauerwurst in der Speisekammer, die Zahnbürste, die Chrysanthemen in der Vase und das Telegramm auf dem Schreibtisch: »ankomme 16. früh anhalter bahnhof bringe weil paketsperre frische wäsche persönlich muttchen«. Wenigstes einer der Schreibmaschinen wollte ich das Leben retten. Leider sausten mir schon im dritten Stock brennende Balken entgegen. Der Klügere gibt nach.”

Kästner zieht zu seiner Lebensgefährtin Luiselotte Enderle in die Sybelstraße. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog Kästner nach München, wo er bis 1948 das Feuilleton der Neuen Zeitung leitete, und war dabei auch als Beobachter Zeuge der Prozesseröffnung der Nürnberger Prozesse.

Kurz vor seinem Tod gab er die Genehmigung, das Erich Kästner Kinderdorf nach ihm zu benennen. Kästner starb am 29. Juli 1974 im Alter von 75 Jahren im Klinikum Neuperlach an Speiseröhrenkrebs und wurde nach seiner Einäscherung auf dem Bogenhausener Friedhof in München beigesetzt.

252. Kiezspaziergang - Gedenktafel Erich Kästner

Gedenktafel für Erich Kästner

Hier an der Prager Straße 6-10 befindet sich die Gedenktafel für Erich Kästner

In dem Haus, das früher hier stand,
lebte von 1927 bis 1929
ERICH KÄSTNER
23.2.1899 – 29.7.1974
Journalist und Schriftsteller, Kinderbuchautor.
Beschreibt in “Emil und die Detektive” (1928)
seine Wohngegend am Prager Platz. 1933 wurden seine
Bücher von den Nationalsozialisten verbrannt.

Wir sind nun am Ende unseres Spaziergangs angekommen.

Hier noch einmal der Hinweis für den nächsten Kiezspaziergang: Den 253. Spaziergang führt meine Kollegin Heike Schmitt-Schmelz am Samstag, 9. März 2024. Wir treffen uns um 14 Uhr am Lotte-Lenya-Bogen an der Kantstraße gegenüber des Theaters des Westens an der Skulptur „Der gestürzte Krieger“. Die Route führt dann bis zur Suarezstraße und wird auf dem Weg immer wieder Frauen vorstellen, die den Bezirk geprägt haben.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende. Bis zum nächsten Mal.

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