237. Kiezspaziergang: Vom Yva-Bogen bis zum Renaissance-Theater: Spuren jüdischen Lebens in der City West mit Bezirksbürgermeisterin Kirstin Bauch

Yva-Bogen

Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen zu unserem 237. Kiezspaziergang. Ich bin Kirstin Bauch, die Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf.

Wie immer im November beschäftigen wir uns mit dem für die City West so prägendem jüdischen Leben. Die Stationen dieses Spaziergangs werden Ihnen zeigen, welche tiefen Spuren jüdische Berlinern und Berliner allein auf unserem kurzen Spaziergang hinterlassen haben. Die Entwicklung der City West, ihr Image, ihre wirtschaftliche Prosperität und die mitreißende Aufbruchsstimmung wären ohne die jüdischen Berliner nicht denkbar gewesen. Wir wollen heute in einem relativ kleinen Bereich einige dieser Menschen würdigen.

Yva-Bogen (Straßenschild)

1. Station: Yva-Bogen

Viele von Ihnen waren vermutlich noch nie in dieser Passage und wenn, dann haben Sie vermutlich gar nicht wahrgenommen wahrgenommen, dass sie überhaupt einen Namen hat.
Die Passage entlang des Stadtbahnviaduktes zwischen Hardenbergstraße und Kantstraße wurde am 1. September 2011 nach einer sehr eindrucksvollen Frau in Yva-Bogen benannt.
Yva wurde als Else Ernestine Neuländer am 26. Januar 1900 in Berlin geboren. Die Tochter eines Kaufmanns und einer Modistin war das jüngste von neun Geschwistern. Nach einer Fotolehre gründete sie schon mit 25 Jahren ihr erstes Fotoatelier in der Berliner Friedrich-Wilhelm-Straße 17 (heute Klingelhöferstraße). Unter dem Künstlernamen Yva wurde sie schnell bekannt. Bald veröffentlichte sie in bedeutenden Printmedien wie der Berliner Illustrierten, großen Verlagen wie dem Ullstein-Verlag und Renommiermagazinen wie Die Dame, Elegante Welt, Querschnitt und UHU. Später gehörten auch Werbefotos für Kleidung und Bademoden und Gebrauchsgrafik zu ihrem Werk. Außerdem porträtierte sie wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Sie nahm an internationalen Ausstellungen wie The modern Spirit in Photography in London oder La beauté de la femme in Paris teil.
1930 zog Yva in ein größeres Atelier in der Bleibtreustraße 17, wo sie vier Jahre arbeitete und lebte. Der Höhepunkt ihrer Karriere begann aber mit dem Umzug in die Schlüterstraße 45, wo sie in der großzügigen vierten und fünften Etage wohnte und arbeitete nahm. Einige von Ihnen kennen das Haus vielleicht noch als Hotel Bogota?
Auf der Treppe zwischen den Etagen und auf dem Dachgarten entstanden viele ihrer berühmten Modefotos. Zeitweise beschäftigte Yva in ihrem Studio bis zu zehn Angestellte. Ab 1936 arbeitete der später weltberühmte Fotograf Helmut Newton bei ihr, zuerst als Lehrling, dann als ihr Assistent. In einem Interview mit dem Zeit-Magazin bezeichnete Newton später die zwei Jahre bei Yva als „die glücklichste Zeit meines Lebens“. Nicht weit von hier in der Jebensstraße befindet sich die Stiftung Helmut Newton in der seit 2004 viele seiner Arbeiten hängen. Newton brachte insbesondere seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die Stiftung im ehemaligen Landwehrkasino – direkt am Bahnhof Zoo gelegen – Platz fand, weil dieses Gebäude eines der letzten gewesen sei, die er bei seiner Flucht aus Berlin 1938 aus dem Zug heraus gesehen habe.

Doch noch einmal zurück zu Yva:

Als der Machtantritt der Nazis erste Schatten auf ihr Wirken warf, heiratete Else Neuländer 1934 den elf Jahre älteren jüdischen Kaufmann Alfred Hermann Simon. Er übernahm die kaufmännische Leitung des Ateliers. Doch der Druck hielt an, verstärkte sich sogar weiter. Um weiteren Schikanen zu entgehen, übertrug Else Simon 1936 ihrer „arischen“ Freundin, der Kunsthistorikerin Charlotte Weidler, den Betrieb. Sie selbst konzentrierte sich ganz auf die Fotografie.
Mit dem Berufsverbot von 1938 sah sich das Ehepaar Simon gezwungen, die gemeinsame Wohnung in der Schlüterstraße 45 aufzugeben. Man zog zunächst in eine kleinere Wohnung in der Düsseldorfer Straße, später in die Bamberger Straße 49, wo die Simons als Untermieter ein möbliertes Zimmer bewohnten. Yva fand als Röntgenassistentin im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße Arbeit; ihr Mann musste als Zwangsarbeiter in Zehlendorf Straßen fegen. In das repräsentative und enteignete Gebäude in der Schlüterstraße zog die Reichskulturkammer der Nazis.
Am 1. Juni 1942 wurden Else und Alfred Simon von der Gestapo verhaftet. Knapp 14 Tage später, am 13. Juni 1942, verschleppten die Nazis die beiden in den Deportationszug, der unter der Bezeichnung „15. Osttransport“ das Vernichtungslager Sobibór zum Ziel hatte. Das Bundesarchiv nennt für beide als Deportationsziel Sobibór; im jüdischen Zentralregister Yad Vashem ist für Alfred Simon Majdanek als Ort der Ermordung verzeichnet. Es ist davon auszugehen, dass sowohl Else wie auch Alfred Simon zeitnah zu ihrer Deportation ermordet wurden. Offiziell wurden sie am 31. Dezember 1944 für tot erklärt.
Offenbar hatte das Ehepaar noch kurz vor seiner Deportation versucht, Deutschland zu verlassen. So waren 34 Kisten „größtenteils mit photographischen Atelier-Einrichtungsgegenständen der Firma Yva-Fotografie“, wie es in einem Vermerk der Oberfinanzdirektion Berlin-Brandenburg heißt, im Hamburger Freihafen zur Auswanderung eingelagert. 21 dieser Kisten wurden bei einem Bombenangriff zerstört, die restlichen 13 versteigert. Später stritten sich die Oberfinanzdirektion und die „Transoceanic-Speditions-Gesellschaft“, wer die Kosten für die Lagerung in Höhe von 2000 Reichsmark zu tragen habe.

Vagantenbühne_261022

Vagantenbühne.

2. Station: Eingang der Vaganten-Bühne

Vom Yva-Bogen gehen wir am Theater des Westens vorbei zum Eingang der Vaganten-Bühne. Dort hängt eine Tafel, die an die Kabaretts von Trude Hesterberg und Friedrich Hollaender erinnert:

Wilde Bühne (1921, Trude Hesterberg)
Eine lange vergessene Tradition des Hauses wurde am 25. Oktober 2011 durch die Enthüllung einer Gedenktafel neben dem Durchgang zur kleinen Vaganten-Bühne sichtbar: Sie erinnert an die Wilde Bühne der Schauspielerin Trude Hesterberg, die von 1921 bis 1923 im Souterrain des großen Theaters des Westens existierte. Der Name war Programm. In ihren Erinnerungen schreibt Trude Hesterberg:

„Die Wilde Bühne war einesteils das Podium, auf dem wir alles, was uns an der aufgedonnerten Raffkezeit nicht passte, zur Sprache brachten, und gleichzeitig war sie auch die frechste Plattform für scharfe Zeitkritik.”

Walter Mehring, Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Klabund und Erich Kästner lieferten die Texte, die an einem „Konferenztisch“ im nahen Szenelokal Schwannecke in der Rankestraße 4 diskutiert und zu Programmen zusammengestellt wurden. Für das am 11. September 1921 eröffnete Kabarett-Theater mit 175 Plätzen komponierten Werner Richard Heymann, Friedrich Hoellaender und Mischa Spoliansky die Musik.

Am 23. Dezember 1921 notierte Berthold Brecht in sein Tagebuch:

„Zarek schleppt mich zur Hesterberg, und ich schließe ab für sechs Tage (500 Mark). Ich singe auf der ,Wilden Bühne‘ Soldatenballaden.”

Ob jedoch alle sechs Auftritte im Januar 1922 stattgefunden haben, ist fraglich. Gleich die erste Vorstellung musste abgebrochen werden. Trude Hesterbergs Kabarett war noch jung und hatte sich noch keinen Ruf erarbeitet. Zu Brechts Auftritt kamen vergnügungshungrige Touristen aus der Provinz, die sich unter Soldatenballaden etwas Anderes vorstellten als Brechts „Legende vom toten Soldaten“, der kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges ausgegraben und zurück ins Feld geschickt wird.

Trude Hesterberg berichtet:

“Als Brecht damit anhob, ging der Tumult los. Ich musste notgedrungen den Vorhang fallen lassen, um dem Radau ein Ende zu machen, und Walter Mehring ging vor den Vorgang und sagte jene bedeutsamen Worte: ,Meine Damen, meine Herren, das war eine große Blamage, aber nicht für den Dichter, sondern für Sie! Und Sie werden sich noch eines Tages rühmen, dass Sie dabei gewesen sind.”

Im Oktober 1923 brannte die Wilde Bühne aus. Um weiterzumachen, fehlte Trude Hesterberg auf dem Höhepunkt der Inflation das Geld.

Tingel-Tangel-Theater
Mit den Einnahmen aus der Filmmusik zu „Der blaue Engel“ eröffnete Friedrich Hollaender 1931 im Theater des Westens sein eigenes Kabarett, das „Tingel-Tangel-Theater“. Die Räumlichkeiten der „Wilden Bühne“ erschienen ihm zu klein; es wurde ein Durchbruch zum „Parzival-Zimmer“ des Theaters gemacht. Die Programme waren Kommentare zur politischen Lage – Hitler erschien als Spukfigur auf der Bühne und mit der Parodie “An allem sind die Juden schuld” spiegelte Hollaender, selbst jüdischer Herkunft, den grassierenden Antisemitismus.

Hier eine Aufnahme mit Annemarie Hase: https://youtu.be/EhKtQASpbY0

Das letzte Programm hieß „Höchste Eisenbahn“, die Reise ging nach „Nazedonien“; Aufführungen wurden durch randalierende SA-Leute gestört. Hollaender floh nach dem Reichstagbrand im Februar 1933 ins Ausland. Seine Ex-Ehefrau Blandine Ebinger und ab 1935 Trude Kolman führten das Kabarett weiter. Am 10. Mai 1935 wurde es geschlossen, die Kabarettisten Walter Gross, Günther Lüders und Walter Lieck, die zum Tingel-Tangel-Team gehörten, wurden ins KZ Esterwegen gebracht.

Ronald Golz vor der Synagoge an der Fasanenstraße.

Ronald Golz vor der Synagoge an der Fasanenstraße.

3. Station: Familiengeschichte Ronald Golz

Ronald Golz erzählt vor der Synagoge an der Fasanenstraße die Geschichte seiner Familie:

“Die Geschichte der Goldlust Familie spielte und spielt sich immer noch in Charlottenburg und Wilmersdorf ab.
Mein Vater wurde 1902 in der Goethestraße 8 geboren, wo seine Eltern, meine Großeltern, Rosa und Josef Goldlust lebten.
Später zogen die Großeltern mit ihren drei Kindern an die Emserstr. 1 in Wilmersdorf.
In den 20er-Jahren war mein Vater Eigentümer der Literarischen Welt, zusammen mit Willy Haas. Zur damaligen Zeit lebte mein Vater am Olivaerplatz.
Zu dieser Zeit änderte er seinen Namen von Goldlust zu Golz, da Goldlust ein antisemitischer Name ist, den meine Vorfahren im 18. Jahrhundert in Tarnow, Galizien zwangsweise bekamen.
Als er 1929 heiratete, zog er in die Osnabrückerstr. 8 (heute Bielefelderstraße) auch in Wilmersdorf.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Januar 1933, wurde schon in Juni 1933 Die Literarische Welt verboten.
Mein Vater zog im Juli 1933 nach Prag. 1936 folgten ihm seine Großeltern und seine Schwester Ilse nach Prag.
Am 15. März 1939 marschierte die Wehrmacht in Prag ein. Mein Vater floh über Nacht nach Polen und weiter mit dem Schiff nach England.
Seine Großeltern und seine Schwester blieben in Prag zurück. Mit dem Beginn der antijüdischen Maßnahmen in der okkupierten Tschechoslowakei war mein Großvater, Josef Golddlust verzweifelt.
Am 13. August 1939 ging er frühmorgens in das Hotel Merkur am Prager Hauptbahnhof und beging Selbstmord.
Meine Großmutter Rosa wurde in Juni 1942 von Prag in das Ghetto Theresienstadt deportiert und von dort am 22. Oktober 1942 mit der Eisenbahn nach Treblinka gebracht, wo sie ermordet wurde.
Ilse Goldlust wurde am 3. November 1941 von Prag in das Ghetto Lodz deportiert und von dort am 19. Mai 1942 weiter nach Kulmhof verbracht, wo sie in einem Vergasungswagen ermordet wurde.
Ich bin am 7. Juli 1947 als Sohn meines Vaters und seiner zweiten Ehefrau in London geboren.
Ich kam 1971 nach West-Berlin und lebte in der Pragerstr. 5 in Wilmersdorf, dann in der Augsburgerstraße, danach in der Suarezstraße und schließlich in der Wilhelmsaue, wo ich heute noch wohne.”

Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Steinplatz

Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Steinplatz

4. Station: Steinplatz Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus

An der nordwestlichen Platzecke errichtete man 1951 einen Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus, 1953 kam ein Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus an der südöstlichen Ecke hinzu. Das Denkmal wurde aus Muschelquadersteine der während der Pogromnacht vom 9. November 1938 verwüsteten Fasanenstraßen-Synagoge erbaut. Es war das früheste West-Berliner Denkmal für NS-Opfer. Die Einweihung ging aber nicht auf die Stadt Berlin zurück, sondern auf eine Initiative von Betroffenen selbst, auf den Bund der Verfolgten des Naziregimes (BVN). Auch die Finanzierung wurde allein durch Spenden von BVN-Mitgliedern getragen. Dies kann als bezeichnend für das durch Verdrängung und Beschweigen der NS-Zeit geprägte Nachkriegsklima in Deutschland angesehen werden. Die Aufstellung des Gedenksteins war ursprünglich am so genannten “Knie”, dem heutigen Ernst-Reuter-Platz, angedacht worden. Nach Verhandlungen wurde sich jedoch auf den unweit des ursprünglich angedachten Ortes liegenden und als Teil der City-West ebenfalls viel frequentierten Steinplatz an der Hardenbergstraße geeinigt.

Das Mahnmal trägt heute noch die Inschrift:
„1933–1945 / Den Opfern / des / Nationalsozialismus.“

Das Dreiecksemblem unter dem Kürzel „KZ“ wiederum verweist auf den Winkel, den alle KZ-Häftlinge zur Kennzeichnung ihres von den Nationalsozialisten definierten Haft- und Leidensgrundes zu tragen hatten. Im Laufe der Jahre kam es immer wieder zu Sachbeschädigungen am Gedenkstein. So mussten beispielsweise im Jahr 1974 mehr als 7500 Mark für die Wiederherstellung des beschädigten Denkmals aufgebracht werden.

Wir treffen uns in der Mitte des Platzes wieder, von dort kann man gut über den Platz erzählen und hat eine gute Sicht auf das Hotel.

Der Steinplatz von oben.

Der Steinplatz von oben.

5. Station: Mitten auf dem Steinplatz

Im Steinplatz-Quartier zu beiden Seiten der Hardenbergstraße hat das Bezirksamt erfolgreich die Vernetzung der wesentlichen Akteure angestoßen, um nicht zuletzt gemeinsame, auch nach außen sichtbare Aktivitäten zu ermöglichen – von ansässigen Unternehmen (Hotels, Kinos, Theater, Galerien, Buchhandlungen, Cafés) über Interessensvereinigungen (IHK Berlin und AG City) bis hin zu Bildungseinrichtungen (Berliner Landeszentrale für politische Bildung) und den beiden großen Universitäten (TU Berlin, UdK Berlin). Grund: Das Areal versammelt zwar eine Vielzahl vor allem kultureller und bildungsorientierter Angebote, bleibt aber ein vergleichsweise unterbelichteter Teilraum der City West. Die touristische Wahrnehmung und Aufenthaltsdauer sind vergleichsweise gering. Notwendig war und ist ein Standortmarketing, d. h. die forcierte Herausarbeitung der Einzigartigkeit des Quartiers als Kultur- und Wissenschaftsstandort. Ziel des Bezirksamts ist es daher, eine Profil- und Markenbildung einzuleiten, die die Besucher- und Kundenfrequenz steigert und den Standort insgesamt stärkt.

Voraussetzung hierfür war die Entwicklung eines Akteursnetzwerks für die zunehmende Nutzung nachbarschaftlicher, auch branchenübergreifender Synergiepotenziale. Ausdruck dieser Vernetzung waren und sind Kooperationsprojekte oder auch die Einbindung der Akteure in bezirkliche Aktionstage, Veranstaltungen und Ausstellungen auf dem Steinplatz, die gesellschaftspolitischen Debatten einen Raum bieten und zugleich die Vielfältigkeit der lokalen Angebote widerspiegeln, indem sie den Unternehmen und Einrichtungen Gelegenheit geben, sich z. B. mit Stand oder auch inhaltlich einzubringen und zu präsentieren. Der Bezirk setzt in diesem Kontext nicht zuletzt auf die Etablierung und Fortführung eigener Veranstaltungsreihen wie dem Open-Air-Sommerkino zu Nachhaltigkeitsthemen im Juli, dem World-Cleanup-Day im September oder Mobilitätstag, die den Platz für die Akteure selbst wie für Besucherinnen und Besucher zu einem zunehmend auch stadtweit bekannten Identifikations- und Erlebnisort werden lassen.

Das Akteursnetzwerk bildet zugleich die inhaltliche Basis für das ab 2024 vorgesehene digitale Informationssystem im Yva-Bogen, das als eine Art moderne Litfaßsäule über die vielfältigen aktuellen Angebote im Quartier informieren und die Besucherströme dahin leiten soll.

4.2. Hotel am Steinplatz 4

Das heutige Gebäude des Hotels am Steinplatz 4 wurde 1906/1907 nach Entwürfen von August Endell durch den Architekten und Bauherrn Hermann Lau als Wohnkomplex errichtet. Lau blieb Eigentümer bis zum Verkauf 1913. Die Raumhöhe betrug in allen Etagen 4,20 Meter, weil Endell vermeiden wollte, dass es nur eine Beletage und darunter und darüber bescheidenere Stockwerke gab.

1908 bis zum 1. April 1910 wohnt am Steinplatz 4 der Königliche Polizeipräsident von Charlottenburg, Günther von Herzberg (1855-Berlin-1937), dann zieht er ins Präsidium an den Sophie-Charlotte-Platz um.

1908 gab es unter der Adresse Steinplatz 4 auch schon eine Pension Steinplatz

1913 erwarb der aus Czernowitz stammende Kaufmann und Privatbankier Max Zellermayer (1863-1933) das Haus, wandelte es zu einer Hotel-Pension und fand in dem bekannten Dresdner Hotelier Rudolf Sendig einen Pächter. Sendig schloss den Pachtvertrag nicht für sich, sondern für seinen Sohn, der allerdings 1915 im Ersten Weltkrieg fiel. Der Vater bat daraufhin, den Vertrag aufzulösen. Zellermayer wollte zunächst einen neuen Pächter suchen, beschloss dann allerdings, selbst den Betrieb zu übernehmen. Das oft genannte Gründungsjahr 1916 bezeichnet daher den Beginn der Leitung des Hotels durch die Familie Zellermayer.

Da seine Mutter Jüdin war, wurde er im Oktober 1933 zur Gestapo geladen, wo er mitgeteilt bekam, dass er als Jude keine Pension mehr führen, seinen Lebensmittelgroßhandel und auch seine Privatbank nicht mehr behalten dürfe. Er starb kurze Zeit später an einem Hirnschlag. Seine drei Kinder wurden protestantisch getauft und alle in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eingesegnet. Die erst 36-jährige Ehefrau Erna Zellermayer übernahm das Hotel.

Yehudi Menuhin (1916-1999), das Wunderkind, blieb mit seinem Vater und seinem Lehrer längere Zeit im Hotel am Steinplatz wohnen und spielte mit den Zellermayer-Kindern PingPong. Im Januar 1929 bekam er von einem Mäzen die Stradivari „Khevenhüller“ im Wert von 60.000 Dollar geschenkt. Mit dieser gab er am 12. April 1929 sein Debüt in Berlin. Er spielte mit den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Bruno Walter.

Bruno Walter schreibt über das Wunderkind:

„Er war ein Kind und dennoch schon ein Mann und ein großer Künstler.”

Albert Einstein saß im Publikum und sagte Menuhin nach dem Konzert:

“Mein lieber Yehudi, in dieser Nacht hast Du mich die erste neue Lektion seit vielen Jahren gelehrt. Ich habe eine neue Entdeckung gemacht. Ich habe gesehen, dass die Tage der Wunder noch nicht vorbei sind. Unser guter alter Jehova macht immer noch seinen Job.”

Ins Gästebuch schrieb der gebürtige New Yorker am 28. April 1929: I feel very much at home in „Pension Steinplatz“. Nach dem Zweiten Weltkrieg auf Deutsch: Nach 32 Jahren noch immer zuhause im Hotel Steinplatz – Yehudi Menuhin 1961

Max Zellermayers Tochter Ilse Eliza Zellermayer berichtet in ihrem Buch: Mein Jahrhundert im Hotel:

“1940 wurde das Hotel Steinplatz von der Kriegsmarine beschlagnahmt. Großadmiral Raeder und später Dönitz übernahmen das Kommando über die U-Boot-Kriegsmarine, die während des Krieges vom Steinplatz aus geleitet wurde. Die Wände wurden eingerissen und die Nachbarvilla mit einbezogen. Dort fanden die Lagebesprechungen statt.
Mama, Anna und ich durften in der Wohnung bleiben, aber es war uns nicht mehr erlaubt, Besuch zu empfangen. Das Haus war total abgeschirmt. Am Telefon gab der diensthabende Matrose, je nachdem ob wir zu Hause waren oder nicht, die Auskunft: „Die Damen sind an Land“ oder „Die Damen sind an Bord“. … Nach vier Jahren gab die Kriegsmarine Ende 1944 das Haus an uns zurück. Aber die Funktion des Gebäudes als U-Boot-Kommandantur sollte noch ein übles Nachspiel haben.
Als die Russen erfuhren, das sich hier das Oberkommando der U-Boot-Kriegsmarine befunden hatte, schichteten sie herumliegende Munition im Innenhof auf und warfen dann einige Granaten darauf. Das Dach, die Zwischenwände und die Türen im Haus wurden restlos zerstört. Das Ganze bot einen bedauernswerten Anblick.”

Wiederaufbau nach Weltkriegszerstörung: Die Wiederherstellung des Gebäudes erfolgte als Deal mit Besatzungsmacht, da Unterkünfte für Familien notwendig wurden, die aus Westend kommend ihre Häuser für die Briten räumen mussten (vor allem was Bezug von Baumaterialien betraf), teils zogen Geschäfte ein. Es konnten nach deren aller Auszug wieder 120 Hotelzimmer eingerichtet werden. Viele Künstler:innen bevorzugen das Hotel Steinplatz, wenn sie zu Vorstellungen und Konzerten in West-Berlin weilen.

4.3. Am Steinplatz 2 hat Arnold Schönberg das erste große Orchesterwerk in seiner Zwölftontechnik komponiert:

1925 berief der preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker auf Vorschlag des Musikreferenten im preußischen Kultusministeriums Leo Kestenberg als Arnold Schönberg Nachfolger Ferruccio Busonis an die Preußische Akademie der Künste, wo er als Beamter mit der Dienstbezeichnung Professor einen Meisterkurs für Komposition übernahm. Mit der Berufung hatte Schönberg gleichzeitig die preußische Staatsangehörigkeit erworben.
Schönberg wohnte in der Pension „Bavaria“ am Steinplatz, sein Schüler Hanns Eisler kommt mit ihm aus Wien nach Berlin und wohnt in der Grolmanstraße. Eisler kritisierte allerdings die Inhalte, die Schönberg mit Stücken wie dem „Pierrot Lunaire“ transportiert und parodiert die Zwölftontechnik, indem er – in der Besetzung des „Pierrot“ – Palmström-Texte von Morgenstern vertont. Im März 1926 kommt es zum Bruch mit Schönberg. Eisler vertont Zeitungausschnitte.
Die Professur an der Akademie wurde Schönberg aus rassistischen Gründen durch die NS-Gesetzgebung im September 1933 entzogen.

Schönberg schreibt an die Preußische Akademie der Künste am 20. März 1933:

In der Sitzung vom 18. III. der Akademie wurden Formulierungen bekanntgegeben, aus welchen entnehmbar wurde, dass mein Verbleiben in leitender Stelle nunmehr unerwünscht sei. Stolz, und das Bewusstsein meiner Leistung hätten mich längst zu freiwilligem Rücktritt bewogen. […] Wer mein Schüler war, hat den Ernst und die Sittlichkeit einer Kunstauffassung zu spüren bekommen, die ihm in allen Lebensverhältnissen, wenn er sie zu bewahren vermag, Ehre bereiten wird!

Nachdem ihm sein Schwager, der Violoinist Rudolf Kolisch, telegrafisch “Luftveränderung” empfiehlt, flieht Schönberg in der Nacht zum 17. Mai 1933 überstürzt aus Deutschland nach Paris, wo er sich am 24. Juli 1933 – in Anwesenheit des Malers Marc Chagall – dem jüdischen Glauben wieder anschließt, den er 1898 aufgegeben hatte, um sich evangelisch taufen zu lassen.

Wir treffen uns an der Hausnummer Steinplatz 3

Gedenktafel für Bernhard Weiß, 23.4.2011, Foto: KHMM

Gedenktafel für Bernhard Weiß.

6. Station: Am Steinplatz 3 hängt eine Gedenktafel für Bernhard Weiß, Berliner Polizeipräsident von 1927 bis 1933:

Nach dem Abitur studierte Bernhard Weiß Rechtswissenschaften in Berlin, München, Freiburg und Würzburg und schloss das Studium mit der Promotion ab. 1904/1905 absolvierte er eine militärische Ausbildung zum Reserveoffizier. Im Ersten Weltkrieg stieg er zum Rittmeister auf und wurde mit dem Eisernen Kreuz zweiter und erster Klasse ausgezeichnet. Im Sommer 1918 wurde er als Stellvertretender Leiter der Kriminalpolizei in Berlin in den Polizeidienst aufgenommen, 1925 wurde er Chef der Kriminalpolizei und 1927 Vizepolizeipräsident. Von 1919 bis 1924 leitete er die berühmte Abteilung IA, die Politische Polizei.
Weiß war Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei der Weimarer Republik und griff als Beamter systematisch gegen Rechtsbrüche durch. Er wurde Opfer regelmäßiger Diffamierungskampagnen der aufkommenden NSDAP unter dem Berliner Gauleiter Joseph Goebbels, der Weiß wegen seiner jüdischen Herkunft stets als „Isidor Weiß“ bezeichnete. Besonders in Goebbels Hetzpostille „Der Angriff“ war Weiß ständig Gegenstand antisemitisch motivierter Diffamierungen in Texten und Karikaturen. Keine Ausgabe des Blattes ohne antisemitische Isidor-Karikaturen, die im „Buch Isidor“ gesammelt und unter die Leute gebracht wurden. Keine Parteiversammlung ohne die symbolische Verbrennung einer „Isidor-Puppe“, keine Rede ohne die übelsten Beschimpfungen.
Gegen Goebbels führte Weiß mehr als 60 Prozesse – die meisten von ihnen verliefen erfolgreich. Als Vizepolizeipräsident bekämpfte Weiß die Pöbeltruppen der SA und gleichermaßen die Kampfformationen der Kommunisten, die der Weimarer Republik ebenfalls feindselig gegenüberstanden.
In der Berliner Bevölkerung und in der Polizei war Weiß sehr populär und geachtet. Liebevoll-despektierlich nannte sie ihn „Vi Po Prä“.
1932 verlor Weiß sein Amt. Er lebte bis zum März 1933 in Berlin. Als die Nazis ein Kopfgeld auf ihn aussetzten, ermöglichten ihm Kollegen die Flucht. Weiß floh 1933 über Prag nach London, wo er 1951 kurz nach der Wiedererlangung seiner deutschen Staatsbürgerschaft starb.

Renaissance-THeater2022

Renaissance-Theater.

7. Station: Renaissance-Theater

Das Renaissance-Theater ist das einzige vollständig erhaltene Art-Déco-Theater Europas. Es steht unter Denkmalschutz.
Errichtet wurde das Gebäude 1902 von Konrad Reimer und Friedrich Körte als Korporationshaus für den 1847 gegründeten Akademischen Verein Motiv, einem Zusammenschluss von Architekten und Bauingenieuren der benachbarten Technischen Hochschule. Seit 1919 beherbergte das Gebäude ein Kino. Am 18. Oktober 1922 eröffnete Theodor Tagger darin das Theater für junge Dramatik mit Gotthold Ephraim Lessings Stück Miss Sara Sampson.
Alfred Döblin schwärmt darüber im Prager Tageblatt am 3. November 1922:
“Die schönste Aufführung, die ich lange in Berlin sah, in dem neuen Renaissance-Theater. Ein vorzügliches, wirkliches Ensemble trug das Stück vor dem mitgenommenen, nicht großen Publikum über die neue Bühne (…) Man spiele das Stück an vielen Orten.”
Tagger engagierte 1925 die in Berlin damals noch wenig bekannte Schauspielerin Helene Weigel und gab ihr mit der Rolle der Klara in Hebbels „Maria Magdalena“ die Chance, ihr Talent zu beweisen. Brecht arbeitete zu Hause mit Helene Weigel an der Rolle. Die Premiere am 8. Dezember 1925 im Renaissance-Theater war ein riesiger Erfolg und der Durchbruch für Weigel als Schauspielerin in der Hauptstadt. Helene Weigel hat dazu folgende Geschichte überliefert: Von Brecht hatte Weigel zuvor ein uneheliches Kind bekommen, dies hatte sie ihrer Familie in Wien verheimlicht. Als ihr Vater sich zu Besuch anmeldete, um sie im Renaissance-Theater spielen zu sehen, fürchtete sie, er werde durch Tratsch im Theaterraum davon erfahren. Sie kaufte alle Zuschauerplätze um den Vater herum auf und besetzte sie mit Bekannten, um ihn abzuschirmen. Erst Jahre später, als Brecht sie heiratete, hat sie ihrem Vater seinen Enkel eingestanden.
Friedrich Hollaender, über den wir ja bereits im Theater des Westens etwas gehört haben, entwickelte am Haus das neue Format der Kabarett-Revue. 1926/1927 erfolgte ein dank der finanziellen Unterstützung des jüdischen Mäzens und Unternehmers Jakob Michael ein Teilumbau des Renaissance-Theaters durch den Architekten Oskar Kaufmann im Art-déco-Stil. Der Maler und Bühnenbildner César Klein steuerte einzigartige Intarsienwandbilder mit Theatermotiven für den Zuschauerraum bei. In der Inszenierung von Shaws „Haus Herzenstod“, mit der Tagger das Haus am 8. Januar 1927 wiedereröffnete, spielte auch Helene Weigel wieder mit. Noch im selben Jahr gibt Tagger die Leitung des Hauses an Gustav Hartung ab.
1936-1938 wurde aus dem Gebäude ein Verwaltungsgebäude der Reichsschrifttumskammer. Erst in den 1950er-Jahren wurde es wieder zum Theater zurückgebaut, was es bis heute ist.
Nachdem die Deutsche Stiftung Denkmalschutz bereits 2005 zur Erhaltung des Renaissance-Theaters beigetragen hatte, fand am 30. April 2006 eine Benefiz-Matinee zur Erhaltung des Baudenkmals Renaissance-Theater statt, bei der insbesondere auch Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot, auftrat.

Liebe Kiezspaziergänger,
ich hoffe, Sie konnten nur an diesem kleinen Ausschnitt der City West sehen, welche Bedeutung jüdische Berliner für das kulturelle Leben der Stadt und vor allem auch für Charlottenburg hatten.
Den nächsten Kiezspaziergang im Dezember wird mein Kollege Arne Herz führen. Er startet am 10. Dezember um 14 Uhr vor der Ludwigskirche am Ludwigkirchplatz in Wilmersdorf. Den Kiezspaziergang im Januar müssen wir aus organisatorischen Gründen leider ausfallen lassen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich am Samstag, 11. Februar, wieder begleiten würden. Über den Treffpunkt werden wir Sie wieder rechtzeitig informieren.
Ich wünsche Ihnen heute schon alles Gute für den Rest des Jahres, bleiben Sie gesund und kommen Sie gut ins Neue Jahr.

Weitere Einblicke

  • Am Yva-Bogen
  • Jüdische Synagoge
  • Renaissancetheater innen
  • Renaissancetheater innen2
  • Renaissancetheater innen 3
  • Renaissancetheater innen 4