Hier stand früher die Villa Waldfrieden, in der von 1898 bis 1900 der Dichter Rainer Maria Rilke lebte und die Erzählung „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ geschrieben haben soll. Heute steht hier ein vierstöckiges Mehrfamilienhaus mit Balkonen zur Straßenfront.
Die Gedenktafel erinnert an Rainer Maria Rilke, den wir vermutlich alle kennen, nicht aber an seine Muse, die Schriftstellerin und spätere Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé. Das ist schade, denn sie war eine bemerkenswerte Frau.
Louise von Salomé wurde 1861 in St. Petersburg geboren. In der streng protestantischen Familie wurde viel Wert auf Bildung und Kultur gelegt. Sie sprach Deutsch, Französisch und Russisch.
1878 zogen Lou von Salomé und ihre Mutter nach Zürich. Der Vater war im gleichen Jahr gestorben. Die Universität in Zürich ließ bereits damals Frauen zum Studium zu. Lou besuch-te als Gasthörerin Vorlesungen in Philosophie und Theologie. Aus gesundheitlichen Gründen zogen Mutter und Tochter vier Jahre später nach Rom. Dort lernte sie den Philosophen Paul Rée und wenig später seinen Freund Friedrich Nietzsche kennen. Beide wollten Lou heiraten – doch sie wies beide zurück.
Lou heiratete schließlich den Orientalisten Friedrich Carl Andreas, der sich bei seinem Antrag ein Taschenmesser in die Brust gerammt und sie so unter Druck gesetzt haben soll. Das Ehepaar zog 1892 nach Schmargendorf, das damals noch außerhalb Berlins lag. Bei einem Aufenthalt in München 1897 lernte Lou Rainer Maria Rilke kennen. Auch er verliebte sich in die 15 Jahre ältere Frau und folgte ihr nach Berlin. Sie war die Muse des Dichters, korrigierte seine, wie sie fand, zu schwülstige Ausdrucksweise und führte ihn in die Gedankenwelt Nietzsches ein. Nachdem sich der labile Rilke mehr und mehr an die Beziehung und Lou klammerte, trennte sich Lou von ihm mit einem Abschiedsbrief. Die Beziehung machte einer tiefen Freundschaft Platz. Rilke widmete Lou ein Gedicht:
„Warst mir die mütterlichste der Frauen,
ein Freund warst Du, wie Männer sind,
ein Weib, so warst Du anzuschauen,
und öfter noch warst Du ein Kind.
Du warst das Zarteste, das mir begegnet,
das Härteste warst Du, damit ich rang.
Du warst das Hohe, das mich gesegnet –
und wurdest der Abgrund, der mich verschlang“.
1903 zog das Ehepaar Andreas-Salomé nach Westend und schon bald darauf nach Göttingen, wo Friedrich Carl Andreas einer Berufung zum Professor folgte. 1911 lernte Lou Sig-mund Freud kennen und wurde zu seiner Schülerin. Sie eröff-nete ihre eigene Praxis und widmete sich bis 1935 der Psychoanalyse. 1937 später starb Lou in Göttingen. Ihr Werk blieb weitgehend unbeachtet, dabei war sie mit Romanen, Erzählungen, Theaterkritiken und vielen weiteren Veröffentlichungen eine renommierte Autorin. Ihre Biografie war 1981 Thema einer Oper und wurde 2016 verfilmt.
Wir überqueren die Warnemünder Straße und folgen der Breiten Straße, in der es noch viele familiengeführte Einzelhandelsgeschäfte gibt. Leider hat die traditionsreiche Buchhandlung Utermarck hier an der Breite Straße im Februar 2021 nach 101 Jahren schließen müssen.
Wir passieren die Geschäftspassage an der Breiten Straße und treffen uns wieder vor der Schmargendorfer Buchhandlung, die es glücklicher Weise noch gibt.