Tafeltext:
Von der nationalsozialistischen Propaganda wurde die moderne Architektur, wie die Siedlung Siemensstadt mit ihrem Zeilenbau und den flachen Dächern, abgelehnt, ihre Architekten verunglimpft, mit Bauverbot belegt oder wie Walter Gropius und Fred Forbat in die Emigration getrieben. Allerdings war der Umgang mit Siemensstadt zunächst widersprüchlich: Erst wenige Jahre alt, verbot sich ein sofortiger Abriss der Siedlung. Auch bauliche Veränderungen wurden nicht vorgenommen, man versuchte lediglich mit schnell wachsenden Pyramidenpappeln die Bauten im Stadtbild unsichtbar zu machen.
Fred Forbat hatte östlich der Siedlung am Goebelplatz eine umfangreiche Erweiterung mit einem Einkaufszentrum geplant, die nun nicht mehr ausgeführt werden konnte. Paul Rudolf Henning konnte dagegen in den Jahren 1933/34 seine Zeilenbebauung um zwei spiegelbildlich angeordnete Blöcke ergänzen, die zwar noch mit dem von den Nationalsozialisten abgelehnten Flachdach, aber ohne Balkons ausgeführt wurden.
Zur selben Zeit entstand an der Westseite des Geißlerpfades gegenüber Forbats Bebauung eine weitere, nord-süd-ausgerichtete Flachdachzeile, die sich in Details an seinen Bauten orientierte. 1936 folgte östlich davon eine von dem Hausarchitekten der Siemenswerke, Hans Hertlein entworfene Wohnanlage, die sich mit ihren steilen Dächern und breiten Hauskörpern von der Zeilenbebauung der Großsiedlung absetzt.
Erst die Planungen von Hitlers Leibarchitekten Albert Speer für die Umgestaltung Berlins zur Welthauptstadt “Germania” ließen die Siedlung als Störfaktor erscheinen. Im gigantischen neuen Siedlungsgebiet Charlottenburg-Nord sollte die moderne Großsiedlung hinter Monumentalbauten versteckt werden. Ausgeführt wurde zunächst nur die so genannte Heimstatt Jungfernheide, ein Altersheim. Bei Kriegsende standen am Goebelplatz einige Bauruinen verloren neben Flakstellungen.
Nach schwersten Kriegszerstörungen gelingt es dem in der Siedlung wohnenden Scharoun deshalb zunächst nicht, einen vereinfachenden Wiederaufbau seiner Bauten durch die Bauverwaltung zu verhindern. Die ablehnende Haltung gegenüber der Moderne prägte zunächst auch die Nachkriegszeit, saßen 1945 in der Bauverwaltung doch noch viele ehemalige Speer-Mitarbeiter. Auf Grund seiner Proteste wurde Scharoun dann immerhin mit dem Wideraufbau der restlichen Siedlungsteile betraut, u. a. erweiterte er den “Langen Jammer” Bartnings nach Osten um ein Laubenganghaus.
Seine Beauftragung mit dem südlich der Goebel- und Toeplerstraße an die existierende Bebauung anschließenden Siedlungskomplex Charlottenburg-Nord führte dann wiederum zu schweren Auseinandersetzungen mit der Bauverwaltung, an deren Ende ein Kompromiss stand: Scharoun konnte den Abriss der Bauruine an der Ecke Heilmannring/Goebelstraße durchsetzen, musste aber der Nutzung der bereits verlegten Strom-, Wasser- und Gasversorgungssysteme zustimmen. Dadurch war der Verlauf der Straßenführung weitgehend vorbestimmt und ließ wenig Raum für Scharouns visionäre Architekturplanungen.