Tafeltext:
Walter Gropius
Die Siemensstädter Wohnblocks des Bauhausgründers Walter Gropius gehören zu den wenigen wirklich modernen Mietwohnungsbauten Deutschlands. Besonders die lang gestreckte viergeschossige Zeile entlang des Jungfernheidewegs besticht durch ihre klare, einfache Form. Gleichformatige Fenster – optisch durch dunkle Klinkerverblendungen zusammengefasst – gliedern die Straßenfassade in horizontale Bänder. Die verglasten, leicht zurückspringenden Treppenhäuser ragen über die flachen Dächer hinaus und setzen so vertikale Akzente.
An der Gartenseite treten paarweise angeordnete verglaste Loggien als breite Fensterflächen aus der Wandebene. Hier finden sich die größten Wohnungen des I. Siedlungsabschnittes. Für eine sechsköpfige Familie gedacht, bot die Aufteilung ohne Durchgangszimmer zusätzlich die Möglichkeit, die damals noch oft notwendige Untervermietung einzelner Räume zu ermöglichen. Wohnzimmer liegen nach Westen, die Schlafzimmer möglichst nach Osten. Besonders innovativ war die Ecklösung zur Goebelstraße: Um die äußerst ungünstige Belichtungssituation zu vermeiden, die sich an den Blockecken fast immer ergibt, sah Gropius hier einen eingeschossigen Laden vor, der gleichzeitig als Bindeglied zu seinem Laubenganghaus in der Goebelstraße fungiert. Solche Ecklösungen sind vor allem beim Wideraufbau der Nachkriegszeit in ganz Deutschland kopiert worden.
Die kurze Zeile auf der Ostseite des Jungfernheidewegs hat Gropius analog zu seinem gegenüberliegenden Gebäude gestaltet. Sie bildet den Auftakt zu der Reihung nord-süd-orientierter Zeilen Hugo Härings.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Ladenecke zerstört und zunächst vereinfacht und unbefriedigend wiederaufgebaut. 1990 wurde dieser Bereich durch die Münchener Architekten Hilmer und Sattler neu gefasst.
Walter Gropius
1883 Berlin – 1969 Boston
Architekt und Designer
Walter Gropius zählt zu den führenden Architekten des letzten Jahrhunderts. Sein Name steht vor allem für das von ihm 1919 in Weimar gegründete “Staatliche Bauhaus”, mit dem er 1925 nach Dessau übersiedelte. Das von ihm dort errichtete Bauhaus-Gebäude ist heute ebenso wie der Name Bauhaus Symbol für den gestalterischen, künstlerischen und gesellschaftlichen Aufbruch des 20. Jahrhunderts.
Er arbeitete seit 1910 als freier Architekt in Berlin, war seit 1911 im Deutschen Werkbund aktiv. 1918 schloss er sich der “Novembergruppe” an, leitete 1918/19 den “Arbeitsrat für Kunst” und wurde Korrespondent der “Gläsernen Kette”.
1923/24 war Gropius Mitbegründer der Architektengruppe “Der ring”. Der Wohnungsbau hatte für Gropius als Schlüssel für die Lösung der städtebaulichen, sozialen und hygienischen Probleme immer eine besondere Bedeutung, die Wohnblöcke der Siedlung Berlin-Siemensstadt stehen exemplarisch für seine Arbeit.
1934 emigrierte er nach England und 1937 in die USA, wo er als Professor für Architektur in Cambridge/Massachusetts lehrte. In Berlin verwirklichte er nach dem Krieg noch einen Wohnblock auf der “Interbau” im Hansaviertel, plante die Großsiedlung “Gropiusstadt” und das Bauhaus-Archiv.