Ich begrüße ganz herzlich Frau Meil-Lachmann und Frau Wosing, die pädagogischen Mitarbeiterinnen der Gartenarbeitsschule, die uns gleich über das Gelände führen werden.
Die Idee einer Gartenarbeitsschule in Wilmersdorf kam Ende des Ersten Weltkrieges auf. Initiator war Otto Mehlan, Leiter der 4. Gemeindeschule, das ist heute die Birger-Forell-Schule. Die Gartenarbeitsschule sollte nicht nur Ort für Garten- und Naturkunde sein, sondern auch für Lesen, Rechnen und Schreiben.
Kurz bevor Wilmersdorf durch das Groß-Berlin-Gesetz von 1920 seine Selbstständigkeit verlor und zum 9. Bezirk von Berlin wurde, beschloss die Stadtverordnetenversammlung die Gründung einer Gartenarbeitsschule auf dem Gelände der Dillenburger Straße. Mit Beginn des Schuljahres, am 19. April 1921, nahm die Gartenarbeitsschule ihre Tätigkeit auf. Sie entstand aus der reformpädagogischen Arbeitsschulbewegung. Ihre Ziele sind bis heute gleich geblieben: Sie soll Anschauungs-, Arbeits- und Liefergarten sein. Wie zur Zeit der Schulreformprojekte [ich zitiere] „soll der ganze Mensch, nicht nur sein Verstand, sondern auch seine handwerklichen und sozialen Fähigkeiten ausgebildet werden”.
Aus ehemaligen Baracken entstanden Klassenräume, die bewusst nach einer Seite hin offen waren, um den Unterricht an der frischen Luft zu ermöglichen. In den Räumen wurden Bienen- und Vogelhäuser gebaut. In anderen Gebäuden standen Aquarien, Terrarien, Insekten- und Raupengläser, damit die Kinder Entwicklungs- und Lebensgewohnheiten verschiedener Lebewesen beobachten konnten.
Jungen erhielten zweimal in der Woche Gartenarbeitsunterricht, Mädchen einmal wöchentlich. Erst als 1922 ein Küchengebäude errichtet wurde, besuchten auch Mädchen die Gartenarbeitsschule zweimal pro Woche, denn für sie gab es nun zusätzlich Hauswirtschaftsunterricht. 1923 wurde ein Frühbeet angelegt und das Gewächshaus errichtet. Knapp zehn Jahre später warfen die politischen Veränderungen ihre Schatten auch auf die Gartenarbeitsschule. Die Idee einer Schule im Freien wurde von den Nationalsozialisten missbraucht und in den Partei- und Kriegsdienst gestellt. 1943 zerstörten Bomben zum großen Teil die Gebäude, Unterricht fand nur noch unregelmäßig statt.
Nach 1945 beschloss das Bezirksamt von Wilmersdorf, die Gartenarbeitsschule dem Schulamt zu unterstellen. Die Hauptaufgabe in dieser Zeit war der Gemüseanbau zur Versorgung der Bevölkerung; die Gartenarbeitsschule lieferte ihre Erzeugnisse an Krankenhäuser, an Schulen für die Schulspeisungen und an andere karitative Einrichtungen.
Der Arbeitsunterricht in der Gartenarbeitsschule wurde mit der Reform des Schulwesens 1946 erneut lehrplanmäßiges Pflichtfach. Die Klassen kamen einmal in der Woche den ganzen Schultag in die Gartenarbeitsschule, wobei sich Gartenarbeit und Unterricht in den Klassenräumen abwechselten. Die Erzeugnisse der Gartenarbeitsschule, Früchte und Blumen, konnten unter Marktpreis von den Kindern gekauft werden. 1947 wurden die erhaltenen Gebäude winterfest gemacht und das Gewächshaus instandgesetzt. Die festen Gebäude der Gartenarbeitsschule wurden 1950 errichtet. Sie wurden ab 1951 wegen der prekären Schulsituation im südlichen Wilmersdorf zunächst auch als Außenstelle der 4. Grundschule genutzt. 1968 wurde der Verkauf der Gartenerzeugnisse abgeschafft. Die selbst angebauten und geernteten Früchte wurden nun unentgeltlich an die Kinder abgegeben.
Die ökologische Bewegung in den 1980er-Jahren führte dazu, dass ökologische Inhalte in die Lehrpläne der Schulen einzogen. Unterrichtsbezogenes Arbeiten mit Pflanzen unter ökologischen Gesichtspunkten während der Vegetationsperiode wurde zu einem Schwerpunkt. Die Besucherzahlen stiegen nun nach einer Baisse in den 1960er-Jahren wieder. Durch die Kooperation der Gartenarbeitsschule mit der Robert-Jungk-Oberschule entstanden ab 1992 unter dem Motto: “Schüler bauen für Schüler” zwei Kleinwindkraftwerke und Anlagen zur photovoltaischen und thermischen Nutzung der Sonne. Beim Umweltgipfel 1995 in Berlin war die Gartenarbeitsschule sogar Veranstaltungsort des Klimaforums. Anlass war die Einweihung einer Warmluftkollektorenanlage.
Am 29. Februar 2000 gründete sich der Förderverein der Gartenarbeitsschule Wilmersdorf e.V. Ein Konzept zur ganzjährigen Nutzung der Gartenarbeitsschule wurde entwickelt. In neu eingerichteten Klassenräumen werden nun fachübergreifende Projekte angeboten und jahreszeitlich abgestimmte Lerninhalte vermittelt. Alle Lehrerinnen und Lehrer erhalten auf Wunsch fachliche und personelle Unterstützung. Voraussetzung dafür ist unter anderem das Engagement der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer.
Die Gartenarbeitsschule wurde zu ihrem 80-jährigen Bestehen 2001 nach einer ihrer ehemaligen Leiterinnen, der Lehrerin Ilse Demme, benannt. Ilse Demme wurde am 18.8.1909 in Kassel geboren. Sie studierte Pädagogik und arbeitete in Kassel als Lehrerin. 1936 kam sie nach Berlin. Durch die nationalsozialistische Rassengesetzgebung hatte sie keine Chance auf eine Stelle als Lehrerin. Stattdessen arbeitete sie als Sekretärin und Übersetzerin. Sie war im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv, indem sie u.a. die Protestpredigten des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen vervielfältigte. In den Predigten protestierte von Galen gegen die Ermordung von psychisch Kranken und geistig Behinderten. 1941 wurde sie denunziert und daraufhin verhaftet. Am 18. August 1942 wurde sie wegen ihren „Vergehen“ gegen das so genannte Heimtückegesetz zu einer mehrjährigen Haftstrafe im Konzentrationslager Ravensbrück verurteilt.
Nach ihrer Befreiung im Mai 1945 übernahm sie 1946 die Leitung der Gartenarbeitsschule, die sie bis 1968 innehatte. Ilse Demme starb am 3.7.1969 nach langer Krankheit in Berlin.
Heute ist die Gartenarbeitsschule, genauso wie die Jugendkunstschule und Jugendverkehrsschule, als gesetzliche Aufgabe im Schulgesetz verankert. Dies ist ein großer Fortschritt für die außerschulischen Einrichtungen. Ich übergebe nun an das Team der Gartenarbeitsschule, das Sie durch den Garten geleiten wird. Vielen Dank für das außerordentliche Engagement an das ganze Team.
Ich beende hier den Kiezspaziergang und eile zur Eröffnung des Weinbrunnes am Rüdesheimer Platz. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie zu späterer Stunde noch auf ein Glas Wein dazu stoßen. Mir bleibt nur noch den Treffpunkt des nächsten Kiezspaziergangs anzukündigen: Er wird am 8. Juni um 14 Uhr an der Bushaltestelle Herthastraße beginnen und endet am Mahnmal für die Opfer des Holocaust am Gleis 17 im Bahnhof Grunewald. Tausend Dank nochmal an das Team der Gartenarbeitsschule für die herzliche Gastfreundschaft. Viel Spaß bei der Führung über das Gelände und Tschüss bis zum nächsten Mal!