Treffpunkt: Platz am Wilden Eber / Rheinbabenallee / Ecke Pücklerstraße
196. Kiezspaziergang
Vom Platz am Wilden Eber zum Roseneck
Bild: BA-CW, ML
Station 1: Platz am Wilden Eber / Rheinbabenallee / Ecke Pücklerstraße
Station 1.1: Platz am Wilden Eber / Rheinbabenallee / Ecke Pücklerstraße
Wir stehen hier auf dem Platz am Wilden Eber an der südlichen Bezirksgrenze. Seinen märchenhaften Namen hat er aufgrund einer Anekdote. 1885 soll im Biergarten „Zur Waldschänke“ zum Schrecken der Gäste ein wilder Eber aufgetaucht sein. Der Wirt erschoss ihn und nannte fortan sein Restaurant „Gasthaus zum Wilden Eber“. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstand dann die Bronzeplastik auf der Mittelinsel. Bildhauer war Paul Gruson, geboren 1895, gestorben 1969. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie, wie viele andere Buntmetall-Skulpturen, zu Waffenzwecken eingeschmolzen. 1961 wurde ein Nachguss auf einem Waschbetonsockel aufgestellt.
Bild: BA-CW, ML
Station 4: Hammersteinstraße 20
Station 4.1: Hammersteinstraße 20 / Villa Gerstenberg
Wir haben soeben das doch beachtliche Areal der Villa Gerstenberg umrundet, die der Versicherungsunternehmer Otto Gerstenberg für sich und seine Familie von 1903 bis 1904 bauen ließ. Otto Gerstenberg wurde 1848 geboren und starb 1935 in Berlin. Er studierte Mathematik und Philosophie und begann 1873 seine berufliche Karriere als Versicherungsmathematiker bei der Allgemeinen Eisenbahn-Versicherungs-Gesellschaft. Das Unternehmen änderte bereits zwei Jahre später den Namen in Victoria zu Berlin Allgemeine Versicherungs-Actien-Gesellschaft, um die Ausweitung der Geschäftsfelder zu berücksichtigen. Gerstenberg entwickelte neue Versicherungstarife und trug so zum Erfolg des Unternehmens bei. 1888 stieg er ins Direktorium der Versicherung auf und wurde 1901 Generaldirektor. Unter seiner Leitung wurde die Victoria zur führenden deutschen Lebensversicherungsgesellschaft, 1997 fusionierte sie zur Ergo Versicherungsgruppe, die es heute noch gibt. Als Gerstenbergs wichtigste
Innovation in der Versicherungswirtschaft gehört die Einführung der Lebensversicherung als Volksversicherung in Deutschland. Er führte als Unternehmer bemerkenswerte soziale Leistungen für die Angestellten der Victoria zu Berlin ein. Hierzu zählten ab 1903 der arbeitsfreie Samstagnachmittag, ab 12.00 Uhr, und wenig später die Einrichtung einer Werksküche.
Gerstenberg besaß eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen des beginnenden 20. Jahrhunderts. Seine Sammlung wurde teilweise im Zweiten Weltkrieg zerstört, andere Teile befinden sich als sogenannte „Beutekunst“ in den großen russischen Museen. Der Rest verblieb erst einmal in Familienbesitz. Die Söhne von Margarethe Scharf, also Gerstenbergs Enkel, Walter und Dieter Scharf, führten die Sammlung weiter. Dieter Scharf sammelte vor allem symbolistische und surrealistische Kunst. Die Sammlung Scharf-Gerstenberg wird seit 2008 im östlichen Stülerbau vor dem Schloss Charlottenburg gezeigt.
Architekt der Villa hier war Carl Vohl. Carl Vohl wurde 1853 geboren und starb 1932. Zwischen 1895 und 1918 war er als Architekt und Baubeamter in Berlin tätig, u.a. baute er das Kammergericht in der Elßholzstraße und das Kriminalgericht in Moabit.
Die Villa Gerstenberg ist in einem zurückhaltenden neobarocken Stil gehalten. Sie dokumentiert die großbürgerlichen Lebensverhältnisse in der deutschen Kaiserzeit.
Wie in der Erläuterung des Landesdenkmalamts steht [ich zitiere]:
bq. […] waren die Schwerpunkte der Gestaltung beim Außenbau die Abstimmung der Proportionen von Villa und Parkgrundstück, die […] Austarierung der Gebäudeteile und die abwechslungsreiche und lebendige Öffnungsstruktur in Bezug auf den inneren Organismus des Gebäudes.
[Carl Vohl] hielt sich bei seinem Entwurf [zwar] an den gängigen Villentyp, fasste das Gebäude jedoch malerisch auf und entwickelte es von Innen und Aussen, was zu einer lebendigen, an allen vier Seiten unterschiedlichen Fassadenabwicklung führte. Der verputzte Hauptbaukörper erhebt sich über einer beinahe quadratischen Grundfläche. Der Architekt erklärte, dass er, um das große Grundstück beherrschen zu können, eine beträchtliche Höhenentwicklung des Hauses erreichen musste. Daher besitzt es einen hohen Rustikasockel aus Kalkstein, dessen Podestwirkung durch die Absenkung des […] Parks noch gesteigert wird.
Für seine Kunstsammlung ließ Otto Gerstenberg von 1908 bis 1909 von demselben Architekten an der Ostseite eine zweistöckige Galerie mit einem Oberlichtsaal im Obergeschoss errichten. Der Oberlichtsaal existiert nicht mehr, aber der frühere Torbogen ist noch sichtbar.
Die Villa Gerstenberg wurde ab 1946 als Privatkrankenhaus genutzt. Erhalten blieben aber der Eingangsbereich der Villa und die imponierende zweistöckige zentrale Halle. Die Villa wurde inzwischen verkauft. Im Moment wird sie wieder in ihre ursprüngliche Nutzung als Villa überführt. Die Villa und der Park stehen unter Denkmalschutz. Die Teile der ursprünglichen Villa, die noch erhalten sind, werden bei dem Umbau denkmalgerecht erhalten.
Station 4.2. Hammersteinstraße / Herkunft des Namens
Hans Christian Friedrich Wilhelm Freiherr von Hammerstein-Loxten wurde 1843 in Lüneburg geboren und starb 1905 in Berlin. Er war von 1901 bis zu seinem Tod preußischer Innenminister.
Station 4.3. Bernadottestraße / Herkunft des Namens
Wir überqueren gleich die Bernadottestraße. Sie wurde 1952 nach Graf Folke Bernadotte benannt. Bernadotte wurde 1895 in Stockholm geboren. Er war der Neffe des schwedischen Königs Gustav V. 1943 wurde er Vizepräsident des schwedischen Roten Kreuzes, später dann Präsident. Während des Zweiten Weltkrieges leitete er humanitäre Hilfsprogramme für Flüchtlinge aus Deutschland und den besetzten Gebieten. Er verhandelte mit Heinrich Himmler erfolgreich über die Freilassung der skandinavischen KZ-Häftlinge. Zusätzlich zu ca. 8.000 Häftlingen skandinavischer Herkunft wurden im Rahmen dieser Mission, die als Aktion die „Weißen Busse“ in die Geschichte eingegangen ist, etwa 10.000 bis 12.000 Häftlinge anderer Nationalitäten vor allem aus Ravensbrück und Theresienstadt nach Schweden gebracht. 1948 vermittelte er im Auftrag der UNO im Palästinakonflikt einen Waffenstillstand. Dies führte zu einem Attentat gegen ihn, bei dem er am 17. September desselben Jahres von
Angehörigen der jüdischen Gruppe Lechi in Jerusalem erschossen wurde.
Station 4.4. Messelpark
Der Messelpark erstreckt sich über Schmargendorf und Dahlem. Wie man unschwer erkennen kann, ist es ein naturbelassener Park mit vielen Bäumen und Sträuchern, die fast ein Dickicht bilden. Der Park ist nach dem Architekten Alfred Messel benannt. Alfred Messel wurde 1853 geboren und starb 1909 in Berlin. Messel baute gleichermaßen großbürgerliche Villen als auch Miethäuser. Bekannt wurde er durch seine Warenhäuser, dazu gehörten das Wertheim in der Oranienstraße und das am Leipziger Platz. Er wandte sich dabei von der historisierenden Architektur ab und gliederte die Fassade vertikal mit Pfeilern, was der inneren Funktion entsprach. Das Warenhaus Wertheim am Leipziger Platz wurde dadurch zu einer Inkunabel der modernen Architektur. Anfang 1907 wurde Messel offiziell zum Architekten der Königlich Preußischen Museen ernannt und beschäftigte sich daraufhin bis zu seinem Tod mit der Planung eines Neubaus für das Deutsche Museum, das Pergamonmuseum und das
Vorderasiatische Museum in Berlin. In Charlottenburg hatte Messel 1907 bis 1909 das Kaiserin-Auguste-Victoria-Haus, das neobarocke Säuglingsheim im Heubnerweg, gebaut, in dem heute die Europäische Wirtschaftshochschule ihren Sitz hat. Der Nachlass von Alfred Messel ist im Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin, das Sie ja im Januar 2016 besucht haben.
Wir überqueren nun die Bernadottestraße, durchqueren diagonal den Park und treffen uns in der Heydenstraße vor der Hausnummer 30, der Villa von Leni Riefenstahl, wieder.
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Station 7: Miquelstraße 23
Das Haus wurde 1936/1937 von Fritz August Breuhaus de Groot gebaut. Nach einem Eigentümerwechsel 1957 wurde der Garten auf knapp 4000 m² erweitert und die Landschaftsarchitektin Herta Hammerbacher mit dem Entwurf beauftragt. Hammerbacher gehörte zu den großen Landschaftsarchitekten des 20. Jahrhunderts. Sie lebte von 1900 bis 1985 und war lange Zeit Professorin an der TU Berlin. Der Garten sieht im Moment leider etwas verwahrlost aus, als würde er gerade instandgesetzt.
Das Gebäude liegt etwa einen Meter über dem Straßenniveau und nimmt fast die ganze Grundstücksbreite ein, dadurch riegelt es den hinteren Garten ab, den wir deshalb auch nicht sehen können. Die Terrasse erstreckt sich ebenfalls über die gesamte Grundstücksbreite. Der Garten selbst liegt etwas tiefer. Typisch für ihre Gestaltung war die Bildung von Räumen durch Modellierung des Geländes, meist durch Mulden. Ihr Spitzname war deshalb Mulden-Herta. Wir waren ja eben bei der Villa von Margarete Scharf, deren Garten von Hermann Mattern konzipiert worden war. Wir hatten dort auch gehört, dass er den Garten mit Aufschüttungen gliederte, deshalb wurde er schalkhaft Hügel-Hermann genannt. Die beiden waren übrigens mehrere Jahre verheiratet. Kommen wir aber zurück zu dem Garten von Herta Hammerbacher: Im Garten ist sowohl der landschaftsbezogene Charakter mit der Raumstruktur, den feinen Bodenmodellierungen, dem Teich, den Bäumen und Sträuchern als auch Wege und Natursteinmauern erhalten. Der Garten steht unter Denkmalschutz. Beim Kiezspaziergang im Januar letzten Jahres haben wir von Hammerbacher den Vorgarten am Architekturgebäude der TU gesehen, der ebenfalls unter Denkmalschutz steht.
Wir gehen nun wieder zurück zur Heydenstraße, biegen links in sie ein, überqueren die Rheinbabenallee und treffen uns wieder links vor der Hausnummer 20.
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Station 9: Betty-Hirsch-Platz
Station 9.1: Rheinbabenallee 8 / Palästinensische Mission in Deutschland
In der Rheinbabenallee gibt es zahlreiche Botschaften. Wir stehen hier nun vor der Palästinensischen Mission, die zwar als diplomatische Vertretung fungiert, aber keine Botschaft im eigentlichen Sinn ist. Sie übernimmt aber in weiten Teilen die Funktionen und Aufgaben einer offiziellen Gesandtschaft. Zu ihren Aufgaben gehören die Vertretung der palästinensischen Interessen in der Bundesrepublik sowie die Pflege und Ausweitung der bilateralen Beziehungen. Derzeitige Botschafterin ist Chulud Daibes. Am 15. November 1980 wurde der Staat Palästina in Algier von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ausgerufen. Die Staatlichkeit ist aber international sehr umstritten. Seit 1988 haben 136 Staaten Palästina als souveränen Staat anerkannt. Voraussetzung für eine mögliche Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland wäre ein Friedensvertrag zwischen Israel und Palästina. Deutschland favorisiert wie die meisten Staaten der Welt eine Zweistaaten-Lösung. Die
Europäische Union unterstützt die die palästinensischen Gebieten mit mehr als 800 Millionen Dollar im Jahr. Neben Infrastrukturmaßnahmen werden mit dem Geld Bildungsprogramme finanziert. Deutschland beteiligt sich mit etwa 100 Millionen Dollar.
Station 9.2: Betty-Hirsch-Platz
Am 8.3.2008 haben wir nach einem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung den bis dahin namenlosen Platz zwischen Rheinbabenallee und Hundekehlestraße nach der erblindeten dänisch-deutsch-jüdischen Sängerin und Pädagogin benannt, die 1914 die erste Kriegsblindenschule in Berlin gegründet hatte. Sie wurde 1873 in Hamburg geboren und starb 1957 in Berlin. Mit zwölf Jahren stürzte sie von einem Stuhl und fiel auf ihr Gesicht. Damit begann ihre Erblindung. Aufgrund der großen Schwierigkeiten, auf die sie in der Welt der Sehenden durch ihre Erblindung stieß, begann sie sich, beim Aufbau einer unabhängigen Blindenschule zu engagieren. Ihr besonderes Verdienst war, für blinde Menschen, vor allem für im Krieg erblindete Menschen, eine Umschulung zu entwickeln und sie dann in Industriebetriebe und in die Verwaltung zu vermitteln. Als Konzertsängerin konnte sie gemeinsam mit ihrem Pianisten Erfolge feiern.
Station 9.3: Ältestes Wohnhochhaus Berlins
Das 15-geschossige Wohnhochhaus wurde 1954 bis 1955 von Franz Heinrich Sobotka und Gustav Müller über einem Y-förmigem Grundriss gebaut, der allen Wohnungen mindestens ein nach Süden ausgerichtetes Zimmer garantiert. In der Mitte befinden sich die Treppenhäuser, Aufzüge und technischen Einrichtungen. Der Stahlbetonbau hat eine Außenhaut aus Ziegelsplitt, der aus Trümmerschutt gewonnen wurde, und Gasbetonplatten. Nach den hier gemachten Erfahrungen entstanden in den folgenden Jahren zahlreiche weitere Bauten mit Ziegelsplittfassaden.
Die Wohnungen haben ein bis drei Zimmer und eine Fläche von 32 bis 81 m². Außer den Einzimmerwohnungen besitzen alle einen Wintergarten. In den Dreizimmerwohnungen können die Küchen durch Öffnen von Schiebetüren in den Wohnraum mit einbezogen werden.
Wir gehen nun über den Hohenzollerndamm und treffen uns am Roseneck wieder.
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