Treffpunkt: Leibniz- / Ecke Pestalozzistraße
Länge : ca. 2 km
191. Kiezspaziergang
Von der Ecke Leibniz- / Pestalozzistraße zum Savignyplatz
Bild: BA-CW, ML
Station 2: Pestalozzistraße 14 / Synagoge
Ich begrüße ganz herzlich Jonah Sievers, den Rabbiner der Synagoge in der Pestalozzistraße 14. Wir freuen uns sehr, heute an einem Sabbat mit Ihnen zusammen in Ihrem Gotteshaus sein zu dürfen. Rabbi Sievers wird uns gleich mehr zur Gemeinde und dem jüdischen Leben in seiner Gemeinde erzählen.
Erbaut wurde die Synagoge 1911/12 als Privatsynagoge für gesetzestreue Juden nach Plänen des Architekten Ernst Dorn.
Ihre Stifterin war die Charlottenburger Geschäftsfrau Betty Sophie Jacobsohn, die von 1870 bis 1942 lebte. Die Synagoge hatte Platz für 1400 Gläubige. 1919 wurde das Gotteshaus zu einer offiziellen Synagoge der Jüdischen Gemeinde. In den 1930er Jahren wirkte als Chorleiter der Musikwissenschaftler, Schriftsteller und Maler Arno Nadel in der Synagoge.
In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde die Synagoge schwer beschädigt, aber wegen ihrer Hoflage nicht in Brand gesteckt. Während des Krieges war in dem Gebäude eine Wäscherei untergebracht. 1947 wurde der Betsaal wiedereingeweiht und das Gotteshaus zu einer der wichtigsten Synagogen in Deutschland und Gebetsstätte der liberalen Juden. Von 1947 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 war Estrongo Nachama zunächst Kantor, später Oberkantor dieser Synagoge. Die durchkomponierte Liturgie des Gottesdienstes für Kantor, Orgel und gemischten Chor zieht jährlich Besucher aus der ganzen Welt an.
Im Zuge einer Restaurierung hat die Synagoge in den Jahren 2013/14 ihre ursprünglichen Wandmalereien von 1912 zurückerhalten.
Nun gebe ich das Wort an Rabbi Sievers.
Vielen Dank, Herr Sievers!
Ehe wir weiter in die Bleibtreustraße 2 gehen, achten Sie bitte auf den Gehweg: In der Pestalozzistraße in dem Abschnitt zwischen Leibnizstraße und Schlüterstraße gibt es fast 68 Stolpersteine, allein vor der Synagoge sind es 40.
Bild: BA-CW, ML
Station 8: Bleibtreustraße 43 / Joan-Miró-Grundschule / Schulhof
Die fünfzügige Joan-Miró-Grundschule mit 800 Schüler und Schülerinnen vereint unter ihrem Dach zwei Profile mit unterschiedlichen pädagogischen Konzepten: drei Regelzüge, die als Halbtagsgrundschule mit offenem Ganztagsbetrieb organisiert sind und zwei Züge als Staatliche Europaschule Berlin mit den Partnersprachen Deutsch-Spanisch in Form einer gebundenen Ganztagsschule. Somit gibt es eine interessante Mischung: Kinder aus der Nachbarschaft und die Kinder der Deutsch-Spanischen Europaschule, die aus ganz Berlin Kommen.
Die Klassen in der Europaschule werden in zwei Lerngruppen aufgeteilt, da die Alphabetisierung für jede Gruppe in deren Muttersprache erfolgt. Um die Kinder dem jeweiligen Partner oder Muttersprachenbereich zuzuordnen, werden vor der Einschulung Sprachtests durchgeführt. In den höheren Klassen werden die Fächer Sachunterricht, Geschichte, Erdkunde, Naturwissenschaften, Musik oder Sport auf Spanisch unterrichtet. Unterrichtssprache in Mathematik und Deutsch ist Deutsch.
Namensgeber der Schule ist Joan Miró. Joan Miró war ein katalanischer Maler und Bildhauer und wurde 1893 in Barcelona geboren und starb 1983 auf Mallorca. Miró gehört als Vertreter der Klassischen Moderne mit seinen fantasievollen Bildmotiven zu den populärsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Seine magischen Symbole für Mond, Sterne, Vogel, Auge und Frau zählen zu den bekannten Elementen seiner Kunst. Das verstörende Spätwerk, wie beispielsweise die Serie Toiles brûlées (Verbrannte Leinwände) war eine inszenierte Zerstörung, ein Protest gegen die Kommerzialisierung der Kunst und ein Ausdruck seiner Forderung, [ich zitiere] die Malerei zu ermorden.
Das Schulgebäude wurde 1899-1900 von Paul Bratring für die damalige 19. und 20. Gemeindeschule Charlottenburg gebaut. Das viergeschossige Haus ist in den Formen des Akademischen Historismus gestaltet. Vorgelagert ist eine zweigeschossige Turnhalle. Eine Zeit lang beherbergte das Gebäude das Kaiser-Friedrich-Gymnasium, in dem Walter Benjamin seit 1902 zur Schule ging. In seinem Buch Berliner Kindheit um neunzehnhundert schreibt er [ich zitiere]:
Der ganze Bau, der da hart am Stadtbahngelände aufsteigt, ist von altjüngferlicher, trauriger Sprödigkeit. Mehr noch als den Erlebnissen, die ich in seinem Innern hatte, ist es wahrscheinlich diesem Äußern zuzuschreiben, dass ich keine heitere Erinnerung an ihn bewahre.
Später waren in den Gebäuden auch verschiedene andere Institutionen untergebracht, zum Beispiel im Ersten Weltkrieg ein Lazarett, 1939 ein Krankenhaus für an Kinderlähmung Erkrankte, und dann bis 1969 die Ostpreußen-Hauptschule.
Im Rahmen des Aktiven Zentrums City West wurde der Schulhof neu gestaltet. Dazu sagt uns nun Paul-Martin Richter mehr.
Guten Tag, meine Damen und Herren! Ich knüpfe heute an den 161. Kiezspaziergang im Mai 2015 an, der ebenfalls über den Schulhof der Joan-Miró-Grundschule und den Spielplatz in der Knesebeckstraße führte. Damals hatte ich noch den dringenden Handlungsbedarf an beiden Orten beschrieben und über die bewilligten Fördermittel für den Bezirk aus dem Programm Aktive Zentren Berlin berichtet.
Nun freue ich mich, Ihnen das Ergebnis des Prozesses schildern und zeigen zu können. Die Arbeiten auf dem Schulhof sind im Wesentlichen abgeschlossen. Sie können jetzt die neuen so genannten Rutsch- und Knutschkugeln besichtigen und Trampolins und Balancierstege ausprobieren. Den Spielplatz in der Knesebeckstraße können wir aufgrund der Baustelleneinrichtung noch nicht besichtigen. Hier ist die Fertigstellung bis Ende dieses Jahres geplant.
Es fällt mir schwer, das umfangreiche Verfahren und die Vielzahl an Einzelmaßnahmen in wenigen Worten zu beschreiben. Ich fasse das mal mit drei Besonderheiten zusammen:
Besonderheit 1: Es handelt sich eigentlich um zwei Projekte, die zu einer Maßnahme zusammengefasst wurden: der Spielplatz und die Pausenhofflächen. Es wurde in einem räumlich übergreifenden Verfahren ein Entwurf für beide Standorte entwickelt, sozusagen aus einem Guss. Dies ermöglichte uns große Synergien gegenüber zweier getrennter Verfahren, was Aufwand für Planung und Beteiligung, Materialbestellung und bauliche Umsetzung durch die beauftragten Firmen betrifft. Dafür konnten die zur Verfügung stehenden Mittel zum Beispiel besser für die Anschaffung vieler benötigter Spielgeräte verwendet werden.
Besonderheit 2: Von Anfang wurde mit dem Projekt ein umfangreiches Beteiligungskonzept verknüpft. Allein die Ankündigung in der Schule entfaltete eine unerwartet tolle Dynamik. Als wir mit unseren eigenen Beteiligungsveranstaltungen gestartet sind, haben uns die Schulklassen schon mit Wandzeitungen und Modellen die Türen eingelaufen, die sie in verschiedenen Schul- und Hortprojekten angefertigt hatten. Der Schulförderverein übergab eine im Rahmen eines Spendenlaufs gesammelte Summe über 10.000 Euro, aus der eine von den Kindern schon lange gewünschte Kletterwand in die Planung integriert wurde. Es gab darüber hinaus noch selbstorganisierte Filmprojekte und einiges mehr, das die Identifikation mit dem Gesamtprozess sicher gestärkt hat. Im Zuge einer Beteiligungswerkstatt, an der Kinder, Eltern, Nachbarn, das Lehrer- und Hortkollegium, aber auch die städtebauliche Kriminalprävention der Polizei und der Behindertenbeauftragte des Bezirks teilnahmen, wurden Vorschläge
für die zukünftige Gestaltung harmonisiert und konkretisiert. Hier kristallisierte sich auch die Farb- und Formensprache des namensgebenden katalanischen Malers Joan Miró als Leitmotiv für die zukünftige Gestaltung heraus. Über die anschließend vom Planungsbüro erstellten Entwurfsvarianten wurde klassenweise an der gesamten Schule abgestimmt. Aber auch bei der baulichen Umsetzung wurden Kinder mit einbezogen. So gab es eine freiwillige AG Baustellenreporter, die den Prozess in ihrem Baustellenreport dokumentierten (einzusehen unter www.berlin-city-west.de). Darüber hinaus wurden die mehrere Meter hohe Skulptur im Eingangsbereich des Schulhofes und die Mosaike auf den vielen neuen Tischen von den Kindern selbst entworfen und mit Hilfe einer Handwerksfirma zusammengesetzt und eingebaut.
Besonderheit 3: Als letztes möchte ich noch die besondere Enge erwähnen, die in mancher Hinsicht eine Herausforderung darstellte. Da sind zum einen die direkt an den Schulhof grenzenden Wohnhäuser, deren Belange mit in der Planung berücksichtigt werden müssen. Dann gibt es auf dem Schulhof und insbesondere auf dem Spielplatz einen großen Baumbestand, der erhalten bleiben sollte und beim Bau durch den oberflächennahen Wurzelwuchs die eine oder andere Umplanung erforderlich machte. Und schließlich: Die Neugestaltung des Schulhofes erfolgte bei laufendem Betrieb. Das heißt für die Bauabschnitte, die außerhalb der Ferienzeiten lagen, war es eine logistische Herausforderung, Baumaschinen, Bauarbeiter und 800 Schulkinder so zu organisieren, dass so viel wie möglich Fläche nutzbar und gleichzeitig die Sicherheit gewährleistet bleibt. Das war nicht immer einfach und unser großer Dank gilt dem Kollegium, das täglich die Hofaufsicht unter erschwerten Bedingungen
durchführen musste. Zum Glück ist das alles gut gegangen. Nun freuen wir uns auch auf die nahende Fertigstellung des Spielplatzes.
Vielen Dank, Herr Richter!
Bild: BA-CW, ML
Station 9: Savignyplatz / Eingangshäuschen
Wir stehen hier auf dem Savignyplatz. Dieser entstand nach dem Plan von James Hobrecht aus dem Jahr 1861 für die Stadterweiterung von Berlin. Im Jahr 1887 wurde er nach dem Juristen Friedrich Carl von Savigny benannt. Friedrich Carl von Savigny wurde 1779 in Frankfurt am Main geboren und starb 1861 in Berlin. Er gehörte zu den ersten Professoren an der 1810 gegründeten Humboldt-Universität, die damals noch Universität zu Berlin hieß. Erst im Jahr 1892 erhielt der Savignyplatz Grünanlagen nach Entwürfen des städtischen Garteninspektors Ludwig Neßler. Er ist ein Blockplatz mit sieben Straßeneinmündungen. Die Straßen durchkreuzen den Platz, wobei die Kantstraße als größte Straße den Platz teilt. Der S-Bahnhof Savignyplatz wurde 1896 eröffnet. 1926/27 gab ihm der Städtische Gartenbaudirektor Erwin Barth mit Sitzlauben und Staudenrabatten eine neue Form.
Im Jahr 2007 wurde das vor uns stehende Stromhäuschen durch den Berliner Architekten Christian Koch rekonstruiert.
Der früher offene Durchgang des 1926 entworfenen Häuschens wurde dabei mit einer Kunstinstallation von Ute Lindner mit dem Titel Through the Looking Glass geschlossen. Sie besteht aus zwei von innen beleuchteten Glasfassaden auf den beiden Längsseiten des Häuschens. Ich zitiere nun aus der Beschreibung des Kunstwerkes, die auf der Infotafel steht:
Während der Betrachter sich bei Tageslicht in der Glasfläche spiegelt, verwandeln sich die Figuren durch die Beleuchtung bei Nacht zu dunklen Silhouetten vor einem leuchtend blauen Grund. Mit ihren wechselnden Tag- und Nachtansichten wird die Arbeit immer neu erlebbar, gleichzeitig verleiht sie dem Ort eine kontemplative Atmosphäre und gibt dem Offenen des ursprünglichen Gebäudes neuen Raum.
Wir gehen nun weiter auf die Südseite des Platzes und treffen uns vor der Kneipe Zwiebelfisch wieder. Dabei kommen wir an einem Kiosk vorbei, den Alfred Grenander 1905 entworfen hat.
Er wurde bei den Luftangriffen von 1943 stark beschädigt und zur 750-Jahr-Feier 1987 wieder instandgesetzt. Der Kiosk steht unter Denkmalschutz. Heute ist dort eine gern besuchte Currywurst-Bude.
Bild: BA-CW, ML
Station 10: Savignyplatz / Zwiebelfisch
Wir stehen hier vor dem Zwiebelfisch. Die legendäre Kneipe ist dieses Jahr 50 Jahre alt geworden. Sie ist von 12 Uhr mittags bis 6 Uhr morgens geöffnet und schon immer Treffpunkt für Nachtschwärmer, Denker, Schriftsteller, Philosophinnen, Nachbarn, Journalisten und Künstlerinnen.
Man kann dort essen und trinken; – und, wie die Wirtin uns sagte, wenn sie Zeit habe, backe sie auch Kuchen für die Gäste. Sie können ja mal nachschauen, ob sie heute gebacken hat. Schön jedenfalls, dass in unserer sich schnell verändernden Welt manche Dinge bleiben.
Zum Namen: Das Wort Zwiebelfisch kommt aus dem Druckhandwerk, als man noch mit Bleilettern hantierte. Wenn ein artfremder Buchstabe in ein Wort hineingeraten ist, nennt man diesen Buchstaben Zwiebelfisch.
Hier endet unser Kiezspaziergang. Ich erinnere noch einmal an den nächsten Kiezspaziergang am Samstag, den 9.12. um 14 Uhr, den Bezirksstadtrat Engelmann führen wird. Er beginnt am südöstlichen Ausgang des U-Bahnhofes Berliner Straße und führt über die Prinzregentenstraße und Bundesallee in die Wilhelmsaue zum Schoeler-Schlösschen. Er endet in der Schwedischen Kirche in der Landhausstraße 26-28. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag, vielleicht mit einem Kaffee im Zwiebelfisch, und einen guten Nachhauseweg. Tschüss bis zu unserem Kiezspaziergang im Januar!
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