Treffpunkt: Eissporthalle in der Glockenturmstraße 14, S 5 S-Bahnhof Pichelsberg Länge : ca. 3,5 km
184. Kiezspaziergang
Von der Eissporthalle Charlottenburg zum U-Bahnhof Ruhleben
Bild: BA-CW, ML
Station 2: Denkzeichenweg / Anfang
Der Verkehrsspiegel, vor dem wir stehen, markiert den Ausgangspunkt des Denkzeichenwegs der in Berlin lebenden argentinischen Künstlerin Patricia Pisani. Die Verkehrsspiegel werden uns nun bis nach unten in die Murellenschlucht begleiten, dann geht der Weg rechts steil nach oben, während wir weiter durch die Schlucht gehen. Auf dem Murellenberg kommen wir auf den Denkzeichenweg zurück.
Am Murellenberg existierten militärische Anlagen mit Kasernen und Schießständen seit der Zeit um 1840. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Gelände von den Briten genutzt und heute teilweise von der Polizei. Unter den Nationalsozialisten wurde auf dem Murellenberg eine “Wehrmachtshinrichtungsstätte” errichtet. Dort wurden am Ende des Zweiten Weltkrieges Deserteure, Wehrdienstverweigerer und Befehlsverweigerer unterschiedlicher Dienstgrade standrechtlich erschossen. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, ca. 230 sind bisher namentlich ermittelt. Viele der Exekutierten wurden im Spandauer Fort Hahneberg beerdigt.
Erst 1998 hob der Deutsche Bundestag per Gesetz die rechtsstaatswidrigen Urteile auf. Eine Initiative der evangelischen Kreissynode und einzelner Bürger bemühte sich seit 1994, später unterstützt von der Bezirksverordnetenversammlung, um die Errichtung einer Erinnerungsstätte. Im Herbst 2000 lobte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einen Wettbewerb für das Mahnmal aus. Im März 2001 entschied sich die Jury einstimmig für den Entwurf von Patricia Pisani: 104 Verkehrsspiegel wurden entlang des Waldweges von der Glockenturmstraße am Olympiastadion bis in die Nähe des Erschießungsortes hinter der Waldbühne aufgestellt. Im Allgemeinen sollen Verkehrsspiegel einer Gefahr vorbeugen, in dem sie etwas sichtbar machen, was außerhalb des Blickfeldes liegt. Dies tun sie auch hier. Zudem sind auf 16 Spiegeln Texte eingraviert, die etwas über das Geschehen offenlegen. Achten Sie beim Weitergehen auf die Inschriften auf den Spiegeln.
Einer der 16 beschrifteten Spiegel steht vor dem ehemaligen Reichskriegsgericht, dem heute leerstehenden nachmaligen Kammergericht in der Witzlebenstraße und verweist auf die Geschehnisse im Gebäude und auf diesen Ort.
Auf dem Spiegel hier steht:
Im Zweiten Weltkrieg wurden von Wehrmachtgerichten etwa 30.000 Todesurteile verhängt und etwa 20.000 Todesurteile vollstreckt, zunehmend wegen Fahnenflucht oder Zersetzung der Wehrkraft.
Wir gehen nun ein kleines Stück weiter bis zur Treppe, die hinunter in die Murellenschlucht führt.
Bild: BA-CW, Wolfes
Station 3: Eingang zur Murellenschlucht / Hinweistafel NSG Murellenschlucht: Höhen – Tiefen - Abgründe
Auf unserem Spazierweg werden wir auch auf einige Hinweistafeln zur Geologie und Flora und Fauna treffen. Die Texte sind von Andreas Langer. Auf der ersten Tafel steht:
Mensch und Natur haben im Naturschutzgebiet Schanzenwald und Murellenschlucht gleichermaßen deutliche Spuren hinterlassen.
Die Oberflächengestalt hier am nördlichen Rand des Grunewalds ist Ergebnis der formenden Kräfte des Eises. Die bis zu 30 Meter tief in die umliegende hügelige Landschaft eingeschnittene Murellenschlucht und der 60 Meter ü.NN hohe Murellenberg sind im Wesentlichen während der Weichseleiszeit vor ca. 20.000 Jahren entstanden.
Die Wälle, Gräben und Schießplätze des Schanzenwalds sind Ergebnis einer über Jahrhunderte andauernden militärischen Nutzung. Selbst der Name des Schutzgebiets nimmt darauf Bezug. Die militärische Nutzung begann 1840 mit der Errichtung von Kasernen und Schießständen durch das preußische Militär und endete 1994 mit dem Abzug der Allierten aus Berlin. Zuletzt nutzten die britischen Truppen die Schießanlagen zu Übungszwecken.
Form und Gestalt der Murellenschlucht wurden ebenfalls durch menschliche Eingriffe verändert. Die Verbindung zum Stößensee, ein Teil der Havel, wurde bereits ab 1907 mit dem Bau der Spandauer Vorortbahn im Westen der Murellenschlucht abgeschnitten. Die Anlage der heutigen S-Bahn erfolgte im Zuge der Vorbereitungen zu den Olympischen Sommerspielen und diente 1936 dem Transport der zahlreichen Besucher zu den Spielstätten. Im östlichen Abschnitt wurde unter Nutzung der natürlichen Hangneigung der Schlucht die Waldbühne gebaut. Nach 1948 sind Teile der Schlucht mit Trümmerschutt verfüllt worden. Ende der 50er Jahre erfolgte die Aufforstung der Nordböschung.
Während des Nationalsozialismus befand sich auf dem Gelände des Schanzenwalds eine Erschießungsstätte der Wehrmacht. Zwischen dem 12. August 1944 und dem 14. April 1945 wurden hier mindestens 232 Personen wegen Fahnenflucht bzw. Wehrkraftzersetzung hingerichtet. An die Ermordeten der NS-Militärjustiz erinnert seit 2002 das Kunstwerk der argentinischen Künstlerin Patricia Pisani, 104 Verkehrsspiegel, die den Weg auf den Murellenberg säumen. Auf einigen Spiegeln finden sich Zitate aus den Urteilen der Militärgerichte sowie zum Umgang mit Deserteuren im Nachkriegsdeutschland.
Die Öffnung des bis dahin weitgehend abgezäunten Schanzenwalds für die Öffentlichkeit und seine Einbindung in das bestehende Freiflächen- und Wegesystem erfolgte zwischen 2004 und 2007. Zäune wurden beseitigt, Gebäude versiegelte Flächen und Schießanlagen abgerissen, Wege zur Erschließung des Areals wurden gebaut.
Das Naturschutzgebiet schützt sowohl die geomorphologischen Besonderheiten als auch die wertvollen Trockenrasen und Waldflächen. Eine entsprechende Pflege erhält die Vielfalt der Lebensräume und Strukturen und macht diese erlebbar. Der Wald soll sich gemäß der Zielsetzung der Waldbaurichtlinie der Berliner Forsten weitgehend unbeeinflusst entwickeln.
Auf dem Spiegel steht:
Die Wehrmacht und ihre Gerichte sollten dazu beitragen, den völkerrechtswidrigen Krieg zu führen.
Wir steigen nun die Treppen hinab und halten uns links. Rechts werden Sie die Waldbühne sehen, zu der ich später noch etwas sage.
Bild: BA CW, Wolfes
Station 9: Denkzeichenweg / Erschießungsstätte
Hier in unmittelbarer Nähe hat sich die Erschießungsstätte der Wehrmacht befunden. Wie bereits eingangs gesagt, wurden an dieser Stelle über 200 Soldaten erschossen. Es waren Deserteure, Wehrdienstverweigerer und Befehlsverweigerer, die nicht länger dem NS-Regime dienen wollten.
Ehe ich Frau Pisani das Wort gebe, möchte ich aber noch beispielhaft die Geschichte von zwei der Erschossenen aus dem Gutachten von Dr. Norbert Haase vorlesen.
Der Sparkasseninspektor Raymund Biedenbach aus Fulda, Vater zweier Kinder und gläubiger Katholik, hatte 1943 an der Ostfront als Unteroffizier Hitlers Krieg als verloren bezeichnet und die nationalsozialistische Propaganda heftig kritisiert. Außerdem hatte er heimlich Auslandssender gehört. Er war aus dem Kreise seiner Kameraden denunziert und später am 21. Juli 1944 vom Zentralgericht des Heeres wegen “Zersetzung der Wehrkraft” zum Tode verurteilt worden. Biedenbach wurde bereits am 20. September 1944 in Ruhleben erschossen.
Biedenbach wurde nur 34 Jahre alt.
Der Siegener Luftwaffenobergefreite Walter Brückmann geriet seit Anbeginn seines Militärdienstes mit Vorgesetzten in Konflikt, weshalb er wiederholt die schmerzliche Erfahrung des Wehrmachtstrafvollzuges über sich ergehen lassen musste. Im Sommer 1942 kam er vom Wehrmachtgefängnis Torgau zum “Bewährungsbataillon” 500. Da er nach einem Lazarettaufenthalt seinen Heimaturlaub im Juni 1944 wegen seines Geburtstages bei der Familie um einen Tag überzogen hatte und eine Bestrafung fürchtete, tauchte er in Berlin unter. Brückmann wurde Ende Juli 1944 in Berlin gestellt und am 6. Oktober 1944 wegen Fahnenflucht vom Gericht der Wehrmachtkommandantur Berlin zum Tode verurteilt. Er starb am 14. Dezember des Jahres unter dem Mündungsfeuer eines Erschießungspelotons in Ruhleben.
Brückmann war bei seinem Tod erst 27.
Nun aber zu dem Mahnmal. Wir freuen uns sehr, dass Patricia Pisani heute zu uns gekommen ist, um uns ihre künstlerische Arbeit „Denkzeichen“ selbst vorzustellen. Frau Pisani wurde in Buenos Aires geboren und lebt heute in Berlin. Sie studierte Bildhauerei in Buenos Aires und Kunst und neue Medien in Stuttgart. Seit 2005 ist Frau Pisani Mitglied der Kommission für Kunst im öffentlichen Raum des Berufsverbands Bildender Künstler und Künstlerinnen Berlins. Am Eingang der Murellenschlucht habe ich schon Einiges zu Ihrer Arbeit gesagt, aber es ist natürlich viel authentischer, wenn Sie uns etwas zu dem Werdegang, Ihrer Vorgehensweise und Ihrem Konzept sagen. Hier das Mikrofon!
Vielen Dank, Frau Pisani!
Wir stehen hier nahe dem höchsten Punkt des Murellenberges. Vor uns befand sich das Munitionsdepot, das von den britischen Alliierten für den Verteidigungsfall errichtet wurde und später von der Berliner Polizei genutzt wurde und in Teilen noch weiter genutzt wird. In den Lagerhäusern unten wurden alte Munition der Nationalen Volksarmee und teils auch beschlagnahmtes Silvesterfeuerwerk gelagert.
Von den Briten wurde zur Übung des Häuserkampfs ein Kampfdorf errichtet. Es wurden typische städtische Situationen nachgebaut: kleine Häuser, Hochhäuser, eine Kirche, Supermarkt, Tankstelle, Telefonzellen, ein Bahndamm mit ein paar U-Bahnwagen darauf. Das Übungsgeschehen konnte über Videokameras und Lautsprecher von einer Zentrale aus beobachtet und gelenkt werden.
Wir gehen nun den Weg weiter bis zu einer fünfstämmigen Birke, dort nehmen wir den Weg nach rechts hinunter und treffen uns wieder auf dem Weg zwischen den beiden Seeteilen.
Bild: BA-CW, Wolfes
Station 12.2: Hempelsteig 19 / Siedlung Ruhleben
Der Stadtteil Ruhleben hält sich nicht an die Bezirksgrenze. Er besteht aus einem südlichen Charlottenburger Teil und einem nördlichen Teil, der zu Spandau gehört. In Charlottenburg liegt die Siedlung Ruhleben, das Naturschutzgebiet Fließwiese, der Friedhof Ruhleben mit dem Krematorium, sowie das Gelände am Murellenberg.
In Spandau liegt zwischen Charlottenburger Chaussee und Spree ein Industriegebiet mit einem Klärwerk und einer der größten Müllverbrennungsanlagen Europas, die 1967 errichtet wurde.
Das Siedlungsgebiet Ruhleben ist aus einem Spandauer Vorwerk hervorgegangen. Erstmals erwähnt wird es zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges als “wüst liegendes Vorwerk”, später als “Neues Vorwerk”. 1704 findet sich erstmals die Bezeichnung Ruhleben. Es wurde 1707 von König Friedrich I. erworben und dem Amt Spandau unterstellt. 1920 wurde das Gelände nach Groß-Berlin eingemeindet und zwischen Spandau und Charlottenburg aufgeteilt. Die Siedlung Ruhleben wurde in den 1920er Jahren mit ein- und zweigeschossigen Häusern, überwiegend nach den Plänen von Max Taut und Frank Hoffmann, erbaut. Max Taut ist uns inzwischen ja einige Male auf den Kiezspaziergängen begegnet, das letzte Mal in der von ihm geplanten Siedlung Eichkamp.
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