Station 1.2: Karmielplatz / Auerbachstraße 2 / Stolperstein / Frida Kalischer Das 1899 als „Nickel’sches Haus“ erbaute Wohnhaus an der Auerbachstraße 2 in Berlin-Grunewald gehörte 1920 der Jüdischen Gemeinde. 1921 kaufte es Ismar Freund. In jenen Jahren wohnten hauptsächlich Ministerialräte, Rechtsanwälte und Fabrikbesitzer in dem Haus. 1939 zog die Schriftstellerin Frida Kalischer in den 3. Stock ein, wo sie 4½ Zimmer mit Balkon bewohnte, für die sie 180 Reichsmark Miete an Frau Dr. Freund in Jerusalem zahlte.
Der Stolperstein vor dem Haus wurde von der Hausgemeinschaft gespendet und am 15.10.2014 – dem Gedenktag zum Beginn der Deportationen vom Bahnhof Grunewald am 18.10.1941 – in Anwesenheit von Hausbewohnern und zahlreichen Gästen verlegt.
HIER WOHNTE
FRIDA KALISCHER
JG. 1883
DEPORTIERT 14.12.1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 31.12.1943
Frida Kalischer wurde am 12. März 1883 in Berlin als Frida Cohn geboren. Bekannt geworden ist ihr Buch „Der Stern über der Schlucht“, das 1920 erschien. Sie schrieb es unter dem Künstlernamen Fried Kalser.
Ein Jahr und zwei Monate lang hatte sie aus nächster Nähe miterlebt, wie seit dem 18. Oktober 1941 massenhaft Berliner Juden in langen Marschkolonnen oder in Lastwagen ankamen, am Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald in Züge gepfercht und abtransportiert wurden. Eines Tages kam sie selbst auf die Deportationsliste und musste eine Vermögenserklärung abgeben, die einige Aufschlüsse über ihr Leben gibt und belegt, wie skrupellos sich die Nationalsozialisten am Eigentum der Juden bereicherten. In ihrer geräumigen Wohnung hatte sie drei Untermieter untergebracht: Annelies Heuser, die mietfrei ein Zimmer bewohnte, sich aber Ende 1942 in einem Krankenhaus befand, und das Ehepaar Lothar und Charlotte Chodziem, das 1½ Zimmer zur Verfügung hatte und 72 Reichsmark anteilige Miete zahlte. Ihn kennzeichnete Kalischer als „Jude“ und sie als „arisch“. Diese von den Nazis so genannte „Mischehe“ dürfte ihm das Leben gerettet haben, sie „wandern nicht aus“, schrieb Kalischer
in das Formular. Frida Kalischer war eine gebildete und nach damaligen Verhältnissen wohlhabende Frau. Ihr Vermögen und der Wert ihrer Einrichtung wurde 1942 auf 75.000 Reichsmark geschätzt, wovon ihr schon 15.692,50 Reichsmark als „Reichsfluchtsteuer“ abgenommen wurden. Sie besaß einen dreiteiligen Bibliothekschrank aus Eichenholz mit 150 Büchern und ein weiteres Regal mit 250 bis 300 Büchern, die teilweise „jüd[ische] Inh[alte]“ hätten, notierten die amtlichen Plünderer im Gewand von Gerichtsvollziehern.
Am 13.12.1942 wurde sie zunächst ins Sammellager an der Hamburger Straße gebracht und von dort wieder auf den Vorplatz des Bahnhofs Grunewald getrieben. Ziel des mit mehr als 800 Menschen besetzten Zuges, von den NS-Behörden als 25. Osttransport eingruppiert, war Auschwitz. Dort wurde Frida Kalischer im Alter von 60 Jahren an Silvester 1943 ermordet. Das Stadtbüro der Berliner Handelsgesellschaft, bei der sie ihr Konto führte, schrieb im damals üblichen Stil an die Behörde des Oberfinanzpräsidenten: „Wie uns das Einwohnermeldeamt Berlin unter dem 11.2. mitteilt, ist Fräulein Kalischer am 14.12.1942 nach dem Osten übergeführt worden.- Heil Hitler!“
Station 1.3: Karmielplatz / Bahnhof Grunewald
Am 1. August 1879 wurde der Bahnhof unter dem Namen Hundekehle in Betrieb genommen. Dieser Name bezog sich auf das nahe dem Bahnhof im Grunewald liegende Hundekehlefenn. Zu dieser Zeit besaß der Bahnhof mit vier Bahnsteigen seine größte Ausdehnung. Am 15. Oktober 1884 erhielt er seinen endgültigen Namen.
Mit der Errichtung der Villenkolonie Grunewald erhielt der Bahnhof 1899 ein repräsentatives Empfangsgebäude nach Entwürfen von Karl Cornelius. Das Gebäude, ein verputzter Ziegelbau mit Sandsteinteilen, vermittelt den Eindruck eines Burgtores, über dem ein Flügelrad wie ein Wappen prangt. Gekrönt wird das Gebäude durch eine Windfahne in Form einer Dampflokomotive. Auch die restliche Bahnhofsanlage wurde zu dieser Zeit umgestaltet und die beiden Zugangstunnel, von denen heute nur noch einer in Betrieb ist, angelegt.
Zwei Bereiche des Bahnhofs Grunewald stehen jeweils als Gesamtanlagen unter Denkmalschutz. Zum einen der Komplex Ringbahn-Endstation Grunewald mit Stationsgebäude von 1879, Stellwerk, Funktionsgebäude und Gleisanlagen mit der Gedenkstätte Gleis 17, zum anderen der Komplex S-Bahnhof Grunewald, das Empfangsgebäude mit dem von Karl Cornelius entworfenen Bahnhofsgebäude von 1899, dem Tunnel und zwei Bahnsteigen.
Station 1.4: Karmielplatz / Bücherbox
Die Idee der Bücherbox stammt von Konrad Kutt, der heute auch hier ist . In der Bücherbox am Karmielplatz ist eine kleine Bibliothek zum Thema Rassismus, Nationalsozialismus und jüdisches Leben entstanden. Jeder kann hier Bücher beisteuern. Wer ein Buch bringt, nimmt ein anderes mit. So ist die ehemalige Telefonzelle eine Art Mini-Bibliothek auf der Straße und in dem Fall hier neben dem Bahnhof Grunewald, von dem aus so viele Menschen in den Tod geschickt wurden, auch ein Ort der Aufklärung. Für Ausbau und Pflege sind immer Schüler und Schülerinnen oder Auszubildende verantwortlich.
Station 1.5: Karmielplatz / Mahnmale
Die Vernichtung der deutschen jüdischen Bevölkerung wurde am 20. Januar 1942 auf der Wannsee-Konferenz formal beschlossen. Die Deportationen aus dem ganzen Deutschen Reich und den besetzten Gebieten in die Vernichtungslager begannen jedoch bereits im Oktober 1941 und wurden von der Deutschen Reichsbahn durchgeführt. Von den Berliner Deportationsbahnhöfen Moabit und Grunewald wurden mehr als 50.000 jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen wie Vieh in die Vernichtungslager transportiert. Der erste Deportationszug verließ den Bahnhof Grunewald am 18. Oktober 1941 mit 1.013 Personen, der letzte am 5.1.1945 nach Sachsenhausen. Die Reichsbahn verlangte von der SS pro Person und gefahrenem Schienenkilometer 4 Pfennige, pro Kind 2 Pfennige, nur die Hälfte wenn mehr als 400 Menschen transportiert wurden. Für die ersten Transporte wurden noch Personenzüge verwendet, später Güterzüge.
Die Rolle der Deutschen Reichsbahn im Holocaust blieb lange unbeachtet. Erst in den 1980er und 1990er Jahren wurden in Erinnerung an dieses Kapitel in der Vergangenheit des Bahnhofs Grunewald mehrere Mahnmale errichtet. Daher wurden die ersten Mahnmale von anderen Gruppen errichtet.
Die erste Gedenktafel zur Erinnerung an die Deportationen wurde 1953 am Signalhaus aufgestellt, allerdings wurde sie aus unbekannten Gründen wieder entfernt, auch der Zeitpunkt des Abbaus ist nicht dokumentiert. Die Einweihungsfeier wurde damals von Polizisten gestört, weil die Gruppe, die die Gedenktafel initiiert hatte, als kommunistisch galt.
Die zweite Tafel des Gedenkens wurde erst zwanzig Jahre später im Jahr 1973 angebracht und 1986 gestohlen.
Das erste Mahnmal, an dem wir heute vorbeigehen, ist hier vor uns das Mahnmal mit den Eisenbahnbohlen, das am 18. Oktober 1987, dem 46. Jahrestag des ersten Transportes, von einer Frauengruppe der evangelischen Gemeinde Grunewald errichtet wurde.
An der Rampe zum Güterbahnhof wurde auf Initiative des damaligen Bezirks Wilmersdorf am 18. Oktober 1991 ein von dem polnischen Künstler Karol Broniatowski geschaffenes Mahnmal enthüllt. Es besteht aus einer Betonmauer mit Negativabdrücken menschlicher Körper und einer erläuternden Bronzetafel. Auf der Tafel steht:
Zum Gedenken
an die mehr als 50.000 Juden Berlins, die zwischen
Oktober 1941 und Februar 1945 vorwiegend vom
Güterbahnhof Grunewald aus durch den
nationalsozialistischen Staat in seine Vernichtungslager
deportiert und ermordet wurden.
Zur Mahnung an uns, jeder
Mißachtung des Lebens und der Würde des Menschen
mutig und ohne Zögern entgegenzutreten.
Wir gehen nun die Rampe hoch zum Mahnmal Gleis 17.