Treffpunkt: S-Bahnhof Westend, südlicher Ausgang am Spandauer Damm
Länge : ca. 1,9 km
170. Kiezspaziergang
Vom S-Bahnhof Westend zur Epiphanienkirche
Bild: BA-CW, ML
Station 1: Spandauer Damm / S-Bahnhof Westend
Station 1.1: S-Bahnhof Westend
Der Bahnhof Westend war bei seiner Einrichtung ab 1877 ein stattlicher Bahnhof, der zur Anbindung der Villenkolonie Westend angelegt worden war. Er hatte vier Bahnsteige und mehrere Kehrgleise. [Kehrgleise ermöglichen es den Zügen, die Richtung zu wechseln. M.L.] Das Empfangsgebäude wurde 1883-1884 von den Architekten Heinrich Joseph Kayser und Karl von Großheim im Stil der Neorenaissance entworfen und steht heute unter Denkmalschutz.
1993 wurde der Bahnsteig C bei der Inbetriebnahme des Südringes wieder eröffnet. Dazu wurden zwei neue Zugangsgebäude in Stahl-Glas-Konstruktion von der Spandauer-Damm-Brücke aus errichtet. Sowohl nördlich als auch südlich der Bahnsteige befindet sich heute jeweils eine Abstell- und Wendeanlage. Die Realisierung eines weiteren südlichen Zugangs, der für die Kiezbewohner sehr wichtig wäre, lässt bis heute leider auf sich warten.
Von 1988 bis 2001 befanden sich in dem Bahnhofsgebäude Ateliers und Ausstellungsflächen der Karl-Hofer-Gesellschaft. Nun ist es Sitz der Verwaltung der Firma Futterhaus, die Fachmärkte für Tiernahrung betreibt.
Station 1.2: Parexel
Die dahinter und daneben liegenden Gebäude gehören zu dem Auftragsforschungsinstitut Parexel International. Parexel ist in der Medikamentenforschung tätig. Dort werden klinische Studien geplant und durchgeführt. Der Firmensitz liegt in den USA. Parexel hat 80 Niederlassungen in 51 Ländern und 15.560 Mitarbeiter (Stand: 06/2014).
Bild: Thomas Wolfes
Station 2: Spandauer Damm 65 / Interkultureller Mädchen- und Frauenladen LISA
Heute haben wir einen ganz besonderen Gast unter uns. Neben mir steht Frau Lehmann, die im Januar hundert Jahre alt wurde. Frau Lehmann ist eine treue Kiezspaziergängerin und von Anfang an dabei. Herzlichen Glückwunsch, Frau Lehmann! Wir hoffen, dass Sie uns noch lange begleiten können.
Den Mädchen- und Frauenladen für interkulturelle Sozialarbeit LISA e.V. gibt es seit 1982. Er macht interkulturelle und geschlechtsbewusste Mädchenarbeit für Mädchen und junge Frauen zwischen 6 und 27 Jahren. Er wird vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf finanziert. Das Haus wird auch Schwarzwaldhaus genannt. Hier ist auch der Kinderladen mit dem Namen Grüne Erdferkel untergebracht.
Bei LISA gibt es einen offenen Bereich, wo Mädchen sich einfach treffen können, um zusammen Musik zu hören, zu spielen, zu basteln, zu lesen und Feste zu feiern. Es werden zahlreiche Kurse und Projektgruppen angeboten, z.B. Theater, Kochen, Tanzen, Technik und Selbstbehauptung, um nur einige zu nennen. Die Mädchen können hier ihre Hausaufgaben erledigen und sich gegenseitig dabei helfen. Wenn Rat gebraucht wird oder Streit geschlichtet werden muss, finden die Mädchen Ansprechpartnerinnen im Team.
Nun übergebe ich aber das Wort an Frau Stitz-Ulrici, die Leiterin des Mädchentreffs, die uns mehr über den Mädchen- und Frauenladen erzählen kann.
Vielen Dank, Frau Stitz-Ulrici!
Bild: Thomas Wolfes
Station 5: Klausenerplatz 12/13 / St.-Kamillus-Gemeinde
Die katholische Kirche Herz Jesu in Alt-Lietzow war für die Gemeinde zu klein geworden. Deshalb regte Bernhard Lichtenberg, der zu jener Zeit Pfarrer in der Herz-Jesu-Kirche war, einen Neubau am Klausenerplatz an. Von 1930 bis 1932 wurde die Kirche St- Kamillus von den Architekten Hermann Mohr und Werner Klinski gebaut und am 26. Juni eingeweiht. Das Besondere an diesem Komplex ist aber, dass es nicht nur eine Kirche und eine Gemeinde gibt, sondern auch ein Kloster mit drei Mönchen des Kamillianerordens. Der Name geht auf den italienischen Ordensstifer Kamillus von Lellis zurück, der von 1550 bis 1614 gelebt hat und sich der Krankenpflege verschrieben hatte. Alles andere erzählt Ihnen aber nun Pater Respondek.
Vielen Dank!
Bild: Thomas Wolfes
Station 8: Seelingstraße 14 / Kiez-Bündnis Klausenerplatz e.V.
Wir stehen hier vor dem Kiez-Büro, dem Sitz des Kiez-Bündnisses. Das Kiez-Bündnis wurde 1999 von engagierten Anwohnern und Anwohnerinnen und Gewerbetreibenden gegründet. Ziel ist es, den Zusammenhalt im Kiez zu fördern. Das Kiez-Büro fungiert als Kontakt-, Beratungs- und Begegnungsstätte. Es werden Kiezfeste, Sperrmülltage, Flohmärkte, Kinderfeste, Sportveranstaltungen, Kunstfestivals, Konzerte, Sprachkurse, Ausflüge und vieles mehr organisiert. Zudem gibt es einige Publikationen, z.B. zur Geschichte des Kiezes, einen Kalender und die Stadtteilzeitung Kiez-Blatt.
Ich begrüße nun ganz herzlich Herrn Betz und Herrn Marpe vom Kiez-Büro. Herr Betz wird uns nun etwas zur Gründungsgeschichte und den Aktivitäten des Kiez-Büros erzählen.
Vielen Dank, Herr Betz!
Bild: Thomas Wolfes
Station 10: Seelingstraße 21
Station 10.1: Seelingstraße / Namensgeber
Die Seelingstraße hieß früher Potsdamer Straße und wurde 1950 nach dem Architekten und Kommunalpolitiker Heinrich Seeling in Seelingstraße umbenannt. Seeling wurde am 1.10.1852 in Zeulenroda geboren und war von 1907 bis 1921 Stadtbaurat in Charlottenburg, wo er großen Einfluss auf die Gestaltung der expandierenden Stadt hatte. Er ist vor allem als Theaterarchitekt bekannt. Von ihm stammen unter anderem das nicht mehr existierende klassizistische Deutsche Opernhaus in der Bismarckstraße, das Theater am Schiffbauerdamm (heute Berliner Ensemble), die Eosander-Schinkel-Grundschule, das heutige Schiller-Gymnasium, der Erweiterungsbau des Rathauses Charlottenburg und das Waldhaus Charlottenburg in Sommerfeld/Kremmen. Er wurde als “Stadtältester von Berlin” geehrt und starb am 15.2.1932 in Berlin. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Friedhof Wilmersdorf .
Die Gebäude der Seelingstraße stammen aus der Zeit des großen Baubooms in Charlottenburg zwischen 1884 und 1904. Alle Häuser sind noch erhalten, wurden in den 1970er Jahren saniert und renoviert und stehen unter Ensembleschutz.
Station 10.2: Gedenktafel für Richard Hüttig
Die Gedenktafel aus glasiertem Ton wurde 1952 am Haus Seelingstraße 21 angebracht. Am gleichen Haus wurde 2010 zusätzlich eine Gedenktafel für Walter Reuter angebracht. Aber zuerst einmal zu Richard Hüttig. Auf der Gedenktafel steht:
RICHARD HÜTTIG
ANTIFASCHIST – KOMMUNIST
GEBOREN 18.3.1908
HINGERICHTET 14.6.1934 IN
BERLIN – PLÖTZENSEE
KPD
Hüttig kam im Alter von etwa 17 Jahren nach Charlottenburg. Er war Mitglied der Roten Jungfront und der KPD und leitete die Häuserschutzstaffel Lange, die sich regelmäßig in der Gaststätte Titz in der Nehringstraße 4a traf. 1933 wurde er beschuldigt, den SS-Scharführer Kurt von der Ahé erschossen zu haben. Hüttig tauchte kurzfristig unter, wurde aber bei einer Razzia gefasst und im Gestapo-Gefängnis am Columbiadamm vor ein Sondergericht gestellt. Obwohl dem unbewaffneten Hüttig die Tat selbst nach Auffassung des Gerichts nicht nachzuweisen war, wurde er wegen schweren Landfriedensbruchs und versuchten Mordes im Juni 1934 hingerichtet.
Jan Petersen beschreibt in seinem Buch Unsere Straße die Situation als der Leichenzug durch die Seelingstraße zieht:
bq. Stille. Atemlose Stille. Hell klappern die Pferdehufe. Der Totenwagen kommt langsam näher. Da fliegt ein roter Blumenstrauß durch die Luft, prallt gegen den Totenwagen. “Du bist für uns gestorben, Genosse Hüttig!”, ruft eine Frau mit gellender Stimme. Auf einmal sind wir alle ein Mund. Hundertstimmig schreit es in der engen Straße: “Rache! Rache! Rot-Front!” Der Totenwagen hält mit einem Ruck. Die Uniformierten laufen auf die Bürgersteige zu. Sie schlagen zwischen die Menschen, reißen Menschen zu Boden.
Richard Hüttig war eine der ersten Opfer des Nationalsozialismus. Der Hüttigpfad in Charlottenburg-Nord, der zur Gedenkstätte Plötzensee führt, ist nach ihm benannt.
Station 10.3: Gedenktafel für Walter Reuter
Eine weitere Gedenktafel erinnert seit Oktober 2010 an den Fotografen und Filmemacher Walter Reuter. Walter Reuter wurde zwei Jahre vor Richard Hüttig am 4. Januar 1906 geboren und wuchs hier im Kiez auf. Auf der Gedenktafel steht:
In diesem Hause wurde der Fotograf und Filmemacher
Walter Reuter
am 4.1.1906 geboren.
Er arbeitete 1930-33 in Berlin als Bildjournalist für die Arbeiter-Illustrierte Zeitung, 1933 musste er vor der Nazidiktatur bis nach Spanien fliehen. Dort kämpfte und fotografierte er 1936-39 für die spanische Republik gegen den Franco-Faschismus. Danach wurde er in Frankreich und Marokko interniert, bevor er 1942 nach Mexiko emigrieren konnte. Reuter war ein Pionier des mexikanischen Dokumentarfilms, Fotograf und Freund der mexikanischen Indianer. Er starb am 20.3.2005 in Cuernavaca (Mexiko).
Station 10.4: Stolpersteine für Johann und Johanna Visser
Die beiden Stolpersteine wurden am 20.9.2011 verlegt. Sie sind eine Spende des Kiezbündnisses Klausenerplatz. Auf den Stolpersteinen steht:
HIER WOHNTE
JOHANNA VISSER
GEB. PREUSS
JG. 1872
DEPORTIERT 29.7.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 16.5.1944
AUSCHWITZ
HIER WOHNTE
JOHANNN JULIUS
VISSER
JG.1876
DEPORTIERT 29.7.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 13.8.1942
Johanna Visser wurde am 06.12.1872 in Orlowen (Ostpreußen) geboren, Johann Visser am 20.3.1876 in Leer (Ostfriesland). Sie eröffneten im Jahre 1901 ein Textilgeschäft in der Wilmersdorfer Str. 10. Das Geschäft hieß J. Visser. Nach Angaben der Tochter, Charlotte Visser, war Johanna Visser die Inhaberin, und ihr Mann Johann, ein gelernter Kaufmann, der Geschäftsführer. Die 1902 geborene Tochter Charlotte arbeitete dort später als Verkäuferin. Nach der Machtübernahme der NSDAP und den darauffolgenden antijüdischen Gesetzen lief das Geschäft immer schlechter, und am 1. Juli 1937 wurde es geschlossen. Im Jahr 1939 wurden er und seine Tochter Charlotte von der Gestapo vorgeladen und verhört. Die Tochter wurde im gleichen Jahr ausgewiesen. Fünf Jahre später wurde das Ehepaar Visser enteignet und von der Sammelstelle in der Großen Hamburger Str. 26 ins Ghetto von Theresienstadt deportiert. Johann Visser starb bereits vier Wochen nach seiner Ankunft in Theresienstadt an Ruhr. Am 16. Mai 1944 wurde Johanna Visser zusammen mit 2.500 weiteren Menschen nach Auschwitz gebracht und dort ermordet.
Bild: Thomas Wolfes
Station 11: Danckelmannstraße 16
Station 11.1: Danckelmannstraße / Namensgeber
Die Danckelmannstraße wurde am 14. April 1885 nach dem Politiker Eberhard von Danckelmann benannt Er wurde am 23.11.1643 in Lingen geboren und starb am 31.3.1722 in Berlin. Er war Hauslehrer des Königs Friedrich I., brandenburgischer Minister und preußischer Oberpräsident (= Premierminister). Danckelmann arbeitete planmäßig an der Zentralisierung der Staatsverwaltung, förderte die Entstehung von Manufakturen und stärkte die Bedeutung und den Einfluss des Bürgertums. In Danckelmanns Verantwortung fiel auch die Gründung der Universität Halle 1694 und der Akademie der Künste in Berlin 1696. 1697 fiel er in Ungnade, wurde verhaftet und war bis 1707 in der Festung Peitz inhaftiert.
Station 11.2: Stolperstein für Moritz Lipnowski
Dieser Stolperstein wurde am 20.09.2011 verlegt.
HIER WOHNTE
FRITZ MORITZ
LIPNOWSKI
JG. 1896
DEPORTIERT 27.11.1941
ERMORDET IN
RIGA
Fritz Moritz Lipnowski wurde am 5.7.1896 in Berlin geboren und wohnte in der Danckelmannstraße 16 zur Untermiete. Seine letzte Tätigkeit übte er als Transportarbeiter bei der Firma Weber & Co Metallwarenfabrik aus. Der Wochenlohn betrug 40 Reichsmark. Als er krank wurde, musste er von Sozialhilfe leben. Am 27. November 1941 wurde er nach Riga deportiert und drei Tage später ermordet.
Station 11.3: FFBIZ in der Danckelmannstraße 13
Die Danckelmannstraße 13 [das rosarote Gebäude] war der erste Sitz des Frauenforschungs-, Bildungs- und Informationszentrums. Es wurde 1979 im Frauenzentrum in der Stresemannstraße als Arbeitsgruppe gegründet und fand 1980 in der Danckelmannstraße 13 seinen ersten festen Sitz. Zur Eröffnung kamen 500 Frauen, was die Bedeutung des Zentrums in frauenbewegten Zeiten unterstreicht. 1986 zog das FFBIZ dann in die Danckelmannstraße 47, in das ehemalige Ledigenheim, zu dem wir gleich noch mehr hören werden. In der Danckelmannstraße 15 gab es bis Anfang der 1990er-Jahre auch noch eine FFBIZ-Galerie. Das FFBIZ war mit seinen zahlreichen Aktionen, Festen, Nachbarschaftsinitiativen fest im Kiez verankert. Ab 1995 änderte sich der Schwerpunkt des FFBIZ weg von einem Frauen- und Bildungszentrum zu einem Archiv mit Bibliothek, welches die Geschichte der Frauenbewegung sammelt und archiviert. 2003 hat das FFBIZ Charlottenburg verlassen und zog in die ehemaligen Schlachthöfe in der
Eldenaer Straße in Pankow, wo auch das Archiv Grünes Gedächtnis untergebracht ist.
Auch die Danckelmannstraße 13 war Anfang der 1980er-Jahre ein besetztes Haus.
Station 11.4: Ehemaliges Ledigenheim in der Danckelmannstraße 46/47
Am 1. April 1908 wurde in der Danckelmannstr. 46-47 das erste deutsche Arbeiterwohnheim eröffnet, das seinen Bewohnern anstelle der bislang üblichen Unterbringung in kargen Schlafsälen den Luxus von Einzelzimmern bot. Architekt war der Charlottenburger Stadtbaurat Rudolf Walter. Das Gebäude ist als ein “Unterkunftshaus in erster Linie für unverheiratete junge Männer, die sonst auf Schlafstellen angewiesen sind, Männer mit bescheidenem Einkommen, doch immer im Vollbesitz ihrer Kräfte und daher erwerbsfähig.” So hieß es damals in einer Beschreibung.
Mit diesem “Hotel” für Arbeiter, Angestellte und Handwerker machte die wohlhabende Bürgerstadt Charlottenburg den Versuch, dem sogenannten Schlafgängerwesen exemplarisch entgegenzutreten. Allein in Charlottenburg gab es zu dieser Zeit rund 8000 Schlafburschen, meist jüngere Arbeiter, die wegen der immensen Wohnungsnot und ihres geringen Einkommens nur Bettstellen als Übernachtungsmöglichkeit anmieten konnten.
Friedrich H. Lorentz schreibt dazu:
bq. 1895 wurden in Berlin 79435, in Dresden 19836 und in Leipzig 19101 Schlafstellenleute gezählt. In manchen Fällen war dasselbe Bett von zwei oder gar von drei Personen im Achtstundenwechsel innerhalb 24 Stunden benutzt, ohne somit einen Augenblick kalt werden zu können.
Die Schlafgänger trugen zur weiteren Verschlechterung der Wohnsituation bei, da sie die familiäre und die intime Beziehung der Wohnungsinhaber störten. Allerdings waren sie zur Finanzierung der Wohnungen notwendig, weil das Familieneinkommen zur Eigenfinanzierung einer Wohnung vielfach zu gering war. Mancherorts wurde das eigene Bett sogar an zwei verschiedene Schlafgänger vermietet. Statistisch gesehen gab es bei kleineren Wohnungen viel mehr Schlafgänger als bei größeren, da man in kleineren Wohnungen eher einen Schlafplatz als einen ganzen Raum abgeben konnte.
Das Ledigenheim war gut ausgestattet: es gab eine Volksbücherei, eine Volksbadeanstalt und eine Volksspeisehalle, außerdem drei Geschäfte, die zur Rentabilität beitragen sollten. Träger des Heims war die 1905 gegründete “Volkshotel AG Ledigenheim”. Von ihren 41 Aktionären gehörten 22 dem Charlottenburger Magistrat bzw. der Stadtverordnetenversammlung an.
Bis zu 370 Männer lebten in den bescheidenen, 6 qm großen Einzelzimmern des Wohnheims. Wegen des rigorosen Zutrittsverbots für Frauen wurde es in der Nachbarschaft “Bullenkloster” genannt. Entgegen vieler Besorgnisse war der Ruf des Heimes solide und gut. Sogar ökonomisch wurde der Heimbetrieb zum Erfolg. In der Weimarer Republik kam es allerdings zu heftigen Mieterunruhen. Im Sommer 1930 protestierten die Mieter gegen die rigide Hausordnung und gegen den inzwischen schlechten baulichen Zustand des Hauses.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war das Ledigenheim voll besetzt, geriet aber schnell in den Ruf einer ausgesprochenen Notunterkunft. Als Ende der 60er Jahre die Wohnungsnot zu Ende ging, standen immer mehr Zimmer leer. 1971 löste sich die Aktiengesellschaft auf und verkaufte das Heim an die Gewobag, die das Haus von 1977 bis 1979 umbaute. Die Außenfassade wurde originalgetreu rekonstruiert und saniert. Heute ist das Haus ein Studierendenwohnheim mit 154 Einzelzimmern.
Wir gehen nun durch diese Toreinfahrt zum Ziegenhof und anschließend auch wieder zurück.
Bild: Thomas Wolfes
Station 13: Knobelsdorffstraße 72/74
Station 13.1: Knobelsdorffstraße / Namensgeber
Als erstes möchte ich ganz herzlich Herrn Pfarrer Haak begrüßen. Ehe er uns mehr zu seiner Gemeinde und der Geschichte der Kirche erzählen wird, möchte ich noch etwas zu der Knobelsdorffstraße sagen. Die Knobelsdorffstraße wurde um 1887 nach dem Maler, Gartengestalter und Architekt Hans Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff benannt. Er wurde am 17. Februar 1699 bei Crossen an der Oder geboren und starb am 16. September 1753 in Berlin. Er stand im Dienst von Friedrich II. In nur etwa zwei Jahrzehnten plante er zahlreiche Schlösser, Bürgerhäuser, Kolonnaden, Obelisken, Parks usw. Am bekanntesten sind sicher der Knobelsdorff-Flügel des Schloss Charlottenburg und das Schloss Sanssouci in Potsdam. Für die Berliner besonders wichtig ist aber sicher auch seine Umgestaltung des Tiergartens zu einem öffentlichen Park.
Station 13.2: Knobelsdorffstraße 72/74 / Epiphanienkirche
Ende des 19. Jahrhundert dehnte sich Charlottenburg im Zuge des extremen Bevölkerungswachstums nach Westen aus. Es bestand nicht nur Bedarf an Wohnungen, sondern auch eine evangelische Kirche wurde gebraucht, damit die Gläubigen nicht den weiten Weg zur Luisenkirche gehen mussten. Für den Bau der neuen Kirche wurde ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Die veranschlagten Baukosten für die Kirche betrugen 350.000 Mark, ausgegeben wurden 470.000 Mark. Architekt war Jürgen Kröger. Er verwendete einen eklektizistischen Baustil mit Elementen aus der Romanik, der Gotik, der Renaissance, des Barocks und des Jugendstils. Die Kaiserin Auguste-Viktoria selbst wählte aus mehreren Namensvorschlägen den Namen Epiphanienkirche aus. Weil die Kirche von Nord-Westen nur über sandige Wege zu erreichen war, bekam sie in der Bevölkerung den Namen „Kirche auf dem Sandberg. Die Kirche wurde 1906 eingeweiht.
Beim Angriff auf Berlin Anfang Mai 1945 wurde die Epiphanien-Kirche stark zerstört und das angrenzende Gemeindehaus beschädigt. Die britische Besatzungsmacht sorgte für die Beseitigung der Kriegsschäden des Gemeindehauses, beanspruchte allerdings bis zur Fertigstellung ihrer eigenen Kirche den Gemeindesaal für ihre Gottesdienste.
Als erste Sicherungsmaßnahme wurden 1953 die beiden Türme, die ursprünglich barocke Turmhelme trugen, unter einem steilen Satteldach zusammengefasst. Der Wiederaufbau des Kirchengebäudes nach Entwürfen von Konrad Sage und Karl Hebecker erfolgte 1957–1960 in zwei Bauabschnitten, bei denen Dach und Innenraum neu gestaltet wurden. Zudem wurde der Haupteingang von der östlich des Turmes verlaufenden Rognitzstraße wegen des Baus der Stadtautobahnbau auf die Südseite zur Knobelsdorffstraße verlegt. Der Wiederaufbau des Kirchengebäudes erstreckte sich über einen Zeitraum von 15 Jahren. Am 27. März 1960 weihte Otto Dibelius das neue Gotteshaus ein.
Nun aber übergebe ich das Mikrofon Herrn Pfarrer Haak.
Vielen Dank, Herr Pfarrer Haak!
Unser Kiezspaziergang endet heute hier. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Samstagnachmittag und sage Ihnen nochmals unseren Treffpunkt am Samstag, den 12.3. um 14 Uhr: Es ist der S-Bahnhof Savignyplatz, und zwar vor dem Bücherbogen. Bis dann, eine schöne Zeit und Auf Wiedersehen!
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