Kiezspaziergang am 13.10.2007

Vom U-Bhf Halemweg durch Siemensstadt

Start mit Joachim Krüger am U-Bahnhof Halemweg, Foto: Lüning

Start mit Joachim Krüger am U-Bahnhof Halemweg, Foto: Lüning

Bezirksstadtrat Joachim Krüger
Treffpunkt: U-Bahnhof Halemweg

Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen zu unserem 70. Kiezspaziergang. Mein Name ist Joachim Krüger, und ich bin Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Ausbildungsförderung und Personal. Bezirksbürgermeisterin hat mir diesen Termin überlassen, weil wir im August den damals geplanten Spaziergang durch Siemensstadt abbrechen mussten. Nachdem wir die ersten Regengüsse überstanden hatten und noch relativ trocken in die Sühne-Christi-Kirche gelangt waren, die uns Pfarrer Bolz näher brachte, konnten wir noch die Jugendeinrichtungen und Schulen am Halemweg anschauen, aber an der Erwin-von-Witzleben-Grundschule hat uns dann ein weiterer Regenschauer so unvorbereitet erwischt, dass wohl die meisten durchnässt waren. Wir werden heute nicht wiederholen, was wir im August gemacht haben, sondern wir wollen uns ganz auf Siemensstadt und seine hochinteressante Architektur konzentrieren.
Wenn wir Siemensstadt erkundet haben, werden wir in den Volkspark Jungfernheide gehen und dort an der Gustav-Böß-Bühne enden, wo es seit einigen Jahren auch ein gastronomisches Angebot gibt. Der Wirt freut sich schon auf unsere Ankunft.
Wie gewohnt will ich Ihnen zu Beginn den nächsten Treffpunkt mitteilen. Am Samstag, dem 10. November wird wieder Frau Thiemen die Führung übernehmen. Einen Tag nach dem Gedenktag des 9. November wird die jüdische Geschichte unseres Bezirks im Mittelpunkt stehen. Unter anderem wird es zu den Gedenktafeln gehen, die in der Sybelstraße an die ehemalige jüdische Musikschule Holländer und in der Markgraf-Albrecht-Straße an die große Synagoge Halensee erinnern. Auch der Friedhof Grunewald in Halensee wird besucht werden. Treffpunkt ist am 10.11., um 14.00 Uhr auf dem Adenauerplatz am U-Bahnausgang vor dem Café an der Adenauer-Skulptur.
Wie Sie wissen gibt es seit Januar dieses Jahres auch das Kiezmenü, und zwar immer am letzten Mittwoch eines Monats um 18.00 Uhr. Das Oktober-Menü bei Schweighofer ist zwar ausgebucht. Wer sich aber für das Novembermenü anmelden will, der kann dies ab Montag, 5. November in der Pressestelle tun, Telefon 9029-12514. Das Menü findet statt am 28.11., 18.00 Uhr mit Sportstadtrat Reinhard Naumann im Casino des Vereins für Körperkultur am Maikäferpfad 36. Sie finden alle Informationen im Internet unter www.kiezmenue.de. Die Manuskripte aller Kiezspaziergänge finden Sie unter www.kiezspaziergaenge.de .

Siemensstadt
Wir befinden uns heute in Charlottenburg-Nord, und zwar in dem Teil, der zur Groß-siedlung Siemensstadt gehört, die man ja mehr mit Spandau als mit Charlottenburg verbindet. Die Großsiedlung Siemensstadt wurde 1929-31 unter der Gesamtplanung von Hans Scharoun errichtetet. Der Charlottenburger Teil gilt als beispielhaft für den fortschrittlichen Wohnungsbau der 20er Jahre mit ihren aufgelockerten, von Freiräu-men und Grünstreifen umgeben, meist fünfstöckigen Wohnzeilen. Mittelpunkt der Siedlung im Charlottenburger Teil ist der Goebelplatz. Die Straßen wurden hier nach Technikern, Erfindern und Physikern benannt, auf deren Entdeckungen der Erfolg der Firma Siemens beruhte.
Von 1956 bis 1961 entstand die Erweiterung der Siedlung Siemensstadt hier im westlichen Teil Charlottenburg-Nords mit annähernd 4000 Wohnungen für 12.000 Menschen. Wir befinden uns hier am Halemweg in diesem Teil, der Ende der 50er Jahre entstand, und wir werden im Laufe unseres Spazierganges deutlich den Unterschied zur Bebauung der 20er Jahre erkennen können.
Den östlichen Teil von Charlottenburg-Nord, die Paul-Hertz-Siedlung, auf der anderen Seite des Kurz-Schumacher-Dammes, mit fast 2700 Wohnungen, baute man anschließend von 1961 bis 1965. Zum Planungsteam gehörten die Siemensstadt-Architekten Hans Scharoun und Otto Bartning. Hans Scharoun nannte seine Bauten “Wohngehöfte”.
Viele Straßen der neuen Siedlung wurden nach Widerstandskämpfern benannt. Die Nähe zur 1951 errichteten Gedenkstätte Plötzensee spielte dabei eine wichtige Rolle.
Der Halemweg beispielsweise wurde 1957 benannt nach dem Juristen und Widerstandskämpfer Nikolaus Christoph von Halem. Er wurde 1905 in Schwetz in Westpreußen geboren und im Alter von 39 Jahren am 9.10.1944 im Zuchthaus Brandenburg als Widerstandskämpfer hingerichtet. Er musste 1933 seine Richtertätigkeit beenden, weil er keinen Eid auf Hitler leisten wollte. Er hatte Kontakte zu dem Widerstandskämpfer Beppo Römer und wurde nach dessen Verhaftung 1942 ebenfalls verhaftet.

Manche bezeichnen diesen Teil von Siemensstadt als ein bewohntes Open-Air-Museum der modernen Architektur. Sie wurde von 1929 bis 1931 erbaut und ist mit fast 1.400 Wohneinheiten ein Paradebeispiel für den Stil des Neuen Bauens in der Weimarer Republik.
Siemensstadt war die wichtigste architektonische Leistung und das Vorzeigeprojekt der Architekten-Vereinigung “Der Ring”, die1926 in Berlin gegründet wurde. “Der Ring” war ein Zusammenschluss junger Architekten, der sich zum Ziel setzte, das “Neue Bauen” zu fördern. Er bezog Position gegen den Historismus in der Architektur. Neben neuen architektonischen Ausdrucksformen suchten die Mitglieder des Rings auch nach neuen Bautechniken. Im Unterschied zu anderen Vereinigungen dieser Zeit gab es jedoch kein ausformuliertes Programm. Die treibende Kraft hinter der Gründung des Rings waren Hugo Häring und Ludwig Mies van der Rohe, die sich zu dieser Zeit ein Büro in Berlin teilten. Hugo Häring wurde von der Gruppe zu ihrem Sekretär gewählt.
Die Mitglieder vertraten mitunter sehr unterschiedliche Haltungen. Das wird insbesondere hier in Siemensstadt deutlich, wo auf engstem Raum unterschiedliche Wege der modernen Architektur der 20er Jahre zu besichtigen sind. Beim Bau der Siemensstadt von 1929 bis 1931 waren sechs Mitglieder des Rings beteiligt: Otto Bartning, Fred Forbat, Walter Gropius, Hugo Häring, Paul Rudolf Henning und Hans Scharoun. Die Freiflächen gestaltete Leberecht Migge. Die Gesamtleitung lag bei Hans Scharoun. Nach der Architektengruppe wurde Siemensstadt auch “Ringsiedlung” genannt.
Die Straßen und Plätze wurden nach Technikern, Erfindern und Physikern benannt, auf deren Entdeckungen der Erfolg der Siemens AG beruhte.
Markant für die Siedlung sind einige an Schiffsarchitektur erinnernden Bauformen. In der Siedlung Siemensstadt sind die überwiegend vier- bis fünfgeschossigen Wohnzeilen mit Flachdach weitgehend nach Süden ausgerichtet und werden durch breite Grünanlagen getrennt. Licht, Luft und Sonne gab es dadurch für jede Wohnung, die alle über Bad und Innentoilette, Zentralheizung und Warmwasserversorgung, und einen Balkon oder eine Loggia verfügen. Heizung und Warmwasser wurden durch ein siedlungseigenes zentrales Heizwerk geliefert, das erste seiner Art im damaligen Berlin. Die einzelnen Wohnungen brauchten also keine eigenen Heizanlagen. Daher auch der Beiname »Rauchlose Stadt«.
Die Bauten gehören heute der GSW. Die hat gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt vor drei Jahren 2004 zum 75. Geburtstag der Siedlung zehn Wegweiser mit vielen Informationen zu den Gebäuden und ihren Architekten aufgestellt. So ist ein Spaziergang durch die Siedlung auch ohne Kiezführer informativ. Ich kann Ihnen heute nur einen Teil der bemerkenswerten Bauten zeigen und erläutern.

Am Halemweg, Foto: Lüning

Am Halemweg, Foto: Lüning

Halemweg 18: Jugendfreizeitzentrum
Am Halemweg befinden sich ein Reihe von großen Jugend-, Bildungs- und Schuleinrichtungen. Von uns aus gesehen den Anfang macht am Halemweg 18 der 1965 gegründete Jugendclub Halemweg.

Toeplerstraße
Die Toeplerstraße wurde bereits 1937 benannt nach dem Physiker August Joseph Ignatz Toepler. Er wurde 1836 in Brühl bei Bonn geboren und starb 1912 in Dresden. Er war Professor in Riga, Graz und Dresden, konstruierte eine Quecksilberluftpumpe und eine magnetische Waage.

Toeplerstraße 1
An der Ecke Halemweg und Toeplerstraße baute Hansrudolf Plarre 1962 bis 64 die evangelische Sühne-Christi-Kirche. Es ist ein hexagonaler, also sechseckiger Saal-bau mit dreieckigen Angauten für den Eingang und die Sakristei. Daneben steht ein freistehender Glockenturm. Es ist das Haus der Kirchengemeinde Charlottenburg-Nord.
Halemweg 22-24
Hier befinden sich eine Reihe von Bildungseinrichtungen des Bezirks: Die Anna-Freud-Oberschule am Halemweg 22 wurde 1977 gegründet. Sie ist eine staatliche Fachschule für Sozialwesen mit gymnasialer Oberstufe. Rund 900 Schülerinnen und Schüler werden hier unterrichtet und auf ihre Tätigkeit im Sozialwesen vorbereitet.

Im Gebäude der Anna-Freud-Oberschule befindet sich auch die Stadtbibliothek Halemweg. Sie war die erste Bibliotheksneugründung in Charlottenburg nach dem Krieg. Sie wurde am 18. November 1962 eröffnet und versorgt seitdem die Bevölkerung im Norden des Bezirks mit Büchern und anderen Medien. 1977 bezog die Bibliothek ihre heutigen Räume im Schulgebäude. Zwar ist die Zusammenarbeit mit den Schulen ein Arbeitsschwerpunkt, doch die Bibliothek bietet nicht nur Lesestoff für Schüler, sondern auch Romane, Ratgeberliteratur und andere Medien: Kassetten und CDs, Videos und DVDs sowie 5 Internetplätze für die Bibliotheksbenutzer.
Ende April 2004 eröffnete das Bürgeramt eine Außenstelle in der Stadtteilbibliothek.

Am Halemweg 24 wurde 1973 die Poelchau-Gesamtschule eröffnet. Sie ist Berlins vierte Sportoberschule mit gymnasialer Oberstufe. Die Schule arbeitet unter anderem mit Hertha BSC zusammen und ist sehr engagiert. In sportlichen Wettkämpfen hat sie immer wieder große Erfolge zu verzeichnen, etwa bei “Jugend trainiert für Olympia”. Im Fußball gibt es sowohl eine erfolgreiche Mädchenmannschaft als auch eine erfolgreiche Jungenmannschaft.
Auch die Ruderer, die Tennisspieler und die Leichtathleten hatten schon große Erfolge. In diesem Jahr wurden die Fußballjungen der Poelchau-Oberschule bei der Schul-Weltmeisterschaft in Chile Weltmeister, und kurz danach schafften die Tennis-Mädchen bei der Schul-Weltmeisterschaft in Warschau ebenfalls den Schul-Weltmeistertitel – zwei Riesenerfolge in einem Jahr für unsere Schule.

Halemweg 30
Hier betreibt der Sportclub Charlottenburg seinen SCC-Hort “Villa Kunterbunt” und eine Physiotherapie. Im Vorgarten stehen zwei Störche.

Halemweg 34
Neben der Poelchau-Gesamtschule liegt am Halemweg 34 die 1962 gegründete Erwin-von-Witzleben-Grundschule mit etwa 340 Schülerinnen und Schülern. Auch diese Schule bietet einen sportbetonten Zug an. Französisch ist dort Erste Fremdsprache. Probleme bereitet hier die hohe Zahl von Arbeitslosengeld II-Empfängern mit häufig nicht intakten Familien, während die hier unterrichteten Ausländerkinder und die Kinder von Russlanddeutschen meist gut integriert sind.

Am 4.12.2001 haben wir hier am Schuleingang eine Gedenktafel für Erwin von Witzleben enthüllt:

Diese Schule wurde 1961 eröffnet und benannt nach
Erwin von Witzleben
4.12.1881 – 8.8.1944
Generalfeldmarschall
seit 1934 in Opposition zu den Nationalsozialisten
plant 1938 zur Verhinderung eines Krieges die Absetzung Hitlers
1942 aus dem aktiven Militärdienst entlassen
in den Plänen des Widerstands für den 20. Juli 1944
vorgesehen als Oberbefehlshaber der Wehrmacht
nach dem gescheiterten Attentat verhaftet
am 8.August 1944 in Berlin Plötzensee hingerichtet

Heckerdamm
Die Straße wurde 1950 nach dem Berliner Baumeister Oswald Hecker benannt. Er lebte von 1869 bis 1921 und war für den Bau des Osthafens an der Stralauer Allee und seit 1914 für den Bau des Westhafens verantwortlich.

Am Heinickeweg, Foto: Lüning

Am Heinickeweg, Foto: Lüning

Heinickeweg
Die Straße wurde 1955 nach dem Pädagogen Samuel Heinicke benannt. Er lebte von 1727 bis 1790 und gründete 1778 in Leipzig die erste Taubstummenlehranstalt Deutschlands. Er schuf die Grundlagen für den modernen Gehörlosen-Unterricht.

Heinickeweg 15
Hier befindet sich das Alten und Pflegeheim MM Birkholz, benannt nach dem Sozialgerontologen Martin Michael Birkholz. In der Einrichtung befindet sich auch die Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Verbandes der Leitungskräfte von Alten- und Behinderteneinrichtungen VLAB.

Heinickeweg 1
Hier befinden sich das Seniorenwohnhaus Jungfernheide und das Vivantes Wohnpflegezentrum Charlottenburg Heimstatt Jungfernheide. Mitten in der hufeisenförmigen Anlage befindet sich ein schöner großer Park. Die Gesamtanlage stammt aus dem Ende der 1930er Jahre. Sie geht auf den Gesamtentwurf von Hitlers Lieblingsarchitekten Albert Speer für Charlottenburg-Nord zurück und ist das einzig erhaltene Beispiel für dessen Vorstellungen von Charlottenburg-Nord.
Die Heimstatt Jungfernheide wurde von 1988 bis 1993 altengerecht modernisiert. Sie bietet mit dieser einladenden Gartenanlage in unmittelbarer Nähe zum Volkspark Jungfernheide ein attraktives Umfeld. Ganz neu angelegt wurde ein Biotop an der Stelle eines ehemaligen Swimmingpools.
In der Heimstadt Jungfernheide von Vivantes gibt es 135 Pflegewohnplätze aller Pflegestufen. In drei Wohnbereichen stehen 123 Einzelzimmer und 6 Zweibettzimmer zur Verfügung. Sämtliche Etagen, die Zimmer und der Garten sind auch für Rollstuhlfahrer bequem und sicher und mit einem Fahrstuhl erreichbar. Die einzelnen Wohnbereiche sind farblich so abgestimmt, dass die Wiedererkennung und somit auch die Orientierung leichter fallen. Für die gemeinsamen Mahlzeiten, Veranstaltungen und Feste stehen ein geräumiger Speisesaal sowie kleinere Gemeinschaftsräume zur Verfügung. Die Zimmer haben zum größten Teil einen Balkon.

Toeplerstr.12
Hier residiert Vita e.V. Berlin, der Verein für Integrative Therapeutische Angebote und die Tagespflege Charlottenburg.

Schweiggerweg
Der Schweiggerweg wurde 1937 nach dem Physiker Johann Salomo Christoph Schweigger benannt. Er lebte von 1779 bis 1857 und war Professor in Erlangen und Halle an der Saale. Er befasste sich mit elektrischen und magnetischen Erscheinungen und war an der Entwicklung des Galvanometers beteiligt.
Hier am Schweiggerweg beginnt nun der historische Teil von Siemensstadt der seit 1929 entstand. Die Architektur auf beiden Seiten der Straße unterscheidet sich deutlich.

Toeplerstr. 20
Hinter der Häuserzeile befindet sich ein eindrucksvoller großer Park.

Schneppenhorstweg
Die Straße wurde 1957 nach dem Widerstandskämpfer Ernst Schneppenhorst benannt. Er wurde 1881 in Krefeld geboren, kam 1912 für die SPD in den bayerischen Landtag. 1934 ging er nach Berlin und nahm Kontakt zu der Widerstandsgruppe um Leuschner und Karl Arndt auf. Er wurde mehrfach verhaftet und kurz vor Kriegsende am 24.4.1945 von der SS ermordet.

Goebelplatz und Hochhaus am Schneppenhorstweg, Foto: KHMM

Goebelplatz und Hochhaus am Schneppenhorstweg, Foto: KHMM

Schneppenhorstweg 2
Das Hochhaus mit 11 Etagen wurde als Laubenganghaus von der GSW-Bauabteilung unter Mitwirkung von Hans Scharoun geplant und 1960 gebaut.

Goebelplatz
Der Goebelplatz wurde 1930 benannt nach dem Uhrmacher und Erfinder Henry Goebel. Er hieß eigentlich Johann Heinrich Christoph Göbel, wurde1818 in Springe geboren und wanderte 1848 nach Amerika aus. 1893 starb er in New York. Er gilt als Erfinder der Glühlampe, die Thomas Alva Edison seit 1879 technisch auswertete und industriell produzierte.
Der Goebelplatz ist Mittelpunkt des Charlottenburger Teils der Großsiedlung Siemensstadt.

Heilmannring
Der Heilmannring wurde 1957 nach dem Widerstandskämpfer Ernst Heilmann benannt. Er wurde 1881 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Er trat 1898 in die SPD ein und wurde Parlamentsberichterstatter für die sozialdemokratische Presse. Von 1909 bis 1917 war er Chefredakteur der “Volksstimme” Chemnitz, von 1919 bis 1933 Redakteur des “Vorwärts. 1919/20 war er Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Charlottenburg, 1919 bis 1933 Mitglied des Preußischen Landtages und 1928 bis 1933 Reichstagsabgeordneter. Im Juni 1933 wurde er in Berlin festgenommen und in dem berüchtigten Columbia-Haus in Tempelhof inhaftiert, später kam er ins Zuchthaus Plötzensee und in die Konzentrationslager Oranienburg, Esterwegen, Dachau und Buchenwald. Dort wurde er am 3.4.1940 ermordet.

Goebelstraße Ecke Geißlerpfad
Hier treffen wir auf die Infotafel Nr.9:

“Charlottenburg-Nord”
Von der nationalsozialistischen Propaganda wurde die moderne Architektur, wie die Siedlung Siemensstadt mit ihrem Zeilenbau und den flachen Dächern, abgelehnt, ihre Architekten verunglimpft, mit Bauverbot belegt oder wie Walter Gropius und Fred Forbat in die Emigration getrieben. Allerdings war der Umgang mit Siemensstadt zunächst widersprüchlich: Erst wenige Jahre alt, verbot sich ein sofortiger Abriss der Siedlung. Auch bauliche Veränderungen wurden nicht vorgenommen, man versuchte lediglich mit schnell wachsenden Pyramidenpappeln die Bauten im Stadtbild unsichtbar zu machen.
Fred Forbat hatte östlich der Siedlung am Goebelplatz eine umfangreiche Erweiterung mit einem Einkaufszentrum geplant, die nun nicht mehr ausgeführt werden konnte. Paul Rudolf Henning konnte dagegen in den Jahren 1933/34 seine Zeilenbebauung um zwei spiegelbildlich angeordnete Blöcke ergänzen, die zwar noch mit dem von den Nationalsozialisten abgelehnten Flachdach, aber ohne Balkons ausgeführt wurden.
Zur selben Zeit entstand an der Westseite des Geißlerpfades gegenüber Forbats Bebauung eine weitere, nord-süd-ausgerichtete Flachdachzeile, die sich in Details an seinen Bauten orientierte. 1936 folgte östlich davon eine von dem Hausarchitekten der Siemenswerke, Hans Hertlein entworfene Wohnanlage, die sich mit ihren steilen Dächern und breiten Hauskörpern von der Zeilenbebauung der Großsiedlung absetzt.
Erst die Planungen von Hitlers Leibarchitekten Albert Speer für die Umgestaltung Berlins zur Welthauptstadt “Germania” ließen die Siedlung als Störfaktor erscheinen. Im gigantischen neuen Siedlungsgebiet Charlottenburg-Nord sollte die moderne Großsiedlung hinter Monumentalbauten versteckt werden. Ausgeführt wurde zunächst nur die so genannte Heimstatt Jungfernheide, ein Altersheim. Bei Kriegsende standen am Goebelplatz einige Bauruinen verloren neben Flakstellungen.
Nach schwersten Kriegszerstörungen gelingt es dem in der Siedlung wohnenden Scharoun deshalb zunächst nicht, einen vereinfachenden Wiederaufbau seiner Bauten durch die Bauverwaltung zu verhindern. Die ablehnende Haltung gegenüber der Moderne prägte zunächst auch die Nachkriegszeit, saßen 1945 in der Bauverwaltung doch noch viele ehemalige Speer-Mitarbeiter. Auf Grund seiner Proteste wurde Scharoun dann immerhin mit dem Wideraufbau der restlichen Siedlungsteile betraut, u. a. erweiterte er den “Langen Jammer” Bartnings nach Osten um ein Laubenganghaus.
Seine Beauftragung mit dem südlich der Goebel- und Toeplerstraße an die existierende Bebauung anschließenden Siedlungskomplex Charlottenburg-Nord führte dann wiederum zu schweren Auseinandersetzungen mit der Bauverwaltung, an deren Ende ein Kompromiss stand: Scharoun konnte den Abriss der Bauruine an der Ecke Heilmannring/Goebelstraße durchsetzen, musste aber der Nutzung der bereits verlegten Strom-, Wasser- und Gasversorgungssysteme zustimmen. Dadurch war der Verlauf der Straßenführung weitgehend vorbestimmt und ließ wenig Raum für Scharouns visionäre Architekturplanungen.

Laubenganghaus von Hans Scharoun, Foto: KHMM

Laubenganghaus von Hans Scharoun, Foto: KHMM

Goebelstraße 1-9
Der expressionistische Bau mit pinkfarbenen den Balkonen und Bullaugen stammt von Hans Scharoun. Im Zweiten Weltkrieg wurde der östliche Abschluss des “Langen Jammers”, den Otto Bartning 1929 gebaut hat, hier am Goebelplatz stark zerstört. Hans Scharoun ließ die Bauruine abreißen und schuf Ende der 50er Jahre dieses Laubenganghaus als neuen Abschluss des “Langen Jammers” – ganz im Stil des Neuen Bauens, und doch als eigenwilligen, auch farblichen neuen Akzent.

Goebelstraße 11-113
Eines der bekanntesten und größten Bauwerke der Siedlung ist der »Lange Jammer« von Otto Bartning mit seiner monotonen, scheinbar endlos, nämlich 500 Meter langen, gekrümmten Vorderfront. Die Wohnungen mit durchschnittlich 54 m² Fläche sind für die damaligen Verhältnisse großzügig mit Bad, WC und Heizung ausgestattet. Die 1929 bis 1930 gebaute Anlage galt als modern und wegweisend.

Die runden Balkone von Hugo Häring, Foto: KHMM

Die runden Balkone von Hugo Häring, Foto: KHMM

Gegenüber stehen senkrecht dazu die ebenfalls dieser Zeit entstandenen Wohnzeilen von Hugo Häring, dem Vorreiter des »Organischen Bauens«. Seine Häuser sind charakterisiert durch ihre ockerfarbigen Klinkerverschalungen und die halbelliptischen Balkone.

Goebelstraße 60-70
Vor dem Zeilenbau von Hugo Häring mit den charakteristischen runden Balkonen befindet sich die Infotafel 6:

Hugo Häring
Die Wohnzeilen Hugo Härings gehören zu den schönsten Bauten der Siemensstadt. Sie wurden in der zeitgenössischen Kritik besonders gelobt:
“Es scheint mir nun ein Verdienst des Architekten Hugo Häring, dass er für seine Zeilen – wiederum in Siemensstadt – einen sehr glücklichen Ausgleich zwischen Intimität und Monumentalität gefunden hat. Seine gestaffelten Zeilen, in ihrer Bewegung, in Material und Farbe ganz in Einklang mit Maß und Größe, wirken mit überzeugender Natürlichkeit und schlagen eine Bresche in die zur Mode werdende Fassaden-Graphik.” (Adolf Behne)
Den Verlauf der geschwungenen Goebelstraße aufnehmend, wird der Flaneur dort Zeuge eines subtilen, plastisch-architektonischen Spiels: Die eher strenge Südseite mit dem klinkerverkleideten Dachgeschoss verschwindet mehr und mehr aus der Wahrnehmung und gibt den Blick frei auf die westliche, stark plastisch gegliederte Haupt- und Eingangsseite. Nierenförmige Balkone schwingen aus der Fassade hervor und werden im Obergeschoss von rechteckigen Balkonen paarweise zusammengefasst. Dazwischen setzen die ununterbrochen bis zum Dach geführten Treppenhäuser einen Vertikalakzent. Härings ursprünglicher Plan sah auf dem Dach Atelierwohnungen mit großen Terrassen vor, die jedoch nicht verwirklicht wurden, hier fanden dafür Waschküchen und Trockenräume Platz.
Lederbraune Klinker im Dachgeschoss, an den Balkonen und Hauseingängen geben dem Baukörper eine warme Farbigkeit. Im Gegensatz zur – von Häring so bezeichneten – Schauseite zeigt die Ostansicht eine fast puristische Strenge, ohne jedoch Rückseite zu sein: Aus der durch die Regenwasserfallrohre gegliederten Wand treten die größeren Schlafzimmerfenster um eine Ziegelbreite als schmale Mauerstreifen aus der Front heraus. Häring schaffte es so, mit einfachsten Mitteln eine monotone Flächigkeit zu vermeiden.
Die ersten acht Zeilen haben 2 ½ -Zimmer-Wohnungen mit je 58 qm, Schlafzimmer und Bad liegen nach Osten, Wohnraum und Küche zur Eingangsseite nach Westen. Der nierenförmige Balkon ist vom Wohnraum aus betretbar und schwingt vor der Küche aus. Häring meinte dazu: “Die Form entspringt der Absicht, einerseits die Balkone möglichst weit herauszustrecken, andererseits den dadurch entstehenden Schatten zu verringern.” Die Fläche sei so bemessen, dass eine Liege und ein Tisch mit drei Stühlen Platz finden können. Die letzte Häring’sche Zeile hat rechteckige Balkone und enthält kleinere Wohnungen mit Sohnküchen.
Sehr erhebliche Kriegszerstörungen an den Zeilenenden zur Goebelstraße wurden in den fünfziger Jahren mustergültig beseitigt.
Hugo Häring
1882 Biberach – 1958 Göppingen
Architekt und Möbelgestalter
Hugo Häring zählte zu den führenden Vertretern des “organischen” Bauens, nach dem die architektonische Form aus der Funktion heraus entwickelt werden sollte. Nach dem Studium in Stuttgart und Dresden arbeitete er 1904-1921 als freier Architekt in Hamburg und Allenburg, Ostpreußen. 1921 zog er nach Berlin und wurde Mitglied der “Novembergruppe”. 1923/24 war er Mitgründer der Architektengruppe “Der Ring”, deren Sekretär und Sprecher er auch war. Außerdem war er im Vorstand des Deutschen Werkbundes tätig. Neben seinen Siemensstädter Bauten zählen vor allem die Gutsanlage in Garkau bei Lübeck (1924/25) und die Wohnbauten in der Waldsiedlung Onkel-Toms-Hütte in Zehlendorf (1926/27) zu seinen Hauptwerken. Häring, der nicht emigrierte, leitete 1935 – 1943 die Reimann-Schule für Gestaltung “Kunst und Werk”. 1944 zog er nach Biberach, wo er bis zu seinem Tod lebte.

Goebelstraße 55
Hier befindet sich die Tafel 4:

Otto Bartning
“Langer Jammer”
Otto Bartning bekam den undankbarsten Bauteil der Siedlung zugewiesen. Das schmale Grundstück zwischen Bahn und Goebelstraße ließ nur eine Randbebauung zu, die zudem entgegen der damals als ideal empfundenen Nord-Süd-Orientierung vor allem in Ost-West-Richtung verlief.
Bartning suchte die Lösung in einer ungewöhnlichen Ausrichtung der Wohnungen: Die kleinen Zwei-Zimmer-Wohnungen mit 50 qm haben, der Himmelsrichtung entsprechend, die Schlaf- und Wohnräume auf der sonnigen Südseite, während Küche und Bad im Norden liegen. Große Fenster und eine zweiflügelige Tür lassen der Essküche eine größtmögliche Bedeutung zukommen. Die Straßenseite zeigt eine klare Front, aus der lediglich die Vordächer herausragen. Die verglasten Treppenhäuser setzen die einzigen vertikalen Akzente in dem lang gestreckten Block. Breite Fenster unterstützen die Bewegung des konkaven Baus. Die Südansicht zeigt dagegen eine lebhafte, durch Balkone rhythmisierte Blockseite. Städtebaulich riegelt der geschwungene, der Straßenkurvung folgende Block zusammen mit dem zweigeschossigen Ladengebäude am Jungfernheideweg den Blick auf das Fernheizwerk und den Bahndamm ab.
Die – wie Bartning schreibt – “in Farbe und Profil möglichst schlicht gehaltene”, aus 25 gleich geformten Hauseinheiten zusammengesetzte Zeile wurde bereits in der zeitgenössischen Kritik als sehr streng empfunden und treffend als “langer Jammer” bezeichnet.
Der Block wurde am östlichen Teil im Krieg schwer zerstört, der Wiederaufbau erfolgte durch Hans Scharoun, der den Bauteil nicht nur detailgetreu wiederherstellte, sondern zudem noch um drei weitere Häuserachsen verlängerte, deren Ausführung 1930 wegen Grundstücksstreitigkeiten nicht realisiert werden konnte.

Otto Bartning
1883 Karlsruhe – 1959 Darmstadt
Architekt
Bartning reiste nach dem Abitur 1902/03 als Schiffsjunge einmal um die Erde. Die dort gewonnenen Eindrücke prägten ihn sein Leben lang. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg errichtete er erste Kirchenbauten. 1918 wurde er Mitglied im Berliner “Arbeitsrat für Kunst”, später Mitglied in der Architektenvereinigung “Der Ring”. In den zwanziger Jahren beschäftigte er sich vor allem mit der Reform des evangelischen Kirchenbaus. 1926 wurde er Direktor der Bauhochschule Weimar, der dortigen Nachfolgeorganisation des nach Dessau vertriebenen Bauhauses. Er blieb auch nach 1933 in Deutschland und zeichnete für eine Vielzahl von Kirchen verantwortlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind es vor allem die ca. 150 “Notkirchen”, die mit einfachsten Mitteln von den Gemeindemitgliedern vor Ort aus wenigen vorfabrizierten Bauteilen errichtet wurden, und die Leitung des Wiederaufbaus der Insel Helgoland, für die sein Name steht.

Paradies der großen Wäsche, Foto: KHMM

Paradies der großen Wäsche, Foto: KHMM

Im Durchgang zur Geschäftsstelle der GSW befindet sich die Infotafel 5.

“Paradies der großen Wäsche”
Zentrales Wasch- und Heizhaus von Otto Bartning und Ingenieur Max Mengeringhausen
Abgeschirmt zwischen dem Bahndamm und der Bartning’schen Randbebauung, die an dieser Stelle einen Durchlass freigibt, liegt das zentrale Wasch- und Heizungshaus heute inmitten üppiger Vegetation. Als eine der ersten Berliner Wohnanlagen wurde die Großsiedlung Siemensstadt mit einem eigenen Fernheizwerk ausgestattet. Eigentlich an anderer Stelle von Fred Forbat geplant, wurde das Gebäude dann aus technischen Gründen in der Mitte der Siedlung gleich weit von den östlichen und westlichen Zeilen entfernt platziert, um die Versorgungswege für Heizung und Warmwasser möglichst kurz zu halten.
Durch die Zentralheizung sollte auch eine bessere Nutzung der Wohnfläche erreicht werden, da in den klein bemessenen Wohnungen durch den Wegfall der Kachelöfen zusätzlich jeweils ca. 5 qm gewonnen werden konnten. Obwohl alle Häuser in Siemensstadt mit eigenen Waschküchen und Trockenräumen ausgestattet worden waren, enthielt das von Otto Bartning in Verbindung mit dem Ingenieur Max Mengeringhausen entworfene Heizwerk eine zentrale Siedlungswäscherei, die von der Presse damals begeistert als “Paradies der großen Wäsche” gefeiert wurde.
Die Wäscherei verfügte über einen Kinderaufbewahrungs- und Spielbereich, der – ganz im Sinne der Moderne – mit kindgerechten Freischwinger-Stühlen nach Entwurf von Ludwig Mies van der Rohe ausgestattet war.
Nach Anschluss der Siedlung das berlinweite BEWAG-Fernheizungsnetz wurde das Heizwerk stillgelegt und der markante Schornstein abgerissen. Diesem Schicksal entging das Hauptgebäude, da die GSW dort ihre Geschäftsstelle einrichtete – eine in der Fachpresse gelobte, mustegültige Nachnutzung von nicht mehr benötigten Industriegebäuden.

Unter der stillgelegten Bahntrasse der ehemaligen Siemensbahn geht es durch einen Tunnel über die Bezirksgrenze auf die Spandauer Seite an der Trasse entlang zum Jungernheideweg, der wiederum die Grenze zwischen Spandau und Charlottenburg-Wilmersdorf bildet. Die Schnellbahnlinie wurde 1929 als Betriebsstrecke der Firma Siemens errichtet und brachte der Siedlung Siemensstadt einen günstigen Verkehrsanschluss. Durch die jahrzehntelange Stilllegung wurde der Bahndamm mittlerweile von der Natur zurück erobert.

"Panzerkreuzer" von Hans Scharoun, Foto: KHMM

"Panzerkreuzer" von Hans Scharoun, Foto: KHMM

Jungfernheideweg
Die Straße erhielt ihren Namen 1931.
Zu den markantesten Bauten von Siemensstadt im Spandauer Teil gehört der »Panzerkreuzer« von Hans Scharoun am Jungfernheideweg, so genannt wegen seiner schiffsartigen Aufbauten und Balkone.
In der Grünanlage gegenüber dem “Panzerkreuzer” befinden sich die Infotafeln 1 und 2. Die Definition von Hans Scharoun für den Begriff “Nachbarschaft”, mit der die Tafel 1 beginnt, könnt man auch auf unseren Begriff “Kiez” anwenden. Tafel 1:

“Die Siedlung Siemensstadt”
“Nachbarschaft ist eine geistige Energie (…) Sie ist ein Raum, den ein Fußgänger in etwa einer Viertelstunde durchquert, ein Raum, der der Erlebnisfreudigkeit des Kindes entspricht, groß genug, um Abenteuer darin anzusiedeln, klein genut, um das Gefühl der Heimat aufkommen zu lassen.”
Hans Scharoun 1927

Die Großsiedlung Siemensstadt gehört heute zu den bekanntesten Siedlungen der Weimarer Republik. Trotz der Namensgebung war der Siemenskonzern nicht an Planung und Finanzierung beteiligt, die Siedlung ist kein Werkwohnungsbau.
Die Siedlung verdankt ihre Entstehung einem Zusatzbauprogramm der Stadt Berlin, mit dem der fortschrittliche Stadtbaurat Martin Wagner die Idee der Großsiedlung verwirklichen und damit die Architektur des Neuen Bauens zum offiziellen Modell machen konnte.
Als Standort der Großsiedlung Siemensstadt wurde ein städtisches Gelände bestimmt, das ursprünglich Bestandteil der Jungfernheide war und zu den Bezirken Charlottenburg und Spandau gehörte. Eine 1929 als Betriebsstrecke der Firma Siemens errichtete Schnellbahnlinie zerschnitt das zukünftige Siedlungsgelände in zwei Teile, brachte der Siedlung aber einen günstigen Verkehrsanschluss.
Das Bestreben, “Licht, Luft und Sonne” für alle Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, sollte die Siedlung im damals noch wenig erprobten Zeilenbau errichtet werden. Um eine optimale Besonnung der Wohnungen zu erzielen, lagen die Wohnblöcke in strenger Nord-Süd-Richtung parallel zueinander, die Schlafräume nach Osten, die Wohnzimmer nach Westen orientiert. Die Hausreihen standen bevorzugt senkrecht zur Straße und waren über schmale Wohnwege zu erreichen. Dadurch konnte alte Bäume erhalten, größere Gartenanlagenverwirklicht und die Straßenbaukosten auf ein Minimum reduziert werden.
Der Architekt Fred Forbat erinnert sich:
“Unsere Gemeinschaft bestand aus Scharoun, Gropius, Bartning und Häring aus der radikalen Architektenvereinigung ‘Der Ring’, dazu mir und Henning außerhalb dieser Gruppe. (…)
Wir beschlossen in unserer ersten Sitzung, Siemensstadt in Zeilenbau zu errichten, und aus den Bebauungsskizzen, die jeder von uns vorzulegen hatte, wurde der Vorschlag von Scharoun zur Durchführung bestimmt.”
Hans Scharoun gestaltete den südlichen Siedlungsabschnitt als trichterförmige Verbindung zum Volkspark Jungfernheide. Hinter dem engen Brückendurchlass öffnete sich die Straße platzartig und sollte von Ladengebäuden umgeben werden. Als geschwungener Wohnblock schließt der Bauteil von Otto Bartning das Siedlungsgelände zur Siemensbahn ab. Auf dem großen gegenüberliegenden Areal reihen sich in Zeilenbauweise gestaffelt angeordnete Wohnhäuser, die den Verlauf der Straße nachvollziehen und zunächst durch eingeschossige Ladenbauten miteinander verbunden werden sollten. Auf diese Ladenzeile wurde bei der Ausführung verzichtet. Der östliche Block wurde Fred Forbat übertragen, die nach Westen anschließenden Hugo Häring. Die letzte Zeile flankiert zusammen mit dem gegenüberliegenden Block – beide von Walter Gropius – den Weg zum Volkspark Jungfernheide.
Der erste Bebauungsentwurf wurde Ende Januar 1929 eingereicht, im Juli 1929 begannen die Bauarbeiten, die ersten Wohnungen konnten zum 1.4.1930 bezogen werden. Kurz nach Fertigstellung wurde mit einer Erweiterung der Siedlung begonnen. Im Norden entstanden Hausreihen von Paul Rudolf Henning und Fred Forbat. Gleichzeitig mit diesem II. Bauabschnitt wurde der südliche Teil der ersten Pavillonschule Berlins nach Entwurf von Regierungsbaumeister Helmcke ausgeführt., mit sechs an einem langen Flur abwechselnd nach beiden Seiten angeordneten Klassenräumen. Bei gutem Wetter findet der Unterricht im Freien statt.
Trotz der modernen Architektur und Stadtplanung wurde die Siedlung in konventioneller Ziegelbauweise ausgeführt, die Aufgabe, “gesunde Wohnungen zu erschwinglichen Preisen zu schaffen, schließt die Möglichkeit aus, in größerem Umfange neue Bauverfahren zu erproben.
Das damit verbundene geldliche Risiko wäre zu groß und unverantwortbar”, hieß es im Erläuterungsbericht.

Lage: Zwischen dem Volkspark Jungfernheide (seit 1920) und alter Siemenssiedlung
Bauherr: Gemeinnützige Baugesellschaft Heerstraße mbH, seit 1936 GSW

I. Bauabschnitt 1928/29
II. Bauabschnitt 1929/30
Erweiterungsplanung von Fred Forbat nicht ausgeführt.
Ergänzungen nach 1933 (Gebäude am Heckerdamm von Paul Rudolf Henning)
Gesamtfläche: 139.731 qm
Bebaute Flüche: 28.632 qm
Wohnfläche: 78.585 qm
Garten- und Freiflächen: 111.099qm
Wohnungen: 1370
Läden: 14
Wohnfolgeeinrichtungen: Zentrales Heizwerk mit Siedlungswäscherei von Otto Bartning, Pavillon-Schule von Regierungsbaurat Helmke

Tafel 2:

Hans Scharoun
“Panzerkreuzer”
Scharouns außergewöhnliche Schiffsarchitektur der Siemensstadt gilt heute gewissermaßen als Symbol für den modernen Wohnungsbau der Weimarer Republik. Mit den aus der Seefahrt abgeleiteten Gestaltungselementen (Kommandobrücke, Reling und Bullauge) wollte er wie einige progressive Architekten der zwanziger Jahre das positive Image der Seefahrt – Freiheit, Modernität, Weltläufigkeit, Rationalisierung – für seine Bauten nutzen. Der Volksmund nannte Scharouns Gebäude bezeichnenderweise “Panzerkreuzer” – und nahm damit Bezug auf die negative, kriegerische Tradition der Seefahrt.
Scharouns Bauten bilden ein Eingangstor zur Siedlung Siemensstadt. Von der zu einem Platz aufgeweiteten Kreuzung Nonnendammallee / Jungfernheideweg laufen zwei Wohnblöcke trichterförmig zum schmalen Brückendurchlass der Siemensbahn. Ein weiterer bogenförmig geschwungener Bau nimmt den Verlauf der Mäckeritzstraße auf und umschließt einen bewaldeten Innenhof. Der lebhaften Front des Panzerkreuzers setzt Scharoun die ruhige Fassade der östlichen Gebäudereihe entgegen. Breite, in den Baukörper eingeschnittene Loggien flankieren die schmalen waagerechten Fensterschlitze der Treppenhäuser. Hier finden wir 2 ½-Zimmer-Wohnungen mit einer völlig unkonventionellen Raumaufteilung. Der Wohnraum mit Essnische wird zum zentralen Bereich der Wohnung und nimmt die gesamte Tiefe des Hauses ein. Ein abgetrennter Vorraum erschließt Schlafzimmer und Bad. Scharoun selbst bewohnte bis 1960 eine dieser Wohnungen und testete sozusagen den eigenen Wohnungsgrundriss. Moderne Möblierung und freie Fensterflächen bildeten einen geräumigen, lichtdurchfluteten und sehr freizügigen und modernen Wohnraum. Andere Mieter hatten dagegen oft Mühe, hier ihre ausladenden traditionellen Einrichtungsstücke unterzubringen.
Nach schwersten Kriegszerstörungen – vor allem am Panzerkreuzer – gelang es Scharoun trotz heftigster Proteste nicht, einen stark vereinfachenden Wiederaufbau des vorderen Teils zu verhindern. Immerhin wurde Scharoun in der Folge mit dem Wiederaufbau des restlichen Siedlungsteils betraut.

Hans Scharoun
1893 Bremen – 1972 Berlin
Architekt
Mit den Planungen zur Großsiedlung Siemensstadt fand Scharoun erstmals weltweite Beachtung. Nach dem Studium in Berlin war er von 1919 – 1925 als freier Architekt in Insterburg/Ostpreußen und von 1925 bis 1932 als Professor an der Kunstakademie in Breslau tätig. Er gehörte 1919/20 zur “Gläsernen Kette” und schloss sich 1926 der Architektenvereinigung “Der Ring” an. Nach expressionistischen Anfängen war er neben Hugo Häring Vertreter des organischen Bauens. Nicht emigriert, baute er nach 1933 vor allem Privatwohnhäuser. Als Stadtrat und Leiter eines Planungskollektivs (1945/46) entwickelte er richtungsweisende Konzeptionen für den Wiederaufbau Berlins, die er zumindest in Ansätzen in der an Siemensstadt anschließenden Siedlung Charlottenburg-Nord verwirklichen konnte. Als architektonisches Hauptwerk gilt das Gebäude der Philharmonie in Berlin (1956 bis 1963). Von 1946-1958 hatte er eine Professur an der TU Berlin, von 1947-1950 leitete er das Institut für Bauwesen der Deutschen Akademie der Wissenschaften und von 1955-1968 war er Mitglied und Präsident der Akademie der Künste, später ihr Ehrenpräsident.

Wohnblock von Walter Gropius

Wohnblock von Walter Gropius

Jungfernheideweg Ecke Goebelstraße
Hier, gegenüber dem westlichen Ende des “Langen Jammers” befindet sich die Infotafel Nr.3:

Walter Gropius
Die Siemensstädter Wohnblocks des Bauhausgründers Walter Gropius gehören zu den wenigen wirklich modernen Mietwohnungsbauten Deutschlands. Besonders die lang gestreckte viergeschossige Zeile entlang des Jungfernheidewegs besticht durch ihre klare, einfache Form. Gleichformatige Fenster – optisch durch dunkle Klinkerverblendungen zusammengefasst – gliedern die Straßenfassade in horizontale Bänder. Die verglasten, leicht zurückspringenden Treppenhäuser ragen über die flachen Dächer hinaus und setzen so vertikale Akzente.
An der Gartenseite treten paarweise angeordnete verglaste Loggien als breite Fensterflächen aus der Wandebene. Hier finden sich die größten Wohnungen des I. Siedlungsabschnittes. Für eine sechsköpfige Familie gedacht, bot die Aufteilung ohne Durchgangszimmer zusätzlich die Möglichkeit, die damals noch oft notwendige Untervermietung einzelner Räume zu ermöglichen. Wohnzimmer liegen nach Westen, die Schlafzimmer möglichst nach Osten. Besonders innovativ war die Ecklösung zur Goebelstraße: Um die äußerst ungünstige Belichtungssituation zu vermeiden, die sich an den Blockecken fast immer ergibt, sah Gropius hier einen eingeschossigen Laden vor, der gleichzeitig als Bindeglied zu seinem Laubenganghaus in der Goebelstraße fungiert. Solche Ecklösungen sind vor allem beim Wideraufbau der Nachkriegszeit in ganz Deutschland kopiert worden.
Die kurze Zeile auf der Ostseite des Jungfernheidewegs hat Gropius analog zu seinem gegenüberliegenden Gebäude gestaltet. Sie bildet den Auftakt zu der Reihung nord-süd-orientierter Zeilen Hugo Härings.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Ladenecke zerstört und zunächst vereinfacht und unbefriedigend wiederaufgebaut. 1990 wurde dieser Bereich durch die Münchener Architekten Hilmer und Sattler neu gefasst.

Walter Gropius
1883 Berlin – 1969 Boston
Architekt und Designer
Walter Gropius zählt zu den führenden Architekten des letzten Jahrhunderts. Sein Name steht vor allem für das von ihm 1919 in Weimar gegründete “Staatliche Bauhaus”, mit dem er 1925 nach Dessau übersiedelte. Das von ihm dort errichtete Bauhaus-Gebäude ist heute ebenso wie der Name Bauhaus Symbol für den gestalterischen, künstlerischen und gesellschaftlichen Aufbruch des 20. Jahrhunderts.
Er arbeitete seit 1910 als freier Architekt in Berlin, war seit 1911 im Deutschen Werkbund aktiv. 1918 schloss er sich der “Novembergruppe” an, leitete 1918/19 den “Arbeitsrat für Kunst” und wurde Korrespondent der “Gläsernen Kette”.
1923/24 war Gropius Mitbegründer der Architektengruppe “Der ring”. Der Wohnungsbau hatte für Gropius als Schlüssel für die Lösung der städtebaulichen, sozialen und hygienischen Probleme immer eine besondere Bedeutung, die Wohnblöcke der Siedlung Berlin-Siemensstadt stehen exemplarisch für seine Arbeit.
1934 emigrierte er nach England und 1937 in die USA, wo er als Professor für Architektur in Cambridge/Massachusetts lehrte. In Berlin verwirklichte er nach dem Krieg noch einen Wohnblock auf der “Interbau” im Hansaviertel, plante die Großsiedlung “Gropiusstadt” und das Bauhaus-Archiv.

Jungfernheideweg 32-48
Robert-Reinick-Grundschule, ehem. Hermann-Löns-Grundschule
Die eingeschossige Anlage wurde im Rahmen des zweiten Bauabschnitts der Siedlung Siemensstadt 1930 bis 1931 von Walter Helmcke vom Hochbauamt Charlottenburg errichtet. Es ist die erste Pavillonschule Berlins. Bei gutem Wetter findet der Unterricht im Freien statt. Die Schule besteht aus einem Kopfbau mit Verwaltungs- und Fachräumen sowie einem langen Flurtrakt mit neun abwechselnd angeordneten Pavillonbauten für jeweils zwei Klassen und die Turnhalle. Die Schule wurde 1951 modernisiert. Alle Gebäude sind rollstuhlgerecht ausgestattet. Die Grundschule wurde 1954 nach dem Heidedichter Hermann Löns benannt.
Erste Fremdsprache ist Englisch. Spanisch ist Wahlfach. Das Fach Lebenskunde wird hier seit Jahren für Kinder aller Religionen angeboten. Es gibt eine Vorklasse sowie zwei Klassen, in denen in Anlehnung an die pädagogischen Anschauungen von Maria Montessori unterrichtet wird.
Vor einem Jahr übergab Charlottenburg-Wilmersdorf die Schule an den Nachbarbezirk Spandau, denn die Schule liegt zwar unmittelbar an der Bezirksgrenze auf Charlottenburg-Wilmersdorfer Gebiet, aber das Einzugsgebiet befindet sich doch überwiegend auf Spandauer Seite. Spandau ordnete die Schule als Filiale der Robert-Reinick-Grundschule am Jugendweg 15-16 zu und benannte sie auch entsprechend. Unmittelbar nach der Übergabe wurde ein neuer Solitärbau fertiggestellt. Dieser wurde notwendig, um den Ganztagsschulbetrieb organisieren zu können. Der kompakte, eingeschossige Bau beherbergt die großzügig natürlich belichtete Mensa, die Küche und zwei Gruppenräume sowie Nebenräume.
Volkspark Jungfernheide
Die Jungfernheide als östlich von Spandau gelegenes Wald- und Heidegebiet erhielt ihren Namen nach den ‘Jungfern’ des Spandauer Nonnenklosters das 1239 von den Markgrafen Otto III und Johann I gegründet wurde. Auch die Nonnendammallee bezieht sich auf das Spandauer Nonnenkloster. Bis um 1800 befand sich hier ein kurfürstliches bzw. königliches Jagdrevier; ab 1824 wurde ein Teil der Jungfernheide als Exerzier- und Schießplatz genutzt.
1904 kaufte die Stadt Charlottenburg Teile der Jungfernheide für die Anlage eines großen städtischen Parks, was wegen der hohen Kosten immer wieder hinausgezögert wurde. Die für 1920 von der Stadt Charlottenburg bereitgestellten 10 Mio Mark wurden nach der Bildung von Groß-Berlin 1920 zunächst gesperrt. 1921 wurde eine Stiftung “Park, Spiel und Sport” gegründet, die Sponsorengelder einwarb.
1920 – 1926 wurde auf 112ha der Jungfernheidepark nach Plänen des Charlottenburger Gartendirektors Erwin Barth gestaltet. Er ist 1800 m lang und 800 m breit. Die Garten- und Hochbauverwaltung führte die Arbeiten hauptsächlich mit Arbeitslosen im Notstandsprogramm durch.
Am 27.5. 1923 wurde der Park und die Badeanlagen zu den Spiel- und Sportwochen im Bezirk eröffnet. Ein 1925 ebenfalls von Erwin Barth geschaffener Ehrenhain für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Niederdeutschen wurde bei der Verbreiterung des Tegeler Weges (heute Kurt-Schumacher-Damm) nach 1945 entfernt. 1927 wurden die Arbeiten am Park eingestellt. Aus Geldmangel konnten nicht alle Pläne realisiert werden. Der Park und einzelne Baulichkeiten wurden im Zweiten Weltkrieg sehr beschädigt.
Erwin Barth
Am Mierendorffplatz erinnert seit 1980 eine Gedenktafel an Erwin Barth. Er war von 1912 bis 1926 Gartendirektor von Charlottenburg und anschließend von Groß-Berlin. Wir haben ihm großartige Platz- und Parkanlagen zu verdanken, darunter den Savignyplatz, Brixplatz, Hochmeisterplatz, Klausenerplatz, Mierendorffplatz, Lietzenseepark und eben den Volkspark Jungfernheide. Auch der Krankenhausgarten für das damalige Krankenhaus Westend gestaltete er. Sein Credo lautete: “Wenn irgendwo eine reiche Ausstattung der Plätze mit verschwenderischer Blumenfülle, mit Brunnen und dergleichen angebracht ist, so ist es da, wo Leute wohnen, die sich keine eigenen Gärten leisten können.”

Teich und Insel
Der große Teich erhält über den Nonnengrabenkanal ständig frischen Zufluss aus dem Spandauer Schifffahrtskanal und gibt sein Wasser an die tiefer gelegene Spree ab. Das Becken wurde künstlich geschaffen, der westliche Teil dient als Freibad, der östliche als Planschbecken für die kleinen Kinder.

In der Gustav-Böß-Bühne, Foto: Lüning

In der Gustav-Böß-Bühne, Foto: Lüning

Naturtheater “Gustav-Böß-Bühne”
Nach der Parkeröffnung 1923 wurde das ebenfalls von Erwin Barth nach dem Vorbild des antiken Theaters in Ephesos entworfene Freilufttheater, die Gustav-Böß-Bühne errichtet. Es fasst 2000 Besucher. Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederhergestellt. Kassengebäude und Umkleideräume wurden 1951 errichtet.
Seit Mai 2004 bietet die Scampi & Steak Company im “Kulturbiergarten Jungfernheide” sowohl den klassischen Biergarten mit Fassbier, Weisse oder Milchkaffee als auch Unterhaltung an. Auf einer Großbildleinwand werden die Bundesligaspiele und andere sportliche Ereignisse gezeigt.
Die Bühne wurde benannt nach Gustav Böß, der im Januar 1921 Oberbürgermeister von Berlin wurde. Bereits als Stadtkämmerer hatte sich dieser um solide Grundlagen für die städtischen Finanzen gekümmert. Die daraus resultierenden unpopulären Maßnahmen hatten ihm nicht immer den ungeteilten Beifall der Stadtverordneten eingebracht. Als Leiter der Stadtverwaltung legte er schon Anfang 1922 ein langfristiges Programm vor, das die großzügige Anlage von Parks sowie Spiel- und Sportplätzen vorsah. Die Wirtschaft sollte durch freiwillige Spenden die Durchführung dieses für die Volksgesundheit so wichtigen Planes ermöglichen. Vorbildliche Anlagen entstanden mit dem Volkspark Rehberge, dem anschließenden Goethepark und wie wir gesehen haben mit dem Volkspark Jungfernheide.
Die gleichen sozialen Gründe bewogen den Oberbürgermeister, sein Augenmerk dem Wohnungsbau zuzuwenden. Bis 1930 wurden über 135000 Wohnungen fertiggestellt. Auch die Siemensstadt erhielt damals ihre endgültige Gestalt, doch konnte die Bautätigkeit mit dem raschen Bevölkerungsanstieg, der durch Zuwanderung bedingt war, nicht Schritt halten. Eine glänzende Leistung, wodurch Berlin freilich schwer verschuldete, war der in die Zukunft gerichtete Ausbau des Nahverkehrsnetzes. Ernst Reuters Wirken unter Gustav Böß als Stadtrat für Verkehrswesen war es zu verdanken, dass die Berliner Straßenbahn-Betriebs GmbH, die Allgemeine Berliner Omnibus AG (ABOAG) sowie die Hoch- und Untergrundbahnen 1928 in der BVG vereinigt wurden. 1929 wurden Stadt- und Ringbahn elektrifiziert. Dadurch konnte die landschaftlich schöne Umgebung dem Berliner Ausflugsverkehr erschlossen werden.
Trotz dieser unbestreitbar großen Verdienste der Stadtverwaltung,die in einer äußerst schweren Zeit arbeiten musste und dabei die tragfähigen Grundlagen für das heutige Berlin schuf, führte der Sklarek-Skandal zum Sturz des Oberbürgermeisters Böß.
Anfang 1929 gerieten zwei stadtbekannte jüdische Kaufleute aus Osteuropa, Leo und Willy Sklarek ins Visier polizeilicher Ermittler. Ihre Textilfirma belieferte die Stadt Berlin mit Uniformen und anderen Textilartikeln. Die Polizei trug Beweise für kriminelle Handlungen wie Diebstahl, Unterschlagung und Bestechung gegen sie zusammen. Die Sklareks, Emporkömmlinge wie aus dem Bilderbuch, bewohnten hochherrschaftliche Villen im Westend, fuhren schicke Autos, besaßen eine Anzahl eigener Rennpferde und erkauften sich das Wohlwollen, das sie benötigten, um in ihren Geschäften einigermaßen freie Hand zu haben, durch Schmiergeldzahlungen an ausgewählte Beamte. Offenbar verteilten sie diese Gelder aber nicht in der nötigen Breite, denn irgendwann nahm die Polizei sie unter dem Verdacht der Hehlerei fest.
Im Zuge der weiteren Ermittlungen stellte sich heraus, dass die Brüder dem Oberbürgermeister Boß einen für seine Frau bestimmten Pelzmantel geschickt hatten, ohne eine Rechnung dafür zu stellen. Dem Bürgermeister musste zugute gehalten werden, dass er mehrmals angeboten hatte, den Mantel zu bezahlen, bis die Gebrüder ihm schließlich eine Rechnung über 375 Mark geschickt hatten, was, wie er wohl wusste, ein viel zu niedriger Preis war. Er behalf sich damit, dass er den Sklareks zusätzlich 1000 Mark überwies mit der Bitte, das Geld für den Ankauf eines Gemäldes für seine geliebte Städtische Galerie zu verwenden. Das taten sie zwar, aber da der Mantel eigentlich 4950 Mark wert war, bestand noch immer der Eindruck, Böß sei in den Genuss eines Sonderangebots gekommen, wie es einem Nicht-Amtsträger niemals angedient worden wäre. Als die Affäre im September 1929 an die Öffentlichkeit drang, griffen all die Parteien, die sich dem liberalen Kurs, den Böß steuerte, schon seit langem widersetzt hatten, die Vorgänge auf, um ihn politisch in die Enge zu treiben. Die Kommunisten nannten ihn einen typischen kapitalistischen Gauner, Goebbels bezichtigte ihn in Der Angriff als einen, der mit den Juden das Bett teile.
Der Oberbürgermeister selbst befand sich, als der Skandal ruchbar wurde, gerade auf einer Amerikareise und beeilte sich nicht, zurückzukommen und seinen Anschuldigern ins Auge zu sehen. Er war in die USA gereist, um günstigere Kreditmöglichkeiten für die hoch verschuldete Stadt Berlin zu erkunden, die sich bereits mit kurzfristigen Auslandskrediten verschulden musste. Die Reise verlief hoffnungsvoll, aber die Rückkehr endete in einem Fiasko:
Als er schließlich in Berlin eintraf, wurde er von einer pöbelnden Menge empfangen, die ihm eine Abreibung zu erteilen versuchte. Gedemütigt und angewidert ließ er sich frühpensionieren. Er kehrte nie in sein Amt zurück. Die Sklareks wanderten für vier Jahre ins Gefängnis.
Die eindrucksvolle Leistungsbilanz der Amtsjahre von Gustav Böß ging im Skandal unter. Das Ansehen der städtischen Verwaltung und der demokratischen Verwaltung überhaupt waren nachhaltig geschädigt, auch wenn Böß später vor Gericht vom Verdacht der Bestechlichkeit rehabilitiert wurde.

Anhang
Weitere Infotafeltexte

Tafel 7, Heckerdamm 291
Paul Rudolf Henning
Die Bauten von Paul Rudolf Henning gehören zur Erweiterung der Siedlung auf dem zum Volkspark hin abfallenden Gelände, mit der 1930/31 bereits kurz nach Fertigstellung des I. Bauabschnitts begonnen wurde. Drei gleich lange, dreigeschossige Wohnzeilen werden nach Norden hin in zweigeschossiger Höhe weitergeführt und ermöglichen so einen sanften Übergang in den Volkspark.
“Die Herabzonung der Reihe im Norden in zweigeschossige Bauten sucht Anpassung und Überleitung in den freien Baumbewuchs des anschließenden öffentlichen Parks Jungfernheide. (…) In den zweigeschossigen Häusern hat jeder Bewohner einen Anteil an den Dachterrassen, die auf Wunsch des Bezirks für Kranke eingerichtet wurden”, schrieb Henning dazu. Ein kürzerer Block mit vier Etagen schloss die Bebauung nach Westen hin ab. Da dieser II. Bauabschnitt im Rahmen des regulären Finanzierungssystems errichtet wurde, unterlag er damit den strengeren baulichen Bestimmungen der Wohnungsfürsorgegesellschaft. Dieser Umstand verbot leider die Entwicklung neuer Grundrisslösungen.
Hennings Zeilen greifen Material und Tongebung der südlich gelegenen Blöcke Härings auf und bilden mit ihnen – leicht versetzt zueinander liegend – farblich abgestimmte Hausreihen, die von den weißen Gebäuden Forbats im Osten und Gropius’ im Westen eingerahmt werden. Während die Hauseingänge an der eher flächig aufgefassten Ostseite liegen, wird an der westlichen Hauptansichtsseite Hennings Ausbildung als Bildhauer erfahrbar: Querrechteckige, an den Ecken abgerundete Balkone, die jeweils Platz für fünf Stühle bieten, treten selbstbewusst aus der Fassade hervor und lassen die Gebäude fast wie gebaute Skulptur erscheinen. Die größeren Wohnungen an den Südseiten haben anstelle der Balkone breite Blumenfenster, die – nach Henning – “neben einem freien Ausblick auf die vorgelagerte Wiese dem Grundriss ein Höchstmaß von Helle und Weiträumigkeit” geben sollen.
Henning erweiterte in den Jahren 1933/34 seine Zeilenbebauung im Westen um zwei spiegelbildlich angeordnete, balkonlose Blöcke.

Paul Rudolf Henning
1886 Berlin- 1986 Berlin
Architekt und Bildhauer

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg schuf Paul Rudolf Henning erste bauplastische Arbeiten zusammen mit den Architekten Emil Schaudt, Otto Rudolf Salvisberg u.a.. Er zog 1916 nach Zürich, wo er Kontakte zu DADA Zürich knüpfte; 1919 wurde er Mitglied im Berliner “Arbeitsrat für Kunst”. Erneute Zusasmmenarbeit mit Salvisberg, auch mit Erich Mendelsohn. Er blieb auch nach 1933 in Berlin; sei weiterer Werdegang kann als beispielhaft für viele, weniger prominente “moderne” Architekten gelten, die nicht emigrierten. Neben verstärkter Tätigkeit im Industriebau erweiterte er 1933/34 die Siedlung Siemensstadt nach vereinfachtem Entwurf. Andere Arbeiten wandten sich von seinen modernen Gestaltungsgrundsätzen ab. Die Bauten der Nachkriegszeit nahmen dann wieder Elemente seiner progressiven Arbeiten auf.

Tafel 8, Geißlerpfad 11
Fred Forbat
Fred Forbat konnte in beiden Bauabschnitten sehr unterschiedliche Zeilenbauten errichten. Sein erster Wohnblock schließt die Häring’sche Zeilenbebauung nach Osten zum Geißlerpfad hin ab. Seine Zeile hat an der Eingangsseite eine Ziegelverblendung in Erdgeschosshöhe, die auch in den angebauten Läden am Süd- und Nordende fortgesetzt wird, während die Gartenseite weniger plastisch formuliert wird. Kurz nach Fertigstellung des I. Bauabschnittes wurde mit der Erweiterung der Siedlung begonnen. Forbat fiel die dankbare Aufgabe zu, einen viergeschossigen Brückenbau zu entwerfen, der den zentralen Gründstreifen der Anlage nach Osten abgrenzt. Nach Norden schließt sich eine dreistöckige, leicht abknickende Zeile an. Ragen an der Straße lediglich die vorspringenden Dächer der Hauseingänge hervor, so öffnen sich an der Gartenseite Loggien in der ganzen Wohnungsbreite und geben “ungestörte Aussicht auf die Hauptgrünfläche ohne jedes Gegenüber” – wie Forbat formuliert.
Der dreigeschossige nördliche Blockabschnitt schließt die Siedlung nach Osten ab. Die asymmetrisch aufgefasste Straßenseite erhält ihre plastische Wirkung durch abgerundete, leicht vortretende Gebäudeteile, die zusammen mit den durchgehend verglasten Treppenhäusern dem Block eine vertikale Gliederung geben. Der Wohnblock enthält pro Etage eine kleine Wohnung mit zwei Zimmern und eine geräumigere mit variablen Grundrisslösungen, über die Forbat schrieb: “Durch Weglassen der einen oder der anderen Zwischenwand und in einem Fall durch Umlegen der Küche neben das Bad sind drei weitere Abwandlungen für andersgeartete Wohnbedürfnisse geschaffen worden.” Alle vier Varianten wurden ausgeführt.
Mit großem Gespür für das Detail schaffte es Forbat, eine sorgfältig gestaltete und zugleich klar gegliederte Architektur zu verwirklichen, die leider heute immer noch zu wenig beachtet wird und wegen ihrer Freiheiten zum Geheimtipp unter Architekturinteressierten geworden ist.
Die von Forbat geplante umfangreiche Erweiterung der Siedlung nach Osten, die mit niedrigen Ladenbauten den Goebelplatz zu einem Einkaufszentrum aufwerten sollte, kam nicht zur Ausführung.

Fred Forbat
1897 Pecs, Ungarn – 1972 Stockholm
Architekt und Stadtplaner

Fred Forbat arbeitete von 1920-1922 im Atelier von Walter Gropius, 1925-1928 als Chefarchitekt im Baukonzern von Adolf Sommerfeld in Berlin. 1930 nahm er einen Siedlungs- und Städtebau-Lehrauftrag an der Itten-Schule an.
1932 ging er als Mitarbeiter der staatlichen Städtebauorganisation “standardgorprojekt” in die UdSSR.
1933 war er Grabungsarchitekt des Deutschen Archäologischen Institutes in Olympia, dann freier Architekt in Pecs.
1938 emigrierte er nach Schweden, war im Städtebau in Lund und Stockholm tätig und Professor an der TH Stockholm.

Tafel 10, Heilmannring 60
Hier ist auf einer großen refliefartigen Bronzetafel auf einer Betonplatte ein Überblicksplan von Siemensstadt zu sehen. Dahinter steht die Infotafel Nr.10

Tafeltext:
Hans Scharoun “Atelier und Wohngehöfte”
Hans Scharoun entwickelte als Stadtrat und Leiter eines Planungskollektivs 1945/46 richtungsweisende Konzeptionen für den Wiederaufbau Berlins, bei denen er auf seine Erfahrungen in Siemensstadt 1930 zurückgreifen konnte. In Charlottenburg-Nord konnte er diese Ideen zumindest ansatzweise verwirklichen.
Scharouns ursprüngliche Planung beruhte auf einer sozialstatistischen Untersuchung seiner Mitarbeiter am Institut für Städtebau der TU Berlin. Von den “gewachsenen” Vierteln des alten Berlin ausgehend, wurden die Wohnbedürfnisse der verschiedensten Bevölkerungsgruppen aufgenommen, vom Alleinstehenden bis zur Großfamilie. Der soziale Querschnitt sollte Arbeiter, Angestellte, Selbständige und Akademiker umfassen.
In so genannten Wohngehöften, um Grünanlagen gruppierte ein- bis elfgeschossige Gebäude, sollten jeweils 649 Bewohner Platz finden. Neben Wohnungen sah Scharoun auch Kultureinrichtungen, z.B. Kinos und Restaurants, vor. In den bei Mietern wenig beliebten Erdgeschossen sollten Gewerbebetriebe untergebracht werden – Wohnen und Arbeiten unter einem Dach. Insgesamt ergab sich damit fast jene “Kreuzberger Mischung”, deren Wert für Stadtbildung und menschliches Zusammenleben erst mit der “Internationalen Bauausstellung” von 1984/87 wieder entdeckt wurde.
Die Teilung des Gesamtgeländes in zwei Planungsbereiche, von denen die GSW nur den südlichen zugewiesen bekam, und die strengen Vorschriften für den “Sozialen Wohnungsbau” ließen nur eine vereinfachte Form der Wohngehörte zu. Aus der erzwungenen Weiternutzung des im Nationalsozialismus bereits angelegten Kanalisationssystems war die Straßenführung des Heilmannrings vorgegeben, der die Wohngehöfte zusätzlich in einen Nord- und einen Südteil zerschnitt.
Die ursprünglich durch die Gebäudeteile gefassten grünen Höfe sind in der Ausführung nach Norden und Süden hin geöffnet, die Gebäudeteile ähneln dadurch gebogenen Zeilenbauten.
Dennoch gelang es Hans Scharoun mit der Unterstützung des neuen GSW-Direktors Walther Großmann, neue Ideen zu verwirklichen, indem er einige Grundrisse für Wohngemeinschaften vorsah und an den großzügigen Treppenhausdielen verschiedenen große Wohnungen nebeneinander legte, was die gegenseitige nachbarschaftliche Hilfe bei der Betreuung von Kranken, Alten und Kindern erleichtern sollte. Da die GSW aber die zusätzlichen Einrichtungen wie Gewerberäume und kulturelle Institutionen – wegen ihrer Gemeinnützigkeit – nicht bauen durfte, ist bei den Wohngehöften letztlich alles entfallen, was das Wort “Gehöft” beinhaltete. Scharouns visionäre Konzepte, die sozialstatistischen Untersuchungen, die Mischung von Wohnen und Arbeiten und die “Nachbarschaften” sind heute aber aktueller denn je, alle anspruchsvollen Stadtsanierungen und –planungen folgen heute seinen Überlegungen.
Auf einigen Dächern konnte Scharoun doppelgeschossige Atelierwohnungen bauen, von denen er eine selbst bis zu seinem Tode als Wohn- und Arbeitsort nutzte. Der Atelierteil dieser Wohnung ist noch erhalten.

Hans Scharoun
1893 Bremen – 1972 Berlin
Architekt
Mit den Planungen zur Großsiedlung Siemensstadt fand Scharoun erstmals weltweite Beachtung. nach dem Studium in Berlin war er von 1919-1925 als freier Architekt in Insterburg/Ostpreußen und von 1925 bis 1932 als Professor an der Kunstakademie in Breslau tätig. Er gehörte 1919/20 zur “Gläsernen Kette” und schloss sich 1926 der Architektenvereinigung “Der Ring” an. Nach expressionistischen Anfängen war er neben Hugo Häring Vertreter des organischen Bauens. Nicht emigriert, baute er nach 1933 vor allem Privatwohnhäuser. Als Stadtrat und Leiter eines Planungskollektivs (1945/46) entwickelte er richtungsweisende Konzeptionen für den Wiederaufbau Berlins, die er zumindest in Ansätzen in der an Siemensstadt anschließenden Siedlung Charlottenburg-Nord verwirklichen konnte. Als architektonisches Hauptwerk gilt das Gebäude der Philhamonie in Berlin (1956 bis 1963). Von 1946-1958 hatte er eine Professur an der TU Berlin, von 1947-1950 leitete er das Institut für Bauwesen der Deutschen Akademie der Wissenschaften und von 1955-1968 war er Mitglied und Präsident der Akademie der Künste, später ihr Ehrenpräsident.