mit Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen
Treffpunkt vor dem Rathaus Charlottenburg
Kiezspaziergang am 8.2.2003
auf dem Altstadtpfad vom Rathaus Charlottenburg zum Schloss Charlottenburg
Bild: BACW/KHMM
Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen zu unserem heutigen Kiezspaziergang.
Wie immer zuerst der Hinweis auf den nächsten Termin: Am 8. März ist der Internationale Tag der Frau. Deshalb wollen wir an diesem Tag an bedeutende Frauen unseres Bezirks erinnern und an Einrichtungen von und für Frauen, die es hier gab und gibt. Treffpunkt wird wieder um 14.00 Uhr wieder hier vor dem Rathaus Charlottenburg sein. Aber wir werden dann in Richtung Ernst-Reuter-Platz und Landwehrkanal spazieren.
Heute dagegen geht es Richtung Schloss, aber natürlich nicht auf direktem Weg, sondern durch die Charlottenburger Altstadt. In gewisser Weise bewegen wir uns dabei historisch rückwärts, denn das Rathaus Charlottenburg stand am Ende der städtischen Entwicklung: Als es 1905 eingeweiht wurde, war Charlottenburg längst eine Großstadt geworden. Das sieht man dem mächtigen Gebäude auch an. Allerdings gab es die Großstadt Charlottenburg nach dem Rathausbau nur noch 15 Jahre. 1920 wurde sie als Bezirk Charlottenburg in Groß-Berlin eingemeindet.
Das Schloss Charlottenburg markiert den Beginn der städtischen Entwicklung. Als 1705 nach dem frühen Tod der Königin Sophie Charlotte ihr Schloss nach ihr benannt wurde, da verfügte König Friedrich I, dass die kleine Ansiedlung von wenigen Häusern südlich vom Schloss an der heutigen Schloßstraße Stadtrechte erhalten sollte. Wir bewegen uns also historisch gesehen vom Jahr 1905 zurück zum Jahr 1705.
Und an diesen beiden Daten sehen Sie auch, dass wir mit diesem Spaziergang eigentlich zwei Jahre zu früh dran sind, denn im Jahr 2005 werden wir 2 große Jubiläen feiern: 300 Jahre Charlottenburg und 100 Jahre Rathaus Charlottenburg.
Eine Bemerkung will ich noch zu dem Dorf Lietzow machen, das viel älter ist als Charlottenburg und das im Jahr 1720 in die damals noch sehr junge kleine Stadt Charlottenburg eingemeindet wurde. Direkt hinter dem Rathaus verläuft heute die Straße Alt-Lietzow mit der evangelischen Kirche Alt-Lietzow auf dem Platz Alt-Lietzow. Dort befand sich einmal der Dorfanger der Dorfes Lietzow. Es wurde im Jahr 1239 erstmals erwähnt. Heute erinnern nur noch die Namen an das Dorf. Die alte Dorfkirche gibt es längst nicht mehr. Diese dörfliche Vergangenheit Charlottenburgs werden wir uns bei einem späteren Kiezspaziergang genauer anschauen.
Heute geht es um die Gründung und Entwicklung der Stadt Charlottenburg. Die “Altstadt Charlottenburg” wurde 1983 zum geschützten Baubereich erklärt und nach dieser Wiederentdeckung auch für die interessierten Bürgerinnen und Bürger erschlossen und erläutert. Dafür wurde 1987, zur 750-Jahr-Feier Berlins vom damaligen Charlottenburger Stadtplanungsamt der Altstadtpfad entwickelt. An 16 Stationen wird auf großen Informationstafeln über historisch markante Gebäude, Straßen und Plätze informiert. Der Grundriss der barocken Stadtanlage ist noch vollständig erhalten, und in diesem Gebiet sind auf engstem Raum Häuser aller Bauepochen der bald 300jährigen Geschichte Charlottenburgs zu finden.
Otto-Suhr-Allee
Zu dem rechtwinkligen Stadtgrundriss gehört die heutige Otto-Suhr-Allee nicht. Sie verläuft diagonal am Rande entlang. In Nord-Süd-Richtung wird er von Richard-Wagner-Straße und Schloßstraße begrenzt, in Ost-West-Richtung von Spandauer Damm und Zillestraße.
Die Otto-Suhr-Allee wurde am 3. September 1957 nach dem dritten Regierenden Bürgermeister von Berlin benannt, kurz nachdem er am 30.8.1957 gestorben war. Davor hieß die Straße “Berliner Straße”, denn sie führte von Charlottenburg nach Berlin, und sie war Teil des königlichen und kaiserlichen Weges vom Berliner Schloss zum Schloss Charlottenburg. Allerdings soll Kaiser Wilhelm II sich geweigert haben, diesen Weg zu benutzen, seit das Rathaus Charlottenburg gebaut worden war, weil die bürgerlichen Bauherren sich erdreistet hatten, einen 88 m hohen, weithin sichtbaren Turm zu bauen, der höher war als das benachbarte Schloss Charlottenburg.
Hier befinden wir uns also an der ersten Station des Altstadtpfades, vor dem Rathaus Charlottenburg. Die Informationstafel sehen Sie hier, links neben dem Haupteingang. Symbol und Blickfang auf der Tafel ist eine in einen Kreis eingeschlossene Zeichnung mit geometrischen Elementen rund um die symbolische Darstellung des Charlottenburger Schloßturmes mit einem Fenster. Die Zeichnung soll uns lehren: Architektur ist Form und Formensprache. Ihre Grundelemente sind Kegel, Kugel und Zylinder.
Die Tafeln stammen aus dem Jahr 1987, sind also hin und wieder zu ergänzen, aber die historischen Fakten haben sich natürlich nicht geändert. Leider fehlen zwei Tafeln, die fünfte und die neunte, aber ich werde Ihnen die fehlenden Erläuterungen geben.
Tafel 1: Rathaus Charlottenburg
Hier beginnt der Altstadtpfad Charlottenburg. Eine begleitende Broschüre mit zusätzlichen Informationen erhalten Sie im Foyer des Rathauses, Wir wünschen Ihnen einen anregenden Entdeckungsrundgang durch die Altstadt.
Charlottenburg war bis 1920 eine selbständige und selbstbewußte und zeitweise die reichste Stadt Preußens. Das Rathaus mit seinem 88 m hohen Turm war das Wahrzeichen des politischen Zentrums. Das von den Architekten Reinhardt & Süßenguth geplante monumentale Verwaltungsgebäude wurde nach 6-jähriger Bauzeit 1905 zur 200-Jahr-Feier Charlottenburgs eingeweiht. Es dokumentiert teilweise Jugendstildekor, Insbesondere durch den figürlichen, ornamentalen und bildnerischen Schmuck im Portalbereich und seinen reichhaltigen Innendekorationen.
Der Erweiterungsbau zur Rechten von 1914, von Stadtbaurat Seeling geplant, belegt mit seiner bereits strenger gegliederten Fassade erste Anklänge an die beginnende Moderne.
Von dem im 2. Weltkrieg stark beschädigten denkmalgeschützten Rathaus wurden 1945-1952 die Fassade, der Turm und große Teile der Innenausstattungen in alter Form wieder aufgebaut.
Von der Tafel aus nach links fällt der Blick auf die Kuppel des Schlosses Charlottenburg, der ehemals höfischen Residenz. Im Vordergrund liegt der Richard-Wagner-Platz, einer der kommunalen Mittelpunkte der Bürgerstadt und die nächste Etappe unseres Rundganges.
In dem Erweiterungsbau rechts neben dem Rathaus war ursprünglich die Sparkassenhalle untergebracht, heute die Heinrich-Schulz-Bibliothek. 1988 wurde das Dach neu gedeckt, übrigens stilwidrig mit holländischer Pfanne an Stelle von Biberschwanz. Ein Besuch des Rathauses lohnt sich übrigens auch dann, wenn man keine Behördenangelegenheiten zu erledigen hat. Die Innenarchitektur ist durchaus sehenswert. In der zweiten Etage befinden sich eine Gedächtnishalle für die Gefallenen der Weltkriege und die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und eine Fotogalerie von Widerstandeskämpfern und Opfern der NS-Herrschaft. Von Zeit zu Zeit werden interessante Ausstellungen gezeigt und in vielen Schaukästen finden sie viele interessante Informationen. Beim Bürgeramt gibt es Informationsbroschüren zu allen öffentlichen Angeboten. Mit zum Bürgeramt gehören die frühere Meldestelle und die Lohnsteuerkartenstelle. Leider können wir den Turm aus Sicherheitsgründen nicht für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Der Blick von oben auf Charlottenburg ist fantastisch.
Seit der Bezirksfusion ist hier der Sitz der Bezirksbürgermeisterin – mein Amtszimmer befindet sich direkt über dem Eingang im 2. Stock – und der Abteilungen Bürgerdienste, Wohnen und Personal; Finanzen, Bildung und Kultur; Wirtschaft, Liegenschaften, Organisation und Bibliotheken; Soziales, Gesundheit, Umwelt und Verkehr. Sitz der Bezirksverordnetenversammlung und der anderen beiden Abteilungen, Jugend und Bauwesen ist das Rathaus Wilmersdorf am Fehrbelliner Platz.
Wir überqueren jetzt diagonal die große Kreuzung und gehen zur zweiten Station des Altstadtpfades auf dem Richard-Wagner-Platz.
Richard-Wagner-Platz
Die Straße und der Platz wurden 1934 nach Richard Wagner benannt. Zuvor hieß der Platz Wilhelmplatz und die Straße Spreestraße.
Tafel 2: Richard-Wagner-Platz
König Friedrich l und Baumeister Eosander entwarfen 1705 die “Residenzstadt” Charlottenburg. Sie repräsentiert mit den Sichtachsen auf das zentrale Schloß die Machtstellung des Königs im Staat. Von der Schloßstraße, der senkrechten Sichtachse aus, wurde der barocke Stadtgrundriß mit dem rechtwinkligen Straßenraster angelegt. Der alte Marktplatz, heute Richard-Wagner-Platz, und der Kirchplatz, heute Gierkeplatz mit der Luisenkirche, waren die gesellschaftlichen Mittelpunkte der bürgerlichen Stadt.
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war ein Nebeneinander von höfisch-städtischem und dörflichem Leben in der Altstadt anzutreffen. Die “Industrielle Revolution” mit der Bevölkerungsexplosion, der Ausdehnung Berlins und Hobrechts Bebauungsplan für die Umgebung Berlins von 1862 bildeten auch in Charlottenburg die Grundlage für den Bauboom und die Bodenspekulation der Gründerjahre. Neben den Bürgerhäusern entstanden von 1860 bis 1880 3- bis 4geschossige, ab 1880 auch 5geschossige Mietskasernen mit Seitenflügel und Hinterhaus.
Zur Erhaltung des barocken Stadtgrundrisses und der 280jährigen baulichen Entwicklung wurde die Altstadt 1983 geschützter Baubereich. Das gelbe Eckhaus Nr. 5 von 1908 mit seiner betonten Eck- und Turmgestaltung markiert den Zugang zur Altstadt über die Schustehrusstraße. Seit dem Bau des Hauses Richard-Wagner-Straße 57 von 1899 existiert die typische Altberliner Eckkneipe dort.
In dem blauen Neubau am Platz ist das Projekt “Arbeit sofort” untergebracht, ein gemeinsames Projekt des Bezirksamtes mit dem Arbeitsamt seit dem 1.9.2002 zur Vermittlung von Arbeit an jugendliche Sozialhilfeempfänger. Die 100 Plätze sind ständig voll und belegt. Ziel ist die langfristige Integration der Jugendlichen in den ersten Arbeitsmarkt. Bestandteile des Projektes sind intensive Beratung und Betreuung, Ausbildung, Praktikum und Vermittlung. Als Träger beteiligt sind AMOS, A&QUA GmbH, Grone-Schule Berlin gGmbH und der Internationale Bund IB Bildungszentrum Berlin.
Wir gehen nun weiter in die Richard-Wagner-Straße hinein bis zur dritten Station des Altstadtpfades.
Bild: BACW/KHMM
Tafel 3: Richard-Wagner-Straße
Die Altstadt Charlottenburg ist seit 1984 ein Förderungsschwerpunkt für Stadterneuerungsmaßnahrnen. Das ortstypische Stadtbild mit seinen Häusern und Höfen, Straßen und Plätzen wird in kleinen Schritten instandgesetzt, modernisiert und restauriert. Erste Ergebnisse sind bereits erkennbar. Der Erhalt der Geschäfte und Betriebe ist Voraussetzung zur eigenständigen Versorgung des Gebietes.
Die drastische Bevölkerungszunahme in Berlin und in der Stadt Charlottenburg von 1880 bis 1920 ist auch an der Richard-Wagner-Straße (früher Breite Spreestraße) nachvollziehbar. 1geschossige Häuser wichen den heutigen 3- bis 5geschossigen Gebäuden.
1880 entstand das Haus Richard-Wagner-Straße Nr. 45 mit der historisierenden Fassade, den gesprengten Fenstergiebeln im 1. Stock und dem ausgebauten Mansarddach. Das Haus Richard-Wagner-Straße Nr. 47 wurde 1881 mit aufwendigen Dekorationen des Spätklassizismus erbaut. Im Anklang an die beginnende Moderne mit der strengen Fenstergliederung, den Erkern und Balkonen wurde 1911 das Gebäude Richard-Wagner-Straße Nr. 49 errichtet. Das Haus Nr. 51 entstand 1911 mit einer unsymmetrischen plastischen Gliederung, betonter Eckgestaltung und Verzicht auf Dekorationen (beginnende Moderne).
Alle Gebäude wurden 1984-1986 restauriert, instandgesetzt und modernisiert.
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Tafel 4: Haubachstraße 8
Das eingeschossige Bürgerhaus entspricht in seiner Anlage dem barocken fünfachsigen* Modellhaus Eosanders von 1705 für die neugegründete Stadt-Charlottenburg. Es verdeutlicht den Haustyp, wie er sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts gehalten hat. Von diesem Haustyp sind nur noch 3 Gebäude in der Altstadt erhalten.
Der ehemalige Hausgarten im Hof wurde zwischen 1855 und 1906 allmählich mit Wirtschafts-, Wohn- und Gewerbebauten überbaut. So wurde 1855 ein Schweinestall und 1868 eine Klempnerwerkstatt erbaut. An deren Stelle folgte 1871 ein Seitenflügel zum Wohnen und ein neues Stallgebäude. 1889 wurde eine Stube im Vorderhaus zum Laden umgebaut. Der restliche Garten wurde 1905/06 mit einem 4geschossigen Werkstattgebäude überbaut.
Dies verdeutlicht die typische Entwicklung der Nutzungen der Grundstücke in der Altstadt vor der Jahrhundertwende. Die Gebäude Haubachstraße 8 (früher Grünstraße) sollen unter Denkmalschutz (Baudenkmal) gestellt werden.
Bild: BACW/KHMM
Nr.13
Dies ist das älteste erhaltene, bzw. rekonstruierte Wohnhaus Charlottenburgs. Friedrich I, der Stadtgründer Charlottenburgs, ließ von seinem Hofarchitekten Eosander von Göthe das Straßennetz anlegen, die Grundstücke parzellieren und ein Musterhaus entwerfen. Jeder Bauwillige musste nach diesem vorgegebenen Musterentwurf bauen, denn die entstehende Stadt sollte ein regelmäßiges Erscheinungsbild erhalten. Heute existieren nur noch zwei Beispiele dieser Musterhäuser. Wir haben vorhin in der Haubachstr. 8 eines gesehen. Allerdings wurde es einige Jahre später gebaut als dieses. Hier nun also das älteste Bürgerhaus Charlottenburgs. Es wurde 1712 von Gottfried Berger gebaut, einem Goldschmied und Gelbknopfgießer, der als Handwerker beim Schlossbau beschäftigt war und sich zunächst beim Kammertürken Aly in der Schloßstr. 3 eingemietet hatte. Weil die Entwicklung der neu gegründeten Stadt Charlottenburg nur sehr langsam voran ging, erließ der König 1711 eine Verordnung, nach der Handwerker, die durch Aufträge des Hofes profitierten, aber nur zur Miete wohnten, eine “Bürgerstelle” annehmen und bebauen sollten.
Dies tat also Gottfried Berger im Jahr 1712 in der damaligen Scharrenstraße Nr. 13. Er baute ein fünfachsiges, eingeschossiges Gebäude mit einem Giebel über dem Mitteleingang und einer reinen Fachwerkkonstruktion mit Lehmwickelstaakung in den Gefachen und zwischen den Deckenbalken. Die Räume links sind flach unterkellert, mit einer Kopfhöhe von nur 1,50 m.
In der Regel besaßen die Häuser einen symmetrischen Grundriss. Das Berger’sche Haus hatte aber wohl von Anfang an hofseitig links einen Werkstatt-Seitenflügel, der ebenfalls aus Fachwerk ausgeführt worden war.
Betrat man das Wohnhaus von der Straße, so gelangte man in einen breiten, durchgehenden Flur. Im hinteren Bereich führte eine Treppe ins Dachgeschoss. Unter der Treppe hindurch gelangte man über eine zweiflügelige Tür in den Hof. Rechts betrat man die Küche, die in kräftigem rot gestrichen war. Dahinter eine gleich große Kammer war in hellem ocker gehalten.
Gottfried Berger hat, wenn überhaupt, hier in der Scharrenstraße nur wenige Jahre gelebt. Er erwarb bereits 1715 von seinem Freund Aly dessen Haus in der Schloßstraße Nr.3, in dem er vorher Mieter war. In jenem viel geräumigeren und stattlicheren Haus wohnte er und vermietete sein neu erbautes Haus zunächst, bevor er es 1721 an den Bierbrauer Georg Vincke verkauft. Dieser hat wohl die Fachwerkräume verputzt und das Haus um eine Fachwerkachse erweitert. Nach dessen Tod wurde es 1747 an den Lichtzieher Johann Christian Rese weiter verkauft.
1797 erwarb der Hauptmann Ludwig Christian von der Lage das Haus und baute es um, denn die Fachwerkschwellen aus Kiefernholz waren nicht mehr in Ordnung, das Haus war straßenseitig um etwa 10 cm abgesackt. Deshalb ließ der neue Besitzer die Fachwerkfassade abbrechen und durch eine neue, gemauerte Fassade ersetzen. Sie wurde 60 cm höher als die ursprüngliche und um die Tordurchfahrt erweitert, die überdacht wurde. Der alte Seitenflügel wurde abgerissen und durch einen neuen mit größeren und vor allem höheren Räumen ersetzt. Der große Gesellschaftsraum dessen Wände mit Architekturmalereien versehen wurden, reicht bis zur Hälfte ins Vorderhaus hinein. Er ist ein frühes Beispiel dafür, was später als sogenanntes Berliner Zimmer in die Baugeschichte eingegangen ist. Auch die Treppe im Flur wurde entfernt und stattdessen eine Treppe auf der Hofseite errichtet.
1816 wurde der Tischlermeister Carl Friedrich Wilhelm Zeitler Besitzer des Hauses. In dem Querstallgebäude mit Pferdestall und Remise auf dem rückwärtigen Grundstück richtete er seine Werkstatt ein.
Im Juli 1825 beschwerte sich die Nachbarin zur rechten, Witwe Kühne, in einem Brief an die Polizei: “Da dem Herrn Tischler Meister Zeitler seine Appartements Grube dicht an meine Grenze stößt, wo ich einen Stall zu stehen habe, der dadurch sehr leidet, indem ich fortwährend Wasser darin bekomme und so auch in meinem Garten, wo sogar eine Pfütze schon seit mehreren Jahren befindlich ist, und mir das, was ich auf der dortigen Stelle anpflanze jährlich ruiniert wird, so bitte ich ein hochwohlgeborenes Polizei Directorium um baldigen Beistand, indem ab jetzt von Tag zu Tag ärger wird.” Mehr als zwei Jahre lang passierte nichts, der Stall war inzwischen verfault, aber die Behörde reagierte erst, als Zeitler den Unrat, den seine Senkgrube nicht mehr fasste, auf die Straße kippte. Nachdem empfindliche Strafen verhängt worden waren, musste die Grube geräumt werden, wie es abschließend hieß.
Auch die nächsten Besitzer nahmen Umbauten vor. 1863 eröffnete die Witwe des Charlottenburger Zimmermeisters Schönfelder in der Wohnung ein Putzwarengeschäft und ließ dafür ein Fenster zur Ladentür und eines zum Schaufenster umbauen.
Bild: BACW/KHMM
Der Tanzlehrer Ernst Eckmann vergrößert 1875 einige Räume durch Herausnahme von Trennwänden und baut schließlich ein großes Tanzsaalgebäude für 500 Personen auf dem rückwärtigen Gelände. Erst 1890 erfolgte der Anschluss an die Kanalisation. 1943 wurde der Tanzsaal durch Kriegseinwirkung zerstört und dadurch der Stand der Bebauung wieder annähernd auf den Stand von 1800 reduziert. 1982 wurden das Vorderhaus und der linke Seitenflügel wegen akuter Einsturzgefahr gesperrt. Das Haus war durch den zunehmenden Autoverkehr baufällig geworden. Das in seiner Grundsubstanz aus dem 18. Jahrhundert nach wie vor erhaltene Haus wäre am 24. Dezember 1983 beinahe einem Abrissversuch zum Opfer gefallen. Nach dem illegalen Teilabriss aber wurde es mit alten Baumaterialien und in alter Handwerkstechnik rekonstruiert. Die Denkmalpflege sah hier die einmalige Möglichkeit, ein Haus zu retten, das uns bürgerliches Bauen demonstriert aus einer Zeit, aus der wir sonst in Berlin nur die erhaltenen Prachtbauten kennen.
Das Haus wird betreut durch das Heimatmuseum Charlottenburg-Wilmersdorf. Nach einem Brand im letzten Jahr musste es geschlossen werden. Derzeit sucht das Bezirksamt nach Interessenten, die es angemessen nutzen wollen.
Wir gehen jetzt weiter zum Gierkeplatz, wo uns Pfarrer Klauskurt Raschkowski die Luisenkirche vorstellen wird.
Bild: BACW/KHMM
Tafel 10: Luisenkirche
“Neue Kirche auf’m Berg” nannte Eosander in seinem Plan von 1705 den Standort der Kirche auf dem früheren Kirchplatz, heute Gierkeplatz. Friedrich l. hatte sie als gemeinsame Kirche für die Reformierten und Lutheraner bestimmt.
Die barocke “Parochial-Kirche” mit ihrem Kreuzförmigen Grundriß wurde nach den Plänen von Baumeister Gerlach unter der Leitung von Baumeister Böhme 1712-18 erbaut. 1826 baute der Architekt Schinkel im Biedermeierstil den quadratischen, dreigeschossigen, mit breit verzierten Gurtgesimsen voneinander abgesetzten Turm an. Nach dem Umbau erhielt die Kirche den Namen der verstorbenen Königin Luise.
Die Kirche erlitt 1943 schwerste Kriegsschäden. Von 1950-53 wurde das historische Erscheinungsbild des Baudenkmals von der Kirchengemeinde in Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt nach den Plänen von Gerlach restauriert. Die Fassadeninstandsetzung von 1976/77 knüpft an die üblichen warmgelben Farbtöne der barocken Erbauungszeit an. In Anlehnung an den ursprünglichen Zustand wurde der Innenraum 1986/87 wieder hergestellt.
Der Altstadtpfad verläuft weiter in den westlichen Teil der Schustehrusstraße jenseits der Kaiser-Friedrich-Straße, früher Schwarzer Graben, in den ehemals höfisch geprägten Bereich an der Schloßstraße.
Kaiser-Friedrich-Straße
1892 benannt nach Friedrich III, Sohn Kaiser Wilhelms I, 1888 für 100 Tage Deutscher Kaiser. Sein Nachfolger war Wilhelm II.
Die Kaiser-Friedrich-Straße wurde erst am Ende des 19. Jahrhunderts angelegt. Sie verläuft teilweise entlang dem früheren sogenannten “Schwarzen Graben”. Das war ein morastiges Gelände, das den östlichen Teil der Charlottenburger Altstadt rund um die Luisenkirche vom westlichen Teil an der Schloßstraße trennte. Die heutige Schustehrusstraße (damals Scharrenstraße) war bis ins 19. Jahrhundert die einzige Verbindung zwischen den beiden Teilen. Auch die heutige Kaiser-Friedrich-Straße wirkt wie eine Trennlinie, aber nicht mehr wegen dem Morast, sondern wegen dem starken Autoverkehr.
Tafel 11: Schlesien-Oberschule
Ab 1870 führte der Zuzug wohlhabender und gebildeter Berliner nach Charlottenburg zum verstärkten Aufbau von Oberschulen. So wurde die heutige Schlesien-Oberschule 1915 von Magistratsbaurat Winterstein als Haupt- und Realschule errichtet. Das Backsteingebäude bietet mit dem Putzanstrich im Obergeschoß, den reichen Verzierungen der Holzgiebel und Fensterlaibungen ein malerisches Bild. Die Fassade wurde 1986 instandgesetzt. Nach 1945 beherbergte sie verschiedene Schultypen, Heute befindet sich eine Hauptschule hier.
Das Grundstück der Schule und der angrenzende Schustehruspark gehörten früher zur “Villa Oppenheim”. Die Stadt Charlottenburg erwarb 1911 das Gelände, um einen öffentlichen Park zu schaffen. Der Gartendirekter und Gartenarchitekt Barth legte 1914 die geometrische Parkanlage an. Er fügte dabei die damals bestehenden Pflanzen und Bäume ein. Der Park steht unter Denkmalschutz (Gartendenkmal). Er wurde 1986 rekonstruiert. Die Straße und der Park erhielten den Namen des Oberbürgermeisters Schustehrus.
Der Altstadtpfad verläuft weiter durch den Park zur “Villa Oppenheim”. Bitte beachten Sie die Informationstafeln zum Schustehruspark im Eingangsbereich.
Otto-Grüneberg-Weg
Benannt 1989 nach dem Charlottenburger Otto Grüneberg, geb. am 7.2.1908 in Charlottenburg und gestorben am 1.2.1931 in Berlin-Charlottenburg. Er war Mitglied der “Roten Jungfront” und engagierte sich in der Häuserschutzstaffel eines Zille-Kiezes zur Abwehr des SA-Terrors. Am Abend des 1. Februar 1931 kam es an der Ecke Schloßstraße und Hebbelstraße zu einem Zusammenstoß mit der SA. Grüneberg wurde dabei von einem SA-Mann erschossen. An dem Haus Schloßstraße 22 erinnert eine Gedenktafel an diesen Mord.
Bild: BACW/KHMM
Tafel 12: Villa Oppenheim
Die Villa ist nach den früheren Eigentümern benannt und steht unter Denkmalschutz.
Sie wurde 1881/82 vom Architekten Heidecke auf dem Grundstück der alten Villa des königlichen Grafen v. Kameke erbaut. Die Ziegel- und Sandsteinfassade in den Formen der Renaissance und der klassisch symmetrische Grundriß verkörpern die historisierenden Gestaltungselemente dieser Zeit.
Nach 1911 wurden alle Nebengebäude der Villa (Gartensaal, Kegelbahn und Treibhäuser) abgerissen, die Schlesien-Oberschule errichtet und der Privatpark zum Schustehruspark umgebaut.
Nach schweren Kriegsschäden erhielt die Villa 1945 ein flaches Notdach. 1985 wurde sie restauriert. Beachtenswert ist der original aufgebaute Dachstuhl mit der Schieferabdeckung. An dieser Arbeit erlernten 50 Schüler einer Gewerbeschule die alten Handwerkertechniken. Heute sind in der Villa eine Kindertagesstätte, das Kunstamt und die Schulverwaltung untergebracht.
Die Villa ist benannt nach ihrem Bauherrn, dem Obertribunalrat Otto Georg Oppenheim (1817-1909), einem Schwiegersohn des Bankiers Alexander Mendelssohn (1798-1871), der bereits 1845 das riesige Anwesen von dem Kammerherrn und Legationssekretär Graf von Kameke erworben hatte und es mit der ‘Villa Sorgenfrei’ und einigen Nebengebäuden bebaut hatte. Alexander Mendelssohn war Besitzer des renommierten Berliner Privatbankhauses Mendelssohn Et Co. und gleichzeitig Ehrenbürger der Stadt Charlottenburg.
Oppenheim ließ die ‘Villa Sorgenfrei’ abreißen und baute an ihrer Stelle das heutige zweigeschossige Haus. Zu dem weitläufigen Villengrundstück gehörte auch die Fläche der heutigen Schlesien-Oberschule. Auf diesem 28.000 Quadratmeter großen Grundstück entstanden eine Kegelbahn, ein Tennisplatz, Gartensaal und Treibhäuser. Das Leben trug hier wahrhaft großbürgerliche Züge – nur einen Steinwurf entfernt vom ‘roten Kiez’ westlich der Schloßstraße mit den schlimmsten Wohn- und Lebensverhältnissen in Charlottenburg.
Nach dem Tod Otto Georg Oppenheims wurde 1910 dessen Sohn Hugo Oppenheim Besitzer des Anwesens. Der Multimillionär Hugo Oppenheim war Teilhaber des Berliner Privatbankhauses Robert Warschauer & Co. Schon damals war die Villa Oppenheim ein Anachronismus. Das Grundstück war zwar riesig, aber es war umstellt von hohen Mietshäusern, aus deren oberen Stockwerken man auf die Gartenanlage herab sehen konnte. Damit war die Intimität des großbürgerlichen Wohnens verloren gegangen.
1911 kaufte die Stadt Charlottenburg den gesamten Oppenheimschen Grundstückskomplex für 1,5 Millionen Mark, das entsprach einem äußerst günstigen Quadratmeterpreis von ungefähr 53 Mark. Offensichtlich lag Oppenheim daran, das Gebäude als Ganzes zu verkaufen, um vielleicht nicht mit vielen verschiedenen Käufern verhandeln zu müssen, denn für die Stadt war nur ein Teil des Geländes von Interesse und zwar in erster Linie der Gartenbereich der Villa.
Die Einrichtung eines öffentlichen Parks auf dem Gartengelände der Villa war der eigentliche Hintergrund für das städtische Kaufinteresse an dem Grundstück. Die Kommune sah angesichts des Mangels an Grünflächen im Inneren der Stadt die Gefahr, “dass der schöne große Park zu Baustellen für Mietskasernen ausgenutzt wird.”
Den nicht benötigten Rest des Grundstücks, immerhin fast 1,36 Hektar, verkaufte die Stadt spekulationsträchtig für durchschnittlich 85 Mark pro Quadratmeter an verschiedene Interessenten – ein gutes Geschäft, durch das sich die städtischen Erwerbungskosten letztlich auf knapp 350.000 Mark verringerten.
Einen Quadratmeterpreis von 108 Mark musste der Kreiskriegerverband für die Villa und deren Nahbereich zahlen.
Die 37.000 Mark teure Einrichtung des öffentlichen Parks, die den etwa hundertjährigen Baumbestand mit einem streng rechtwinkligen Wegesystem verband, lag in der Verantwortung des Charlottenburger Stadtgartendirektors Erwin Barth. Barth, der 1926 zum Stadtgartendirektor von Groß-Berlin aufstieg, hat zahlreiche Stadtplätze und Parks in Charlottenburg gestaltet. Er sah die Gartenkunst als eine soziale Aufgabe an. Hier sollten Ruheplätze, Gärten und Spielplätze für diejenigen entstehen, die nicht über eigenen Grund und Boden verfügten.
Die neue Parkanlage erhielt mit der Straße ‘Am Parkplatz’, dem heutigen Otto-Grüneberg-Weg, einen Zugang von der Schloßstraße, so dass sie auch für die Bewohner des dicht besiedelten Arbeiterviertels westlich der Schloßstraße leicht zugänglich wurde.
1985/86 wurde der nach Karl Schustehrus benannte Park für 1,8 Millionen Mark aus Sondermitteln zur 750-Jahr-Feier Berlins nach gartendenkmalpflegerischen Gesichtspunkten wiederhergestellt.
Auch die kriegsbeschädigte und zunächst nur notdürftig wiederhergestellte ‘Villa Op-
penheim’ wurde 1986 restauriert, wobei das Dachgeschoss originalgetreu wiederaufgebaut worden ist.
Schloßstraße
Das an der Ecke Otto-Grüneberg-Weg und Schloßstraße aufgestellte Kunstprojekt – der “Charlottenburger Kunstraum” – stammt von Gerhard Andrees und steht seit 1989 an dieser Stelle. Zum Vorbild für die dargestellte Hügellandschaft hat der Künstler eine Zeichnung genommen, die den Blick von der kommunalen Müll-Deponie Wannsee auf die Hügel um Potsdam zeigt. Andrees will mit seinem Werk nach eigenen Angaben “ein Zeichen zur Humanisierung unseres Lebensraumes setzen”, da für ihn gerade diese Stelle an der Schloßstraße “durch die unproportionierte Überbauung der Gründerjahre, den vielfältigen Kriegs- und Nachkriegszerstörungen wie durch wilde Deponien zerstört wurde”.
Noch mehr als die Wilmersdorfer Straße ist die Schloßstraße einen eigenen Kiezspaziergang wert. Deshalb werden wir uns heute nur auf das Notwendigste beschränken. Sie wurde im Zusammenhang mit dem Bau des Schlosses um 1700 angelegt, hieß zunächst “Große Allee” und erhielt den Namen Schloßstraße am Ende des 18. Jahrhunderts. Sie ist einen Kilometer lang und 70 Meter breit. Eine Bedeutung für den Verkehr hat sie erst im 19. Jahrhundert erlangt, denn sie endete zunächst im sogenannten Nassen Dreieck auf der Höhe der heutigen Zillestraße und Knobelsdorffstraße. Zum Schloss gelangte man damals über die Berliner Straße, die heutige Otto-Suhr-Allee. Die Schlossstraße wurde angelegt als Sichtachse auf das Schloss und als Wohnstraße für Schlossbedienstete und für das Militär.
Im 19. Jahrhundert wurde aus der Schloßstraße nicht nur eine Durchgangsstraße, sondern auch eine soziale Grenze: Westlich beginnt der Klausenerplatz-Kiez, ein sozialer Brennpunkt des Bezirks, während an der östlichen Seite der Straße durchaus hochherrschaftlich gewohnt wurde und wie wir gerade gesehen haben, eine Villa existierte, wie sie in dieser Dimension selbst in der Millionärskolonie Grunewald kaum zu finden war.
Nr.56
Zu den auffälligsten Gebäuden an der Schloßstraße gehört heute zweifellos die von dem Architektenehepaar Hinrich und Inken Baller entworfene, 1988 fertiggestellte Sporthalle hier auf dem Grundstück Schloßstraße 56. Die Architekten lösten die anfangs für unmöglich gehaltene Aufgabe, auf dem verhältnismäßig kleinen Grundstück eine Doppelturnhalle unterzubringen, indem sie die Hallen übereinander bauten, was besondere statische Probleme aufwarf, aber gelöst werden konnte. Auf diese Weise entstand in Stahlbetonweise im ersten Obergeschoss eine Halle in der Größe eines Handballfeldes und darüber eine weitere Halle, die olympischen Normen entspricht. Die mit der Verglasung der Geschosse erzielte Transparenz und die lebhafte Fassadengliederung mit Baikonen sowie Vor- und Rücksprüngen lassen die Funktion des Gebäudes zunächst nicht vermuten. Dies war auch die Absicht Hinrich Ballers, für den normale Turnhallen aussehen “wie für die Schweinezucht gebaut”.
Eine Sehenswürdigkeit eigener Art ist das Tonnengewölbe der oberen Halle: Statt der in Turnhallen sonst üblichen monströsen Lüftungsanlagen und Deckenkonstruktionen vermitteln feine stählerne Spannglieder und Aufhängungen für die Sportgeräte eine geheimnisvolle Zirkusatmosphäre, “wie wenn es gleich los geht” (Hinrich Baller).
Ein zweites Beispiel für die auffällige Baller-Architektur ist wenige Meter südlich von hier an der Schloßstraße 45-47 zu besichtigen, außerdem an der Stallstraße Ecke Nithackstraße und an der Schustehrusstraße Ecke Nithackstraße, wo wir gleich vorbeikommen werden. Vor einigen Jahren entstand in Wilmersdorf an der Württembergischen Straße unweit des Fehrbelliner Platzes ein größerer Neubaukomplex von Baller, und das letzte spektakuläre Baller-Projekt waren die Rosenhöfe im Bezirk Mitte neben den Hackeschen Höfen.
An dem “neuen Expressionismus” von Hinrich und Inken Baller scheiden sich die Geister seit bald 20 Jahren. Für die einen haben die Häuser mit den charakteristischen Spitzbogengiebeln und den lindgrünen, aus dünnen Rundstählen gebogenen Fenster- und Balkongittern “Gesicht und Charakter”. Für andere wiederum sind die Baller-Bauten mit ihren filigranen Details lediglich Ausdruck “architektonischen Mutwillens” und eines dem äußeren Showeffekt frönenden “architektonischen Narzissmus”. Gleichwohl setzen die Baller-Bauten hier an der Schloßstraße wirkungsvolle städtebauliche Akzente und bereichern die vorhandene Vielfalt der architektonischen Formen um zwei außergewöhnliche Bauwerke der Moderne.
Schustehrusstraße
Nithackstraße
1950 benannt nach dem Pfarrer, Schriftsteller und Pazifisten Walter Nithack-Stahn (1866-1942). Er war Pfarrer an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Die Straße hieß vorher “Oranienstraße”.
An der Ecke befindet sich das eben erwähnte Baller-Haus.
Tafel 13: Eosander- und Schinkel-Grundschulen
Am Beispiel dieser Schulen wird die Entwicklung des Schulbaues und der Schulpolitik deutlich. Mit dem 7fachen Bevölkerungszuwachs zwischen 1875 und 1900 in Charlottenburg stieg die Schülerzahl um das 10fache auf 18.000 an. Dieser Anstieg stellte große soziale und bauliche Anforderungen. Politische Maßnahmen der Stadtverwaltung und private Initiativen setzten vorbildliche und neue Schulreformen gegenüber der staatlichen Schulpolitik durch. So wurden der Halbtagsunterricht, gemeinsame Schulen für Jungen und Mädchen, Fortbildungsschulen für Gewerbe und Haushalt, die Waldschule und Lehrerseminare eingeführt. Auch die 6klassige Grundschule wurde eingerichtet, Es dauerte bis 1920, ehe alle benötigten Schulen erbaut waren.
Die nach den Baumeistern Eosander und Schinkel benannten Grundschulen wurden 1913/14 durch Stadtbaumeister Weingartner im Stil der beginnenden Moderne mit expressionistischen Elementen im Dekor errichtet. Die Schule diente im 1. Weltkrieg als Lazarett und Kaserne. Erst zu Beginn der 20er Jahre wurde sie als Schule genutzt.
1986 wurde das Dach restauriert. Die beschädigten Dekorplatten, auch an den 17 Säulen der Pergola, und die keramischen Platten im Eingangsbereich der Fassade wurden erneuert. Die Reliefs der vier Jahreszeiten über die Pergola sind neu oder rekonstruiert worden.
Wulfshainstraße
Benannt 1950 nach Emanuel Wulfshein, Stadtverordnetenvorsteher in Charlottenburg, gest. 1880. Die Straße hieß davor Jägerstraße.
Tafel 14: Wulfsheinstraße 8
Die Wulfsheinstraße, früher Jägerstraße, führte von der Schloßstraße aus direkt auf den Jägerhof von Friedrich l. in der früheren Orangenstraße, heute Nithackstraße, zu. Dort steht heute die Schinkelschule. Im und um den Jägerhof siedelten die Jäger mit ihren Hunden, Pferden und Wagen. Vormals war auf diesem Gelände der königliche Küchengarten angelegt. Nach Abbruch des Jägerhofes stand dort ein Lazarett, später ein Palais nach Plänen des Architekten Schinkel.
Am denkmalgeschützten Haus Wulfsheinstraße 8 ist die bauliche Entwicklung dieser Straße im 19. Jahrhundert erkennbar. Der Kern des alten 2geschossigen Bürgerhauses geht mit seiner ursprünglich schlichten Fassadengestaltung und den sieben Fensterachsen auf das Jahr 1829 zurück. 1869 wurde es um zwei Geschosse aufgestockt und die beiden Balkone angebaut. Zugleich erhielt es die schmückenden Fassadenelemente (Dach- und Gurtgesims) des Spätklassizismus.
Eine grundlegende Instandsetzung und Modernisierung erfolgte 1979, Der Ausbau des Daches ist von der Straße aus nicht zu erkennen. Gleichfalls wurden die Fassade und das Treppenhaus denkmalgerecht restauriert.
Schloßstraße
Das Haus Schloßstraße 67 stellt der Denkmalpfleger Borwin Wendtland vor, der selbst in dem Haus lebt.
Tafel 15: Schloßstraße 67
Die Schloßstraße, früher Breite Straße, wurde 1698 vom Schloß aus als senkrechte, barocke Sichtachse angelegt, und anfangs von königlichen Hofbeamten besiedelt. 1705 gründete König Friedrich l. die “Residenzstadt” Charlottenburg. Für die höfische Stadt entfielen somit die im Reich üblichen Zollabgaben und später der Zunftzwang. Die 1geschossigen Bürgerhäuser mit Mansarddach (Modellhaus Eosander) wichen ab 1830 den späteren Villen und Miethäusem.
Der Mittelstreifen in der Schloßstraße entstand um 1840. Anschließend wurden die Vorgärten repräsentativ umgestaltet. Kennzeichnend dafür ist die symmetrische Anlage mit dem Pflanzenbeet in der Mitte.
Das Baudenkmal, die Villa Nr.67 von Architekt Töbelmann 1873 erbaut, dokumentiert den repräsentativen Villenbau der Gründerzeit. Die aufwendigen Gestaltungselemente der Antike (Sandsteinfassade, Balkon, Säulen, Eingangs- und Treppenhausdekoration) veranschaulichen den Spätklassizismus. Die großen herrschaftlichen zwei 9-Zimmer-Wohnungen im Vorderhaus und Seitenflügel wurden um 1930 in kleinere Wohnungen aufgeteilt. Die Villa wurde 1947 renoviert und die Fassade 1966 restauriert.
1986 wurden die Vorgärten Schloßstraße 15a-23 und 65, 66, 67a von der Gartendenkmalpflege wiederhergestellt. Ganze Straßenabschnitte restaurierter Vorgärten im Stil der Zeit um 1880 sind einmalig in Berlin.
Tafel 16: Schloß Charlottenburg
Vom Schloß und der Schloßstraße ausgehend entwickelte sich die Altstadt Charlottenburg.
Die Mittelbauten des Schlosses errichteten die Baumeister Nehring, Grünberg und Eosander im Barockstil von 1695-1712. Anbauten durch Knobelsdorff folgten 1740-42 im Spätbarock und Rokokostil, 1788-91 im Frühklassizismus durch Langhans und 1825 von Schinkel ein zusätzlicher Bau im Klassizismus.
Die dem Schloß gegenüberstehenden klassizistischen Gebäude entstanden 1855-59. Mit den Pavillons und dem Marstall verdeckte König Friedrich Wilhelm IV. die darunterliegenden Stallungen von 1740 an der Stallstraße. Im westlichen Pavillon befindet sich das Antikenmuseum und im östlichen Pavillon, dem Marstall und Mäuseturm am Spandauer Damm 7-9 das Ägyptische Museum. Die Remise in der Nithackstraße, die auf dem Platz der früheren Stallungen nach dem Krieg errichteten Gebäude und das neue Quergebäude im Hof, werden von wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen genutzt.
In dem 1986/87 restaurierten Kopfbau in der Schloßstraße 69 hat das Heimatmuseum Charlottenburg seinen Platz gefunden.
Hier liegt für Sie eine begleitende Broschüre mit zusätzlichen Informationen zum “Altstadtpfad Charlottenburg” bereit.
Das Heimatmuseum steht hier am richtigen Ort, denn genau hier begann vor knapp 300 Jahren, 1705 die städtische Entwicklung Charlottenburgs. Wir sind also am Ende unseres Spaziergangs am historischen Anfang angekommen.
Leider steht von den ersten Häusern keines mehr. Es waren die Häuser der Kammertürken Aly an der Schloßstraße 4 und Hassan an der Schloßstraße 6 und auf dem Gelände des heutigen Seniorenwohnheimes an der Schloßstraße 2 das 1702 von Eosander von Göte für den höfischen Oberstallmeister Marquis Francois d’Aussaun de Villarnoux erbaute Haus, das von 1707 bis 1847 als Rathaus diente, in dem auch das Stadtgericht, eine Kirche und seit 1811 auch noch ein Gefängnis untergebracht wurden. Dieses Haus wurde 1882 abgerissen.
Hier, südlich des Spandauer Damms etablierten sich in früheren Militärgebäuden kulturelle Einrichtungen, die gemeinsam mit dem Schloss Charlottenburg ein Ensemble bilden, das wohl das meist besuchte kulturelle Zentrum unseres Bezirks und eine der größten Touristenattraktionen Berlins ist: Die beiden Stüler-Bauten wurden 1855 bis 1859 im Auftrag Friedrich Wilhelms IV von Friedrich August Stüler für eine Schwadron der königlichen Leibwache, die Garde du Corps gebaut, die seit 1740 in Charlottenburg stationiert war. Heute befindet sich im östlichen Bau das weltberühmte Ägyptische Museum und im westlichen Bau die ebenso sensationelle Sammlung Berggruen. Daran anschließend entstand 1892/93 als Mannschaftsgebäude und Offizierswohnhaus der Gardes-du-Corps ein von dem Architekten Kahl errichtetes Gebäude, in dem heute das Bröhan-Museum untergebracht ist.
In der Mitte der Schloßstraße steht seit 1901 das Bronzestandbild des Prinzen Albrecht von Preußen (1809-1872). Er war der jüngste Bruder Kaiser Wilhelms I und ist hier als Reitergeneral dargestellt. Die Reliefs an den Seiten zeigen Kampfszenen aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71, an dem Albrecht teilgenommen hat. Das Denkmal wurde von dem Bildhauer Eugen Boermel und dem Maler Conrad Freyberg geschaffen. Dieser ist als Regimentskamerad Prinz Albrechts auf dem östlichen Sockelrelief selbst dargestellt.
Die Schloßstraße dient heute rein friedlichen Zwecken: Neben dem Flanieren im Sommer vor allem dem Boule-Spiel. Es gäbe noch viel zu entdecken in dieser Straße, und ich verspreche Ihnen, dass wir das auch noch tun werden: Die Schloßstraße, der daran anschließende Klausenerplatzkiez und natürlich auch das Schloss mit seinem großen Park werden wir in künftigen Kiezspaziergängen genauer unter die Lupe nehmen. Ich hoffe, dass Sie auch dann wieder dabei sind.
Und hoffentlich auch in zwei Jahren, wenn wir das doppelte Jubiläum feiern: 100 Jahre Rathaus und 300 Jahre Charlottenburg.
vgl. auch die Kurzfassung des Altstadtpfades
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