Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen zu unserem heutigen Kiezspaziergang. Er entspricht in etwa dem Wanderweg J auf unserer bezirklichen Wanderkarte, und wir werden vor allem eindrucksvolle Villen und schöne Plätze in der Villenkolonie Westend zu sehen bekommen. Zur Entstehung dieser Villensiedlung möchte ich Ihnen etwas sagen, wenn wir uns auf dem Branitzer Platz im Zentrum der Kolonie befinden. Jetzt zunächst ein paar Worte zum
Theodor-Heuss-Platz
Der Theodor-Heuss-Platz wurde am 18. Dezember 1963 nach unserem ersten Bundespräsidenten benannt, 6 Tage nach seinem Tod am 12. Dezember 1963 in Killesberg bei Stuttgart. Von 1906 bis 1933 und von 1947 bis 1963 hieß der Platz Reichskanzlerplatz, von 1933 bis 1945 Adolf-Hitler-Platz. Alle drei Namen zeigen auf ihre Weise die Bedeutung dieses Platzes als Teil der großen Ost-West-Verbindung durch Berlin, und die Namen spiegeln die Epochen unserer Geschichte im 20. Jahrhundert wider, wobei erstaunlich scheint, dass man nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst zu dem Namen “Reichskanzlerplatz” zurückkehrte, obwohl ein “Reichskanzler” nicht mehr existierte und auch nicht mehr zu erwarten war.
Mit Theodor Heuss wird hier ein Mann geehrt, der in den 20er Jahren in Berlin politisch aktiv war, zunächst als Schöneberger Stadtverordneter und seit 1920 als Bezirksverordneter, dann von 1924 bis 1933 als Abgeordneter der Deutschen Demokratischen Partei im Deutschen Reichstag. 1933 wurde ihm sein Lehrauftrag an der Hochschule für Politik in Berlin entzogen. Seine Bücher wurden von den Nationalsozialisten öffentlich verbrannt. Er publizierte weiter in der “Frankfurter Zeitung” unter dem Pseudonym Thomas Brackheim. Und er hatte Kontakte zu den Widerstandsgruppen um Carl Goerdeler. Nach dem Krieg wurde er Vorsitzender der von ihm gegründeten FDP, Kultusminister in Württemberg-Baden und schließlich von 1949 bis 1959 Bundespräsident.
Der Theodor-Heuss-Platz wurde von 1904 bis 1908 als Schmuckplatz in dem neuen Wohnviertel Neu-Westend im Zuge der Ost-West-Verbindung angelegt. Damit ist der über 17,5 km nahezu geradlinig verlaufende Straßenzug von der Schlossbrücke in Mitte über Unter den Linden, Straße des 17. Juni, Bismarckstraße, Kaiserdamm und Heerstraße bis zur Stadtgrenze in Staaken gemeint. Albert Speer plante hier auf dem damaligen Adolf-Hitler-Platz eine monumentale Kolonnade und ein Heldendenkmal. Dazu ist es nicht gekommen.
1955 wurde das Mahnmal “Ewige Flamme” vom Bund der Vertriebenen errichtet. 1985 wurde der Platz umgestaltet, 1995 die Brunnenskulptur “Blauer Obelisk” von der Berliner Künstlerin Hella Santarossa installiert.
Der Brunnen ist 15m hoch und besteht aus übereinander gestapelten Kuben aus mundgeblasenem blauem Antikglas. Das Brunnenwasser wird mit einer Pumpe von oben über die Skulptur geleitet. Wegen der Gefahr einer raschen Verkalkung stand jahrelang nur “stilles” Wasser im Brunnenbecken. In diesem Jahr wurde der Brunnen wieder in Betrieb genommen.
Auf zwei Gebäude am Theodor-Heuss-Platz möchte ich hinweisen:
1.) Deutschland- und Amerikahaus an der Ecke Heerstraße
Der südliche Platzrand des damaligen Reichskanzlerplatzes wurde 1928-30 nach Entwürfen von Heinrich Staumer durch den Bauunternehmer Heinrich Mendelsohn mit zwei Geschäftshäusern im Stil der neuen Sachlichkeit bebaut, dem Deutschlandhaus und dem Amerikahaus, gebaut für Hotels, Cafés, Kinos und Läden.
1937 wurde das Deutschlandhaus von der Deutschen Reichspost für Fernsehzwecke ausgebaut und ein Jahr später der im Turm des Amerikahauses installierte Fernsehsender in Betrieb genommen. Am 1. November 1938 war der Beginn des regelmäßigen Studiobetriebs. 1943 wurde der Sender durch alliierte Bomben zerstört, das Gebäude dabei nur geringfügig beschädigt. 1954 erwarb der SFB das Deutschlandhaus für seine Fernsehabteilung und sendete 1955 erstmals von hier, bevor er 1970 in das neue Fernsehzentrum umzog. Das SFB-Fernsehzentrum wurde 1961 bis 1971 von Robert Tepez als 14stöckiges Hochhaus zwischen Masurenallee und Kaiserdamm gebaut.
Im Deutschlandhaus befand sich bis zur Wende auch der Sitz der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und der Deutschen Kinemathek, sowie der Deutschen Welle.
Das Amerikahaus wurde nach dem Krieg von den Britischen Streitkräften als Naafi-Club (Navy-Army-Air Force-Institution) genutzt; hier befanden sich Geschäfte, Restaurants und Clubs, sowie das “Globe-Cinema”; heute ist das Haus Domizil des Kabaretts “Die Wühlmäuse”.
2.) im Nachbarhaus am Theodor-Heuss-Platz 5 befindet sich das Internationale Studienzentrum Berlin (ISB)
Im ehem. “Edinburgh House”, einem Hotel für britische Offiziere (1960-62 von Werner Düttmann erbaut), wurde nach der Verabschiedung der Alliierten, auf Anregung von Helmut Kohl und François Mitterand ein Wohnheim und eine Begegnungsstätte für ausländische Austauschstudenten ins Leben gerufen, die durch das Studentenwerk Berlin betrieben wird. Es steht fortgeschrittenen Stipendiaten/-innen und Wissenschaftler/-innen aus den Ländern der vier Alliierten offen. Es bietet ein umfangreiches kulturpolitisches Programm zur deutschen und europäischen Kultur. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.
Ahornallee
Die Straßen in der Kolonie Westend wurden in der Regel nach den Bäumen benannt, die dort angepflanzt wurden.
Nr. 29-32
1877/78 für Emil Werckmeister, einen Bruder des Westend-Gründers Albert Werckmeister errichtet.
Hier befand sich das Atelier der Malerin Sabine Lepsius, die vor dem 2. Weltkrieg die Tradition der Berliner Salons weiterführte. Berühmtester Gast war Stefan George.
Ahornallee 33
Kurz vor Ausbruch des 1.Weltkrieges für den Rechtsanwalt J. Kallmann von Carl Stahl-Urach erbaut und 1958 umgebaut. Eine der opulentesten und am besten erhaltenen Villen Westends. Zahlreiche Details vermitteln einen Eindruck von der Schmuckfreudigkeit der Zeit. Die Villa, die unter Denkmalschutz steht, beherbergt heute die Katholische Schule Liebfrauen (Realschule/Gymnasium).
Ich möchte auf zwei Häuser an der Ahornallee hinweisen, die außerhalb unseres Weges liegen:
1.) Ahornallee 36
Wohn- und Atelierhaus des Berliner Architekten Emil Schaudt (1871-1957), dem Erbauer des KaDeWe und des sog. Kaiserecks (ehem. Geschäftshaus Michels) am Kurfürstendamm, Ecke Rankestraße, das heute eine Zweigstelle der Dresdner Bank beherbergt. Sein von ihm erbautes Haus steht unter Denkmalschutz.
2.) Ahornallee 37, Ecke Platanenallee
Am Haus erinnert eine Berliner Gedenktafel (Porzellantafel der KPM) an die jüdische Lyrikerin Gertrud Kolmar; sie wurde am 24.2.1993 enthüllt.
Gertrud Kolmar, eigentlich Gertrud Käthe Chodziesner, wurde am 10.12.1894 geboren. Nach den in der Ahornallee (in einem Vorgängerbau) verbrachten Kinder- und Jugendjahren lebte sie zurückgezogen in der elterlichen Villa im brandenburgischen Finkenkrug (Falkensee) bis zur zwangsweisen Umsiedlung 1938 in ein sogenannten Judenhaus. Ab 1941 Verpflichtung zur Zwangsarbeit. Februar 1943 Deportation im Rahmen der ‘Fabrikaktion’, ermordet in Auschwitz. – Ihre Lyrik ist bilderreiche Naturdichtung zwischen Märchenhaftem und Askese.
Klaus-Groth-Straße
1906 benannt nach dem niederdeutschen Lehrer, Schriftsteller und Lyriker Klaus Johann Groth (1819-1899), der heute weitgehend vergessen ist.
Nr. 9
Malerische Anlage mit Stilelementen einer mittelalterlichen Burg, ehem. Remisen- und Stallgebäude, 1907 von Alfred Schrobsdorff erbaut. Es handelt sich um ein Baudenkmal.
Klaus-Groth-Straße 8
Villa (1912-13 von Ludwig Rosin und Hans Sternburg erbaut) und Garten stehen unter Denkmalschutz.
Lindenallee 22, Ecke Halmstraße
Haus Buchthal, 1922/23 von Hans und Wassili Luckhardt und Frank Hoffmann. Expressionistischer Bau auf V-förmigem Eckgrundstück mit spitz zulaufenden Enden. Kristalline Formen sowohl im Grundriss als auch bei der Decken- und Fußbodengestaltung sowie beim Mobiliar. 1928/29 vollkommen verändernder Umbau durch Ernst L. Freud, die ursprünglichen Formen sind kaum noch erkennbar. 1958 Anbau von Werner Seyffert. Das Haus steht heute unter Denkmalschutz.
Lindenallee 35
1913/14 dreigeschossiges Wohnhaus in der Art eines barocken Schlosses von Grisebach und Steinmetz. 1958 umgebaut, heute denkmalgeschützt.
Lindenallee 16
Botschaft der Tunesischen Republik. Ehem. Wohnhaus, 1895-96 von Wilhelm Walter erbaut, mehrere Umbauten, heute Baudenkmal.
Lindenallee 40
1910 im Jugendstil erbaut. Schmuckelemente (Zaun, Gartentor, Balkongitter) vollständig erhalten.
Lindenallee 44, Ecke Eichenallee
Wohnhaus und Remise. 1869/70 als verputzter Fachwerkbau in nördlicher Bautradition von Robert Otto errichtet, mehrere Umbauten. Die Gebäude stehen unter Denkmalschutz.
Ulmenallee 8, Ecke Lindenallee 46
Baudenkmal, 1869/70 erbaut, 1914 umgebaut und erweitert. Besonders die Fassade zur Lindenallee erhielt 1914 einen reichen Reliefschmuck in einem gravitätischen Jugendstil.
Ulmenallee 3
Um 1870 im Stil der Neugotik mit Zinnen und Eckturm von Wilhelm Schöltz erbaut; Vorgarten mit Brunnenanlage aus der selben Zeit, spätere Ergänzungen und Anbauten. Ursprünglich Nebengebäude der verschwundenen Villa Ibrox, die sich im Besitz des Kaufmanns Heinrich Quistorp befand, der Westend maßgeblich entwickelt hat. Eines der ältesten und auffälligsten Häuser der Villenkolonie, steht unter Denkmalschutz.
Ahornallee 47
1870/71 von Eduard Tietz, 1936 umgebaut, unter Denkmalschutz. Eine der wenigen erhalten gebliebenen Villen aus der frühen Entwicklungsphase Westends. Klassizistische, farbig gefaßte Bauernornamentik.
Ahornalllee 50
Berliner Gedenktafel (Porzellantafel der KPM) für die Publizistin und Sozialpolitikerin Adele Schreiber-Krieger (29.04.1872-18.02.1957), die von 1910 bis 1933 in diesem Haus wohnte; die Tafel wurde am 11.03.1995 enthüllt. Adele Schreiber-Krieger war Mitbegründerin der “Deutschen Gesellschaft für Mütter- und Kinderschutz”. Aus politischen Gründen emigrierte sie 1933 in die Schweiz.
Ahornallee 4
1872-75 von Otto March, dem Vater von Werner March, dem Erbauer des Olympiastadions; 1938 umgebaut. Das Haus ist eines der wenigen noch erhaltenen in diesem zuerst bebauten Bereich Westends, es steht unter Denkmalschutz.
Lindenplatz
Der Platz wurde 1894-95 in der Art eines Dorfangers angelegt, 1951 durch Joachim Kaiser neu gestaltet, heute als Gartendenkmal ausgewiesen. Um den Platz herum wurden elegante Villen gebaut; darunter auch: