Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen
Treffpunkt: S-Bahnhof Grunewald, vor dem Bahnhofsgebäude
Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen zu unserem 99. Kiezspaziergang. Der März ist für uns in Charlottenburg-Wilmersdorf traditionell der Frauenmonat, denn am 8. März war der Internationale Tag der Frau, und wir haben bisher in jedem Jahr auf den Kiezspaziergang im März einen weiblichen Schwerpunkt gelegt. Das wollen wir auch in diesem Jahr so halten.
Hier am Rande der Villenkolonie, auf dem Gelände des früheren Güterbahnhofs Grunewald, entsteht eine neue Wohnsiedlung. Eine neue Straße zur Erschließung dieser Siedlung wurde nach einer Frau benannt, und in der Villenkolonie haben viele bedeutende Frauen gelebt, darunter Vicki Baum, Brigitte Bermann Fischer, Isadora Duncan, Judith Kerr, Hildegard Knef und Romy Schneider. Es ist also ein besonders interessanter Ort für einen Spaziergang im Frauenmonat März.
Am Montag dieser Woche, also am Internationalen Frauentag, habe ich in Schmargendorf an der Auguste-Viktoria-Straße 64 eine neue Gedenktafel für eine Frau enthüllen dürfen, und zwar für Marie Munk, die erste Rechtsanwältin und Richterin in Preußen. Auch heute werden wir einige Gedenktafeln sehen, die an Frauen erinnern. Es sind aber noch immer viel zu wenige. Von 333 Gedenktafeln in Charlottenburg-Wilmersdorf erinnern 216 an Männer, 36 an Frauen, 14 an Paare und 67 an Institutionen. Wir haben also noch viel zu tun, denn es gab viele bedeutende Frauen, die in unserem Bezirk gelebt haben.
Bevor wir beginnen, möchte ich Ihnen mitteilen, wo der Treffpunkt für den nächsten Kiezspaziergang sein wird. Es wird der 100. sein. Leider hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit abgesagt. Ich hatte ihn als prominenten Charlottenburg-Wilmersdorfer eingeladen, nachdem aus Ihrem Kreis die Idee kam, aber er kann leider nicht.
Wir wollen zum 100. Jubiläum an den ersten Kiezspaziergang erinnern und schauen, was sich dort rund um den Lietzensee verändert hat, wo wir am 12. Januar 2002 entlang gegangen sind.
Treffpunkt ist am Sonnabend, dem 10. April, um 14.00 Uhr am S-Bahnhof Messe Nord / ICC, und das ist auch schon die erste Änderung, denn dieser Bahnhof hieß damals noch Witzleben.
Villenkolonie Grunewald
Die Villenkolonie Grunewald entstand im Zusammenhang mit dem Ausbau des Kurfürstendammes zum Boulevard. Fürst Bismarck hatte auf diesen Ausbau großen Wert gelegt. Da er privat finanziert werden musste, durfte die dafür gegründete Kurfürstendamm-Gesellschaft als Gegenleistung 234 ha Grunewaldgelände für die Anlage einer Villenkolonie erschließen. Dies geschah im Jahr 1889, unter anderem durch die künstliche Anlage von vier Seen: Dianasee, Koenigssee, Herthasee und Hubertussee. 1889 wurde auch das Straßennetz angelegt, und die ersten Grundstücke wurden baureif gemacht und verkauft. 10 Jahre später, 1899 erhielt die Kolonie den Status einer selbständigen Landgemeinde. Allgemein wurde sie in Berlin die “Millionärskolonie” genannt.
Hier ließen sich Bankiers, Unternehmer, Professoren, erfolgreiche Künstler und Schriftsteller nieder und genossen bis zur Eingemeindung 1920 die Steuervorteile der Landgemeinde Grunewald.
1920 wurde Grunewald mit 6.449 Einwohnern gemeinsam mit Eichkamp, der Gemeinde Schmargendorf und der Großstadt Wilmersdorf zum Bezirk Wilmersdorf, dem 9. Bezirk von Berlin zusammengefasst.
Eine der ersten Bewohnerinnen der Millionärskolonie war übrigens eine berühmte Frau. Jedenfalls war sie damals so berühmt wie heute Anna Netrebko. Lilli Lehmann wurde als Opernsängerin weltweit gefeiert, als sie 1891 zusammen mit ihrem Ehemann, dem weniger bekannten Hofopernsänger Paul Kalisch, in die gerade neu gegründete Villenkolonie Grunewald zog, und zwar in die Herbertstraße 20. Das ist eine Ecke der Kolonie, die wir heute nicht erreichen werden. Deshalb möchte ich hier vorab auf sie eingehen, denn ihre Geschichte ist aufschlussreich für die Entstehung der Villenkolonie Grunewald.
Die 1848 in Würzburg geborene Lilli Lehmann wuchs in Prag auf und hatte 1865 ihr Debut in der “Zauberflöte” am Prager Landestheater gegeben. 1870 wurde sie als Koloratursopranistin Mitglied der Berliner Hofoper.
1885 bis 1890 sang sie an der Metropolitan Opera in New York, danach auf persönlichen Wunsch Kaiser Wilhelms II wieder an der Berliner Hofoper.
Lilli Lehmann war gerade aus New York nach Berlin zurückgekehrt. Obwohl ihre Freunde skeptisch waren, ließ sie sich in Grunewald nieder und schrieb fast dreißig Jahre später in ihren Memoiren von ihrem “Grunewald-Heim, dem ich trotz mancher Prophezeiung, ich würde es nicht vier Wochen darin aushalten, seit 29 Jahren treu geblieben bin und wo ich mich sehr glücklich fühle.”
Sie schrieb weiter: “‘Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauktion’, so hieß das schöne Lied, das man in Berlin auf allen Straßen hörte, dessen tiefe Bedeutung mir erst klar werden sollte, als uns Regierungsbaumeister Solf einlud, ein soeben für Friedrich Dernburg von ihm vollendetes Landhaus im Grunewald zu besichtigen. Ohne dass wir ahnten, was sich hier in aller Stille entwickelt hatte, sahen wir staunend den Grunewald, den ich früher so oft zu Fuß durchwanderte, plötzlich für Koloniezwecke nutzbar gemacht, in Bauparzellen und Straßen eingeteilt. Hier also spielte sich die Grunewalder Holzauktion ab!
So schnell fanden wir Gefallen an dem noch ganz idyllischen Platz, dem hohen Waldbestand, dass es nur der Frage: ob noch Bauplätze unverkauft, und der bejahenden Antwort Solfs bedurfte, um mir zwei Parzellen zu sichern, die ich am nächsten Mittag bereits mein eigen nannte. Und ebenso schnell, als der Kauf abgeschlossen ward, zeichnete Solf die Pläne zu unserem Landhaus…”
Lilli Lehmann trat bis 1920 als Konzert- und Liedsängerin auf. Ihre Stimme ist auf Schallplattenaufnahmen der Jahre 1905 bis 1907 überliefert. Sie lebte bis zu ihrem Tod 1929 in ihrer Villa in der Herbertstraße 20, wo heute eine Gedenktafel an sie erinnert.
Bahnhof Grunewald
Dieser Bahnhof wurde 1879 zunächst als Bahnhof Hundekehle eröffnet, 1884 wurde er umbenannt in “Bahnhof Grunewald”. Zunächst wurde er vor allem von den Grunewald-Ausflüglern aus Berlin genutzt, seit der Zeit um 1900 zunehmend auch von den Bewohnern der Villenkolonie. Das Bahnhofsgebäude wurde 1899 von Karl Cornelius im Villenstil gebaut. Es steht ebenso unter Denkmalschutz wie der Tunnel, der 1884-85 entstand.