Sozialstadträtin Martina Schmiedhofer
Treffpunkt: Joachimstaler Platz, U-Bahnhof Kurfürstendamm
Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen zu unserem 83. Kiezspaziergang. Mein Name ist Martina Schmiedhofer. Ich bin Bezirksstadträtin für Soziales, Gesundheit, Umwelt und Verkehr im Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, und ich habe den heutigen Kiezspaziergang übernommen, weil Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen sich noch im Urlaub befindet.
Wie immer im November wird es auch heute wieder um die Geschichte der Juden in unserem Bezirk gehen, um ihre Vorfolgung, Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung im Nationalsozialismus. Morgen am 9. November wird es genau 70 Jahre her sein, dass die Nationalsozialisten in einem Pogrom die Synagogen angezündet und die jüdischen Geschäfte zerstört haben. Gerade hier in der westlichen City Berlins zwischen Kurfürstendamm und Kantstraße waren die Zerstörungen besonders massiv. Wir wollen uns heute vor Ort daran erinnern.
Zuvor will ich Ihnen aber wie gewohnt mitteilen, wo der nächste Treffpunkt ist. Den 84. Kiezspaziergang am 13. Dezember wird wieder Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen übernehmen. Im Mittelpunkt wird dann die Besichtigung des Hauses der Berliner Festspiele, der früheren Freien Volksbühne in der Schaperstraße stehen. Der Intendant Joachim Sartorius hat die Kiezspaziergängerinnen und –spaziergänger zu einem Besuch eingeladen. Treffpunkt ist am Samstag, dem 13. Dezember, um 14.00 Uhr vor dem ehemaligen Joachimsthalschen Gymnasium am U-Bahn-Ausgang Spichernstraße.
Der Joachimstaler Platz, auf dem wir uns gerade befinden ist zwar ebenfalls wie das Joachimsthalsche Gymnasium nach dem märkischen Ort Joachimsthal benannt, aber merkwürdigerweise ist ihm irgendwann das “h” nach dem “t” abhanden gekommen. Niemand weiß, wann und warum, aber er schreibt sich ebenso wie die Joachimstaler Straße seit der Nachkriegszeit nur mit “t”. Auf älteren Plänen wurden Straße und Platz noch korrekt mit “th” geschrieben. Aber das ist sicher das Geringste, das im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen ist.
Erich Kästner wohnte von 1931 bis 1944 unweit vom Kurfürstendamm in der Roscherstraße 16. Sein bevorzugter Arbeitsplatz war das Café Leon im Mendelsohn-Bau am Lehniner Platz, in dem heute die Schaubühne untergebracht ist. Kästner erlebte die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 auf dem Kurfürstendamm. Er hat darüber geschrieben:
“In jener Nacht fuhr ich, im Taxi auf dem Heimweg, den Tauentzien und Kurfürstendamm entlang. Auf beiden Straßenseiten standen Männer und schlugen mit Eisenstangen Schaufenster ein. Überall krachte und splitterte Glas. Es waren SS-Leute, in schwarzen Reithosen und hohen Stiefeln, aber in Ziviljacken und mit Hüten. Sie gingen gelassen und systematisch zu Werke.
Jedem schienen vier, fünf Häuserfronten zugeteilt. Sie hoben die Stangen, schlugen mehrmals zu und rückten dann zum nächsten Schaufenster vor. Passanten waren nicht zu sehen. Erst später, hörte ich am folgenden Tag, seien Barfrauen, Nachtkellner und Straßenmädchen aufgetaucht und hätten die Auslagen geplündert.
Dreimal ließ ich das Taxi halten. Dreimal wollte ich aussteigen. Dreimal trat ein Kriminalbeamter hinter einem der Bäume hervor und forderte mich energisch auf, im Auto zu bleiben und weiterzufahren. Dreimal erklärte ich, dass ich doch wohl aussteigen könne, wann ich wolle, und das erst recht, wenn sich in aller Öffentlichkeit, gelinde ausgedrückt, Ungebührliches ereigne. Dreimal hieß es barsch: ‘Kriminalpolizei’! Dreimal wurde die Wagentür zugeschlagen. Dreimal fuhren wir weiter. Als ich zum vierten Mal halten wollte, weigerte sich der Chauffeur. ‘Es hat keinen Zweck’, sagte er ‘und außerdem ist es Widerstand gegen die Staatsgewalt!’ Er bremste erst vor meiner Wohnung.”
So weit der Bericht von Erich Kästner, der erahnen lässt, was in jener Nacht vor 70 Jahren hier geschehen ist.
Ehem. Wäschehaus Grünfeld, heute Ku’damm-Eck
Hier direkt gegenüber an der Stelle des heutigen Ku’damm-Ecks eröffnete Heinrich Grünfeld 1928 eine sehr markante Filiale seines Wäschehauses Grünfeld. Das Stammhaus befand sich in der Leipziger Straße – dort setzte man auf Tradition, hier am Kurfürstendamm auf Moderne mit einer gläsernen Schaufensterfront und einem gläsernen Fahrstuhl, beides damals absolute Neuheiten.
Hier kaufte die Prominenz aus Film, Theater, Musik, aus der Kunst- und Modewelt und Touristen aus dem Ausland. Die “Grünfeld-Ecke” wurde schnell zum Begriff in Berlin.
Fritz Grünfeld hat in seinen Erinnerungen beschrieben, wie er das Problem löste, als er im Jahr der Olympiade 1936 aufgefordert wurde, das Haus zu beflaggen: “Ein unbeflaggtes Haus an dieser prominenten Ecke hätte das ‘Anderssein’ des jüdischen Unternehmens zu deutlich gemacht. Andererseits konnten wir auch nicht die Hakenkreuzfahne hissen. So kam ich auf den Gedanken, die ganze attraktive Fassade mit Wimpeln wie bei einer Regatta ausschmücken zu lassen – und zwar abwechselnd in den zwei Farben ‘Wäsche-Weiß’ und ‘Grünfeld-Blau’. Das waren auch die Farben der zionistischen Bewegung. Sehr festlich wirkte der Anblick auf die Besucher der Olympiade zu Berlin”.
Im Jahr darauf, 1937, wurde das 75jährige Firmenjubiläum in großem Rahmen begangen. Unmittelbar nach diesem Erfolgs-Jubiläum begann im Jahr 1938 das Kesseltreiben gegen die Firma mit einer Hetzkampagne des Stürmers, der vor dem Kauf bei Grünfelds warnte. Danach wurde das Personal unter Druck gesetzt, Grünfeld zu verlassen. Die Presse druckte keine Anzeigen mehr, und Lieferanten boykottierten die Firma auf staatlichen Druck hin, die Banken sperrten die Kredite. Die Firma war nicht mehr zu halten. Die Grünfelds mussten einen Käufer suchen. Walther Kühl, Inhaber der Berliner Einzelhandelsfirma Max Kühl, kaufte das Unternehmen weit unter Wert. Und selbst dieser Verkaufserlös wurde der Familie Grünfeld von den deutschen Behörden wieder abgenommen, bevor sie – gerade noch rechtzeitig – nach Palästina auswandern konnte.
Am 15. Oktober 1938 meldete die “Textil-Zeitung”: “Grünfeld in arischem Besitz!” Das Haus Grünfeld wurde zunächst von Kühl weitergeführt, im Krieg beschlagnahmt und als Heereskleiderkasse zur Lagerung und Ausgabe von Uniformen benutzt. In den letzten Kriegstagen im April 1945 wurde das Gebäude von SS-Leuten angezündet, wahrscheinlich um zu verhindern, dass der Feind in den Besitz der Uniformen gelangte.
Max Kühl führte das Wäschekaufhaus in der Nachkriegszeit am Kurfürstendamm Ecke Fasanenstraße weiter. Die Ruine des Wäschehauses Grünfeld wurde noch bis in die 60er Jahre als dreistöckiger Behelfsbau genutzt.
1969-72 entstand dann das Kudamm-Eck von Senatsbaudirektor Werner Düttmann. Es wurde bald nach Fertigstellung als überdimensionierter hässlicher Schandfleck empfunden. In dem verwinkelten Gebäude konnte sich kein Nutzer auf Dauer erfolgreich behaupten, und viele wünschten sich schon in den 80er Jahren einen möglichst baldigen Abriss. Dazu kam es schließlich 1998. In den folgenden drei Jahren bis 2001 bauten Gerkan, Mark und Partner das heutige runde Kudamm-Eck.
Kurfürstendamm 217 (Ecke Fasanenstraße): Ehem. Nelson-Revue, Astor-Kino
Diagonal gegenüber dem Kempinski befand sich von 1921 bis 1928 die Nelson-Revue. Der überaus populäre Komponist und Theatermann zeigte hier seine Revuen mit moderner Unterhaltungsmusik und geistvollen literarischen Texten von Walter Mehring, Kurt Tucholsky und anderen. 1926 trat hier Josephine Baker erstmals in Berlin auf. Nelson emigrierte 1933 über Zürich nach Amsterdam. Die Revue wurde von den Nationalsozialisten geschlossen und 1934 zum Astor-Kino umgebaut.
Die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich hat am Donnerstag, dem 10. November 1938 in ihr Tagebuch notiert:
“Um sieben Uhr früh läutet es. Vor der Tür steht Dr. Weißmann, der Rechtsanwalt und berichtet fassungslos: ‘Wie Hasen werden wir gejagt. Den halben Kurfürstendamm entlang haben sie mich laufen lassen. Judenschwein! Massenmörder! Verrecke, du Aas! mir nachgebrüllt. Mit Steinen auf mich geworfen und mit Dreckklumpen.’
Um halb zehn fahre ich in die Redaktion. Der Kurfürstendamm ist ein einziges Scherbenmeer. An der Ecke Fasanenstraße stauen sich die Menschen. Eine stumme Masse, die betreten in Richtung der Synagoge starrt, deren Kuppel von Rauchwolken verhüllt ist.”