Siemensstadt, Infotafel 6 Hugo Häring

Goebelstraße 60

Infotafel 6 Hugo Häring, 3.8.2007, Foto: KHMM

Infotafel 6 Hugo Häring, 3.8.2007, Foto: KHMM

Tafeltext:
Die Wohnzeilen Hugo Härings gehören zu den schönsten Bauten der Siemensstadt. Sie wurden in der zeitgenössischen Kritik besonders gelobt:
“Es scheint mir nun ein Verdienst des Architekten Hugo Häring, dass er für seine Zeilen – wiederum in Siemensstadt – einen sehr glücklichen Ausgleich zwischen Intimität und Monumentalität gefunden hat. Seine gestaffelten Zeilen, in ihrer Bewegung, in Material und Farbe ganz in Einklang mit Maß und Größe, wirken mit überzeugender Natürlichkeit und schlagen eine Bresche in die zur Mode werdende Fassaden-Graphik.” (Adolf Behne)
Den Verlauf der geschwungenen Goebelstraße aufnehmend, wird der Flaneur dort Zeuge eines subtilen, plastisch-architektonischen Spiels: Die eher strenge Südseite mit dem klinkerverkleideten Dachgeschoss verschwindet mehr und mehr aus der Wahrnehmung und gibt den Blick frei auf die westliche, stark plastisch gegliederte Haupt- und Eingangsseite. Nierenförmige Balkone schwingen aus der Fassade hervor und werden im Obergeschoss von rechteckigen Balkonen paarweise zusammengefasst. Dazwischen setzen die ununterbrochen bis zum Dach geführten Treppenhäuser einen Vertikalakzent. Härings ursprünglicher Plan sah auf dem Dach Atelierwohnungen mit großen Terrassen vor, die jedoch nicht verwirklicht wurden, hier fanden dafür Waschküchen und Trockenräume Platz.
Lederbraune Klinker im Dachgeschoss, an den Balkonen und Hauseingängen geben dem Baukörper eine warme Farbigkeit. Im Gegensatz zur – von Häring so bezeichneten – Schauseite zeigt die Ostansicht eine fast puristische Strenge, ohne jedoch Rückseite zu sein: Aus der durch die Regenwasserfallrohre gegliederten Wand treten die größeren Schlafzimmerfenster um eine Ziegelbreite als schmale Mauerstreifen aus der Front heraus. Häring schaffte es so, mit einfachsten Mitteln eine monotone Flächigkeit zu vermeiden.
Die ersten acht Zeilen haben 2 ½ -Zimmer-Wohnungen mit je 58 qm, Schlafzimmer und Bad liegen nach Osten, Wohnraum und Küche zur Eingangsseite nach Westen. Der nierenförmige Balkon ist vom Wohnraum aus betretbar und schwingt vor der Küche aus. Häring meinte dazu: “Die Form entspringt der Absicht, einerseits die Balkone möglichst weit herauszustrecken, andererseits den dadurch entstehenden Schatten zu verringern.” Die Fläche sei so bemessen, dass eine Liege und ein Tisch mit drei Stühlen Platz finden können. Die letzte Häring’sche Zeile hat rechteckige Balkone und enthält kleinere Wohnungen mit Sohnküchen.
Sehr erhebliche Kriegszerstörungen an den Zeilenenden zur Goebelstraße wurden in den fünfziger Jahren mustergültig beseitigt.

Hugo Häring
1882 Biberach – 1958 Göppingen
Architekt und Möbelgestalter
Hugo Häring zählte zu den führenden Vertretern des “organischen” Bauens, nach dem die architektonische Form aus der Funktion heraus entwickelt werden sollte. Nach dem Studium in Stuttgart und Dresden arbeitete er 1904-1921 als freier Architekt in Hamburg und Allenburg, Ostpreußen. 1921 zog er nach Berlin und wurde Mitglied der “Novembergruppe”. 1923/24 war er Mitgründer der Architektengruppe “Der Ring”, deren Sekretär und Sprecher er auch war. Außerdem war er im Vorstand des Deutschen Werkbundes tätig. Neben seinen Siemensstädter Bauten zählen vor allem die Gutsanlage in Garkau bei Lübeck (1924/25) und die Wohnbauten in der Waldsiedlung Onkel-Toms-Hütte in Zehlendorf (1926/27) zu seinen Hauptwerken. Häring, der nicht emigrierte, leitete 1935 – 1943 die Reimann-Schule für Gestaltung “Kunst und Werk”. 1944 zog er nach Biberach, wo er bis zu seinem Tod lebte.