Tafeltext:
Otto Bartning
“Langer Jammer”
Otto Bartning bekam den undankbarsten Bauteil der Siedlung zugewiesen. Das schmale Grundstück zwischen Bahn und Goebelstraße ließ nur eine Randbebauung zu, die zudem entgegen der damals als ideal empfundenen Nord-Süd-Orientierung vor allem in Ost-West-Richtung verlief.
Bartning suchte die Lösung in einer ungewöhnlichen Ausrichtung der Wohnungen: Die kleinen Zwei-Zimmer-Wohnungen mit 50 qm haben, der Himmelsrichtung entsprechend, die Schlaf- und Wohnräume auf der sonnigen Südseite, während Küche und Bad im Norden liegen. Große Fenster und eine zweiflügelige Tür lassen der Essküche eine größtmögliche Bedeutung zukommen. Die Straßenseite zeigt eine klare Front, aus der lediglich die Vordächer herausragen. Die verglasten Treppenhäuser setzen die einzigen vertikalen Akzente in dem lang gestreckten Block. Breite Fenster unterstützen die Bewegung des konkaven Baus. Die Südansicht zeigt dagegen eine lebhafte, durch Balkone rhythmisierte Blockseite. Städtebaulich riegelt der geschwungene, der Straßenkurvung folgende Block zusammen mit dem zweigeschossigen Ladengebäude am Jungfernheideweg den Blick auf das Fernheizwerk und den Bahndamm ab.
Die – wie Bartning schreibt – “in Farbe und Profil möglichst schlicht gehaltene”, aus 25 gleich geformten Hauseinheiten zusammengesetzte Zeile wurde bereits in der zeitgenössischen Kritik als sehr streng empfunden und treffend als “langer Jammer” bezeichnet.
Der Block wurde am östlichen Teil im Krieg schwer zerstört, der Wiederaufbau erfolgte durch Hans Scharoun, der den Bauteil nicht nur detailgetreu wiederherstellte, sondern zudem noch um drei weitere Häuserachsen verlängerte, deren Ausführung 1930 wegen Grundstücksstreitigkeiten nicht realisiert werden konnte.
Otto Bartning
1883 Karlsruhe – 1959 Darmstadt
Architekt
Bartning reiste nach dem Abitur 1902/03 als Schiffsjunge einmal um die Erde. Die dort gewonnenen Eindrücke prägten ihn sein Leben lang. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg errichtete er erste Kirchenbauten. 1918 wurde er Mitglied im Berliner “Arbeitsrat für Kunst”, später Mitglied in der Architektenvereinigung “Der Ring”. In den zwanziger Jahren beschäftigte er sich vor allem mit der Reform des evangelischen Kirchenbaus. 1926 wurde er Direktor der Bauhochschule Weimar, der dortigen Nachfolgeorganisation des nach Dessau vertriebenen Bauhauses. Er blieb auch nach 1933 in Deutschland und zeichnete für eine Vielzahl von Kirchen verantwortlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind es vor allem die ca. 150 “Notkirchen”, die mit einfachsten Mitteln von den Gemeindemitgliedern vor Ort aus wenigen vorfabrizierten Bauteilen errichtet wurden, und die Leitung des Wiederaufbaus der Insel Helgoland, für die sein Name steht.