Das Paar musste die Hochzeitspläne aber zunächst zurückstellen, da Erich Bragenheims Bruder Karl bei ihm einzog, der im Adressbuch 1937 nicht mehr mit einer eigenen Adresse erwähnt ist. Er hatte wohl ein Autohaus betrieben und war infolge der ab April 1933 von den Nazis systematisch organisierten und stetig zunehmenden Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäftsleute, Gewerbetreibende und Freiberufler in wirtschaftliche Not geraten. Unmittelbar nach Verkündung der sogenannten „Nürnberger Gesetze“ im September 1935, durch die Deutsche jüdischen Glaubens praktisch aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und ihrer Staatsbürgerschaft beraubt wurden, nahm er sich das Leben.
Ebenfalls aufgrund dieser antijüdischen Gesetze – konkret des „Gesetzes zur Reinhaltung des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ – konnten Dr. Erich Bragenheim und Irmgard Weckmüller definitiv nicht heiraten. Dieses „Blutschutzgesetz“ verbot die Eheschließung und jegliche Beziehung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen. Die Verlobten musste sich also ab 1935 heimlich treffen, wozu gute Freunde ihnen die Möglichkeit gaben, und lebte in ständiger Gefahr verraten zu werden.
Im Unterschied zu vielen jüdischen Ärzten, die dem zunehmenden Boykott durch ihre nichtjüdischen und dem Nationalsozialismus zuneigenden Patienten ausgesetzt waren, konnte Dr. Bragenheim bis 1938 relativ unbehelligt in seiner Praxis arbeiten.Vermutlich hatte er etliche Patienten, die ihm zu Dank verpflichtet waren und ihn dadurch schützten. Es gab wohl Gerüchte, dass er gelegentlich Patientinnen in persönlichen Notlagen geholfen habe. Es scheint, dass er von einer Mitarbeiterin seiner Klinik wegen der sog. „Rassenschande“ – nämlich seiner Verbindung zu der nichtjüdischen Irmgard – oder wegen anderweitiger angeblicher Vergehen gegen die Nazi-Bestimmungen denunziert wurde.
Sicher ist, dass auch ihm durch die „Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 25.7.1938 die Approbation zum 30. September 1938 entzogen wurde. Seine Klinik wurde geschlossen und er selbst – laut der späteren Heiratsurkunde – zwangsweise aus der Wohnung am Kurfürstendamm 141 aus- und in ein Haus am Nürnberger Platz 4 als Untermieter eingewiesen. Bis gegen Ende November 1941 wurde Dr. Erich Bragenheim als sogenannter „Krankenbehandler“ für jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen eingesetzt. Schließlich wurde er in ein Internierungslager für Zwangsarbeiter im besetzten Polen beordert, in dem Seuchen grassierten. Er erkrankte dort selbst an Flecktyphus.
Erich schickte seiner Verlobten Briefe über Deckadressen, die sie wahrscheinlich für Antwortbriefe und möglicherweise auch Pakete nutzte. Doch plötzlich blieben seine Briefe aus. Dr. Erich Bragenheim wurde – was Irmgard natürlich nicht wusste – am 4. August 1943 nach Theresienstadt deportiert und am 10. Oktober 1944 weiter nach Auschwitz verschleppt und dort in einer der Gaskammern ermordet.
Irmgard Weckmüller suchte nach dem Krieg verzweifelt nach ihrem Verlobten und gab 1947 eine Suchanzeige auf. Daraufhin meldete sich ein Mann, der mit Dr. Erich Bragenheim in Theresienstadt inhaftiert gewesen war und über sein grausames Schicksal Auskunft geben konnte. Sie kämpfte sieben Jahre lang hartnäckig darum, ihren Verlobten post mortem heiraten zu können, und legte mehrere Zeugenaussagen vor, um die schon 1935 manifeste Heiratsabsicht nachzuweisen.