Karl Sitzmann kam am 23. Dezember 1886 zur Welt. Die Eltern waren Viktor Sitzmann und Klara Sitzmann, geb. Strauß. Der Vater war durch den Besitz eines gemischten Schnitt-, Eisen- und Spezereiwarengeschäfts fortschrittlich.
Am 23. Juni 1914 haben Karl Sitzmann und Rosa Goldbach geheiratet. Sie waren nach Berlin gezogen. In der Heiratsurkunde ist zu lesen, dass sie in der Kantstraße 52 wohnten, und dass Rosa als Köchin und Karl als Kaufmann beschäftigt waren. Es war unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg, in dem Karl dann selbst Dienst machen musste.
Am 11. November 1916 kam ihre Tochter Martha in Unterriedenberg zur Welt. Wegen des Kriegsdienstes von Karl war Rosa zu ihren Eltern gezogen. Es war aber eine schwierige Zeit. Karls Mutter Klara verstarb schon im Jahre 1917, und im Ersten Weltkrieg fiel der Bruder von Rosa, Nathan Goldbach, und auch die beiden Brüder von Karl, Gustav und Maier Sitzmann kamen ums Leben.
Am 14. Oktober 1919 wurde der Sohn Gustav geboren, vermutlich nach dem gefallenen Bruder von Karl genannt. Diesmal waren sie zurück in Berlin, wo die Familie eine Wohnung am Planufer 92 A, Kreuzberg, bewohnte. Im Mierendorff Kiez wohnten sie ab 1926. Am Anfang in der Sömmeringstraße und seit 1931 in der Tauroggener Straße 44, 2.OG. Dort hatten sie eine wohlausgestattete Wohnung mit 6 Zimmern.
Karl Sitzmann wurde 1913 als Handelsreisender bei der Firma Julius Edelstein, Porzellan und Kristall (Alexandrinenstraße 96) angestellt. Mit der Ausnahme der Unterbrechung durch seine Kriegsdienstzeit blieb er in dieser Stellung tätig bis Ende 1938, und muss somit ein bewährter Mitarbeiter gewesen sein. Dazu kam noch Rosa Sitzmanns spätere Beschäftigung als Schneiderin. Die Familie konnte in günstigen Verhältnissen leben.
Mit der Familie in Unterriedenberg gab es die ganze Zeit engen Kontakt. Die beiden Schwestern von Karl, Selma und Lea, hatten sich in die Familie Lichtstern eingeheiratet und wohnten mit Männern und Kindern im Hause von Karls Vater, Viktor. Ach Rosa und Karl besaßen ein Grundstück in Unterriedenberg ganz bis zur Zwangsversteigerung durch die Nazis im Jahre 1941.
Wenige Wochen nach den Pogromen im November 1938 wurde die jüdische Gemeinde in Unterriedenberg aufgelöst. Die letzten elf jüdischen Einwohner verzogen am 10. Dezember 1938 nach Frankfurt am Main, hierunter auch die restliche Familie von Karl und Rosa. Später emigrierten sie in die USA.
Als Folge der Novemberpogrome verloren auch Rosa und Karl Sitzmann ihre Existenzgrundlage. Er durfte seinen Beruf nicht mehr ausüben. Im September 1941 wurden sie zur Zwangsarbeit beim Reichsarbeitsdienst beordert.
Die Deportationen von Berlin nach Litzmannstadt/Łódź begannen im Oktober 1941. Ursprünglich sollte mit den Massendeportationen erst nach Kriegsende angefangen werden. Aber als im Spätsommer die Wehrmacht auf Moskau zu marschierte, war der Siegestaumel groß und die deutsche Führung wähnte sich in der Lage, mit der „Neuordnung Europas“ beginnen zu können.
Ende Oktober 1941 war es dann auch für Rosa und Karl Sitzmann so weit. Sie mussten sich in das Sammellager in der eben dazu umfunktionierten Synagoge Levetzowstraße in Berlin-Tiergarten einfinden. Sie waren zu der Zeit 50 und 54 Jahre alt.
Am 27. Oktober mussten sie dann zu je 30 Personen in Polizeilastwagen steigen, die sie zum etwa acht Kilometer entfernten Bahnhof Berlin-Grunewald fuhren. Die Polizeitransporter hielten in einer langen Reihe auf der Levetzowstraße direkt vor der Synagoge. Die „Verladung“ dauerte Stunden, da wegen der vielen Menschen (ca. 1030) mehrmals gefahren werden musste. Es handelte sich um die III. Deportation aus Berlin. Zu der Zeit wurde immer noch in Abteilwagen IV. Klasse gefahren, und vor der Fahrt erhielten sie von der jüdischen Gemeinde einen Reiseproviant.
Für Karl und Rosa Sitzmann und für fast alle anderen war es eine Fahrt ohne Wiederkehr. In Litzmannstadt/Łódź am 30. Oktober angekommen, wurden sie in das restlos überfüllte Ghetto geführt. Sie sollten dort in die Wohnungen der einheimischen Jüdinnen und Juden „eingesiedelt“ werden, deren Ermordung bereits geplant war.
Laut dem Bundesarchiv wurden Karl und Rosa Sitzmann am 5. Mai 1942 ins Vernichtungslager Kulmhof (Chełmo) weiterdeportiert und unmittelbar danach ermordet.
Die Tochter Martha, die 1933 als Jüdin ihre Schulbildung mit der 10. Klasse beenden musste, hatte eine kaufmännische Lehre bei der Firma „Albert Rosenhain, Das Haus für Geschenke“ absolviert und dort bis zur „Arisierung“ der Firma Ende Oktober 1938 als Verkäuferin gearbeitet.
Am 5. Dezember wanderte sie nach Ungarn aus, und schon zu Weihnachten heiratete sie in Budapest ihren ersten Ehemann, Stefan Fischer, der jedoch bereits 1942 starb. Unmittelbar danach musste sie in einen Ghettobezirk von Budapest übersiedeln. Schließlich konnte sie einen Schutzpass vom schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg erhalten und überlebte bis zur Befreiung Budapests am 18. Februar 1945. Im November 1946 gelang ihr über Schweden die Einreise in die USA, wo sie mit der restlichen Familie aus Unterriedenberg in Cleveland, Ohio vereint wurde.
Auch Marthas Bruder Gustav konnte kein Abitur mehr machen und wurde 1936 von der Schule genommen. Er begann eine kaufmännische Lehre bei der gleichen Firma wie seine Schwester, musste die Ausbildung aber aufgrund der „Arisierung“ vorzeitig beenden.
Am 27. Dezember 1938 gelang es ihm einen Pass zu erhalten und im März 1939 konnte er dank Freunden seiner Eltern nach Bolivien auswandern. Nachdem er dort Juliana Flamini geheiratet hatte, konnte er 1948 mit ihr und ihrem Sohn Eduardo nach Cleveland, Ohio, weiterreisen, wo sie mit Martha und dem Rest der Familie vereint wurden.