HIER WOHNTE
JOHANNA LONDON
GEB. KUTTNER
JG. 1885
DEPORTIERT 5.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 6.1.1943
Johanna Kuttner wurde 1865 als Tochter von Heinrich Kuttner und seiner Frau Cäcilie geb. Aronsfeld (oder Aronsohn) in Exin/Kcynia nahe Bromberg/Bydgoszcz geboren. Über ihre Kindheit und Jugend in dem seit 1772 preußischen Städtchen mit wechselnd überwiegend polnisch-katholischer oder deutschsprachig jüdischer und protestantischer Bevölkerung ist nichts bekannt.
Vermutlich 1897, etwa ein Jahr vor der Geburt ihres ersten Kindes (geb. 11. April 1898) heiratete sie den Kaufmann Hermann London aus dem benachbarten Ort Mogilno, der aus seiner ersten Ehe bereits zwei Kinder, die Tochter Grete (Braun) und den Sohn Erwin W., mitbrachte. Johanna selbst bekam drei Kinder: Alfred Richard (1898), Kurt Willy (1901) und am 31. August 1905 die Tochter Meta. Hermann London starb im Juli 1913 in Bromberg/Bydgoszcz (die polnische Todesurkunde gibt 1863 als sein Geburtsjahr, die deutsche Übersetzung 63 als sein Alter an). So wie zahlreiche deutschsprachige Juden verließ seine Witwe Johanna mit den Kindern in den frühen zwanziger Jahren das nun zur Republik Polen gehörende Westpreußen und ließ sich in Berlin, wo bereits einige Verwandte ihres Mannes lebten, nieder. In den Berliner Adressbüchern ist sie seit 1923 in der Sybelstr. 67 zu finden, wo sie zusammen mit ihrer damals achtzehnjährigen Tochter Meta in einer der Gartenhauswohnungen lebte. Die
beiden Söhne zogen wohl ebenfalls nach Berlin, aber offenbar nicht mehr in eine gemeinsame Wohnung mit der Mutter. Kurt Willy emigrierte 1933/34 von Berlin-Friedenau (Laubacher Straße 48) aus nach Südafrika und starb in Pretoria am 20.10.1947. Alfred ging zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Südamerika, von wo aus er nach dem Krieg den Antrag auf Entschädigung als Erbe von Johanna und Meta stellte. Er starb am 21.März 1961 in Barranquilla in Kolumbien.
Meta erhielt offenbar eine Berufsausbildung und brachte es bis zur Verkaufsleiterin und Prokuristin im Feinwäsche- und Strickereigeschäft Kurt Ruppin am Kurfürstendamm mit einem monatlichen Einkommen um 1935 von ca. 400,-RM, das sich infolge des Boykotts jüdischer Geschäfte aber stetig verminderte. Nach der „Reichskristallnacht“ am 8. November 1938, in der alle jüdischen Geschäfte am Kurfürstendamm systematisch zerstört wurden, war sie stellungs- und arbeitslos.
Johanna und Meta London mussten vermutlich zeitnah zur Deportation der Familie Klein ihre Wohnung in der Sybelstr. 67 verlassen. Johanna zog in ein sog. Judenhaus in der Apostel-Paulus-Str. 18 in Schöneberg (wo ihrer bereits gedacht wird). Von dort wurde sie am Mittwoch, den 5. August 1942, zum Anhalter Bahnhof gebracht, wo sie mit der Transportnummer I/38 in einem sog. „Alterstransport“, dem 37. dieser Art, mit 100 weiteren Personen nach Theresienstadt gebracht wurde. Dort starb sie am 6. Januar 1943 um 9:30 Uhr im Zimmer 116 Gebäude L 208 an, wie es in der erhaltenen Todesurkunde heißt, einer „Herzmuskelentartung“ und wurde zwei Tage später dort begraben.
Ihre Tochter Meta war in der Passauer Straße 8-9 zwischen Tauentzienstraße und Augsburger Straße in der Nähe der 1938 in der Pogromnacht demolierten Synagoge untergekommen. Sie wohnte zur Untermiete bei dem ebenfalls jüdischen Martin Friedeberg. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Zwangsarbeiterin bei Siemens & Halske im Luftfahrtgerätewerk in Spandau Hakenfelde unter härtesten Arbeitsbedingungen mit einem Wochenlohn von ca. 27,- RM brutto. Wie Tausende anderer jüdischer Zwangsarbeiter wurde sie in der sog. „Fabrik-Aktion“ am 27. Februar 1943 frühmorgens an ihrer Arbeitsstätte eingeschlossen und direkt von dort nach Auschwitz verbracht. Meta London starb vermutlich am 8. Mai 1945, ein Vierteljahr nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Die näheren Umstände ihres Todes sind nicht bekannt, doch ist anzunehmen, daß sie der durch die Rückkehrer aus dem Vernichtungslager Birkenau eingeschleppten Flecktyphus-Epidemie im Lager zum Opfer fiel.
Im Vergleich zwischen dem Entschädigungsamt Berlin und den Nachkommen der Geschwister London aus den zwei Ehen des Vaters wird im Juni 1965 nach einer außerordentlich langwierigen und komplizierten Auseinandersetzung den Erben und Erbeserben eine Entschädigungssumme von 5.970,-DM zuerkannt.
Recherche/Text: Hella Preimesberger
Quellen:
Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945, herausgegeben durch das Bundesarchiv
Akten des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg: Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA)
Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin Abt. I (LABO)
ITS-Arolsen
Berliner Adressbücher in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Jüdisches Adressbuch für Gross-Berlin, Ausgabe 1929/30 und 1931
Archive der KZ-Gedenkstätten
Landesarchiv Berlin, Eichborndamm 115-121