Stolpersteine Südwestkorso 59

Hans, Gerda und Ralf Harpuder

Diese Stolpersteine wurden von Brian Harpuder gespendet und am 24.2.2020 vom Künstler Gunter Demnig im Beisein von Familienangehörigen, der Gesandten und vielen Angehörigen der Botschaft der USA sowie Vertretern der Bundeswehr verlegt.

HIER WOHNTE
HANS HARPUDER
JG. 1901
FLUCHT 1939
SHANGHAI

Hans Harpuder

Hans Harpuder

Hans Harpuder kam am 26. November 1901 in Berlin als Sohn von Josef Harpuder, geb. 13.2.1872 in der damaligen preußischen Provinz Posen (heute Woiwodschaft Wielkopolska), und seiner Frau Gertrud, geb. Hannes, geb. 8.9. 1878 im damaligen Schlesien (heute aufgeteilt in die Woiwodschaften Dolnośląskie, Opole und Śląskie), zur Welt. Die deutsche Familie Harpuder jüdischen Glaubens war also schon lange vor dem 1.Weltkrieg in Berlin ansässig.
Als Hans geboren wurde, lebte die Familie in der Nähe des heutigen Kanzleramtes. Hans war der Älteste von drei Brüdern. Sein Vater starb bereits vor dem 1. Weltkrieg. Sein Bruder Erich (mit seiner Frau Hertha und Tochter Marianne) und sein Bruder Alfred überlebten den Holocaust durch Flucht nach New York in den späten 30er Jahren. Die Mutter Gertrud aber wollte in Berlin bleiben. Sie wurde am 23. Februar 1944 nach Theresienstadt deportiert, am 15. Mai 1944 weiter nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.
Hans Harpuder heiratete am 26. Dezember 1931 in der Synagoge in der Fasanenstraße Gerda Lewin. 1934 wurde der gemeinsame Sohn Ralf geboren, Gerdas Tochter Ursula hatte er bei der Heirat adoptiert. Nach dem Tod seines Schwiegervaters Josef Lewin, geb. 13. 2. 1872 in der damaligen preußischen Provinz Posen (heute Województwo Wielkopolskie), übernahm er den Familienbetrieb in der Memhardstraße, in dem Verpackungsmaterialien u.a. für Schiffstransporte hergestellt wurden. Dieses Geschäft wurde in der Pogromnacht am 10. November 1938 zerstört.
Den Akten ist zu entnehmen, dass Hans Harpuder – ebenso wie seinem Sohn Ralf – 1937 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wurde – eine Folge der “Nürnberger Gesetze“. Angesichts der für jüdischen Menschen in Deutschland zunehmenden Repression und der sich verschlechternden allgemeinen Lage beantragte Hans für sich, seine Frau, die beiden Kinder und die Schwiegermutter Selma Lewin die Ausreise aus Deutschland. Sie flohen im März 1939 vom Anhalter Bahnhof aus zunächst nach Italien, wo sie sich sehr bald nach Shanghai einschifften. Dies war die letzte Stadt in der die von den Nationalsozialisten zu Staatenlosen erklärten Menschen noch ohne Visum Zuflucht finden konnten.
In Shanghai lebte die Familie „von Tag zu Tag“, verkaufte etliches von den wenigen Dingen, die sie hatten mitnehmen können. Hans Harpuder versuchte den Lebensunterhalt als Haustür-Händler zu verdienen. Infolge der allgemein sehr schwierigen und hygienisch katastrophalen Lebensbedingungen starb er 1945 an einer durch Parasiten verursachten Lebensmittelvergiftung. Er wurde in Shanghai beerdigt. Seine Grabstelle wurde nach der kommunistischen Machtübernahme in China zerstört und ging für die Nachwelt verloren.

HIER WOHNTE
GERDA HARPUDER
GEB. LEWIN
JG. 1905
FLUCHT 1939
SHANGHAI

Gerda Harpuder

Gerda Harpuder

Gerda Harpuder wurde am 21. November 1905 als Tochter von Selma, geb Nathanson, und Josef Lewin in Berlin in der Nähe des Hackeschen Marktes geboren. Also war auch die Familie Lewin schon lange vor dem 1. Weltkrieg in Berlin ansässig. Gerdas jüngerer Bruder Werner konnte dem Holocaust durch Flucht in die USA entkommen.
1924 brachte sie ihr erstes Kind, Ursula, zur Welt, das Hans Harpuder nach der Hochzeit am 26. Dezember 1931 in der Synagoge in der Fasanenstraße adoptierte. Am 12. April 1934 wurde der gemeinsame Sohn Ralf geboren.
Als die Repression jüdischer Menschen in Deutschland immer schlimmer wurde und die allgemeine Lage sich verschlechterte, flohen Gerda und ihr Mann Hans mit den beiden Kindern Ursula und Ralf sowie Gerdas Mutter Selma im März 1939 über Italien nach Shanghai. Dort starb Hans Harpuder infolge der katastrophalen Lebensbedingungen 1945 an einer Lebensmittelvergiftung, sodass die erst 40-jährige Gerda allein für das Überleben ihrer Kinder und ihrer Mutter sorgen musste.

Gerda Harpuder-Summer

Gerda Harpuder-Summer

Da Gerda Harpuders jüngerer Bruder Werner bereits von Berlin aus nach Amerika
geflohen war, konnte er 1947 seiner Schwester, deren Kindern und seiner Mutter ein sog. Affidavit geben, sodass die vier Flüchtlinge sich in die USA retten konnten. (Das Affidavit war eine eidesstattliche Erklärung, mit der Gerdas Bruder garantierte, für den Lebensunterhalt der vier Personen aufzukommen, sodass sie nicht von staatlicher sozialer Hilfe abhängig wären).
Gerda Harpuder heiratete später Victor Summer, einen Wiener, der in Dachau inhaftiert gewesen war und den sie in Shanghai kennen gelernt hatte. Sie lebten in Los Angeles, wo Gerda sehr schnell mit anderen Flüchtlingen aus Europa und Deutschland Freundschaft schloss und – so gut es ging – einen „europäischen Lebensstil“ aufrecht erhielt. Sie liebte es, zu Kaffee und Kuchen einzuladen und kochte bis in die 80er Jahre fast ausschließlich deutsche Küche. Und sie legte Wert darauf, dass ihre Enkelkinder sie Omi nannten.
Gerda Harpuder-Summer starb 1997 im Kreise ihrer Familie.

HIER WOHNTE
RALF HARPUDER
JG. 1934
FLUCHT 1939
SHANGHAI

Ralf in Shanghai

Ralf in Shanghai

Ralf Heinz Harpuder kam am 12. April 1934 als einziger leiblicher Sohn von Hans Harpuder und seiner Frau Gerda, geb. Lewin, in Berlin-Wilmersdorf zur Welt. Als vierjähriger – bereits von den Nationalsozialisten seiner deutschen Staatsbürgerschaft beraubt – litt er an einer Blinddarmentzündung. Wegen der Repression und Restriktionen für jüdischen Menschen infolge der „Nürnberger Gesetze“ gelang es den Eltern nicht, in der Stadt einen Arzt zu finden, der das Kleinkind operieren würde. Sie reisten also in das Berliner Umland und fanden einen Arzt, der Ralf operierte und damit sein junges Leben rettete.
Im März 1939 – Ralf war knapp 5 Jahre alt – floh die Familie nach Italien und weiter von Triest aus per Schiff nach Shanghai. Ralfs letzte Erinnerung an Berlin ist diese Abreise vom Anhalter Bahnhof. Er verbrachte seine prägende Kinder- und Jugendzeit im jüdischen Ghetto Hongkew in Shanghai und besuchte dort eine jüdische Schule, in der auf deutsch – der Muttersprache der Flüchtlinge – unterrichtet wurde.

Gerda und Ralf Harpuder

Gerda und Ralf Harpuder

Diese Jahre in China prägten seine Einstellung zum Leben und begründeten eine sehr enge Verbindung zwischen ihm und seiner Mutter Gerda – zumal nach dem Tod des Vaters Hans 1945.

Ralf Harpuder

Ralf Harpuder

Nach der Emigration 1947 in die USA, die durch die Hilfe seines Onkels Werner ermöglicht wurde, besuchte Ralf Harpuder in Los Angeles die Highschool, anschließend zwei Jahre das College und nahm seinen Beruf bei der Douglas Aircraft Comp. auf. Sein Spezialgebiet waren mathematische Berechnungen für die Flugzeugkonstruktion.
Er diente auch in der Armee seiner „Adoptivnation“ (USA-Army) und blieb immer stolz auf diesen Dienst, der ihm die Möglichkeit gab, den „amerikanischen Traum“ zu leben – im absoluten Gegensatz zu den Gräueln, denen er in Nazi-Deutschland ausgesetzt gewesen wäre.
1965 heiratete Ralf Harpuder Yvonne Friedemann, die ebenfalls Tochter von Flüchtlingen aus Berlin war und vier Jahre nach der Ankunft ihrer Eltern in den USA geboren wurde. Nach der Hochzeit ging er zurück auf das College, graduierte zum Bachelor of Science und begann eine Karriere in der Gesundheitsbehörde des County Los Angeles, die mit seiner Pensionierung 1996 endete.
1974 wurde das einzige Kind des Ehepaares, Brian, geboren. Der Junge wurde in einer Mischung von jüdischen und deutschen Traditionen aufgezogen, die das Leben seiner
Eltern geprägt hatten, seit deren Familien aus Berlin geflohen waren. In späteren Jahren verbrachte Ralf Harpuder seine Freizeit damit, die Geschichte seiner Familie in Deutschland und seine eigene Kindheit in Shanghai zu erforschen.
Seine Hingabe, detaillierte Berichte über die Familie in makellosen Alben zu bewahren, ermöglicht seinen Nachkommen das Mantra “nie vergessen” zu leben. Während seines ganzen Lebens hat Ralf Harpuder nie seine deutsche Identität und Kultur verloren und immer das volle Spektrum der deutschen Küche genossen. Bis zu seinem Tod am 31. Juli 2009 in Los Angeles hat er sich als Deutschen empfunden. Ralf Harpuder hatte ein erfülltes Leben, das er kommenden Generationen widmete, damit sie nie den Horror vergangener Zeiten vergessen und gleichzeitig dem Vergeben und einer besseren Zukunft verpflichtet sein mögen.

  • Rede Brian Harpuder

    PDF-Dokument (17.4 kB)

  • English Version Harpuder

    PDF-Dokument (93.5 kB)

Stolpersteinverlegung Harpuder

Weitere Vorfahren und Mitglieder der Familie Harpuder, die Opfer der Nationalsozialisten wurden und für die z. T. Stolpersteine verlegt wurden:
Lina und Willy Friedemann, ermordet in Riga, Oranienstr. 158, Berlin, verlegt am 2.5.1996 – erste Stolpersteine in Berlin: Urgroßtante von Brian Harpuder.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-erster-stolperstein-lauf-mal-drueber-nach/8310052.html
Isidor und Hedwig Abraham. Bernauer Str. 2, Oranienburg: Urgroßeltern mütterlicherseits von Brian Harpuder mit ihren Kindern Kurt und Ilse, verh. Friedemann, Großmutter von Brian Harpuder, die durch Flucht überlebt haben.
Genia Harpuder, geb. Gritz, ermordet in Stutthof, Heilbronner Str. 3, Berlin-Schöneberg (Großtante von Brian Harpuder)
Gertrud Harpuder, geb. Hannes, ermordet in Auschwitz, Heilbronner Str. 3, Berlin-Schöneberg (Urgroßmutter von Brian Harpuder väterlicherseits)
Peter Harpuder, ermordet in Auschwitz, Heilbronner Str. 3, Berlin-Schöneberg, (Cousin von Ralf Harpuder) Stolpersteine geplant

Recherche und Text: Brian Harpuder,
alle Fotos Familienbesitz
Dokumentation der Verlegung: https://www.flickr.com/photos/usbotschaftberlin/albums/72157713238603327