Stolpersteine Bayerische Straße 33

Hauseingang Bayerische Straße 33

Diese Stolpersteine wurden am 06.06.2018 verlegt.

Stolperstein Adelheid Wolffberg

HIER WOHNTE
ADELHEID
WOLFFBERG
GEB. SCHWARTZ
JG. 1865
DEPORTIERT 6.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 14.11.1942

Adelheid Schwartz (auch Schwarz geschrieben) kam als dritte Tochter des Kaufmannes Julius Schwar(t)z und seiner Frau Helena, geb. Maschke, am 2. April 1865 in Stuhm, Westpreußen (heute Sztum) auf die Welt. Ihre älteren Schwestern Rose und Emma waren 1861 bzw. 1862 geboren worden. Nach Adelheid bekam das Ehepaar noch weitere Töchter: Clara (*1866), Bertha (*1868) und Caroline (*1872). Der einzige Sohn, Hans, geboren 1863 starb im Alter von 2 1/2 Jahren. Kurz vor Adelheids 17. Geburtstag verstarb auch Julius Schwarz. Die Mutter Helena starb im Januar 1900, sie wurde in Stuhm begraben.

Zu diesem Zeitpunkt lebte Adelheid schon länger nicht mehr in Stuhm. Sie hatte den Kaufmann Paul Wolffberg geheiratet und lebte in Stolp, heute Słupsk. Möglicherweise ist Walter Wolffberg, 1892 in Stolp geboren, ihr Sohn. Die Familie lebte zunächst am Sandberg 140a, später in der Chausseestraße 3. Um 1910 starb Paul Wolffberg. Die verwitwete Adelheid zog in die Quebbenstraße um. Während des Ersten Weltkrieges und danach unterhielt sie eine Pension in der Hospitalstraße 8c. 1925 führt das Stolper Adressbuch Adelheid Wolffberg nicht mehr auf.

In den Berliner Adressbüchern ist sie erst 1927 verzeichnet. Sie wohnte in der Charlottenburger Englischen Straße Nr. 23. Im selben Haus war in diesem Jahr auch eine Trude Wolffberg gemeldet und im Jüdischen Adressbuch von 1931 findet sich der Eintrag: „Wolffberg, Adelheid und Trude, Englische Str. 32“. Ob Trude eine Tochter Adelheids oder eine andere Verwandte war, bleibt unklar. Eine bei der Volkszählung 1939 erfasste Trude Wolffberg ist Jahrgang 1913 – wohl zu jung, um Adelheids Tochter zu sein.

Die Wohnung in der Englischen Straße, 2. Etage ist für Adelheid bis 1935 dokumentiert. Danach muss sie zur Untermiete anderswo gewohnt haben, vielleicht schon in der Bayrischen Straße 33. Denn hier wurde sie bei der genannten Volkszählung am 17. Mai 1939 im Vorderhaus IV. Stock rechts registriert. Dass sie ihre eigene Wohnung aufgeben musste, war wohl eine Folge der diskriminierenden und ausgrenzenden Maßnahmen der NS-Regierung. Dazu gehörte nach einem Plan von Generalbauinspektor Albert Speer auch, dass Juden zusammenrücken und so Wohnraum freimachen sollten. Dieser sollte Nichtjuden zugewiesen werden, deren Wohnungen im Rahmen der großangelegten „Neugestaltung“ der Hauptstadt „Germania“ im Stadtzentrum abgerissen werden sollten oder schon abgerissen waren.

Im Juli 1942 wird Adelheid eröffnet, dass sie für die „Evakuierung“ – einer der NS-Euphemismen für die Deportation – nach Theresienstadt vorgesehen sei. Dazu soll sie die 16-seitige „Vermögenserklärung“ ausfüllen, die es der Finanzbehörde erleichtern wird, ihre Habe zu beschlagnahmen. Allein, sie scheint nichts mehr zu „erklären“ zu haben. Ohnehin ist das Formular offensichtlich für sie ausgefüllt worden, Adelheid hat lediglich am 22. Juli unterschrieben. Sie ist inzwischen innerhalb des Hauses umgezogen, den Angaben zufolge wohnt sie jetzt im 1. Stock links zur Untermiete bei Vera Lehmann. Für 25,- RM monatlich hat sie ein Zimmer von 3×4 Metern. Es wird ungefragt bemerkt, dass der Aufenthalt von Vera Lehmann – ursprünglich die Eigentümerin des ganzen Hauses – „unbekannt“ sei. Sicherlich hatte Adelheid Wolffberg mitbekommen, dass Vera Lehmann, von einem Hausbewohner denunziert, im Juni 1942 deportiert worden war. (Siehe Biografie Vera Lehmann)

In der Vermögenserklärung findet sich auf die Frage „Welche Familienangehörige sind schon ausgewandert?“ die Angabe „Walter Israel Wolffberg, abgewandert am 1.5.42“. Hier dürfte es sich um Adelheids Sohn handeln, und der ist sehr wahrscheinlich identisch mit dem bei der Volkszählung 1939 registrierten Walter Wolffberg, geboren am 17. Februar 1892 in Stolp.

Adelheid Wolffberg musste sich in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 begeben, ein als Lager missbrauchtes jüdisches Altersheim, von wo aus sie am 6. August nach Theresienstadt deportiert wurde. Die katastrophalen Lebensumstände dort überlebte die 78-jährige Dame nicht lange. Sie starb in dem ihr zugewiesenen Gebäude L 306, Zimmer C17 am 14. November 1942, offiziell an Herzmuskelentartung.

Vielleicht konnte Adelheid als letzten Trost in Theresienstadt nochmal ihre Schwester Bertha sehen, obwohl es in dem dort herrschenden Chaos sicher nicht leicht war zusammenzufinden. Bertha, verheiratete Friedländer, war einen Monat nach Adelheid, am 8. September 1942 nach Theresienstadt deportiert worden. Bertha hatte mehr Glück als ihre Schwester. Sie überlebte mehrere Winter und gehörte zu den 1200 Juden, die am 6. Februar 1945 von Theresienstadt nach St. Gallen in der Schweiz ausreisen konnten. Die Befreiung verhandelte im Auftrag der jüdisch-orthodoxen Familie Sternbuch der Schweizer Alt-Bundesrat Jean-Marie Musy, der Kontakte zu Himmler unterhielt. Himmler sollte eine Million Dollar bekommen, die er allerdings laut Neue Zürcher Zeitung, nicht mehr erhielt. Es sollten eigentlich noch weitere Transporte folgen, doch Hitler legte persönlich sein Veto ein.

Über das Schicksal der anderen vier Schwestern Adelheids ist nichts bekannt. Von Walter Wolffberg wissen wir, dass er etwa ab 1928 als Kaufmann in Dortmund lebte. Dort war er auch noch bei der Volkszählung 1939 gemeldet, gleichzeitig war er aber auch im sog. Aufbaulager Laer bei Steinfurt registriert. Dort musste er mit anderen Juden Zwangsarbeit zur Begradigung des Flusses Steinfurter Aa leisten. Wenn Adelheids Angabe sich auf ihn bezieht, gelang ihm im Mai 1942 die Flucht aus Deutschland.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Adressbücher Stolp/Pommern; Berliner Adressbücher; Akten des Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Arolsen Archives; https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/; Mapping the Lives www.mappingthelives.org/; https://www.nzz.ch/schweiz/schweizer-geschichte/die-freigekauften-juden-aus-theresienstadt-ld.744430; Sabine Jarnot: Gedenkschrift „Vorübergehend gemeldet“ Jüdische Zwangsarbeiter in Laer und Altenberge, Hsg. Gemeinden Altenberge und Laer 2022

Recherchen/Text: Micaela Haas
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Stolperstein Dorothea Freundlich

HIER WOHNTE
DOROTHEA
FREUNDLICH
GEB. LESSER
JG. 1886
DEPORTIERT 12.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Sophie Dorothea Freundlich wurde am 18. September 1886 in Köln geboren. Neuere Recherchen haben gezeigt, dass sie nicht eine geborene Lesser war, wie man zur Zeit der Stolpersteinverlegung meinen musste, sondern dass ihr Familienname Leeser lautete. Der Fehler hat sich schon 1939 eingeschlichen. Dorotheas Eltern waren Carl Leeser und seine Frau Emma, geb. Erda. Carl Leeser betrieb in Köln mit seiner Frau eine Leinen- und Bettwarenhandlung in der Hohen Straße 15. Als Dorothea, Rufname Dora, 10 Jahre alt war, zogen Leesers mitsamt des Geschäfts um, nach St. Agatha 28. Noch vor der Jahrhundertwende ist Carl Leeser in dem Adressbuch nicht mehr zu finden. Vermutlich war er gestorben und seine Witwe wohnte mit Dora (und evtl. weiteren Kindern) anderswo zur Untermiete. Erst 1907 und in den folgenden Jahren ist Emma Leeser, Witwe, in der Roonstraße 31 verzeichnet.

Inzwischen hatte Dora eine Musikausbildung am Konservatorium Köln absolviert, offenbar mit Schwerpunkt Klavier. Denn 1913 gibt es in der Roonstraße 31 zwei Einträge: Emma Leeser, Witwe, und Dora Leeser, Klavierlehrerin. Ein Jahr später bezeichnet Dora sich als Pianistin. Zu Kriegsbeginn sind Mutter und Tochter in die Lindenstraße 92 umgezogen. Dora war nun 28 Jahre alt.

Aufgrund ihres Berufes verkehrte Dora sicherlich in Kölner Künstlerkreisen. So wird sie den Avantgarde-Maler und Bildhauer Otto Freundlich kennengelernt haben. Er war einer der ersten Vertreter der abstrakten Kunst. Ihn heiratete Dora am 23. März 1916. Otto Freundlich war 1878 in Stolp, Pommern, geboren worden. Er studierte zunächst Kunstgeschichte in München und Berlin und 1907/08 Malerei und Bildhauerei in Berlin. Danach ging er nach Paris, wo er auf dem Montmartre im Bateau-Lavoir zusammen mit anderen Künstlern wohnte, unter ihnen Picasso und Braque. Laut Wikipedia kehrte er kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges nach Deutschland zurück und wurde Sanitätssoldat bei den Köln Deutzer Kürassieren. 1916/17 schloss er sich der Antikriegs-Bewegung an. Nach Kriegsende ging er nach Berlin und beteiligte sich dort an der Gründung der Novembergruppe, war im Arbeitsrat für Kunst und im Deutschen Werkbund. Vermutlich pendelte er noch zwischen der Hauptstadt und Köln, denn 1919 organisierte er zusammen mit Max Ernst die erste Kölner Dada-Ausstellung.

Doras Heirat war wohl der Grund, warum 1917 ihre Mutter nach Köln-Nippes zog, während Dora eine eigene Wohnung am Brüsseler Platz 8 bewohnte. Ottos offizielle Adresse war das Garnisonslazarett in der Karthäusergasse 7. In der Heiratsurkunde werden sie als Bildhauer und Pianistin bezeichnet. Dora ist 1918 im Kölner Adressbuch als Freundlich – Leeser, Dora, Musiklehrerin, eingetragen. Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach der Heirat, am 23. März 1918, wurde die Ehe allerdings schon wieder geschieden. Otto war wegen Schwerhörigkeit aus dem Kriegsdienst entlassen worden und ging nach Berlin. Auch Dorothea scheint trotz Scheidung in die Hauptstadt gezogen zu sein, dort hoffte sie, als Pianistin Karriere zu machen. In einem Konzertführer vom Februar/März 1921 ist sie als Klavierbegleiterin bei einem Liederabend angekündigt, jetzt unter dem Namen Leeser – Freundlich. Gut möglich, dass Dora weiterhin in Kontakt mit Otto war. Dieser siedelte 1924 nach Paris um, einige Jahre später hatte er eine andere Lebensgefährtin.

Führer durch die Konzertsäle Berlins, 28. Februar bis 12. März 1921. Der Liederabend mit Dora Leeser-Freundlich am Flügel fand am 2. März statt.

Unklar bleibt, ob Dora identisch ist mit der im Berliner Adressbuch nur 1920 und 1921 aufgeführten Dorothea Freundlich, Rentiere, wohnhaft in der Kuno-Fischer-Straße 16. Otto scheint neben seinem Wohnsitz in Paris bis in die 30er Jahre eine Wohnung in Berlin am Kaiserplatz (heute Bundesplatz) unterhalten zu haben. Im Jüdischen Adressbuch von Berlin, in dem nicht nur Hauptmieter erscheinen, sind 1931 sowohl Dorothea (Kuno-Fischer-Straße 16) wie auch Otto Freundlich (Kaiserplatz 17) verzeichnet.

Eine gesicherte Spur von Dora findet sich erst wieder in der sog. Ergänzungskartei zur Volkszählung vom Mai 1939, in der alle Juden separat erfasst wurden. Dort ist sie als Dorothea Freundlich in der Bayerischen Straße 33 registriert, mit dem richtigen Geburtsdatum aber dem falschen Geburtsnamen „Lesser“, – in anderen zeitgleichen und späteren Dokumenten erscheint der richtige Name, Leeser.

Dorothea Freundlich konnte nicht in der Bayerischen Straße 33 bleiben. Im Rahmen von Albert Speers megalomaner „Neugestaltung“ der Hauptstadt „Germania“ war schon 1938 beschlossen worden, durch „zwangsweise Ausmietung“ und Zusammenlegen der Juden in „Judenwohnungen“ Wohnraum für Nichtjuden frei zu machen. Denn Speers Plan sah vor, zahlreiche Häuser abzureißen, und davon betroffenen „Ariern“ ehemals jüdisch bewohnte Wohnungen als Ersatz zu bieten. Etwa Anfang 1940 wurden auch jüdische Bewohner der Bayerischen Straße „ausgemietet“ und als Untermieter bei andern Juden eingewiesen. Dorothea wurde genötigt, in ein teilmöbliertes Zimmer bei Julius Kiewe in der Waitzstraße 6 zu ziehen.

Anfang Januar 1943 musste Dorothea die „Vermögenserklärung“ ausfüllen, die allen zur Deportation Bestimmten vorgelegt wurde, und sich in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 begeben, ein von der Gestapo umfunktioniertes jüdisches Altersheim. Von da wurde sie am 12. Januar mit einem knapp 1200 Menschen umfassenden „Transport“ nach Auschwitz deportiert. Auch die populäre Schriftstellerin Else Ury war in diesem Zug. In Auschwitz wurden lediglich einige Männer zur Zwangsarbeit eingewiesen, alle andern, auch Dorothea Freundlich, sofort in den Gaskammern Birkenaus ermordet.

An Vermögen hatte Dorothea kaum etwas angeben können: einen Schrank, eine Couch, einen Übergangsmantel, zwei Blusen. Der im März bestellte Gerichtsvollzieher fand noch zusätzlich einen Nachttisch, zwei Stühle und einen kleinen Schreibtisch vor und schätzte alles auf 160 RM. Die Möbel wurden an einen Trödler für 128.- RM verkauft, die die Oberfinanzdirektion vereinnahmte. Das Zimmer wurde am 8. April geräumt.

Otto Freundlich wurde in Frankreich nach Kriegsausbruch mehrmals als „Feind“ interniert, nach Frankreichs Kapitulation dann unter dem Vichy-Regime in einem Dorf in den Pyrenäen unter Hausarrest gestellt. Im Dezember 1942 versuchte er unterzutauchen, wurde aber denunziert und im Februar 1943 verhaftet. Er wurde am 4. März 1943 vom 20 km nordöstlich von Paris gelegenen Lager Drancy nach Sobibor deportiert und kam spätestens dort ums Leben.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Kölner Adressbücher; Stadt Köln, Historisches Archiv mit Rheinischem Bildarchiv; Berliner Adressbücher; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Arolsen Archives; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer; Konzertführer Berlin: https://digital.sim.spk-berlin.de/viewer/image/775084921-01/189/#1434349432701; zu Otto Freundlich: https://de.wikipedia.org › wiki › Otto_Freundlich

Recherchen/Text: Micaela Haas
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Stolperstein Friedrich Boehm

HIER WOHNTE
FRIEDRICH BOEHM
JG. 1888
DEPORTIERT 6.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Friedrich Boehm wurde am 8. Juli 1888 in Gleiwitz, Schlesien, geboren – heute Gliwice, Polen. Zu dieser Zeit stellten Juden mit etwa 1880 Einwohnern rund 16% der Gleiwitzer Bevölkerung dar. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die industrielle Entwicklung von Gleiwitz viele Menschen aus dem ländlichen Umland angezogen. An diesem wirtschaftlichen Aufschwung waren etliche jüdische Unternehmer beteiligt.

Es konnte nicht festgestellt werden, wer Friedrichs Eltern waren. Dokumente sind nicht erhalten, Adressen können nicht zugeordnet werden, da der Name Boehm oder Böhm sehr häufig ist. Im Gleiwitzer Adressbuch von 1891 sind 10 Familien mit diesem Namen verzeichnet, Kaufleute, ein Glaser, ein Lokomotivheizer, auch ein Fabrikarbeiter und drei Witwen. Um die Jahrhundertwende, aber vor allem nach der Teilung Oberschlesiens 1921, zogen viele Juden westwärts, da nun Gleiwitz sehr nah an der polnischen Grenze lag.

Mag sein, dass Friedrichs Familie sich schon früh in Berlin niederließ, möglich ist auch, dass Friedrich im Ersten Weltkrieg an die Front musste und danach allein nach Berlin zog. Hier ist das Adressbuch noch weniger hilfreich: der Name Böhm füllt mehrere Seiten, Friedrich oder Fritz eine ganze Spalte. Die erste gesicherte Nachricht über seinen Verbleib findet sich 1939, aus Anlass der Volkszählung vom 17. Mai 1939.

Bei dieser Volkszählung wurden Juden in einer gesonderten Kartei erfasst, die es den Nationalsozialisten später ermöglichen sollte, Maßnahmen gegen Juden leichter durchzuführen. Friedrich Boehm wurde in der Bayerischen Strasse 33 registriert, wo er offensichtlich zur Untermiete wohnte. Zu diesem Zeitpunkt, ein halbes Jahr nach den Pogromen vom November 1938, waren schon zahlreiche antisemitische und diskriminierende Verordnungen in Kraft. Juden durften z.B. keine Theater, Kinos oder Museen besuchen, zu bestimmten Zeiten durften sie gar nicht mehr auf die Straße, durften nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt, ihre Konten wurde zu „Sicherheitskonten“ erklärt, von denen sie nur durch „Sicherungsanordnung“ festgelegte Beträge für ein Existenzminimum abheben durften. Später, ab September 1939, hatten sie den Judenstern zu tragen, sie wurden auch zu Zwangsarbeit herangezogen.
Auch Friedrich Boehm wurde höchstwahrscheinlich zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie verpflichtet, da er 1942 zunächst von der Deportation verschont blieb. Ihm war mittlerweile eine andere Wohnung – vermutlich nur ein Zimmer – zur Untermiete in der Stenzelstraße 2 (heute Blissestraße) zugewiesen worden.
Schon Ende 1942 war jedoch beschlossen worden, die jüdischen Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie allesamt zu deportieren. 15.100 waren Anfang 1943 in Berlin noch registriert. Am 27. Februar 1943 begann dann in der Hauptstadt die sogenannte „Fabrikaktion“: Ohne weitere Vorwarnung wurden die Arbeiter und Arbeiterinnen am Arbeitsplatz in den vorher abgeriegelten Fabriken festgenommen und in mehrere, zum Teil provisorische Sammellager transportiert. Verwandte wurden später in den Wohnungen verhaftet. Insgesamt dauerte die Großrazzia mehrere Tage und rund 8000 Juden wurden festgenommen. Ungefähr 4000 weitere konnten rechtzeitig untertauchen. Der 55-jährige Friedrich Boehm gehörte wohl nicht zu ihnen. Die Verhafteten wurden in fünf „Transporten“ nach Auschwitz deportiert, in dem letzten am 6. März 1943 befand sich Friedrich Boehm, auf der Deportationsliste mit der Nr. 572 aufgeführt. Nur 153 Männer und 65 Frauen von den über 700 Häftlingen in diesem Zug wurden zur Zwangsarbeit aussortiert. Die anderen bekamen eine „Sonderbehandlung“, ein verschleiernder NS-Begriff für die Ermordung in den Gaskammern. Welches dieser Schicksale Friedrich Boehm erfuhr, bleibt unklar. Das Lager und den Krieg hat er nicht überlebt.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Arolsen Archives; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Recherchen/Text: Micaela Haas, Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Stolperstein Vera Lehmann

HIER WOHNTE
VERA LEHMANN
GEB. LOEWENBACH
JG. 1910
DEPORTIERT 23.6.1942
MINSK
ERMORDET IN
MALY TROSTINEC

Die folgende Biografie von Vera Ruth Lehmann wurde 1958 von ihrem Ehemann Manfred Lehmann im Entschädigungsantrag niedergeschrieben:

Vera Ruth Löwenbach wurde am 1.3.1910 zu Neuenburg, Westpreußen (jetzt Nowe, Polen) als Tochter des dortigen Apothekers Philipp Loewenbach und seiner Frau Selly (Selma) geb. Tuchler geboren. Etwa ein Jahr nach ihrer Geburt verzogen ihre Eltern mit ihr nach Danzig, IV Damm 4, woselbst ihr Vater mit der Mitgift der Mutter die Königl. privilegierte Apotheke C.v.der Lippe, genannt Adler-Apotheke samt den dazugehörenden Grundstücken erwarb.

Vera Ruth Loewenbach besuchte mit Eintritt ihrer Schulpflicht die höhere Töchterschule, kam von da ins Pensionat in Frankfurt a.M., besuchte nach ihrer Rückkehr aus dem Pensionat eine Haushaltungs- und Kochschule in Danzig nahe Neugarten und heiratete mich vor dem Standesamt I zu Danzig am 10.12.1929. Im Jahre 1930 verlegte sie zugleich mit mir ihren Wohnsitz nach Berlin. In Berlin gab sie zwei Töchtern das Leben, namens Daisy Traute Jo Mira und Edna Jo Dagmar.

Mit der Machtergreifung Hitlers wurde ihr das Leben zur Qual. Abgesehen von den Vorfällen, welche sie in den Straßen und insbesondere in der Weberstr., wo wir wohnten, mitansehen musste, fanden seitens S.A. und S.S. Kommandos bei uns wiederholt „Haussuchungen“ statt, sei es wegen angeblicher Waffensuche, sei es wegen angeblicher Devisenkontrollen, sei es lediglich um Geldsummen zu erpressen, sei es ohne jeden Vorwand.

Wir beschlossen infolgedessen, im Oktober 1933 in das andere Berliner Haus meiner Frau, nach Berlin W 15, Bayerische Str. 33 zu ziehen, aber auch dort waren die Verfolgungen nicht wesentlich geringer. Wir beschlossen deshalb ins Ausland, nach Palästina zu ziehen. Doch da ich im Auslande noch keine Existenz hatte, andererseits die Einnahmen aus den Grundstücken und meinen sonstigen Forderungen und Vermögenswerten in Deutschland ausreichten, vereinbarten wir, dass ich zunächst nach Palästina fahren und versuchen sollte, dort eine Existenz für mich und meine Familie aufzubauen, während Vera Ruth Lehmann geb. Loewenbach mit meiner Generalvollmacht in Deutschland zunächst zurückbleiben, und bis zur Schaffung genannter Existenz die Vermögensverwaltung und Abwicklung führen, auch solange für die Kinder sorgen solle.

Ich erhielt erst im Jahre 1939 in Palästina die Zulassung als Rechtsanwalt. Inzwischen sandte Vera Ruth Lehmann die Kinder wegen der dauernden politischen Unruhen und drohenden Kriegsgefahr in ein Pensionat nach Australien, blieb aber noch selber in Berlin. Die letzte persönliche Nachricht erhielt ich von ihr datiert vom 10.12.41 über das Deutsche Rote Kreuz, Auslandsdienst. Sie schreibt darin, sie möchte gern mit mir und den Kindern zusammen sein, habe Visa erhalten und erbäte um Bestätigung unserer Staatsangehörigkeit, damit sie fahren könne. Dazu ist es aber nicht mehr gekommen, obwohl ich zu diesem Zweck die diplomatische Vermittlung der Schweiz und der hiesigen jüdischen Dienststellen in Anspruch nahm.“

Aus den Akten ergibt sich, dass Vera Lehmann Ende 1941 kurz vor der Ausreise nach Palästina stand, als sie von ihrem Nachbarn, einem Hauptwachtmeister namens Oswald Graeber, wegen sogenannter „Rassenschande“ angezeigt wurde und im Anschluss an den Prozess deportiert wurde. Nach dem Krieg wurde Oswald Graeber aufgrund dieses Vorfalls zu einem Jahr Zuchthaus wegen Freiheitsberaubung verurteilt, darüber hinaus wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu fünf weiteren Jahren Freiheitsentzug. Manfred Lehmann bezieht sich im Folgenden auf diesen Vorfall.

„Wie sich aus den Vorgängen und Beiakten in der Strafsache gegen Graeber wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin) ergibt, wurde meine Frau zur Zwangsarbeit und Munitionsarbeit in Berlin-Siemensstadt gezogen. Dort soll sie dem ihr auferlegten Soll nicht nachgekommen sein. (…) Alle diese Maßnahmen soll ein Einwohner des Grundstücks Berlin W.15, Bayrische Str. 33, d.h. der genannte Angeklagte Graeber ins Werk gesetzt haben. Jedenfalls wurde meine Frau, anscheinend abrupt und ohne jede Vorbereitung nach dem „Osten“ transportiert und ist während des Transports oder am Transportziel kläglich zu Tode gekommen. Die für ihr gewaltsames Ende verfügbaren Unterlagen befinden sich bei den Akten (…) des Amtsgerichts Charlottenburg, in welchen sie am 19. Januar 1948 auf den 31. Dezember 1944 für tot erklärt wurde.“

Vera und Manfred Lehmanns Töchter Traute (* 1930) und Edna (*1931) besuchten für eine kurze Zeit die Gemeindeschule Berlin, bis sie sie in Folge der Rassengesetze verlassen mussten; sie wechselten 1936 auf die Jüdische Privatschule Leonore Goldschmidt. Anfang Juni 1939 wurden sie im Alter von sieben und neun Jahren mit einem Kindertransport nach London geschickt und reisten nach zwei Wochen weiter nach Melbourne. Erst acht Jahre später, 1947, trafen sie ihren Vater in Haifa wieder.
Die ältere Tochter Daisy Traute Jo Mira besuchte in Melbourne eine höhere Mädchenschule und absolvierte danach eine Apothekerlehre und eine Grundausbildung in der Armee. Sie heiratete 1956 den Kaffeehausinhaber Jehuda (Ernst) Weinreb.

Ihre jüngere Schwester Edna Jo Dagmar machte in Haifa eine Ausbildung zur Krankenschwester und zog 1955 nach England, wo sie 1957 Aubrey Samson heiratete. Sie arbeitete als Hebamme; ihre „psychogene Sprachstörung“ (sie stotterte) wurde als verfolgungsbedingte 25-prozentige Minderung der Erwerbsfähigkeit anerkannt.

Vera Lehmann wurde am 23.Juni 1942 mit dem sogenannten „16. Osttransport“ deportiert, der nach dem heutigen Stand der Forschung an einen Zug aus Königsberg angekoppelt wurde und Minsk zum Ziel hatte. Dort wurden die Menschen zu dem Minsker Vorort Maly Trostinec weitergeleitet und mit Lastkraftwagen zu vorher ausgehobenen Gruben gefahren, um dort ermordet zu werden. Lediglich 20-50 von 770 Menschen wurden zur Zwangsarbeit auf dem Gut Maly Trostinec ausgesondert. Wir wissen nicht, ob Vera Lehmann dazugehörte – den Krieg überlebt hat sie nicht.

Recherchiert und zusammengestellt von Katrin Schwenk, Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf.

Quellen:
- Landesentschädigungsamt Berlin
- Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005
- https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_ber_ot16.html

Stolperstein Dr. Manfred Lehmann

HIER WOHNTE
DR. MANFRED
LEHMANN
JG. 1897
FLUCHT 1937
PALÄSTINA

Die Biografie von Manfred Lehmann wurde 1958 von ihm selbst im Entschädigungsantrag niedergeschrieben (veraltete und uneinheitliche Schreibweisen wurden im Original belassen):

„Ich, Dr. Manfred Markus Josef Lehmann, bin am 23.9.1897 zu Berlin, Cuxhavener Str. 14 als Sohn des Schriftstellers, Zeitungsverlegers und Oberleutnants d. L. Dr. Jon Lehmann und seiner Frau Fanny Lehmann geb. Cohen geboren. Aus dieser Ehe war meine, nunmehr verstorbene, Schwester Martha Bertha Wilhelmine am 27.1.1896 hervorgegangen. Nach dem Besuch einer privaten Vorschule des Frl. Lydia Müller zu Berlin, Geisbergstr., kam ich auf das Werner Siemens Realgymnasium zu Berlin-Schöneberg, Hohenstaufenstr., doch wurde mein Schulzweig, das Reformrealgymnasium späterhin mit der Hohenzollernschule in Berlin-Schöneberg, Martin Lutherstr. vereinigt. Nach Kriegsausbruch 1914 stellte ich mich wie die meisten meiner Klassengenossen freiwillig, erhielt jedoch späterhin nicht von meiner Mutter hierzu die nachträglich von den Behörden verlangte elterliche Genehmigung, und musste deshalb auf der Lehranstalt bis zur Absolvierung des normalen Abiturs im Frühjahr 1915 verbleiben. Nach dem Studium von zwei Semestern Rechtswissenschaft an der Universität Berlin, während deren eine meiner Arbeiten eine laudatio academica erhielt, wurde ich zum Feldartillerieregiment 45 in Altona-Bahrenfeld eingezogen, kam von da zu der Hauptausbildungsstelle für Flugabwehrkanonen nach Frankfurt a.M. und von dort am 25.6.16 zum Flakzug 101. Im November 1916 wurde ich verwundet u. am 30.11.1916 ins Reservelazarett [?] IV in Hamburg Elmsbüttel überführt. Während des Lazarettaufenthaltes besuchte ich das Institut für Vorlesungswesen, damals Vorläufer der Universität Hamburg. Am 3.2.17 kam ich zum Flakzug 102 u.a. 4.10.17 zum Flakzug 69. Am 13.11.1918 kam ich zur Garde Kraftfahr Ers. Abtlg., trat nach der Revolution zum Reichswehr Gruppenkommando I (Abt. Lüttwitz) Führer der Kraftfahrtruppe [?] über und wurde von dort als Vizefeldwebel am 28.9. nach Zoppot entlassen, um dort meinen Dienst als Referendar des Amtsgerichts Zoppot antreten zu können. Inzwischen hatte ich die Referendarprüfung am Kammergericht zu Berlin bestanden und promovierte am 20.1.1920 an der Universität Breslau magna cum laude zum Dr. iuris utriusque. Im Jahre 1921 erschien in der Sammlung des Prof. Dr. Ernst Heymann, Berlin unter Nr. 32 mein Buch „Der Begriff des angemessenen Preises“ und im Jahre 1922 bestand ich vor der Justizprüfungskommission des Preußischen Justizministeriums das Assessorexamen, um im gleichen Jahre als Anwalt bei den Gerichten der Freien Stadt Danzig zugelassen zu werden. Ich verblieb in Danzig bis zum Jahre 1930, in welchem Jahre ich die Zulassung in Danzig mit derjenigen bei den Landgerichten I, II, III in Berlin vertauschte. Im Jahr 1929 hatte ich Vera Ruth Löwenbach geheiratet, wir zogen nach Berlin und dortselbst wurden mir zwei Töchter, Daisy Traute Jo Mira am 26.6.1930 und Edna Jo Dagmar am 15.12.1931 geboren.

Ich war seitdem als Anwalt in Berlin erfolgreich tätig, doch wurde diese Tätigkeit mit der Machtübernahme Hitlers Ende Januar 1933 erheblich beeinträchtigt. Ich hatte damals Wohnung und Büro in Berlin N.O. 18, Weberstr. 51. Das ist eine stark industrielle, und war daher bis zur Machtergreifung Hitlers 1933 eine stark kommunistische Gegend. Das nahmen die Nationalsozialisten insbesondere S.A. zum Anlass, ihre Umzüge und Aufzüge durch die Weberstraße auszuführen. Mit der Machtergreifung im Januar 1933 überbot [sich die S.A.:] jüdische Glaubensgenossen wurden aus ihren Geschäften und Wohnungen gerissen, am Barte gerupft und beschnitten, und mit Hohn abgeführt bzw. durch die Straßen geführt. Auch bei mir erschienen wiederholt S.A. und S.S. Kommandos unter allen möglichen Vorwänden, sei es wegen angeblicher Waffensuche, wegen angeblicher Devisenkontrollen (Danzig, von wo ich kam, war damals Freie Stadt, also Ausland), sei es um lediglich Geldsummen zu erpressen, sei es ohne jeden Vorwand. Bei diesen „Haussuchungen“ wurde alles auf den Kopf gestellt, auch verschiedenes einfach mitgenommen, und für mich, als ehemaligen Soldaten, war es wirklich äußerst schwer, an mich zu halten, und mit den Eindringlingen nicht handgemein zu werden. Gegen Ende März 1933 wurden alle jüdischen Rechtsanwälte gewaltsam aus den Gerichtsgebäuden entfernt, und am sogenannten „Boykotttag“ standen auch vor meinem Haus und Büro den ganzen Tag zwei S.A. Posten, so dass wirklich keinerlei Klientenverkehr stattfinden konnte. Ich war dann mehrere Monate „arbeitslos“ bis ich schließlich als „Frontkämpfer“ wieder zur Anwaltschaft zugelassen wurde u. einen dahingehenden nationalsozialistischen Ausweis erhielt. Immerhin ließen alle diese Belästigungen, Verfolgungen und Mühsale mir es wünschenswert erscheinen, einen Ortswechsel vorzunehmen, sodass ich mit meiner Familie noch im Oktober 1933 in das andere Haus meiner Frau in Berlin W15, Bayerische Straße. 33 (am Olivaer Platz) zog u. auch mein Büro dorthin verlegte. Aber auch dort ließen die Verfolgungsmaßnahmen nicht nach. Waren es vorher die Entschließungen der Stammkneipenführer der einzelnen S.A. Formationen gewesen, welche mir das Leben verbitterten, so machte mir nunmehr die Gestapo selber das Leben sauer. Ich erhielt wiederholt Vorladungen zu Erscheinen auf dem Polizeipräsidium, natürlich ohne Angabe der Sache, um welche es sich handle, sodass ich weder die betreffenden Akten mitnehmen, noch mich auch sonst irgendwie auf die Vernehmung vorbereiten konnte. Diese Sache wurde mir auch bei meinem Erscheinen nicht mitgeteilt, vielmehr versuchten die als „Beamten“ tätigen Nationalsozialisten in unsachgemäßer, beleidigender aber auch gleichzeitig plumper Weise, durch Fragen nach allem Möglichen in eine Falle zu locken, um mich dabehalten zu können. War es aber schließlich soweit, dass ich doch in Erfahrung bringen konnte, worum es sich handle, dann stellte es sich gewöhnlich heraus, dass Personen, welche in einem Prozess unterlegen waren, diese Anzeigen bei der Gestapo fabriziert hatten, um sich für den Verlust des Rechtsstreits zu rächen. Sobald es mir gelang, diesen Sachverhalt herauszufinden, konnte ich auch wiederholt erreichen, dass an mein Büro oder an die Gerichtsschreiberei des betreffenden Gerichts selber nach langen Bitten telefoniert wurde, um Urteil und Entscheidungsgründe des betreffenden nationalsozialistischen Gerichts in Erfahrung zu bringen bzw. anzuhören. Ich bin überzeugt, dass nur mein gutes Gedächtnis mich oftmals vor der Gefangensetzung nach derartigen Verhören rettete.

Diese und andere Ereignisse, wie die immer mehr zunehmende Ausstellung der Zeitschrift „Stürmer“ an vielen Straßenecken, ließen mich immer mehr erkennen, dass es für Juden in Deutschland keines Bleibens mehr sei. Ich fuhr wiederholt nach Palästina, um die Übersiedlung nach dorthin vorzubereiten. Meine Frau versprach mir, solange in Deutschland alles zu verwalten und mir dann mit den Kindern zu folgen. Als ich im April 1937 besuchsweise in Palästina weilte, kehrte ich nicht mehr nach Deutschland zurück, weil meine Frau mich ausdrücklich in Briefwechseln davor warnte. Etwa 6 Monate später erhielt ich eine Mitteilung, dass ich wegen Verbleibs im Ausland in der Anwaltsliste gelöscht sei. Ich versuchte, hier festen Fuß zu fassen, bestand auch in englischer Sprache, welche ich beherrschte, das Examen für auswärtige Rechtsanwälte, gelangte aber gleichwohl nicht zu auskömmlichen Einnahmen, weil damals Unruhen in Palästina das Wirtschaftsleben lähmten, weil ich die Iwrithsprache erlernen musste, und weil mein Versuch, mich in der Landwirtschaft zu betätigen, mangels persönlicher Eignung fehlschlug. Im Jahr 1939 erhielt ich in Palästina die Zulassung als Rechtsanwalt, im gleichen Jahr schickte meine Frau unsere Kinder in eine Pension nach Australien. Auf diese Weise wurde ihr Leben gerettet, während meine Frau späterhin, in Deutschland oder auf dem Transport nach Auschwitz ermordet wurde.“

(An anderer Stelle:) „Ich habe, als ich Berlin verließ, meine 5 ½ Z. Wohnung in Berlin W15, Bayerische Str. 33 mit gesamter Einrichtung, Bibliothek, Büro, allen Schmuck und Wertsachen pp zurückgelassen, da meine Frau in der Wohnung verblieb (bis sie deportiert wurde). Davon ist nichts mehr da, auch mein Citroënwagen nicht. Ich schätze den Gesamtwert mit Gemälden, Maschinen, Geschirr, Teppichen usw. auf 100.000 M. Konten an Geld und Wertpapieren bestanden auf meinen Namen, desjenigen meiner Frau, meiner Mutter, meiner Großeltern und meiner Kinder bei Dresdner Bank bzw. Seehandlung bzw. Sparkasse d. Stadt Berlin. Ich habe bisher nichts zurückerhalten. Ich schätze (den Verlust) auf wenigstens 40.000.

Im Jahr 1944 heiratete ich nochmals. Aus dieser Ehe ist am 15.3.1945 eine Tochter hervorgegangen. Ich ernähre mich mühsam in meinem Berufe. Durch die infolge der geschilderten Ereignisse hervorgerufenen dauernden Aufregungen, sowie infolge der Strapazen der Auswanderung und der Mühseligkeiten der Umstellung veranlassten körperlichen und geistigen Anstrengungen wurde mein Herz stark angegriffen, ich bin Asthma u. magenleidend geworden und kann ohne ärztliche Hilfe, vielleicht auch wegen meines Alters, nicht mehr auskommen. Die Arbeit und die dauernde Konzentration fällt mir schon sehr schwer. (…) Seit 12.12.1958 bin ich 100%ig arbeitsunfähig.“

In den Entschädigungsakten finden sich ergänzende Informationen über weitere Familienangehörige:

Zu den Berliner Meldeadressen von Manfred Lehmann gehörten neben der Weberstraße 51 und der Bayrischen Straße 33 die Nymphenburger Straße, die Bamberger Straße 15 und die Würzburger Straße 17. In der Bayerischen Straße wohnte auch Manfred Lehmanns Mutter Fanny Lehmann, geb. Cohen, die am 27. Januar 1941 verstarb (sein Vater war bereits 1913 an einer Streptokokkeninfektion gestorben). Manfred Lehmanns Schwester Martha Bertha Wilhelmine war 1933 in die Niederlande gezogen und lebte dort ab 1944 im Verborgenen. Am 22. Oktober 1949 starb sie in Amsterdam. Der Antrag von Manfred auf eine Rente, weil ihr Tod im Zusammenhang mit ihrer Verfolgung stand, wurde abgelehnt, da er als Bruder nicht als anspruchsberechtigt galt.

1944 heiratete er die 1908 geborene Rosa Lagstein, am 15. März 1945 wurde ihre Tochter Jona (Yoha) Lehmann geboren. Die Familie lebte in der Nordaustraße 17 in Haifa. Die Töchter Traute (* 1930) und Edna (*1931) sah Manfred Lehmann erst 1947 wieder. Traute absolvierte in Australien eine Apothekerlehre und heiratete 1956 den Kaffeehausinhaber Jehuda (Ernst) Weinreb. Edna machte in Haifa eine Ausbildung zur Krankenschwester und zog 1955 nach England, wo sie 1957 Aubrey Samson heiratete. Sie arbeitete als Hebamme.

Manfred Lehmann starb 1967.

Recherche und Zusammenstellung: Katrin Schwenk, Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quelle:
Landesentschädigungsamt Berlin

Stolperstein Hermann Loi

HIER WOHNTE
HERMANN LOI
JG. 1885
DEPORTIERT 15.8.1942
RIGA
ERMORDET 18.8.1942

Hermann Loi wurde am 22. Juni 1885 in Berlin geboren. Er war ursprünglich russischer Staatsangehöriger, galt später jedoch als staatenlos. Seine Eltern waren Ascher Loi (geboren 20.7.1859 in Warschau, ebenfalls ursprünglich russisch, später staatenlos), von Beruf Stepper, und die am 9. Juni 1862 geborene Anna Loi, née Domp. Sie hatten zwei weitere Söhne (Gustav *1883 und Julius *1886).

Es ist wenig über Hermann bekannt. Offenbar machte er eine Banklehre, arbeitete auch als Bankbeamter, aber seine Übernahme in den preußischen Beamtenstand wurde in den 20er Jahren abgelehnt – vermutlich, weil er als staatenlos galt. Offenbar war er weniger erfolgreich als seine Brüder, die später laut Adressbuch eigene Wohnungen hatten, Gustav als Kaufmann, Julius betrieb einen Waschsalon. Hermann hingegen blieb ledig und wohnte weiterhin bei den Eltern, bzw. bei der Mutter, nachdem der Vater um 1911 gestorben war. Später wurde er nur noch als Hilfsarbeiter bezeichnet und war zwischenzeitlich als Maschinen-Arbeiter im WWF-Werk (226b Möllendorfstraße) registriert – möglicherweise war er dort in der NS-Zeit als Zwangsarbeiter eingesetzt.

Nach dem Tod des Vaters zog er 1913 mit seiner Mutter von der Lothringer Straße 80 (heute Torstraße) in die Düsseldorfer Straße 44/45. 1935 wechselte Anna Loi in die Bayerischen Straße 33 und Hermann mit ihr. Zwei Tage vor der Volkszählung vom 17. Mai 1939 kam Anna in das Wohnheim der Jüdischen Gemeinde in der Auguststraße 14/15, daher wurde in der Bayerischen Straße nur Hermann in der Sonderkartei für Juden erfasst. Anna verstarb vermutlich bald in dem Wohnheim, Hermann musste die Wohnung in der Bayerischen Straße im Juni 1942 verlassen und – wahrscheinlich zwangsweise – ein Zimmer in Untermiete bei Alexander und Bertha Hofbauer in der Fasanenstraße 73, Gartenhaus 1. Stock beziehen.

Wenige Wochen darauf wurde Hermann Loi am 15. August 1942 mit dem „18. Osttransport“ nach Riga deportiert und drei Tage später erschossen.

Hermanns Bruder Gustav starb im Oktober 1936. Seine Witwe Emma geb. Sethge sowie Hermanns Bruder Julius tauchen in keinem Gedenkbuch auf, so dass man hoffen kann, dass sie den NS-Schergen entkommen konnten.
Hermanns letzte Vermieter, Alexander Hofbauer und Bertha geb. Gutkind wurden am 19. April 1943 nach Theresienstadt deportiert und am folgenden 6. September nach Auschwitz weiter verschleppt und dort ermordet.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006
Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995
https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=de&itemId=9820812&ind=2
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher

Recherche und Text: Katrin Schwenk und Micaela Haas, Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Stolperstein Curt Mannheim

HIER WOHNTE
CURT MANNHEIM
JG. 1875
DEPORTIERT 1.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Else Mannheim

HIER WOHNTE
ELSE MANNHEIM
GEB. BICK
JG. 1882
DEPORTIERT 3.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Else Mannheim, geb. Bick wurde 1882 in Graetz, Polen geboren. Ihre Eltern, der Kaufmann Selig und Minna Bick hatten eine Reihe weiterer Kinder: Julius (*1880) war in die Niederlande emigriert, jedoch 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet worden, und auch seine Zwillingsschwester Rosa (*1880) wurde 1942 deportiert und ermordet; ein weiterer Bruder (oder Cousin), Sally (*1877), wurde 1942 in Riga ermordet. Nur ihre Schwester Paula (*1885) überlebte; sie emigrierte nach England und später nach Australien und starb dort 1962.

Else heiratete am 9. Oktober 1904 den angesehenen und erfolgreichen Getreidehändler Curt Mannheim, der am 8. Juli 1875 in Zielenzig geboren worden war und in Posen wohnte. Dorthin zog auch Else und brachte am 3. August 1905 ihre einzige Tochter Alice zur Welt. Die Familie zog im August 1910 nach Charlottenburg und lebte in der Sybelstraße 57. 1920 bezogen sie eine Wohnung in der Xantener Straße 15. Von 1911 bis 1938 war Curt Mannheim Inhaber seiner gleichnamigen Getreide-Agentur und seit 1914 Mitglied der Berliner Produktenbörse; „sein Ausscheiden erfolgte aus den bekannten politischen Gründen“, schrieb später ein Vertreter des Vereins der Berliner Getreide-und Produktenhändler.

Zum Zeitpunkt der Volkszählung vom 17. Mai 1939 wohnten Mannheims noch in der Xantener Straße 15. Erst bald danach zogen sie – vermutlich nicht mehr freiwillig – in die Bayerische Straße 33.

Von dort wurden Else und Curt am 3. bzw. am 1. März 1943 deportiert und ermordet. Ihre Tochter Alice konnte rechtzeitig in die USA emigrieren; sie erlernte den Beruf einer Sekretärin und heiratete den Wirtschaftsberater Richard Gotthelf. Alice starb 1955 in New York.

Quellen:
- Berliner Adressbücher
- https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de&s_id=&s_lastName=Mannheim&s_firstName=else&s_place=berlin&s_dateOfBirth=&cluster=true
- https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1114902
- https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/127212383?s=curt%20mannheim&t=228867&p=1
- http://www.luckauer-juden.de/Graetz.html
- http://e-kartoteka.net/en/search#show

Recherche und Text: Katrin Schwenk
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf