Stolpersteine Hubertusallee 69

Hausansicht Hubertusallee 69

Dieser Stolperstein wurde am 30.05.2018 verlegt.

Stolperstein Bertha Landsberg

HIER WOHNTE
BERTHA LANDSBERG
GEB. NATHAN
JG.1888
DEPORTIERT 27.11.1941
RIGA
MASSENERSCHIESSUNG
30.11.1941
RIGA-RUMBULA

Bertha Landsberg mit Ehemann Hans und Schwiegermutter Charlotte

Vor 130 Jahren wurde am 13.Dezember 1888 Bertha Sara Nathan, Bertha genannt, in Barczewo (Wartenburg) Olsztyn (Allenstein) geboren. In Berlin, wo auch der Vater Theodor Nathan herkam, heiratete sie für damalige Zeiten recht spät 32-jährig 1920 meinen 6 Jahre älteren Onkel Hans Landsberg.

Dieser entstammte einer jüdischen Händlerfamilie, die Familie war wirtschaftlich erfolgreich, sodass der Großvater als Gelanteriehändler bereits einen Bürgerbrief erhielt, was ihn jedoch nicht an der Teilnahme der Barrikadenkämpfe 1848 hinderte. Sein Vater war dann mit einer kleinen Druckerei der erste Unternehmer in der Familie und konvertierte nach der Eheschließung zum Christentum.

Berthas Mann Hans war dann der erste Akademiker in der Familie, Jurist und mit dem unternehmerischen Familienhintergrund auch Syndikus. Bertha und er lebten in begüterten Verhältnissen, zunächst in der Potsdamer- und dann in der Kantstraße 77.

Anfang 50 erkrankte Hans und starb 1935 nach nur 15jähriger Ehe kurz vor dem Erlass der Nürnberger Gesetze 53jährig. 1921 hatte er in seinem Testament seine Brüder gebeten, von dem Pflichterbanteil Abstand zu nehmen und alles Bertha zuzugestehen. Doch jetzt gab es nicht mehr viel zu vererben, die Anwaltspraxis eines Halbjuden war nach den Nürnberger Gesetzen nicht viel Wert.

Für Bertha brach nicht nur die wirtschaftliche Sicherung zusammen, sondern auch der soziale Rahmen. Im folgenden halben Jahrzehnt wechselte sie neunmal die Wohnung, wohnte wiederholt in der Wilseder und Würzburger Straße sowie in der Kaiserallee, der heutigen Bundesallee, bei nicht-jüdischen Freunden.

Letzte Wohnung war die Hubertusbader Straße 15, nach den Straßenveränderungen in den 70ern nun Hubertusallee 69, in der sie noch einmal eineinhalb Jahre ununterbrochen wohnen konnte. Am 1.März 1940 wurde sie in das als „Judenwohnung“ bezeichnete Ghettohaus Passauer Straße 2 gegenüber dem KaDeWe verbracht.

Sie übergab meinem Vater den Familienschmuck, der dann an ihre nicht-jüdischen Freunde weitergereicht wurde, da mein Vater die Sorge hatte, ebenfalls von der Gestapo abgeholt zu werden. Bertha äußerte bei diesem letzten Gespräch die Zuversicht wieder zurückzukommen.

Im Herbst 1941 wurde Bertha in die Sammelstelle in der zerstörten Synagoge in der Levetzowstraße 7 verbracht. Ihr Vermögen wurde durch die Gestapo am 25.Novemver 1941 eingezogen und die Abrechnung der knapp 16 RM mit Zustellungsurkunde vom Gerichtsvollzieher der Ordnung halber ihr übergeben. Bertha wurde dabei als ausgebürgerte Jüdin bezeichnet.

Zusammen mit 1.034 weiteren Jüdinnen und Juden wurde Bertha am 27. November 1941 mit dem Transport Da 31 vom Bahnhof Grunewald (Gleis 17) nach Riga in Lettland deportiert. Nach drei Tagen Fahrt kamen sie am 30. November1941 dort an, es war der 1. Advent. Der Zug hielt ein wenig vor Riga:
Wenn man rechtsseitig der Daugava (Düna) flussaufwärts zum Wald von Rumbula (Rumbuli) fährt, sieht man nach knapp 20 km plötzlich eine merkwürdige Skulptur.

Skulptur Gedenkstätte Rumbula

Skulptur Gedenkstätte Rumbula

Die Skulptur weist auf die Gedenkstätte zu dem Wald in Rumbula hin, der einzige Hinweis, den ich in Lettland sah:

Gedenkstätte Rumbula

Gedenkstätte Rumbula

In Rumbula begannen sogleich die Massenerschießungen, es war der „Rigaer Blutsonntag“. 27.500.

Jüdinnen und Juden aus dem Rigaer Ghetto sowie 1.035 aus Berlin wurden binnen zweier Tage, am 30. November und am 8. Dezember, mit Genick- oder Kopfschuss im Wald von Rumbula ermordet. Am Ende waren 90% der jüdischen Bevölkerung Lettlands ermordet und es war nach Babyn Jar die zweitgrößte Massenerschießung in diesem Krieg, im Wesentlichen von deutschen und lettischen, lettische Legion genannten SS-Verbänden.

Dort angekommen mussten sie sich entkleiden und die Sachen auf einen Haufen werfen. Unter einem Haufen mit Schuhen konnte sich Frida Michelson verstecken, eine von den beiden einzigen Überlebenden. Sie berichtete später in dem Buch „Ich überlebte Rumbula“ über das Geschehen.

Stolperstein für Bertha Landsberg mit Blumen

Stolperstein für Bertha Landsberg mit Blumen

Beim Heranrücken der Roten Armee wurden die sterblichen Überreste der Ermordeten ausgegraben und verbrannt, man versuchte die Spuren zu verwischen. Vergeblich, der deutsche General der Waffen-SS, Friedrich Jeckeln, wurde festgenommen und nach dem Prozess am Tag der Urteilsverkündigung 1946 sofort in Riga öffentlich hingerichtet.

Der Lettische Kollaborateur und SS-Sturmbannführer Viktors Arajs war Einsatzleiter, konnte fliehen und lebte in der BRD unter falschen Namen, zu dem ihm die antisowjetische lettische Exilregierung in London verhalf. 1979 wurde er in einem Prozess zu lebenslänglicher Haft verurteilt, in der er 1988 verstarb.

Heutzutage (abgerufen 2018) wird mit Billigung des lettischen Staatspräsidenten die Erinnerung gepflegt: man solle sich vor den Legionären verneigen – sie hätten schließlich „für ihr Vaterland“ gekämpft (abgerufen 2012). Am 16. März marschieren Traditionsverbände der lettischen Waffen-SS, der „Lettischen Legion“, in Riga am 16. März, dem „Lettischen Tag der Legionäre“, durch die Innenstadt Rigas. Bereits 1991 hatte der lettische Parlamentspräsident bei der Trauerveranstaltung zum 50. Jahrestag des „Rigaer Blutsonntags“ am Massengrab im Wald von Rumbula den Überlebenden der Shoa ins Gesicht gesagt, die Juden hätten selbst Schuld an ihrem Schicksal, weil sie 1940 den Einmarsch der Roten Armee begrüßt hätten.

Bis heute erhalten kriegsversehrte lettische Angehörige der Waffen-SS aus Deutschland eine Rente (abgerufen 2014).

Lettland ist seit 2004 NATO-Mitglied.

Recherche und Text: Johann-Wolfgang Landsberg-Becher