Stolpersteine Hektorstraße 15

Hausansicht Hektorstr. 15

Diese Stolpersteine wurden am 7.4.2016 verlegt.

Stolperstein Wilfriede Neumann

HIER WOHNTE
WILFRIEDE NEUMANN
GEB. CROHN
JG. 1915
DEPORTIERT 3.2.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 1.3.1943

Wilfriede Neumann wurde am 30. September 1915 in Staßfurt (Provinz Sachsen) geboren. Ihre Eltern waren Max Crohn und Elsbeth Crohn, geborene Schleimer. Das Ehepaar hatte neben Wilfriede noch zwei weitere, ältere Kinder: Siegbert und Edith. Beide überlebten den Holocaust, weil sie Ende der 30er Jahre Deutschland noch rechtzeitig verlassen und in die USA auswandern konnten.

Wann die Familie von Sachsen nach Berlin umsiedelte, ist nicht zu ermitteln. Zur Schule gegangen ist Wilfriede aber offenbar in Berlin-Schöneberg, wo ihre Eltern in der Kleiststraße 31 gemeldet waren. Ihr Bruder Siegbert schrieb später im Wiedergutmachungsverfahren: „Meine Schwester hat die Volksschule besucht bis zur 4. Klasse und ist dann in das Lyceum übergewechselt bis zur Obersekunda. Anschließend kam sie zur weiteren Ausbildung ins Pensionat Anna Feuchtwanger. Mit ungefähr 17 Jahren hat sie diese Ausbildung beendet.“

Als Beruf hatte sich Wilfriede „Modistin“ ausgewählt. Sie besuchte deshalb für zwei Jahre eine „Putzmacher-Schule“. Ihr Bruder Siegbert: „Bereits mit 19 Jahren war sie mit dieser Ausbildung fertig und trat als Putzmacherin in ein Geschäft ein, dessen Name mir nicht mehr in Erinnerung ist. Sie arbeitete sich bis zur Leiterin hoch und hat dann ihren eigenen Putzsalon eröffnet. Sie war damals 23 oder 24 Jahre alt.“

Lang konnte Elfriede die Arbeit in ihrem eigenen Laden, den wir heute wohl als Hut-Salon bezeichnen würden, nicht genießen. Nach noch nicht einmal einem Jahr musste sie auf Druck der Nazis 1939 das Geschäft auflösen. 1940 wurde sie zur Zwangsarbeit in einer Berliner Munitionsfabrik verpflichtet.

In dieser Zeit lernte Wilfriede ihren Mann Max Neumann kennen. Er war knapp sieben Jahre älter als sie und wohnte in Prenzlauer Berg. 1942 wurde geheiratet. Eine Zukunft war Beiden nicht beschieden: Am 3. Februar 1943 – kaum ein Jahr nach der Hochzeit – wurden sie mit dem 28. Osttransport (Zugnummer „Da 15“) zusammen mit 950 Leidensgenossen von Berlin-Moabit nach Auschwitz deportiert. Nach einer „Selektion“ auf der „Alten Judenrampe“ am Güterbahnhof Auschwitz wurde Max Neumann sofort vergast; Wilfriede Neumann kam ins sogenannte Frauenlager. Dort überlebte sie ihren Mann um 25 Tage. Am 1. März 1943 wurde auch sie ermordet.

Wilfriede Neumanns Eltern waren schon ein knappes Jahr zuvor von den Nazis deportiert und umgebracht worden. Max und Elsbeth Crohn mussten am 28. März 1942 in Berlin die Viehwagen des Deportationszuges mit dem Ziel Ghetto Piaski (nahe dem polnischen Lublin) besteigen. Dort wurden sie am 30. Juni 1942 ermordet.

Recherche und Text: Sönke Petersen
Quellen: Brandenburgisches Landeshauptarchiv; Entschädigungsamt im LAB; Alfred Gottwald/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Paul Hirsch

HIER WOHNTE
PAUL HIRSCH
JG. 1872
DEPORTIERT 3.10.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 17.2.1943

Paul Hirsch wurde am 2. August 1872 in Gerbstedt/Kreis Mansfeld geboren. Verheiratet war er mit Marta Hirsch, die drei Jahre jünger als er war und aus Buk (Polen) stammte. Zusammen hatten sie eine Tochter: Rosa.

Viel wissen wir nicht über Paul Hirsch. Weder kennen wir seinen Beruf noch sein privates Umfeld. Die – karge – Aktenlage beginnt erst mit der von den Nazis präzise organsierten Verfolgung und Ermordung.

Am 1. Oktober 1942, zwei Tage vor seiner Deportation nach Theresienstadt, musste Paul Hirsch die ihm von der Gestapo vorgelegte „Vermögenserklärung“ ausfüllen. Offenbar wissend, dass dies der Auftakt zu seiner physischen Vernichtung ist, verweigerte der 70jährige jegliche Antwort und strich alle Fragen nach Vermögen und Hausrat konsequent durch. Er schrieb nur, dass er zusammen mit seiner Tochter Rosa ein möbliertes Zimmer für monatlich 40 Reichsmark bewohne. Die Vermieterin sei Tana Seelig.

Am 3. Oktober musste Paul Hirsch den sogenannten „dritten großen Alterstransport“ von Berlin Grunewald nach Theresienstadt besteigen. Dort wurde der Zug, dem die Reichsbahn die Nummer „Da 523“ gegeben hatte, als „Transport I/71, nr. 8689“ registriert. Für fast alle war es eine Reise in den Tod. Von den 955 Deportierten überlebten 73. Auch Paul Hirsch überlebte nur 4 Monate in Theresienstadt, das die Nazi-Propaganda als „Altersghetto“ verniedlichte, in Wahrheit aber ein „Vorhof zur Hölle“ war (Carlo Ross),. Am 17. Februar 1943 starb er.

Für die Nazi-Bürokraten war die Akte Paul Hirsch damit noch nicht geschlossen. Am 8. März 1944 fragten sie beim Finanzamt Wilmersdorf-Nord nach, „ob und welche Vermögenswerte im einzelnen noch bekannt sind“. Sie fügten hinzu: „Der Jude ist nach Theresienstadt abgeschoben“.

Auch das Fernsprechrechnungsamt meldete sich zu Wort. Dem Oberfinanzpräsidenten Berlin/Brandenburg (Vermögensverwertung) teilte es mit, man habe an Paul Hirsch noch eine „Forderung von 108,— RM, zusätzlich 4 Prozent Zinsen“. Die bitte man zu gegebener Zeit zu überweisen. Diese Bitte lehnte der Herr Oberfinanzpräsident ab.

Recherche und Text: Sönke Petersen
Quellen: Brandenburger Landeshauptarchiv; Entschädigungsamt im LAB; Gottwaldt/Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Carlo Ross: „Im Vorhof zur Hölle“ dtv

Stolperstein Erna Selig

HIER WOHNTE
ERNA SELIG
GEB. MEYERSTEIN
JG. 1890
DEPORTIERT 9.7.1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Erna Selig wurde am 6. Juli 1890 in Gotha im damaligen Sachsen-Coburg-Gotha geboren. Ihr Vater war Oscar Meyerstein, ihre Mutter die Thüringerin Johanna Meyerstein, geborene Holländer aus Bauerbach bei Meiningen. Verheiratet war Erna Selig geborene Meyerstein mit Ludwig Selig, einem 10 Jahre älteren Pferdehändler aus dem unterfränkischen Zeilitzheim (bei Würzburg).

Erna Selig war Hausfrau. Einen eigenen Ausbildungsberuf zu haben, war im konservativen Deutschland des beginnenden 20. Jahrhunderts für Frauen ungewöhnlich. Wann genau das junge Ehepaar nach Berlin zog, ist nicht zu ermitteln. Auf jeden Fall wurde ihre einzige Tochter, Lore, am 8. August 1920 in Berlin geboren. Dort lebte die Familie lange Zeit in der Charlottenburger Wielandstraße 17.

Über das Leben der dreiköpfigen Familie Selig wissen wir wenig. Ludwig Selig wird in den wenig verbliebenen Akten nicht mehr als Pferdehändler, sondern als „Kaufmann“ geführt. Zweifellos aber wurden die Seligs schwer von den antijüdischen Bedrängungen getroffen, die die Nationalsozialisten von Beginn ihrer Herrschaft 1933 ins Werk setzten. Tochter Lore sah 1939 keine Zukunft mehr für sich und emigrierte in die USA.

Auch die fünf Schwestern von Ludwig Selig erfasste der Sturm der jüdischen Verfolgung, der von Jahr zu Jahr bedrohlicher wurde: Vier von ihnen wanderten gerade noch rechtzeitig aus: Cilly (später mit Nachnamen Wenk) nach England, Henny (Reich) nach Tel Aviv, Amalie (Friedberg) nach Polen, Anna (Stolle) nach London, Die fünfte, Sofie (Rosenbaum) verstarb in Deutschland.

Das Ehepaar Selig blieb in Berlin. Zunächst noch in der Wielandstraße 17. Am 2. Mai 1942 starb dort, 62jährig, Ludwig Selig. Ob an einer Krankheit, einem Unfall oder durch Suizid, wissen wir nicht. Seine Witwe Erna zog daraufhin zu ihrer Mutter Johanna Meyerstein in ein möbliertes Zimmer in der Hektorstraße 15.

Allerdings nur für sehr kurze Zeit: Am 9. Juli 1942 wurden Mutter und Tochter mit dem 18. sog. Alterstransport von Berlin ins „Altersghetto“ Theresienstadt deportiert. Dort blieben sie nur etwas mehr als zwei Monate. Denn sie standen auf der Todesliste für das Vernichtungslager Treblinka. Dort wurden Erna Selig und Johanna Meyerstein am 19. September 1942 ermordet. (Siehe auch Biografie für Johanna Meyerstein).

Text und Recherche: Sönke Petersen
Quellen: Brandenburger Landeshauptarchiv; Entschädigungsamt im LAB; Gottwaldt/Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Johanna Meyerstein

HIER WOHNTE
JOHANNA
MEYERSTEIN
GEB. HOLLÄNDER
JG. 1868
DEPORTIERT 9.7.1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Johanna Meyerstein wurde am 14. Juni 1868 im thüringischen Bauerbach (Meiningen) als Johanna Holländer geboren. Sie heiratete Oscar Meyerstein, der sechs Jahre älter war als sie und aus der Umgebung von Gotha stammte. Über seinen Beruf ist uns nichts bekannt. Für Johanna ist in den Unterlagen des Entschädigungsamtes Berlin „Hausfrau“ eingetragen.

Das Ehepaar bekam, in Gotha lebend, zwei Kinder: Die Tochter Erna am 6. Juli 1890 und fünf Jahre später, am 12. März 1895, den Sohn Kurt. Der wurde nur 23 Jahre alt. Er starb am 8. Juni 1918 an seinen Kriegsverletzungen im Ersten Weltkrieg im Bayerischen Feldlazarett Nr. 53. Tochter Erna, die seit ihrer Hochzeit mit dem Kaufmann Ludwig Selig Erna Selig hieß, wurde im Juli 1942 erst nach Theresienstadt deportiert und zwei Monate später in Treblinka ermordet. (Siehe Biografie Erna Selig auf dieser Seite).

Am 7. Februar 1933 starb Johanna Meyersteins Ehemann Oscar, 71jährig, in Gotha. Für seine Witwe war dies der Anlass, zu ihrer Tochter Erna in die Wielandstraße 17 in Berlin-Charlottenburg zu ziehen. Später wechselte sie nach Halensee in die Hektorstraße 15.

Spätes Glück war ihr nicht beschieden: Infolge der zunehmenden Drangsalierung jüdischen Lebens durch die Nazis flüchtete 1939 ihre einzige Enkelin Lore Selig aus Berlin in die USA; drei Jahre später, im Mai 1942, starb der Schwiegersohn Ludwig Selig. Daraufhin zog dessen Witwe Erna zu ihrer Mutter in die Hektorstraße.

Auf diese Adresse hatte bereits die Gestapo den Blick gerichtet. Am 7. Juli 1942 wurde Johanna Meyerstein zusammen mit ihrer Tochter Erna Selig verhaftet und am 9. Juli in das „Altersghetto“ Theresienstadt deportiert. In diesem „Stall vor dem Schlachthaus“ – so die Schriftstellerin und Theresienstadt-Überlebende Ruth Klüger – blieben Mutter und Tochter etwas mehr als zwei Monate. Mitte September mussten sie ein weiteres Mal in einen Todeszug steigen: Sein Ziel war das Vernichtungslager Treblinka. Dort wurden Johanna Meyerstein und ihre Tochter Erna Selig am 19. September 1942 ermordet.

Text und Recherche: Sönke Petersen
Quellen: Brandenburger Landeshauptarchiv; Entschädigungsamt im LAB; Gottwaldt/Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Nathan Oberzimmer

HIER WOHNTE
NATHAN
OBERZIMMER
JG. 1884
DEPORTIERT 3.10.1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Nathan Oberzimmer wurde am 15. Februar 1884 in Bad Kissingen geboren. Seine Eltern waren Mayer (?) Oberzimmer und Fanny Oberzimmer, geborene Berliner. Beide stammten aus Bad Kissingen und betrieben vermutlich einen Viehhandel. Nathan hatte eine Schwester, Laura, die in den späten 30er Jahren nach Amerika (New York) auswanderte und dort 1943 starb. Außerdem gab es einen sechs Jahre jüngeren Bruder Theobald. Der starb 50jährig am 11. Mai 1940 an einem Gehirntumor in einem Berliner Krankenhaus.

Nathan Oberzimmer war unverheiratet und kinderlos. Zusammen mit seinem Bruder Theobald, der ebenso wie er selbst Kaufmann und Viehzüchter gelernt hatte, baute er in Stolp in Pommern eine Viehzucht und einen Viehhandel auf. Für das Geschäft standen ausgedehnte Weidegebiete und Stallungen zur Verfügung. Die Brüder waren teils zu Pferde, teils mit dem Auto zur Inspektion der Weidegelände unterwegs, schrieb später Martin Walter, ein Neffe von Nathan, in seinem Entschädigungsantrag an das Entschädigungsamt in Berlin.

Im August 1935 traf die Brüder ein schwerer Schlag: Nach einem schweren Autounfall wurde Nathan zum Invaliden. Zwei Jahre lag er in einem Krankenhaus in Deutsch-Krone, auch Theobald erlitt erhebliche Verletzungen. Parallel nahmen die antijüdischen Anfeindungen und Boykott-Maßnahmen aus der Verwaltung und Bevölkerung zu. Daraufhin beschlossen die Brüder 1938 den Betrieb in Stolp aufzugeben und nach Berlin umzusiedeln.

Nathan Oberzimmer wohnte zunächst zur Untermiete bei der Familie Sternfeld in der Traunsteiner Straße 10 in Berlin-Schöneberg. Auf Betreiben der Hausbesitzerin, der Victoria Versicherungsgesellschaft, musste er zum 31. Dezember 1938 das Haus wieder verlassen. Bis zu seiner Deportation im Juli 1942 zog er noch zwei Mal um: Erst in die Wielandstraße 17 in Charlottenburg, wo er im Gartenhaus Parterre von Erna Selig ein 18 Quadratmeter großes Zimmer mietete, später folgte er Erna Selig in die Hektorstraße 15 in Berlin-Halensee. Dort bezog er ein kleines Untermiet-Zimmer.

Am 1. Oktober 1942 kam die Gestapo in die Hektorstraße. Wie alle deportierten Juden wurde Nathan Oberzimmer zu einer „Vermögenserklärung“ gezwungen. Viel schrieb er nicht auf den amtlichen Vordruck: „1 Kleiderschrank, 1 Schreibtisch, 1 Ledersessel, 1 Nachttisch, 1 Bettstelle“. Der amtliche Gerichtsvollzieher schätzte das Inventar später auf 599,75 Reichsmark.

Zwei Tage später wurde Nathan Oberzimmer mit dem sogenannten „dritten großen Alterstransport“ (Zugnummer „Da 523“) nach Theresienstadt deportiert. Hier, im „Vorhof zur Hölle“ (Carlo Ross), den die Nazis als Vorzeige-Altersghetto hinzustellen suchten, verblieb er knappe zwei Jahre. Krank und geschwächt musste er im Oktober 1944 erneut einen Zug besteigen. Dessen Ziel war Ausschwitz. Dort wurde Nathan Oberzimmer am 19. 10. 1944 ermordet.

Für die Nazis war die Akte Nathan Oberzimmer damit noch nicht geschlossen. In der Vermögenserklärung hatten sie einen für sie interessanten Besitz-Vermerk entdeckt: „Ein Acker am unteren Sinnberg in Bad Kissingen“. Diverse Behörden wurden alarmiert. Dann war das Ziel erreicht: „Das Grundstück wird eingezogen und dem Staat übertragen“.

Text und Recherche: Sönke Petersen
Quellen: Brandenburger Landeshauptarchiv; Entschädigungsamt im LAB; Gottwaldt/Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Carlo Ross: „Im Vorhof zur Hölle“, dtv