Stolpersteine Bismarckstraße 108

Hausansicht Bismarckstr. 108

Diese Stolpersteine wurden von Kerstin Pohle (Luxemburg/Berlin) gespendet und am 21.4.2016 verlegt. Die Spenderin ist mit Bruno und Meta Pohle nicht verwandt, aber namensgleich.

Stolperstein Bruno Pohle

HIER WOHNTE
BRUNO POHLE
JG. 1895
DEPORTIERT 26.10.1942
RIGA
ERMORDET 29.10.1942

English Version of the short biography below.
Bruno Pohle wurde am 16. September 1895 in Schwerin an der Warthe in eine jüdische Familie geboren. Mit seinen Eltern Adolf und Lina siedelte er 1900/1901 nach Berlin um. Die erste Adresse war eine Neubauwohnung in der Pariser Straße. Die Familie zog in den Folgejahren mehrmals um und wurde schließlich 1914 in der Flensburger Straße sesshaft.

Bruno folgte seinem Vater Adolf in den Kaufmannsberuf. Der Vater war zuletzt Prokurist bei den Ostelbischen Spritwerken; er starb 1928. Bruno gründete 1932 ein Autohaus in der Bismarckstraße 108; u.a. vertrieb er BMWs. BMW hatte erst 1929 mit der Produktion von Automobilen begonnen, zunächst unter Lizenz von Austin Seven.

Kurz darauf bezog Bruno eine Wohnung im Haus oberhalb seiner Geschäftsräume und nahm seine Mutter bei sich auf. Erst Jahre später kam Lina in ein Altersheim; möglicherweise lernte Bruno dort seine spätere Frau Meta kennen.

1939 wurde Brunos Autohaus „arisiert“ und er enteignet. Er bewohnte jedoch weiterhin die Wohnung in der Bismarckstraße 108 und musste so hautnah erleben, wie sein Unternehmen nun von anderen betrieben wurde. In den Folgejahren arbeitete Bruno als Koch bei der Jüdischen Kultusvereinigung zu Berlin. Nach eigenen Angaben war er dort zwar „unbesoldet“, aber mit „freier Verpflegung, Fahrgeld und Wäsche“ beschäftigt. In der Deportationsliste wurde – wie bei den meisten anderen Deportierten – vermerkt, er sei ohne Beruf.

Bruno und Meta heirateten 1942. Beide blieben kinderlos. Am 8. Oktober 1942 mussten Bruno und Meta Pohle zwangsweise in die Philippistraße 8 umziehen. In ihrer beschlagnahmten Wohnung hinterließen sie eine gediegene Einrichtung, die auf eher wohlhabende Verhältnisse schließen lässt. Obergerichtsvollzieher Hauke listete am 12. April 1943 das verwertbare Inventar auf, darunter einen „Bauernbackensessel“ und eine Kaminuhr, ein Ölgemälde in Goldrahmen, handgearbeitete Kissen, Hutschachteln und „div. Reisekoffer in vd. Größen“. Den Wert bezifferte er auf 3.480 Reichsmark; für seine Schätzung berechnete er 73,10 RM.

Am 20. Oktober 1942 wurde von der Gestapo bei der Jüdischen Kultusvereinigung zu Berlin eine “Gemeindeaktion” durchgeführt; Ziel war, die Zahl der 1.580 Mitarbeiter der Jüdischen Gemeinde Berlins schlagartig um ein Drittel zu dezimieren. Die bei dieser Aktion identifizierten 533 Mitarbeiter und 328 Angehörigen wurden zur Deportation mit dem 22. Osttransport bestimmt. Am 26. Oktober 1942 wurden Bruno und Meta mit 798 weiteren Deportierten in Güterwaggons nach Riga gebracht. Wer die dreitägige Fahrt trotz Kälte und Hunger überlebt hatte, wurde noch am Tag der Ankunft in einem Wald bei Riga erschossen und in Massengräbern verscharrt.

Die Mutter Lina Pohle, die zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus an der Artilleriestraße lag, schrieb am 2. Dezember 1942 in einem Brief, ihre Schwiegertochter habe einige Kleidungsstücke von ihr verwahrt, die sie benötige. Die Schwiegertochter sei aber „durch plötzliche Abwanderung gehindert“, ihr diese Sachen zu bringen, also bitte sie „ergebenst um Freigabe“. Das ist die letzte bekannte Spur dieses Familienzweigs der Pohles; Lina entging wohl nur aufgrund ihrer Gebrechlichkeit der Deportation. Über 15.000 Berliner Juden wurden auf 123 sogenannten „Alterstransporten“ nach Theresienstadt deportiert.

Recherche und Text: Kerstin Pohle, ergänzt von Helmut Lölhöffel

Bruno Pohle was born on 16 September 1895 in Schwerin / Warthe into a Jewish family. His parents Adolf and Lina moved to Berlin 1900/1901. The family’s first address was a newly built apartment house on Pariser Straße. After moving several times during the following years, the family settled down in Flensburger Straße in 1914.

Like his father, Bruno became a merchant. Towards the end of his professional life, the father was registered manager of Ostelbische Spritwerke; he died in 1928. Bruno founded a car dealership in 1932 at Bismarckstraße 108; among others he sold BMWs. BMW had begun producing automobiles just a few years before, in 1929, initially under license from Austin Seven. Shortly afterwards Bruno moved into an apartment above the business premises; he also put up his mother. Years later, Lina moved to a retirement home; possibly that is where Bruno met his future wife Meta.

Bruno’s car dealership was expropriated in 1939. As he continued to reside in the apartment at Bismarckstraße 108, he had to witness how his business was now operated by others. In the following years Bruno worked as a cook at the Jewish Religious Association in Berlin. According to his own records, he was paid no salary for this work, but he was provided with food and received laundry services and travel expenses. On the deportation list – as with most other deportees – it was noted that he was without a profession.

Bruno and Meta married in 1942. They remained without any children. On October 8, 1942 Bruno and Meta were forced to move to the Philippistraße 8. In their confiscated apartment they left behind distinguished furnishings and equipment, indicating a rather affluent setting. High Court Attorney Hauke listed the usable inventory on April 12, 1943, including a wing chair and a fireplace clock, an oil painting in a gold frame, handmade pillows, hat boxes and “several suitcases of different sizes”. He estimated the value at 3.480 Reichsmarks; for his estimate he deducted 73,10 RM.

On October 20, 1942, an “Aktion” against the Jewish community workers was carried out by the Gestapo at the Jewish Religious Association in Berlin; the aim was to reduce the number of the 1,580 employees of the Jewish Community of Berlin by a third at one go. The 533 employees and 328 relatives identified in this “Aktion” were designated for deportation on the 22nd “Osttransport”. On October 26, 1942 Bruno and Meta were deported to Riga on a freight train together with 798 other deportees. Those who survived the three-day journey despite the cold and hunger were shot dead on the day of their arrival in a forest near Riga and buried in mass graves.

Mother Lina Pohle, who was at the hospital on Artilleriestraße at that time, wrote in a letter on December 2, 1942 that her daughter-in-law had kept some of her clothes which she now needed; however, the latter was “prevented” from bringing these items “because of sudden emigration”. She asked for her clothes to be released. This is the last known trace of this branch of the Pohle family. Lina apparently escaped deportation only because of her frailty; more than 15,000 Jews from Berlin were deported to Theresienstadt on 123 so-called “age transports”.

Kerstin Pohle, complemented by Helmut Lölhöffel

Stolperstein Meta Pohle

HIER WOHNTE
META POHLE
GEB. SILBERSTEIN
JG. 1898
DEPORTIERT 26.10.1942
RIGA
ERMORDET 29.10.1942

English Version of the short biography below.
Meta Pohle geb. Silberstein wurde am 15. April 1898 als ältestes überlebendes Kind von Schmul und Ernestine Silberstein in Neumark (Nowe Miasto) bei Löbau / Westpreußen geboren. Nach der Geburt zweier weiterer Kinder siedelte die Familie nach Berlin um. Einer der Brüder war Hermann; der andere starb als junger Mann an einer Lungenentzündung. Genau an Metas 9. Geburtstag kam noch ein Zwillingspärchen zur Welt, Bianka und Martin.

Metas Vater war selbständiger Kaufmann in der Bekleidungsindustrie; die Familie war wohlsituiert und bewohnte eine große Wohnung in der Fritschestraße in Charlottenburg. Der älteste Bruder Hermann etablierte sich selbst bald als erfolgreicher Kaufmann und Hersteller von Damenkonfektionen. Er vergrößerte seine Ladengeschäfte mehrmals und hatte zuletzt rund 10 Angestellte. Am 10. November 1938 erlebten er und sein Vater in seinem Ladengeschäft an der Kronenstraße im Konfektions-Viertel die Reichspogromtage. Hermann entkam dem knüppelnden Mob nur knapp mit schwersten Kopfverletzungen; blutüberströmt wurde er von einem Taxifahrer in ein Krankenhaus gebracht. Hermann überlebte, aber ertaubte aufgrund innerer Blutungen fast völlig; sein Geschäft wurde geplündert und zerstört. Das wenige, das sein Vater mit viel Mühe noch retten konnte, insbesondere aus dem Warenlager, musste auf Anordnung kurz später zu Schleuderpreisen verkauft werden.

Dies dürfte eines der einschneidendsten Erlebnisse der Familie gewesen sein, das nicht nur den Höhepunkt von systematischer Entrechtung und Demütigung markierte, sondern auch den Beginn eines drastischen sozialen Abstiegs und des Zerfalls der Familie. Hermann, Martin und Bianka gelang zwischen 1938 und 1940 die Flucht ins Ausland; später nahmen alle drei den Familiennamen „Spencer“ an. Bianka lebte fortan als Bianca Spencer in London. Hermann floh zunächst nach Shanghai; nach fast 10 Jahren Exil wurde bekam er die Einreisegenehmigung in die USA. Als Herman Spencer lebte er zunächst in New York und zog schließlich nach San Francisco. Martin Spencer gelang es, direkt in die USA auszuwandern; seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Los Angeles. Aller dreier Weg blieb aber bis zum Ende sehr steinig, geprägt vom Verlust ihrer Existenz und fehlenden beruflichen Perspektiven, wirtschaftlichen Notlagen und erheblichen verfolgungsbedingten gesundheitlichen Problemen.

Meta blieb als einzige der Geschwister in Deutschland, vermutlich um sich um ihre Eltern zu kümmern. Meta war bereits einmal verheiratet, als sie Bruno kennenlernte. Als „letzte Beschäftigung“ gab Meta Pohle in der von ihr verlangten Vermögenserklärung an, sie habe für 40 Reichsmark netto im Monat im jüdischen Altersheim Artilleriestraße 31 gearbeitet. Dort war Brunos Mutter Lina untergebracht. Sie heirateten 1942. Kurz darauf, am 8. Oktober 1942, zogen Bruno und Meta Pohle zwangsweise in die Philippistraße 8 um. Nur zwei Wochen später, am 26. Oktober 1942, wurden Bruno und Meta mit 798 weiteren Menschen in Güterwaggons gepfercht und nach Riga gebracht. Sofern sie die dreitägige Reise überlebten, wurden sie noch am Tag der Ankunft in einem Wald bei Riga durch Erschießen ermordet.

Metas Eltern mussten die Deportation ihrer Tochter noch miterleben. Damit war ihr Leid aber nicht beendet. Weniger als zwei Monate später, am 16. Dezember 1942, wurden sie in einem der 123 sogenannten Alterstransporte nach Theresienstadt deportiert. Die Mutter starb im August 1943 angeblich an einer „Herzmuskelentartung“; der Vater überlebte bis zum Mai 1944.

Stolpersteine für Metas Eltern, Hermann, Bianka, Martin und dessen Frau Kato wurden am 25.2.2020 vor dem Haus der Familienwohnung in der Fritschestraße 54 verlegt.

Recherche und Texte: Kerstin Pohle

Meta Pohle, b. Silberstein, was born on 15 April 1898 as the eldest surviving child of Schmul and Ernestine Silberstein in Neumark (Nowe Miasto) near Löbau / West Prussia. After the birth of two other children, the family moved to Berlin. One of the brothers was Hermann; the other died from pneumonia as a young man. Exactly on Meta’s 9th birthday the twin siblings Bianka and Martin were born.

Meta’s father was a self-employed in the clothing business; the family was well-to-do and lived in a large flat in Charlottenburg’s Fritschestraße. The eldest brother Hermann soon established himself as a successful merchant and manufacturer for women’s garments. He enlarged his stores several times and at last count had around 10 employees. On November 10, 1938, he and his father experienced the “Reichspogromnacht” in his store on Kronenstraße in the clothing district. Hermann narrowly escaped the cudgeling mob with severe head injuries; covered in blood, he was taken to a clinic by a taxi driver. Hermann survived, but nearly deafened due to inner bleeding; his store and warehouse were looted and destroyed. The few items that his father barely managed to save from destruction were ordered to be sold by the authorities way below value a short time later.

This may have been one of the most dramatic experiences the family had to suffer, marking not only the climax of systematic deprivation of rights and humiliation, but also the onset of drastic social decline and the disruption of the family. Hermann, Martin and Bianka managed to flee from Germany between in 1938 and 1940. Later, all three took on the family name “Spencer”. Bianka lived on in London as Bianca Spencer. Hermann first fled to Shanghai; after nearly 10 years in that exile he was permitted to immigrate to the United States. As Herman Spencer he first lived in New York and finally moved to San Francisco. Martin Spencer managed to emigrate to the US directly; during his last years he lived in Los Angeles. All three surviving siblings’ lives remained heavily encumbered by the loss of livelihood and lack of career prospects, economic hardships and significant persecution-related health problems.

Meta was the only sibling remaining in Germany, presumably to take care of her parents. Meta was divorced when she met Bruno. Her last employment was at the Jewish retirement home Artilleriestraße 31, where Bruno’s mother was accommodated during her last years. Meta and Bruno married in 1942. Shortly afterwards, on October 8, 1942, they were forced to move to Philippistraße 8. Only two weeks later, on October 26, 1942, the couple was crammed into a freight train with 798 other people and taken to Riga. Those, who had survived the three days’ journey, were shot dead in a forest near Riga on the day of their arrival.

Meta’s parents had to witness the deportation of their daughter. But their suffering would not end there. Less than two months later, on 16 December 1942, they were deported to Theresienstadt in one of the 123 so-called “Alterstransporte”. The mother died from an alleged “heart muscle degeneration” in August 1943; the father survived until May 1944.

Stolpersteine for Meta’s parents, Hermann, Bianka, Martin and his wife Kato will be laid in front of the family home in Fritschestraße in 2019.

Kerstin Pohle