Kurt Weinmann war, was alle wussten, die ihn kannten, ein wohlhabender Mann mit hohem Lebensstandard. Er war Mitinhaber des Geschäfts Gebr. Weinmann am Spittelmarkt. Spezialität dieses Unternehmens war die Umorganisation und Modernisierung von Betrieben. In einem dazugehörigen Laden wurden auch Büroeinrichtungen und -artikel wie Rechenmaschinen und Adressierautomaten verkauft.
Nach der Weltwirtschaftskrise 1931 brach die Firma jedoch zusammen. Kurt und Eva Weinmann waren gezwungen, in bescheideneren Verhältnissen zu leben. Nach dem Tod ihres Mannes musste sie mit den Resten des Vermögens und den Erlösen der Vermietung eines Teils ihrer Wohnung auskommen. Bis 1934 hatten sie in Spandau in der Wörther Straße 47 und in der Franzstraße 17 gewohnt. Dann zog sie nach Grunewald in die die Jagowstraße 1-3.
Eva wollte Berlin nicht verlassen, weil sie zunächst ihren todkranken Mann pflegte und später die Flucht ihrer 14-jährigen Tochter mit einem Kindertransport nach England organisieren musste. Danach war es für Eva selbst zu spät. Sie musste ihre Einrichtung „verschleudern“, wie das Entschädigungsamt später festhielt, „vor ihrer Deportation hat sie ihren gesamten Besitz teils aus Not, teils aus Zwang verkaufen müssen“.
Sie hielt sich an verschiedenen Orten auf und versteckte sich bei anständigen Bekannten. Eines Tages fand sie sogar eine Beschäftigung in einer Wäscherei, wo sie früher zu besseren Zeiten Kundin gewesen war. Ein Bediensteter an einem der Orte, wo sie sich vorübergehend niedergelassen hatte, schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg an Evas Sohn Klaus, plötzlich sei sie aufgebrochen – womöglich, um ihre Gastgeber nicht in Bedrängnis zu bringen.
Ihre letzte Adresse war in den Meldeunterlagen der Polizei mit Ringbahnstraße 5 angegeben. Dort wohnte sie, allerdings nur kurze Zeit vor der Deportation, in einem möblierten Zimmer bei Martha Pincus und war Zwangsarbeiterin. Deren Haushälterin Veronika Kaczmarek schrieb später auf: „Sie arbeitete ab 5 Uhr morgens in einer Fabrik und kam erst spät nachmittags nach Haus.“
Eva wurde eines Tages geschnappt und am 29. November 1942 aus der Sammelstelle Große Hamburger Straße 26 zum Güterbahnhof Moabit gebracht, wo sie in einen Zug der Reichsbahn gesteckt wurde, der 998 Menschen nach Auschwitz deportierte.
In der Jagowstraße 1-3 wohnte auch Kurt Weinmanns Bruder Alfred, also ihr Schwager. Er flüchtete am 14. Oktober 1939 in die Niederlande und ist am 27. März 1944 in Amsterdam ums Leben gekommen.
Eva Weinmann hatte in der Jagowstraße zwei Schwestern als Untermieterinnen: Gertrud Saul, geboren am 23. Dezember 1881 in Berlin, und Edith Saul, geboren am 6. Dezember 1890 in Berlin. Beide sind kurz vor ihr am 26. Oktober 1942 nach Riga deportiert und dort am 29. Oktober erschossen worden. Martha Pincus, geboren am 20. September 1862 in Filehne (Wielen), wurde am 28. September 1942 im Alter von über 80 Jahren in Theresienstadt umgebracht.
Tochter Ulla führte mit ihren Halbgeschwistern Ursula und Klaus seit 1954 ein entwürdigendes Verfahren, das sich über fünf Jahre hinzog und damit endete, dass sie eine Entschädigung von 5826 D–Mark zugesprochen bekamen.
Text: Helmut Lölhöffel mit Informationen von Prof. Stephen Eisenstein (Oswestry, Großbritannien); Entschädigungsamt Berlin