Stolpersteine Konstanzer Straße 65

Hausansicht Konstanzer Str. 65 / Olivaer Platz 1

Die Stolpersteine für Isidor und Laura Gotthilf wurden auf Wunsch der in Großbritannien lebenden Enkelin Judy Rowse von der SPD Wilmersdorf-Nord und der Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf gespendet und am 19.5.2015 am Eingang des Hotels Citadines verlegt. Judy Rowse und ihr Mann Alan sowie die Enkel Peter Uri and Shoshana Gotthilf aus Israel waren anwesend. Im Foyer des Hotels wurde ein Bild mit Informationstext aufgehängt.

Stolperstein Isidor Gotthilf

HIER WOHNTE
ISIDOR GOTTHILF
JG. 1866
DEPORTIERT 26.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 24.2.1943

Isidor Gotthilf wurde am 27. März 1866 in Hammerstein (Kreis Schlochau, Westpreußen) geboren. Verheiratet war er mit Laura Gotthilf, geb. Placzek, geboren am 17. Juli 1874 in Nakel (Naklo, Bezirk Posen/Poznan). Sein Schicksal dokumentiert die schrittweise Zerstörung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Existenz eines Unternehmers jüdischen Glaubens bis zur physischen Deportation und Ermordung durch die Nationalsozialisten.

Isidor Gotthilf war Kaufmann für Agrarpodukte. 1906 gründete er in der Oranienburger Straße 69 eine Firma für „Getreide-, Futter- und Düngemittel, Sämereien, Wolle“, seit 1916 stand er im Adressbuch am Olivaer Platz 1 unter „Getreide-, Futter- und Düngemittel“, seit 1921 bis 1939 nur noch mit dem Zusatz „Getreide“. Der Verein Berliner Getreide- und Produktenhändler e.V. bestätigte 1954, dass Isidor Gotthilf über ein umfangreiches und gut gehendes Geschäft verfügte. Sein Sohn Heinz war dort angestellt. Seit 1915 befand sich der Betrieb in einer großen Wohnung im Gebäude Olivaer Platz 1, hatte eine Börsenzulassung, eine eigene Bankabteilung im Betrieb, Kundschaft mit Großgrundbesitz und zeitweise eine Niederlassung in Aachen. Er wurde Mitglied in der Berliner Bank- und Getreidebörse. Die Zulassung an der Börse wurde ihm als Jude 1933 entzogen, seine Kundschaft blieb weg, weil sie keine Geschäfte mehr mit Juden machen durfte. Damit war ihm die Geschäftsgrundlage entzogen. 1939 musste er sein Geschäft aufgeben, 1941 wurde es liquidiert.

Ohne weiteres Einkommen lebte die Familie seit 1933 von dem wohl ansehnlichen Vermögen. Die erwachsenen Kinder verließen Deutschland noch in der ersten Hälfte der 1930er Jahre – Heinz nach Palästina (über Litauen), Greta nach Großbritannien.

Als Wohnung war, ebenfalls bis 1939, die Konstanzer Straße 65 angegeben. Das Ehepaar ließ seine wohl wertvolle Wohnungseinrichtung im Hamburger Freihafen einstellen, um selbst noch 1939 nach Palästina oder England auszuwandern. Der Kriegsbeginn und das Verbot der Ausreise für jüdische Familien verhinderten dies. Isidor und Laura Gotthilf mussten auch die letzten Räume als Wohnung aufgeben. Sie mieteten am 1. Januar 1941 für 60 Reichsmark ein Leerzimmer bei Ernst Wolff in der Xantener Straße 20 im 2. Stock des Vorderhauses mit Balkon. Von dort wurden sie 1942 abgeholt.

Am 1.8.1942 erließ die Gestapo die Einziehungsverfügung für das gesamte noch verbliebene Vermögen und übertrug es aufgrund des mit der Vereinigung der Juden abgeschlossenen Heimeinkaufsvertrags auf eine neue Bank einschließlich einer Kriegsanleihe.
Das Sparbuch mit 300 RM Guthaben wurde gesperrt. Das Zimmer wurde am 30.12.1942 geräumt. Aus der noch im Sammellager auszufüllenden Inventarliste geht hervor, dass sie nicht mehr viel besaßen: einen Polstersessel (defekt), eine Brücke (defekt), einen Bücherschrank, einen Waschtisch mit Marmorplatte auf dem Balkon. Für alles zusammen bezahlte ein Händler namens Wilhelm Zimmermann auf der von den Nazis angeordneten Versteigerung den vom Obergerichtsvollzieher berechneten Wert von 317,70 RM, die dem Staat zufielen.
In ihren Vermögenserklärungen, die sie im Sammellager an der Großen Hamburger Straße am 22.8.1942 ausfüllen mussten, machten Isidor und Laura Gotthilf keinerlei Angaben über Vermögen und Besitz – sie waren vollständig ausgeraubt worden. Die Behörden führten allerdings noch ausführliche Schriftwechsel. Am 7.10.1943 – als Isidor Gotthilf schon tot war – fragte die Oberfinanzdirektion nach, wo er „verblieben“ sei, worauf das Polizeipräsidium (Meldeamt, Abteilung II) antwortete: „nach Theresienstadt überführt“. Die Reichshauptkasse bemühte sich am 26.10.1943 mit enormem bürokratischem Aufwand (Urschrift und acht Anlagen!) um Wertpapierverzeichnisse, die Geheime Staatspolizei wurde „um Prüfung und Feststellung der Abschiebung“ gebeten. Das Finanzamt Wilmersdorf führte noch 1947 eine Steuerschuld über 5 RM.

Isidor und Laura Gotthilf wurden am 26. August 1942 am Anhalter Bahnhof in einen Zug, von den Nazibehörden als „51. Alterstransport“ registriert, gesetzt, der sie mit 100 anderen Juden nach Theresienstadt brachte. Isidor Gotthilf starb dort am 24. Februar 1943, der Totenschein) verzeichnet „Enteritis/Darmkatarrh“ als Ursache – eine Umschreibung für Unterernährung und hygienische Missstände. Laura Gotthilf wurde am 16. Mai 1944 aus Theresienstadt nach Auschwitz weitertransportiert (http://www.holocaust.cz/databaze-obeti/obet/12700-laura-gotthilf/) und dort ermordet, der Todestag ist unbekannt.

1952 leiteten die Erben Heinz und Grete Gotthilf aus Tel Aviv/Israel und London Entschädigungsverfahren ein, die sich bis 1957,1959 und 1971 hinzogen. Heinz kehrte 1954 nach Berlin zurück, seine Adressen waren Pariser Straße 6 und Konstanzer Straße 3, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Er starb 1959 in Tel Aviv.

Recherchen und Text: Monica Schümer-Strucksberg und Helmut Lölhöffel
Quellen: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam; Archiv Landesamt Berlin für Entschädigungsfragen; Berliner Adressbücher; Deportationsliste; Opferdatei Theresienstadt; Humboldt-Universität Berlin: Jüdische Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945

Stolperstein Laura Gotthilf

HIER WOHNTE
LAURA GOTTHILF
GEB. PLACZEK
JG. 1874
DEPORTIERT 26.8.1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET