Stolpersteine Bleibtreustraße 17

Hausansicht Bleibtreustr. 17

Diese Stolpersteine wurden am 14. April 2015 verlegt. Gespendet wurden sie auf Initiative von Marianne Geitel von ihren Töchtern Franziska Solbach (Mainz) und Katharina Barlieb sowie von Karl-Hermann Reith (Sonnenberg).
Der Stolperstein für Lucie Adelsberger wurde am 6. Mai 2022 verlegt und vom Marburger Bund, Landesverband Berlin-Brandenburg gespendet.

Stolperstein Margarethe Zacharias

HIER WOHNTE
MARGARETHE
ZACHARIAS
GEB. HERMANN
JG. 1885
DEPORTIERT 16.6.1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Margarethe Zacharias geb. Herrmann (nicht zu verwechseln mit Margarete Zacharias, die im selben Haus wohnte) wurde am 2. April 1884 in Bütow (Pommern) geboren. Sie war von ihrem Mann geschieden und wohnte am Tag einer Volkszählung, dem 17.5.1939, in der Bleibtreustraße 17 in Charlottenburg.

Vor ihrer geplanten Deportation musste Margarethe Zacharias, wahrscheinlich weil die Nationalsozialisten ihre Wohnung beanspruchten und sie hinauswarfen, in die Oranienburger Straße 26 umziehen. Aus diesem Haus neben der Synagoge wurden zahlreiche jüdische Menschen, die dort wohnten, zur Deportation abtransportiert.

Am 16. Juni 1943 war Margarethe Zacharias unter den 429, die vom Berliner Güterbahnhof Moabit nach Theresienstadt in Böhmen ins Ghetto deportiert wurden. Auf der Deportationsliste war sie als „Schreibkraft bei Behörde (Gestapo IV D 1)“ eingetragen. Die meisten Insassen dieses Zuges waren Patientinnen und Patienten des Jüdischen Krankenhauses an der Iranischen Straße in Moabit, das an diesem Tag geräumt wurde. Mit 1600 Menschen aus Theresienstadt ist Margarethe Zacharias dann am 9. Oktober 1944 nach Auschwitz weiterdeportiert worden, wo sie ermordet wurde.

Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf. Quellen: Bundesarchiv

Stolperstein Margarete Margot Zacharias

HIER WOHNTE
MARGARETE MARGOT
ZACHARIAS
JG. 1864
DEPORTIERT 3.10.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 4.12.1942

Margarete Margot Zacharias (nicht zu verwechseln mit Margarethe Zacharias, die im selben Haus wohnte) wurde am 3. November 1864 in Königsberg (Ostpreußen) geboren. Sie blieb unverheiratet und war bei der Volkszählung 1939 in der Bleibtreustraße 17 gemeldet. Welchen Beruf sie hatte, ist dem Adressbuch nicht zu entnehmen. In Theresienstadt wurde bei der betagten Frau, die bei ihrem Tod immerhin 76 Jahre alt war, „ohne“ angegeben.

Kurz vor ihrer Deportation musste Margarete Margot Zacharias für eine Weile in die Kantstraße 159 zwangsweise umziehen, vermutlich weil die begehrte Wohnung in der Kudamm-Seitenstraße für einen Nazi-Funktionär gebraucht und ihr weggenommen wurde.

Zunächst hatte sie sich in der Sammelstelle in der Artilleriestraße 31 (heute: Tucholskystraße 40) zu melden. Dort war von der Geheimen Staatspolizei diese Sammelstelle in einer 1904 eingeweihten Synagoge der Gemeinde Adass Jisroel eingerichtet worden. Von dort wurde sie am 3. Oktober 1942 mit 995 Menschen nach Theresienstadt deportiert.

Dort lebte Margarete Margot Zacharias noch zwei Monate. Auf dem Totenschein vom 4. Dezember 1942 stand „Enteritis – Darmkatarrh“ als Todesursache. Dies war in die in Theresienstadt übliche Umschreibung für die Folgen der katastrophalen sanitären Bedingungen, die in dem Lager herrschten.

Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf. Quellen: Bundesarchiv, Theresienstadt-Archiv.

Stolperstein Sidonie Happ

HIER WOHNTE
SIDONIE HAPP
GEB. BLUMENTHAL
JG.1880
DEPORTIERT 5.9.1942
RIGA
ERMORDET 8.9.1942

Sidonie Happ wurde als Sidonie Blumenthal am 17. November 1880 in Wiesbaden geboren. Sie war das jüngste Kind von Gerson Blumenthal und seiner Frau Fanny, geb. Jessel. Sie hatte vier wesentlich ältere Geschwister, Bertha, 1865 geboren, der ein Jahr jüngere Joseph, Siegfried, Jahrgang 1871 und Leo, 1873 geboren. Gerson Blumenthal, 1830 in Holzhausen a.d. Aar auf die Welt gekommen, war zunächst Pferde-, dann auch Kohlenhändler. Er wohnte in der Faulbrunnenstraße 3, später in der Dotzheimer Straße 14. Als Sidonie 16 Jahre alt war, starb ihr Vater, die Mutter drei Jahre später, 1899. Die Kohlehandlung führten die Brüder Joseph und Siegfried weiter, Bertha hatte bereits 1887 den Rentner Joseph Neu geheiratet. Leo war Inhaber der „Kölner Arbeiter-Kleiderfabrik-Niederlage“, Wellritzstraße 10, wohnte aber im Elternhaus in der Dotzheimer Straße.

1900 starb Leo nur 27-jährig und Sidonie übernahm – laut Adressbuch für 2 Jahre – die „Kölner Arbeiter-Kleiderfabrik-Niederlage“ als „Inhaberin“. Sidonie selbst wohnte auch in der Dotzheimer Straße 14. Vielleicht über die Firma begegnete sie dem Ingenieur Max Lachmann, den sie in 1. Ehe heiratete – wann und wo wissen wir nicht genau. Die Berliner Adressbücher verzeichnen Max Lachmann erst ab 1924 als Oberingenieur, wohnhaft am Kurfürstendamm 43, eine vornehme Adresse. Wenige Jahre später, wohl 1928, starb er und die Witwe Sidonie, genannt Sidi, blieb in der Wohnung am Kurfürstendamm. Unbekannt ist, ob sie mit Max Lachmann Kinder hatte.

1930 heirate Sidonie ein zweites Mal, und zwar den Witwer Isidor Happ. Isidor Happ, ursprünglich Kaufmann, war Kassenbeamter der Jüdischen Gemeinde. Er hatte drei erwachsene Kinder von seiner ersten Ehefrau Helene: Leo, Hans und Edith. Isidor Happ zog in Sidonies Wohnung mit ein.

1935 – Isidor Happ hatte wohl das Pensionsalter erreicht – zog das Ehepaar in eine vermutlich kleinere 3 ½ Zimmer-Wohnung in der Bleibtreustraße 17. Im Adressbuch wird Isidor Happ nur noch als Kaufmann bezeichnet. Die Zeiten erlaubten Juden keinen Luxus mehr. Die Nationalsozialisten waren an der Macht, Juden wurden nicht nur offen diskriminiert, ihre sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten wurden eingeschränkt, judenfeindliche Schilder aufgestellt, in- und ausländisches Vermögen musste angegeben werden. Berufsbeschränkungen und –verbote für Beamte, Juristen, Ärzte mögen Isidor Happ nicht mehr direkt betroffen haben, die allgemeine antisemitische Haltung, bekam er sicherlich zu spüren. Die Lage verschärfte sich dramatisch nach den Pogromen vom 9./10. November 1938. Nach einer Quelle soll Isidor Happ auch kurzfristig in Sachsenhausen inhaftiert worden sein. In atemberaubender Folge wurde schon ab 12. November eine große Zahl von Verordnungen erlassen, die auch das Alltagsleben aller Juden betrafen. Eine „Sühnezahlung“ für Juden wurde festgelegt, Schul- und Hochschulbesuch wurde gänzlich untersagt, Bannbezirke und Sperrstunden bestimmt, Wertsachen aber auch Radios und Führerscheine mussten abgegeben werden, über Vermögen konnte nicht mehr frei verfügt werden, Theater-, Kino-, Museen-, Sportplatzbesuche u.ä. wurden Juden verboten, sie durften nur beschränkt öffentliche Verkehrsmittel benutzen, und vieles mehr.

Am 7. März 1941 starb Isidor Happ. So blieben ihm weitere antisemitische Maßnahmen erspart, nicht aber Sidonie. Juden mussten ab September 1941 den Judenstern tragen, sie mussten Pelze und Wollsachen abgeben, sie durften öffentliche Verkehrsmittel gar nicht mehr benutzen, auch keine öffentliche Telefone, sie durften nur noch jüdische Friseure in Anspruch nehmen, mussten Elektrogeräte, Schreibmaschinen u.ä. entschädigungslos und ohne Quittung abliefern, Bücher durften sie nur bei der Reichsvereinigung der Juden kaufen.

Auch die Wohnverhältnisse verschlechterten sich. Viele Juden mussten ihre Wohnungen für Nichtjuden räumen, sie wurden bei anderen Juden als Untermieter eingewiesen. Auch Sidonie musste sich – vielleicht erst nach Isidors Tod – einschränken, sie hatte zwei Untermieterinnen aufzunehmen, Tana Kristeller und Hanna Wolff.

Ende August 1942 musste auch Sidonie Happ die obligate Vermögenserklärung ausfüllen, die der Deportation vorausging. Sie wurde in die als Sammellager missbrauchte Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 gebracht und am 5. September 1942 vom Güterbahnhof Moabit aus mit weiteren 790 Berliner Juden nach Riga deportiert. Dort am 8. September angekommen, wurden nur einige Männer mit handwerklichen Berufen aussortiert, alle anderen sofort erschossen, auch die 61-jährige Sidonie Happ.

Sidonies älterer Bruder Joseph und seine Frau Lina, geb. Schaumburg wurden vier Tage vor Sidonies Deportation am 1. September 1942 per Zug nach Frankfurt gebracht – die Fahrkarte hatten sie selber zu zahlen – und von dort aus nach Theresienstadt deportiert. Vier Wochen später, am 29. September, wurden sie weiter nach Treblinka verschleppt und auf Ankunft ermordet. Der zweite Bruder, Siegfried, war bereits 1936, nachdem er in „Schutzhaft“ genommen worden war, mit seiner Frau Lucie, geb. Altmann in die Niederlande geflüchtet, dort aber schon im Januar 1937 gestorben. Seine Witwe emigrierte weiter nach Südafrika, wo sie aber auch schon 1943 starb. Das Schicksal der älteren Schwester Bertha Neu und ihrem Mann ist nicht bekannt. Da sie nicht in den Gedenkbüchern stehen, kann man hoffen, dass sie nicht durch das NS-Regime umgekommen sind.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Stadtarchiv Wiesbaden; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Recherchen/Text: Micaela Haas

Stolperstein Ottilie Clara Hauck

HIER WOHNTE
OTTILIE CLARA
HAUCK
JG. 1882
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
27.11.1941

Ottilie Clara Hauck wurde am 12. Juli 1882 in Kuttlau/Glogau (heute Kotla) in Schlesien geboren. Wir wissen nichts über ihre Eltern, über ihre Kindheit und Jugend, auch nicht, wann sie nach Berlin kam. Die Adressbücher helfen wenig. Nimmt man in Betracht, dass Töchter oft den Vornamen der Mutter oder Großmutter bekamen, könnte sie die Enkelin oder Tochter der Schneiderin Ottilie Hauck geb. Geller sein, die allerdings schon 1885 verwitwet war. Dann hätte Ottilie Clara eine unruhige Kindheit gehabt, denn die Schneiderin wechselte fast jährlich die Wohnung. Aber diese Abstammung ist ungesichert. Ottilie Clara selbst ist zu keinem Zeitpunkt mit einer eigenen Wohnung eingetragen, sie muss immer bei Verwandten oder zur Untermiete gewohnt haben.

Gesichert ist nur, dass sie bei der Volkszählung im Mai 1939 – ebenfalls zur Untermiete – in der Bleibtreustraße 17 lebte. Zu diesem Zeitpunkt war das Dasein für Juden in Deutschland von der NS-Regierung schon weitgehend unerträglich gemacht worden. Gleich nach ihrer Machtübernahme 1933 hatten die Nationalsozialisten begonnen, Juden systematisch aus allen Berufs- und Wirtschaftszweigen auszuschließen. Zunächst Beamte, dann Juristen, Ärzte und ebenfalls Gewerbetreibende verloren ihre Existenzgrundlage. Aber auch in Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens wurden Juden immer stärker diskriminiert und gedemütigt. Die Nürnberger Gesetze bestimmten, wer als Jude zu gelten hatte und verboten Ehen mit Nichtjuden. Für Juden galten besondere Steuervorschriften, ihr Vermögen hatten sie minutiös anzumelden. Sie bekamen besondere Kennkarten, mussten ihrem Vornamen „Sara“ oder „Israel“ hinzufügen. Nach den Pogromen vom November 1938 wurde die Stigmatisierung und Erniedrigung noch wesentlich verstärkt. Juden konnten nicht mehr frei über ihr Vermögen verfügen, Wertsachen bis hin zu Silberbesteck mussten abgeliefert werden, „zwei vierteilige – gebrauchte – Essbestecke pro Person“ durften sie behalten. Sie durften kein Auto, kein Telefon, kein Radio besitzen, Führerscheine waren abzuliefern. Auftreten in der Öffentlichkeit wurde auf ein Minimum reduziert: kein Konzert, Kino, Theater war Juden erlaubt, Bannbezirke und Bannzeiten wurden festgelegt, in denen Juden sich nicht sehen lassen durften, der Mieterschutz wurde für sie aufgehoben, Pässe mit einem „J“ gekennzeichnet. Dies ist nur eine unvollständige Aufzählung der verfolgungsbedingten Bestimmungen, die Juden das Leben unerträglich machen und sie zur Auswanderung treiben sollten. Gleichzeitig wurde die Emigration aber unter anderem durch Sondersteuern so erschwert, dass sie für viele nicht mehr finanzierbar war.

Bei der obengenannten Volkszählung mussten sich Juden auf besondere Ergänzungskarten eintragen lassen, und darauf angeben, wie viele ihrer Großeltern Juden waren. Trotz des angeblich geltenden Statistikgeheimnisses, wurden diese Daten bei der Verpflichtung von Juden zu Zwangsarbeit ab 1940 und 1941 verwendet. Sehr wahrscheinlich wurde auch Ottilie Hauck zur Arbeit in der Rüstungsindustrie zwangsverpflichtet. 1940 wurde sie auch genötigt, umzuziehen, Juden hatten Wohnraum für Nichtjuden frei zu machen. Ottilie wurde ein Zimmer in der Mommsenstraße 44 zugewiesen.

Mit Kriegsbeginn wurde Emigration praktisch unmöglich, 1941 wurde sie ausdrücklich verboten. Im Oktober 1941 begannen die Deportationen von Berlin aus, zunächst nach Litzmannstadt (Łódź). Obwohl Juden noch kein genaues Bild dessen hatten, was sie dort erwartete, machten sie sich bestimmt keine Illusionen über eine Verbesserung ihrer Lage. Vielleicht hatte Ottilie Hauck bereits die Benachrichtigung ihrer Deportation bekommen, vielleicht befürchtete sie “nur”, diese bald zu erhalten. Dem wollte sie zuvorkommen und noch einmal selbstbestimmt handeln: am 27. November 1941 – dem Tag, an dem der 4. Deportationszug nach Łódź Berlin verließ – nahm sich Ottilie Hauck das Leben. Sie starb im Jüdischen Krankenhaus, die einzige jüdische Einrichtung in ganz Deutschland, die die Nationalsozialisten nicht völlig auflösten, und wurde auf dem jüdischen Friedhof Weißensee, im Gräberfeld V2 in der Reihe 4 beigesetzt.

Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Auskunft Jüdischer Friedhof Weißensee

Stolperstein Margarete Brandes

HIER WOHNTE
MARGARETE
BRANDES
JG. 1909
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Margarete Brandes kam als zweites Kind und einzige Tochter des Kaufmannes Heinrich Brandes am 31. August 1909 in Berlin zur Welt, sehr wahrscheinlich in der damals zu Charlottenburg gehörenden Motzstraße 10. Ihr älterer Bruder Herbert war ein Jahr zuvor, am 9. Juli 1908 geboren worden. Drei Jahre später, am 14. Mai 1912, bekam Margarete noch einen Bruder, Edwin. Da lebte die Familie Brandes bereits in Lichterfelde. Sehr wahrscheinlich war Heinrich Brandes’ zweite Ehefrau Gertrud geb. Cerf Margaretes Stiefmutter, dann wäre die erste Ehefrau, Agnes geb. Sommerfeld, Margaretes Mutter gewesen. Ob die Ehe geschieden wurde oder ob Agnes Brandes starb und wann, wissen wir nicht. Heinrich Brandes war in Berlin geboren und aufgewachsen, er arbeitete als kaufmännischer Angestellter, zeitweise bei einer Bank, zeitweise hatte er ein Installationsbüro in der Hohenstauffenstraße 50. Wann er das zweite Mal heiratete ist unklar. Seine zweite Frau Gertrud Cerf war neun Jahre jünger und stammte aus Leipzig. Ihre Vorfahren waren um die Jahrhundertwende aus dem Elsass nach Leipzig gekommen.

1927 oder 1928 entschloss sich Heinrich Brandes nach Friedrichroda/Kreis Gotha zu ziehen und dort, 52- oder 53-jährig, als Pensionär zu leben. Er hatte in Berlin 1925 ein Mietshaus in der Gitschiner Straße 57 gekauft, und gedachte wohl von den Mieteinnahmen zu leben. Margarete und Edwin, 18- und 15-jährig, zogen mit nach Thüringen, Herbert blieb in Berlin. Er lag mit seinem Vater wegen seiner politischen Ansichten überquer, er war Mitglied der KPD. Heinrich Brandes wohnte in Friedrichroda zunächst in der Schillerstaße 2 und kaufte dann auch hier ein Haus und zwar in der Alexandrinenstraße 31. Er bewohnte mit der Familie einen Teil und vermietete den anderen. Zusätzlich betrieb er einen Kurzwarenkleinhandel.

Die Brandes waren eine von sechs jüdischen Familien in Friedrichroda. Zwei davon hatten ein Hotel und die Ärztin Dr. Leonie Cohn geb. Kawalek betrieb eine Privatklinik, denn Friedrichroda war ein Luftkurort. Nach 1933 wurde auch in Friedrichroda der Antisemitismus immer offensichtlicher. Judenfeindliche Schilder wurden aufgestellt, der Boykott vom 1. April 1933 beeinträchtigte die Geschäftschancen im Ort. 1937 musste Heinrich Brandes unter Zwang sein Berliner Mietshaus verkaufen. Margarete und Edwin fanden in Friedrichroda als Juden keine Arbeit mehr. Edwin hatte eine Ausbildung als Zahntechniker gemacht, was Margarete lernte, wissen wir nicht. Beide beschlossen 1938, nach Berlin zurückzukehren. Die Eltern blieben in Friedrichroda.

Während wir von Edwin wissen, dass er zeitweise in der Sybelstraße wohnte, bleibt unklar, ob Margarete gleich zur Untermiete in der Bleibtreustraße 17 unterkam, wo sie bei der Volkszählung im Mai 1939 erfasst wurde. Unklar ist auch, ob und wo sie Arbeit fand. Für Juden war das mittlerweile auch in Berlin nicht leicht. Nach den Novemberpogromen Ende 1938 waren zudem zahlreiche weitere antijüdische Verordnungen erlassen worden, die Berufstätigkeit, Bewegungsfreiheit und überhaupt den Alltag von Juden drastisch einschränkten. Ab September 1941 wurden sie zusätzlich stigmatisiert dadurch, dass sie den Judenstern tragen mussten. Edwin wurde zur Zwangsarbeit herangezogen und Margarete sicherlich auch, wo ist allerdings unbekannt. In Friedrichroda hatten die Eltern auch unter den antisemitischen Maßnahmen zu leiden. Außerdem beschloss der Bürgermeister,ihr Haus zum „Judenhaus“ zu erklären, in das die wenigen noch in der Stadt verbliebenen Juden ziehen sollten. Am 19 September 1942 wurden Heinrich und Gertrud Brandes mit anderen Juden aus der Gegend in ein Sammellager in Weimar verschleppt und von dort am 20. September nach Theresienstadt deportiert.

Ob Margarete oder Edwin davon erfuhren, wissen wir nicht. Ende 1942 wohnte Margarete in der Solinger Straße 3, bei der Witwe Lane Kadisch. Wie viele Juden, die Wohnraum für Nichtjuden frei machen sollten, war wohl auch sie gezwungen worden, die Bleibtreustraße 17 zu verlassen und in ihr zugewiesene beengtere Verhältnisse zu ziehen. Lane Kadisch, ursprünglich Eigentümerin des ganzen Hauses, war enteignet und etliche Juden in das Haus eingewiesen worden. Im Januar 1943 wurde Margarete Brandes zusammen mit Johanna Jacobson, Else Paradies und Julia Brasch, drei Frauen, mit denen sie vielleicht in der gleichen Wohnung, jedenfalls im gleichen Haus lebte, von der Gestapo in das als Sammellager umfunktionierte jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26 verbracht. Am 29. Januar 1943 wurden alle vier mit weiteren 1000 Juden vom Bahnhof Moabit aus nach Auschwitz deportiert. 140 Männer und 140 Frauen wurden auf der Ankunftsrampe zur Zwangsarbeit in Birkenau ausgesucht, Margarete war unter ihnen. Aber den überaus unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in Birkenau hielt die 33-jährige nicht lange stand: sie erlag ihnen am 1. März 1943.

Den Lebensumständen in Theresienstadt war Margaretes Vater Heinrich Brandes auch nicht lange gewachsen, er starb dort nach 6 Monaten am 22. März 1943, drei Wochen, nach dem Tod seiner Tochter in Auschwitz, von dem er sicherlich nicht mehr erfuhr. Seine Frau Gertrud geb. Cerf wurde ein gutes Jahr später, am 18. Mai 1944 nach Auschwitz weiter deportiert und dort ermordet. Edwin war es gelungen, der „Fabrikaktion“ Ende Februar 1943 zu entkommen, bei der alle noch verbliebenen jüdischen Zwangsarbeiter am Arbeitsplatz zur Deportation festgenommen werden sollten. Er tauchte unter, wurde jedoch Anfang 1944 doch aufgegriffen, am 20. Januar 1944 nach Auschwitz verschleppt und dort am 29. Januar ermordet. Für ihn liegt ein Stolperstein vor der Sybelstraße 25.
Margaretes letzte Vermieterin, Lane Kadisch, geb. Klein aus Poppenhausen in Bayern, Jahrgang 1880, wurde am 26. Februar 1943 ebenfalls nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Margaretes älterer Bruder Herbert war schon 1933 verhaftet und ins KZ Sachsenhausen verbracht worden. Nach einem Jahr entlassen, wurde er in die Bautruppen der „Organisation Todt“ verpflichtet. Er soll am „Westwall“ eingesetzt worden sein und überlebte die NS-Zeit. Er starb 1964 in Friedrichroda.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Landesarchiv Berlin; Dietrich/Ortlepp, Gegen das Vergessen- Vom jüdischen Leben in Friedrichroda 1933-1945, Friedrichroda 2016; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Recherchen/Text: Micaela Haas

Stolperstein Clara Bergwerk

HIER WOHNTE
CLARA BERGWERK
GEB. HOCHSTADT
JG. 1891
DEPORTIERT 27.11.1941
RIGA-RUMBULA
ERMORDET 30.11.1941

Stolperstein Max Bergwerk

HIER WOHNTE
MAX BERGWERK
JG. 1876
DEPORTIERT 27.11.1941
RIGA-RUMBULA
ERMORDET 30.11.1941

Max Meier Bergwerk wurde am 10. Oktober 1876 in Kalusz/Galizien geboren. Kalusz war damals polnisch und wegen seiner Salzindustrie bekannt, heute liegt es in der Westukraine. Da keine Familie Bergwerk in Berlin vor der Jahrhundertwende in den Adressbüchern zu finden ist, kann man annehmen, dass Max Bergwerk ohne seine Eltern erst als junger Mann nach Berlin kam. Laut Militärpass diente er 1900 – und vermutlich die Jahre danach – beim k.u.k. 9. Infanterie-Regiment bei der Festung Przemyel (damals Österreich, heute Polen). 1903 ist er erstmals im Adressbuch als „Handelsmann“ in der Auguststraße 46a eingetragen, 1908 spezifiziert es, dass er in Partiewaren handelt, also in verbilligten Restposten. Erst in Berlin vermutlich lernte er die 15 Jahre jüngere Klara Haia Hochstadt kennen. Klara (sie wurde zunächst mit K geschrieben) war am 24. Januar 1891 in Bacau, Rumänien, geboren worden als Tochter des Kaufmannes Salomon Hochstadt und seiner Frau Amalie geb. Hochberg. Die Familie Hochstadt siedelte 1900 nach Berlin um, erst in die Münzstraße, später in die Alte Schönhauser Straße, praktisch um die Ecke. Salomon Hochstadt handelte zunächst mit Bijouterie, später mit Strümpfen und Handschuhen. Möglich, dass auch er mit „Partiewaren“ zu tun hatte.

1911 ging Max Bergwerk nach Braunschweig und gründete oder vertrat dort als Geschäftsführer eine Firma namens „Berliner Partiewarengesellschaft GmbH Manufaktur und Kurzwarenhandlung“. Ein Jahr später hatte die Firma eine Zweigstelle und eine zweite Geschäftsführerin: Fräulein Klara Hochstadt. Auch sie war nach Braunschweig gezogen und wohnte im gleichen Haus wie Max, Bohlenweg 44. Nach noch zwei Jahren war das Haus, in dem sich die Zweigstelle befand, „Höhe“ hieß die Straße, auf Klaras Namen eingetragen. Während des Krieges scheinen die Geschäfte auch gut gelaufen zu sein, den 1921 war Max nun der Besitzer des Hauses Theaterwall 4, in dem er – und Klara – wohnten. Am 26. Mai 1921 heirateten die beiden in Wien, sie hatten noch die Österreichische Staatsbürgerschaft. Erst 1923 beantragten sie die Einbürgerung. 1921 kaufte Max ein weiteres Haus, Hagenbrücke 6 und 7, wo er zuvor für wenige Monate ein Versandhaus für „Manufaktur-, Woll- und Weißwaren und ähnl.“ mit einem Compagnon betrieben hatte, Henry Sprung, der auch aus Galizien stammte. Bei der Berliner Partiewarengesellschaft blieb Klara auch als Ehefrau Geschäftsführerin. Am 10. März 1927 wurde ihre Tochter Rita geboren.

1925 war die GmbH aufgelöst und Max ließ die Firma auf seinen Namen ins Handelsregister eintragen, Prokura hatte seine Frau, vier Angestellte wurden beschäftigt. 1933 betrieb Max Bergwerk noch zusätzlich die „Braunschweig Immobilien-Gesellschaft“. Dann kam der Bruch. Max und Klara zogen mit Rita am 9. Mai 1933 nach Berlin – Hals über Kopf? Wir wissen es nicht, aber die Tatsache, dass er seine Firmen nicht in die Hauptstadt übertrug, spricht nicht für eine langfristige Planung. Hatten die Judenboykotte vom 1. April 1933 ihn dazu getrieben?

Clara Bergwerk

Clara Bergwerk

Bergwerks wohnten in Berlin zunächst in der Wielandstraße 24, Berufsbezeichnung „Kaufmann“. 1934 war indes auch – oder gerade – in Berlin abzusehen, dass das Leben für Juden aufgrund der antisemitischen Regierungspolitik schwieriger werden würde. Judenfeindliche Schilder wurden allenthalben aufgestellt, im September 1935 wurden die sogenannten Nürnberger Gesetze verabschiedet. Sie definierten, wer als „deutschblütig“, „Mischling“ oder „Jude“ galt und verboten Ehen sowie Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden. Nachdem sich 1936 wegen der Olympischen Spiele die NS-Regierung zurückgehalten hatte, folgten ab 1937 weitere entwürdigende antijüdische Verordnungen. Ein Höhepunkt der Diskriminierung und Verfolgung wurde dann die Zeit nach den Pogromen im November 1938. Zu diesem Zeitpunkt lebten Bergwerks bereits in der Bleibtreustraße 17, in die sie 1937 gezogen waren. Binnen weniger Wochen wurde eine Flut von antisemitischen Verordnungen erlassen, die Juden nicht nur aus dem wirtschaftlichen sondern überhaupt aus dem öffentlichen Leben ausschloss. Unter anderem war ihnen Besuch von öffentlichen Veranstaltungen wie Theater, Kino u.ä. verboten, Verkehrsmittel konnten sie nur beschränkt benutzen, sie durften zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Bannbezirken nicht auf die Straße, nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags war ihnen erlaubt einzukaufen. Wertgegenstände mussten sie abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt. Ab 19. September 1941 hatten sie den Judenstern zu tragen. Bei der Volkszählung im Mai 1939 mussten sie sich auf besondere Ergänzungskarten eintragen lassen. Viele Juden waren schon genötigt worden, ihre Wohnungen aufzugeben, andere sahen sich gezwungen, Untermieter aufzunehmen. Bei Bergwerks wohnten 1939 noch zwei jüdische Ehepaare, Emil und Edith Joskowitz und Erwin und Elly Rothschild mit ihrem kleinen Sohn Dan. Die Ergänzungskarten wurden später unter anderem zur Grundlage für die Zwangsverpflichtung zur Arbeit – wir wissen nicht sicher, ob Max und Clara (jetzt meistens mit C geschrieben) auch herangezogen wurden.

Rita Bergwerk

Rita Bergwerk

Im November 1941 wurden Max, Clara und die 14-jährige Rita von der Gestapo abgeholt und in die als Sammellager missbrauchte Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 gebracht. Von dort hatten sie sich am 27. November zum Bahnhof Grunewald, Gleis 17, zu begeben, wo sie und 1050 weitere Opfer in einen Sonderzug nach Riga gepfercht wurden. Dieser war der erste Zug aus Berlin nach Riga, Ziel sollte das Rigaer Ghetto sein. Aber als sie am frühen Morgen des 30. Novembers 1941 in Lettland ankamen, wurden ausnahmslos alle im nahen Wald von Rumbula erschossen, eine „Eigenmächtigkeit“ des SS-Führers Friedrich Jeckeln, die ihm eine Rüge von Himmler einbrachte. Himmler hatte dieses Schicksal nur „Arbeitsunfähigen“ zugedacht. Der 30. November 1941 wurde der Todestag von Max, Clara und Rita Bergwerk.

Max Bergwerks kurzzeitiger Geschäftspartner Henry Sprung, 1870 in Tarnow geboren, wurde am 30. Juni 1943 ab Hannover nach Theresienstadt deportiert und erlag nach Recherchen von Schülern aus Braunschweig am 28. April 1944 den unmenschlichen Lebensbedingungen in Auschwitz. Zum Gedenken an Henry Sprung und Familie (seine Frau Berta sowie die Kinder Liesbeth und Siegbert) liegen Stolpersteine in Braunschweig vor dem Haus Theaterwall 16.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Braunschweiger Adressbücher; Stadtarchiv Braunschweig; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Rita Bergwerk

HIER WOHNTE
RITA BERGWERK
JG. 1927
DEPORTIERT 27.11.1941
RIGA-RUMBULA
ERMORDET 30.11.1941

Stolperstein Heinemann Grünbaum

HIER WOHNTE
HEINEMANN
GRÜNBAUM
JG. 1865
DEPORTIERT 14.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 11.2.1943

Heinemann Grünbaum wurde am 2. August 1865 in Adelsberg bei Gemünden geboren (1971 zu Gemünden eingemeindet). Seine Eltern Hirsch Naftali Grünbaum und Regina geb. Winheimer stammten auch aus Adelsberg. Um 1860 lebten rund 50 Juden in dem kleinen Ort. Hirsch Grünbaum war Mohel, d.h. Beschneider der jüdischen Gemeinde. Heinemann hatte 6 Geschwister. Wie viele Juden der Gegend wurde er auch Viehhändler, und zwar in Gemünden. Wahrscheinlich auch dort heiratete er Sophie geb. Kaufmann aus Altenstein. Am 3. September 1894 wurde ihre erste Tochter geboren, nach der Großmutter Regina benannt. Im nächsten Jahr, am 15. Juni 1895, kam die zweite Tochter, Frieda, zur Welt. Gemünden hatte zu diesem Zeitpunkt eine jüdische Gemeinde von etwa 100 Juden. Familie Grünbaum lebte in der Mühltorstraße 142 (heute Scherenberger Straße 11).

1920 heiratete Regina Grünbaum den Kaufmann Simon Loeb aus Goldbach (Kreis Aschaffenburg) und zog mit ihm nach Aschaffenburg in die Elisenstraße 2. Noch im gleichen Jahr bekamen Heinemann und Sophie ihr erstes Enkelkind, Helmut Loeb. Zwei Enkelinnen folgten, Hanne-Lore 1924 und Ingeborg 1929. Simon Loeb war zunächst auch Viehhändler, dann Weißwarenhändler und zuletzt Kohlenhändler. Die Zweite Tochter Heinemann Grünbaums, Frieda, heiratete 1922 Luitpold Goldmeier aus Memmelsdorf in Unterfranken, ebenfalls aus einer Viehhändlerfamilie. Nach dem Krieg hatte er sich in Würzburg niedergelassen und dort mit seinem Bruder Siegfried eine Weinhandlung gegründet. Frieda zog also nach Würzburg und hatte zwei Söhne, Ludwig, 1923 geboren, und Hans, Jahrgang 1928.

In Gemünden wurden die Nationalsozialisten und mit ihnen auch der Antisemitismus schon in den 20er Jahren stark, Heinemann Grünbaum wird das zu spüren bekommen haben. Auch in Würzburg war die Entwicklung wohl abzusehen, denn 1932 entschlossen sich Luitpold und Frieda Goldmeier, mit ihren Kindern nach Berlin zu ziehen, nachdem Luitpolds Bruder Siegfried dort schon ein paar Jahre vorher eine Weingroßhandlung aufgemacht hatte. Luitpold öffnete ebenfalls einen Weinladen in der Rosenheimer Straße 21, wo die Familie auch wohnte. Inzwischen war Heinemann Grünbaum verwitwet, wir wissen nicht genau wann. Wahrscheinlich war Sophie in Gemünden gestorben. Heinemann zog nun nach Berlin zu seiner Tochter.

Auch da dürfte das Leben Heinemann Grünbaums immer schwieriger geworden sein. Die Nationalsozialisten, inzwischen an die Macht gekommen, schürten den Judenhass und erließen zahlreiche Juden diskriminierende Verordnungen. Ziel war es, Juden aus der Gesellschaft auszuschließen und sie zur Emigration zu treiben. In Aschaffenburg machte sich Reginas Familie Gedanken darüber: es gelang ihnen, den noch 16-jährigen Helmut, Beruf „Lehrling“, im September 1937 mit dem Dampfer „Stuttgart“ nach New York zu schicken. Für den Rest der Familie reichte vielleicht das Geld nicht, denn Sondersteuern, Visagebühren und durch die erhöhte Nachfrage überteuerte Schiffspassagenpreise erschwerten die Auswanderung beträchtlich. Familie Goldmeier betrieb in Berlin ihre Emigration mit mehr Erfolg: im September 1938 konnten Frieda, Luitpold, und die Söhne Ludwig und Hans von Le Havre aus mit der „Washington“ ebenfalls nach New York fahren.

Dies war vielleicht der Zeitpunkt, an dem Heinemann Grünbaum, der nun allein zurückblieb, zur Untermiete in die Bleibtreustraße 17 zog, wo er bei der Volkszählung im Mai 1939 erfasst wurde. Inzwischen, waren nach den Pogromen im November 1938, in kurzem Abstand weitere Verordnungen erlassen worden, die nun Juden gesellschaftlich und wirtschaftlich völlig isolierten und das Leben gänzlich unerträglich machten. Aber auch eine Flucht war mittlerweile praktisch unmöglich. Heinemann Grünbaum durfte nur noch zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Bezirken auf die Straße gehen, nur zu festgesetzten Stunden und in festgesetzten Läden einkaufen, musste nicht nur alle Wertsachen abgeben, sondern auch Gegenstände des täglichen Lebens, etwa ein Radio, konnte, wenn überhaupt, nur über ein auf das Existenzminimum beschränktes „Sicherheitskonto“ verfügen. Er wurde genötigt, wieder umzuziehen, diesmal in die Ludendorffstraße 97, vermutlich in ein Zimmer zur Untermiete. Schließlich brachte ihn die Gestapo in das jüdische Altersheim in der Artilleriestraße 31 (heute Tucholskystraße 40). In diesem ehemaligen Gemeindezentrum und Rabbinerseminar von Addas Jisroel wurden Anfang der 1940er-Jahre alte Personen untergebracht. 1942 war es aber auch vorübergehendes Sammellager für Menschen, die nach Theresienstadt deportiert werden sollten. Denn obwohl diese Deportationen in der Regel Gruppen von 100 Opfern umfassten, plante die Gestapo nun „Transporte“ von 1000 und mehr Juden auf einmal, und das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 reichte für diese große Anzahl nicht aus.

Wir wissen nicht, ob Heinemann Grünbaum schon länger als pflegebedürftiger Mensch in der Artilleriestraße wohnte oder erst im Zuge der Deportation dorthin gelangte. Eine „Vermögenserklärung“ unterschrieb er erst dort, am 3. September 1942. Kurz darauf, am 14. September, verließ den Bahnhof Moabit ein verplombter Zug mit 1000 Insassen, Heinemann Grünbaum war unter ihnen. In Theresienstadt erwarteten den 77-jährigen Überfüllung, Hunger, Kälte, Krankheit, und Seuchen infolge unsäglicher hygienischer Zustände. Er wurde in das Gebäude 312, Zimmer 04 eingewiesen und hielt es dort bis Mitte Februar des folgenden Jahres aus. Am 11. Februar 1943 erlag er – laut offizieller „Todesfallanzeige“ – einem Gehirnschlag, letztendlich aber den mörderischen Lebensbedingungen in dem Lager Theresienstadt. Für Heinemann Grünbaum wurde in Gemünden 2009 ein Stolperstein vor der Scherenberger Straße 11 verlegt.

Heinemann Grünbaums Tochter Regina, ihr Ehemann Simon Loeb und deren Töchter Hanne-Lore und Ingeborg wurden am 23. April 1942 mit weiteren 124 Aschaffenburger Juden nach Würzburg gebracht, um am 25. April zusammen mit noch 951 Juden aus Mainfranken nach Krasnystaw im Distrikt Lublin deportiert zu werden. Alle wurden im Raum Lublin umgebracht. Für die Familie Loeb liegen Stolpersteine vor der Elisenstraße 2a in Aschaffenburg.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; www.historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de/juf/Datenbank; Opferdatenbank Theresienstadt; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Recherchen/Text: Micaela Haas

Stolperstein Hermine Lipschitz

HIER WOHNTE
HERMINE LIPSCHITZ
GEB. MENBERG
JG. 1880
DEPORTIERT 14.12.1942
RIGA
ERMORDET

Hermine Lipschitz kam am 29. Oktober 1880 in Breslau als Hermine Menberg zur Welt. Über ihre Eltern wissen wir nichts, weder in Breslauer noch in den Berliner Adressbüchern ist der Name Menberg zu finden. Es gibt allerdings einen Hinweis, dass der Name falsch notiert sein könnte und eigentlich Neuberg hieß. Dann könnte Hermine die Tochter des Getreidehändlers Julius Neuberg aus Breslau sein. Später verzeichnen Berliner Adressbücher auch einen Kaufmann Julius Neuberg, ein stichfester Beweis ist das jedoch nicht. Sicher ist, dass Hermine – wahrscheinlich in Berlin – den Zahnarzt Moses Lipschitz heiratete. Moses Lipschitz war 13 Jahre älter als Hermine und stammte aus Flatow in Westpreußen (heute Złotów). In Berlin ließ er sich bereits als 23-jähriger Zahnarzt nieder in der sehr zentralen Königstraße 53/54 (heute Rathausstraße), arbeitete aber auch in der Polyklinik für Zahn- und Mundkrankheiten in der Großen Frankfurter Straße. 1899 hatte er die Arbeit an der Klinik aufgegeben und Praxis sowie Wohnung in die Mohrenstraße 26 verlegt. Vielleicht war der Anlass für den Umzug die Heirat mit Hermine, die zu diesem Zeitpunkt allerdings erst 19 Jahre alt war. Möglich auch, dass die Heirat erst bei dem nächsten Umzug etwa zehn Jahre später erfolgte, diesmal in die Tauentzienstraße 9. Mit der Zeit spezialisierte sich Moses Lipschitz auf die Behandlung von Kindern und verfasste auch mehrere Fach- und Lehrbücher der Zahnheilkunde. Er war Mitglied der liberalen jüdischen Gemeinde, in deren Repräsentanten-Versammlung er der liberalen Fraktion angehörte und war im Vorstand des liberalen Vereins für Angelegenheiten der jüdischen Gemeinde. Außerdem war er Gründer der Unterstützungskasse für Zahnärzte und Mitbegründer der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Wissenschaft. Wir können also annehmen, dass Hermine ein liberales und gebildetes Haus führte. Ob sie und Moses Kinder hatten, ist nicht dokumentiert.

Am Tauentzien blieben Moses und Hermine, bis sie 1933 in die Bleibtreustraße 17 zogen, in eine 6½ Zimmer-Wohnung im 1. Stock, in der Beletage. Auch dort betrieb Moses seine Praxis weiter, obwohl der Judenboykott vom 1. April 1933 schon deutlich machte, dass Antisemitismus nunmehr zur offiziellen Staatseinstellung gehören würde. Juden wurden immer mehr diskriminiert und erniedrigt, lediglich 1936 hielt sich die Regierung aufgrund der Olympiade zurück. Dann folgten wieder antijüdische Gesetze und Verordnungen, die den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensraum von Juden immer weiter einschränkten. Der Besuch jüdischer Ärzte war offiziell verpönt, viele Patienten blieben weg – dies wird auch die Praxis von Moses Lipschitz betroffen haben. Im September 1938 wurde jüdischen Ärzten die Approbation entzogen, sie durften sich nur noch „Krankenbehandler“ nennen und nur Juden behandeln. Zahnärzte verloren im Januar 1939 mit der „8. Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ ihre Approbation, durften den Doktortitel nicht mehr führen und nur noch jüdische Patienten betreuen, sie hatten sich „Zahnbehandler“ zu nennen. Diese Entwürdigung widerfuhr auch Moses Lipschitz, wie der Eintrag im Adressbuch 1941 dokumentiert.

Höhepunkt der antisemitischen Maßnahmen waren die vielen Verordnungen, die nach den Pogromen vom November 1938 erlassen wurden. Sie hatten zum Ziel Juden völlig aus dem öffentlichen Leben auszuschließen. Hermine und Moses konnten nun z. B. nicht mehr Theater oder Konzerte besuchen, sich frei auf der Straße bewegen oder ein Radio besitzen. Sie mussten auch „zusammenrücken“: Juden hatten für Nichtjuden Wohnraum frei zu machen. Lipschitzs sahen sich genötigt, Untermieter in ihrer Wohnung aufzunehmen: die Kinderärztin Dr. Lucie Adelsberger und deren Mutter Rosa. Über ihr eigenes Vermögen konnten Lipschitz’ nicht mehr frei verfügen, laut der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12. November 1938 durften Juden nur noch von einem „beschränkt verfügbaren Sicherheitskonto“ durch „Sicherungsanordnung“ festgelegte Beträge für ein Existenzminimum abheben.

An 9. Januar 1942 starb Moses Lipschitz und Hermine nahm noch einen Untermieter auf, den jüdischen Zahnarzt Benno Klein, der die Praxiseinrichtung als „Zahnbehandler“ weiter nutzte. Aber noch vor Ende des Jahres, im Dezember 1942, wurde Hermine von der Gestapo abgeholt und in das Sammellager Große Hamburger Straße 26 eingewiesen, ein umfunktioniertes jüdisches Altersheim. Am 14. Dezember wurde sie mit über 800 weiteren Opfern mit einem Deportationszug „nach dem Osten“ verschleppt. Lange Zeit dachte man, die Menschen seien in Riga umgekommen, heute weiß man, dass das Ziel Auschwitz war. Dort wurden nur die als „arbeitsfähig“ Geltenden nicht sofort ermordet. Selbst wenn die 62-jährige Hermine zu ihnen gezählt hätte, bedeutete dies den fast sicheren Tod. Inzwischen ist bekannt, dass von den „Arbeitsfähigen“ dieses Zuges die letzte Person schon im Februar 1943 ums Leben kam. Hermine Lipschitzs Todestag liegt zwischen dem 14. Dezember 1942 und Anfang Februar 1943.

Ihr beträchtliches Vermögen wurde vom NS-Staat beschlagnahmt, die Wohnungseinrichtung auf 916 RM geschätzt und versteigert. Der Gerichtsvollzieher erwähnte ausdrücklich eine Briefmarkensammlung, “Musikalben und ca. 100 Bücher, darunter Hebbel“.

Glück im Unglück hatten Hermines Untermieter. Dr. Lucie Adelsberger wurde – nachdem ihre Mutter kurz vorher gestorben war – am 17. Mai 1943 ebenfalls nach Auschwitz deportiert und in Auschwitz-Birkenau als Ärztin im Zigeuner- und Frauenlager eingesetzt. 1945 überlebte sie auch den „Todesmarsch“ und gelangte nach Ravensbrück, wo sie von der Roten Armee befreit wurde. Kurz danach schrieb sie „Auschwitz. Ein Tatsachenbericht“, der erst 1956 veröffentlicht wurde. Sie emigrierte in die USA und starb dort 1971. Dr. Benno Klein, durch seine nichtjüdische Frau vergleichsweise geschützt, praktizierte noch ein Jahr in der Bleibtreustraße, im Januar 1944 wurde auch er gezwungen, die Wohnung zu räumen und galt als „unbekannt verzogen“. Er überlebte den Krieg und starb 1976 in Berlin. Seine Mutter war die Sängerin Amalie Lilli Klein, für die ein Stolperstein vor der Kantstraße 129 liegt.

Text: Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf.
Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Martin Schwersenz

HIER WOHNTE
MARTIN SCHWERSENZ
JG. 1895
DEPORTIERT 3.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Auszug aus CM/1 Akte Deutschland für Martin Schwersenz 3.2.1.1/79720317, Digital Archive, ITS Bad Arolsen

Martin Michael Moses Schwersenz wurde am 2. November 1895 in Stenschewo (poln. Steszew), Posen, geboren als Sohn von Siegfried und Paula Schwersenz. Er hatte mindestens einen Bruder: Carl. Martin besuchte bis 1913 das Gymnasium im nahen Städtchen Schrimm und bis 1915 eine Handelsschule in Berlin. Möglicherweise wurde er dann in den Kriegsdienst eingezogen.

Sein späterer beruflicher Werdegang bleibt etwas unklar. Er bezeichnete sich selbst schon mal als „Fabrikbesitzer“, gab aber auch an, Angestellter bei der Firma Levy & Hanauer, Damenhüte, in der Kommandantenstraße 89 gewesen zu sein, dort habe er in der Modeabteilung gearbeitet. Noch nach der Löschung der jüdischen Firma 1938 sei er bis 1940 in einer „arisierten“ Firma tätig gewesen, vielleicht seine alte Firma, er habe sogar noch Auslandsreisen für die Firma gemacht. Er habe fließend Französisch gesprochen.

Martin Schwersenz blieb Junggeselle, verdiente nach eigenen Angaben ganz gut und wohnte „in guten Hotels“. Er scheint sich auch bei der nach 1933 wachsenden Judendiskriminierung zunächst nicht schlecht durchgeschlagen zu haben. Er legte einen Großteil seines Einkommens in Kleidung an, bezeichnete sich selbst als „Kleidernarr“. Leider kam es ihm offenbar nicht in den Sinn, bei seinem Auslandsdienst sich abzusetzen, vielleicht, weil er die Verfolgung selbst noch nicht so deutlich spürte. Im Mai 1939 wurde er bei der Volkszählung als Jude auf den für sie vorgesehenen besonderen Ergänzungskarten in der Bleibtreustraße 17 erfasst. Vermutlich konnte er sich nicht mehr ein „gutes Hotel“ leisten und wohnte bei einem der beiden „Fremdenvermieter“ im Haus, Betz oder Fuchs, oder bei jemand anderes zur Untermiete.

1941 – auch Martin Schwersenz wird inzwischen unter den zahlreichen und nach den Novemberpogromen 1938 stark verschärften Einschränkungen des täglichen Lebens durch antijüdische Verordnungen gelitten haben – wurde er zur Zwangsarbeit verpflichtet, bei der Häuteverwertung in der Lichtenberger Herzbergstraße 51-53. Ab September 1941 musste er den „Judenstern“ tragen – so konnte er nicht mehr im Hotel wohnen. Er bekam ein Zimmer zur Untermiete in der Speyerer Straße 10 (heute Münchener Straße 18a), bei Dora Rosenbaum. Später war sein Vermieter der Rechtsanwalt Ludwig Chodziesner, der auch dort zwangsweise eingewiesen worden war. Mit ihm wohnte seine Tochter Gertrud Chodziesner, die unter dem Pseudonym Gertrud Kolmar bekannte Schriftstellerin.

Trotz aller Diskriminierung und Verfolgung, verstand es Martin Schwersenz noch einen Großteil seiner Garderobe zu behalten, u.a.16 gute Anzüge und ca. 80 Hemden. Außerdem hatte er seine goldene Uhr und Krawattennadel nicht abgegeben, sondern in der Wäsche versteckt sowie eine beträchtliche Summe Bargeld, da Juden über Bankkonten nicht mehr frei verfügen konnten. Dies alles musste er zurücklassen, als er Ende Februar 1943 Opfer der sog. „Fabrikaktion“ wurde: alle noch in Zwangsarbeit stehenden Juden sollten ohne Vorwarnung am Arbeitsplatz festgenommen werden, um anschließend deportiert zu werden. Da dies eine Großaktion war, die die Kapazität des Sammellagers in der Großen Hamburger Straße 26 überstieg, richtete die Gestapo mehrere provisorische Sammellager ein, so auch in dem Tanzlokal „Clou“, Mauerstraße 82, wohin Martin Schwersenz verbracht wurde. Am 3. März 1943 verließ der 3. Deportationszug nach der Fabrikaktion Berlin mit 1726 Personen. Angekommen in Auschwitz wurden 200 Frauen und 517 Männer zur Zwangsarbeit ins Lager Birkenau eingewiesen, alle anderen ermordet. Martin Schwersenz wurde zur Arbeit in Auschwitz-Monowitz (Buna) eingesetzt, kam aber bald mit einer Handquetschung in den Krankenbau. Ein Jahr später, im Juli 1944 war er wieder im Häftlingskrankenhaus, diesmal mit der Diagnose „Positive Lungen-Tbc“. Er hielt dennoch bis zur Befreiung im März 1945 durch und kam dann zunächst nach Prag. Er wurde also, im Gegensatz zu früheren Annahmen, nicht 1944 ermordet, sondern überlebte den Holocaust. In Prag erhielt er einen Rot-Kreuz-Pass und ging im November 1945 nach München. Von dort versuchte er in die USA zu emigrieren, wo er einen Onkel habe, oder nach Guatemala, wo sein Cousin lebe. Sein Bruder Carl war auf die Philippinen, nach Manila geflüchtet. Zu einer Auswanderung kam es aber nicht, noch 1966 ist Martin Schwersenz im Münchner Adressbuch zu finden.

Martin Schwersenz’ Vermieter in der Speyerer Straße, Ludwig Chodziesner, wurde am 9. September 1942 nach Theresienstadt deportiert und erlag den dortigen unmenschlichen Lebensbedingungen 81-jährig am 13. Februar 1943. Zwei Wochen nach seinem Tod wurde seine Tochter Gertrud Chodziesner (Gertrud Kolmar) am 27. Februar 1943 wie Martin Schwersenz im Rahmen der „Fabrikaktion“ verhaftet, und einen Tag vor ihm, am 2. März 1943, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Dora Rosenbaum konnte vielleicht rechtzeitig flüchten, sie ist nicht im Gedenkbuch registriert.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Landesarchiv Berlin; Adressbuch München; ITS Arolsen; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Recherchen/Text: Micaela Haas

Stolperstein Arnold Ginsberg

HIER WOHNTE
ARNOLD GINSBERG
JG. 1892
SEIT 1943
VERSTECKT GELEBT
DEPORTIERT 4.8.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Arnold Ginsberg ist am 15. August 1892 in Berlin geboren. Er wohnte zunächst wohl in der Rosenheimer Straße 6, jedenfalls war ein Mieter dieses Namens im Adressbuch 1931 aufgeführt. Später wohnte Ginsberg in der Bleibtreustraße 17, er war jedoch auf der Deportationsliste mit der letzten Anschrift der Bleibtreustraße 10/11 registriert. Möglicherweise hat er dort von 1943 an im Versteck gelebt, in der Hoffnung, er könne so der Deportation entgehen.

Er wurde jedoch von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) entdeckt und festgenommen. Aus einer amtlichen Meldekarte ist jedenfalls zu entnehmen: „Freitod od. illegal gelebt“.

In der Bleibtreustraße 17 war Ginsberg als Untermieter einer Witwe namens M. Fuchs registriert. Auf der Deportationsliste stand als Beruf „Arbeiter“.

Arnold Ginsberg wurde in das Sammellager an der Großen Hamburger Straße 26, ein ehemaliges jüdisches Altersheim, eingewiesen und von dort am 4. August 1943 in einen von zwei Eisenbahnwaggons verfrachtet, die von der Reichsbahn eigens für diesen Zweck bereitgestellt wurden.

Dieser Transport mit 99 in der Illegalität aufgegriffenen Juden fuhr in das rund 570 Kilometer von Berlin entfernte Vernichtungslager Auschwitz in Polen. Dort sind sie, auch Arnold Ginsberg, vergast worden. Sein Todesdatum ist nicht bekannt. Auch die Familie weiß nicht mehr. “We are sorry, that is all our family knows, schrieb einer der Nachkommen aus den USA Anfang 2017 an die Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf.

Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf.

Stolperstein Edith Joskowitz

HIER WOHNTE
EDITH JOSKOWITZ
GEB. FRIEDLÄNDER
JG. 1889
DEPORTIERT 12.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Edith Friedländer wurde am 7. März 1889 in Berlin geboren, als Tochter vom Magnus Moses Friedländer und seiner Frau Adele geb. Lennhoff. Magnus Friedländer war Kaufmann und stammte aus Konitz (heute polnisch Chojnice), Adele war in Mönchengladbach zur Welt gekommen, ihre Eltern waren Joseph Lennhoff und seine Frau Auguste geb. Elias. Magnus Friedländer war seit 1883 Teilhaber der Strumpfstrickerei und Strickgarnfabrik „Felix Lande“ in Berlin. 1888 heiratete er in der Hauptstadt Adele und ein Jahr später brachte diese Edith zur Welt. Die Familie wohnte in der Wallnertheaterstraße 8. Das zweite Kind, Ernst, wurde im April 1890 geboren. Da waren Friedländers schon in die Michaelkirchstraße 9/10 gezogen. Aber als Edith 5 Jahre alt war, ließen sich die Eltern scheiden. Zwei Jahre später starb Magnus Friedländer. Adele nahm nach der Scheidung eine Gesangsausbildung auf und wurde Opernsängerin mit dem Künstlernamen Adele Lenné, wohnhaft am Schlesischen Ufer 5. In den nächsten 10 Jahren zog sie vier Mal um, hatte außerdem Auftritte nicht nur am Berliner Theater des Westens sondern auch in Düsseldorf, Lübeck und Hamburg. Für Edith und Ernst muss das eine unruhige Kindheit gewesen sein. 1908 heiratete Adele wieder, den Kaufmann Sigismund Seligsohn. Die 17-jährige Edith machte eine Büroausbildung und lebte vermutlich weiterhin mit Mutter und Stiefvater in der Crefelder Straße 18. Sigismund Seligsohn starb jedoch bald und seine Witwe zog mehrmals um, und Edith mit ihr. 1929 wohnten beide am Südwestkorso 45. Ediths Bruder Ernst hatte bereits 1919 geheiratet und einen eigenen Hausstand gegründet.

Edith war seit ihrer Jugend berufstätig, ab 1913 zahlte sie Beiträge in die Rentenkasse. Spätestens in den 30er Jahren arbeitete sie als Sekretärin bei dem Israelitischen Familienblatt. Dies war eine Wochenzeitschrift für das jüdische Bürgertum, die in Hamburg herausgegeben wurde, aber auch eine Berliner Ausgabe hatte. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde sie zum Sprachrohr der Reichsvertretung der Deutschen Juden, 1935 zog der Verlag nach Berlin, in die Lindenstraße 69. Allerdings ging durch die verfolgungsbedingte Emigration oder Verarmung vieler jüdischer Familien die Auflage stark zurück.

Ab 1935 ist Adele, die nun wieder den Namen ihres ersten Ehemannes trug, nicht mehr in den Adressbüchern zu finden. Es ist anzunehmen, dass die wachsenden Verfolgung und Entrechtung von Juden Mutter und Tochter dazu zwangen, ihre Wohnung aufzugeben und zur Untermiete zu wohnen. Die vielen diskriminierenden Bestimmungen, die darauf abzielten, Juden gänzlich aus dem Berufs- und öffentlichen Leben auszugrenzen, nahmen noch drastisch nach den Novemberpogromen von 1938 zu. Sie bedeuteten auch das Ende des Israelitischen Familienblattes, die letzte Ausgabe erschien am 3. November 1938, die folgende vom 10. November konnte nicht mehr erscheinen.

Im Oktober 1938 heiratete Edith den 12 Jahre jüngeren Emil Joskowitz. Emil Joskowitz wurde am 9. April 1901 in Petrikau (Piotrkow) geboren, unweit von Lodz, damals zu Russland gehörend. Wir wissen nicht, wann er nach Berlin kam. 1937 verzeichnet ihn das Adressbuch als Schriftsetzer, wohnhaft in der Koppenstraße 9. Da zu dieser Zeit ein jüdischer Schriftsetzer nur in einer jüdischen Druckerei Arbeit finden konnte, liegt die Vermutung nahe, dass sich Edith und Emil über das „Familienblatt“ kennen lernten. Der späten Heirat trotz Altersunterschied lag vielleicht auch das Bestreben zu Grunde, sich – oder vor allem den staatenlosen Emil – besser zu schützen. Das Paar wohnte zunächst zur Untermiete bei Marta Knapp in der Mommsenstraße 26. Zum Zeitpunkt der Volkszählung vom Mai 1939, bei der Juden extra erfasst wurden, waren sie Untermieter vom Max Bergwerk in der Bleibtreustraße 17. Auch hier sollten sie nicht lange bleiben, 1940 bezogen sie eine eigene Wohnung am Witzlebenplatz 4, das Adressbuch bezeichnet Emil (mit dem Zwangsnamenszusatz „Israel“) als Handwerker. Bald wurden die beiden aber auch zur Zwangsarbeit herangezogen, Emil als Transportarbeiter bei der Gruppenfahrbereitschaft der Firma Harry W. Hammacher, Lüneburger Straße 22, Edith als Näherin bei Gebrüder Wysocki, Regenbekleidung, Neue Königsstraße 4.

Am 1. Mai 1942 mussten sie schon wieder umziehen, ihnen wurde eine Wohnung in einem sogenannten „Judenhaus“ zugewiesen, ein Haus, in dem Juden untergebracht wurden, die anderswo Platz für Nichtjuden frei machen mussten. Emil und Edith bekamen eine 2 ½ -Zimmer-Wohnung, Ediths Mutter Adele wohnte bei ihnen. Die Möbel waren von der verstorbenen Vormieterin, Jenny Spiro. Sie hatte sie der Jüdischen Kultusvereinigung vermacht und diese überließ sie „leihweise“ dem Ehepaar Joskowitz. Eigene Möbel, laut Bruder Ernst einst im Besitz seiner Mutter und seiner Schwester, waren offenbar nicht mehr vorhanden. Ernst hatte bis 1933 eine leitende Stellung bei der Firma Sensch & Co, Industriereklame, innegehabt. Er war als Jude entlassen worden. Nach den Pogromen im November 1938 hatte er drei Wochen versteckt in Parks und Wäldern verbracht. Danach betrieb er seine Auswanderung, im Februar 1939 gelang ihm mit Frau und dem 16-jährigen Sohn in die USA zu emigrieren. Seine Möbel durfte er nicht mitnehmen, es seien antike Stücke und daher „deutsches Kulturgut“. Auch Edith und Emil hatten dank der Hilfe von Ernst und einer Bekannten in Chile, Visa für Chile bekommen und sogar schon für teures Geld Schiffspassagen erworben. Doch dann wurden ihre Pässe gesperrt.

Kurz vor Weihnachten 1942, wurden Edith und Emil von der Gestapo angehalten, sog. „Vermögenserklärungen“ auszufüllen, denn sie seien für die „Abwanderung“ vorgesehen, ein Euphemismus für die Deportation. Am 20. Dezember unterschrieben sie die Erklärung, aus der hervorging, dass kein Vermögen mehr vorhanden war. Anfang Januar wurden sie dann von der Gestapo in das zum Sammellager umfunktionierte jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26 verbracht. Am 12. Januar 1943 verließ ein besonders überfüllter Deportationszug mit 1196 Juden den Moabiter Güterbahnhof, in ihm waren auch Edith und Emil Joskowitz. Das Ziel war Auschwitz, und dort angekommen wurden lediglich 127 Männer zur Zwangsarbeit ausgesucht. Sollte Emil Joskowitz zu ihnen gehört haben – überlebt hat er Auschwitz nicht. Alle anderen 1069 Zuginsassen wurden in den Gaskammern ermordet. Der 13. Januar 1943 ist sehr wahrscheinlich der Todestag von Edith Joskowitz, der von ihrem Mann ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen.

Ediths Mutter Adele, verwitwete Seligsohn, geschiedene Friedländer, geborene Lennhoff, musste wohl die Abholung von Tochter und Schwiegersohn miterleben. Wenige Monate später, am 12. Mai 1943, starb sie 74-jährig im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße 2. Am 19. Mai wurde sie auf dem jüdischen Friedhof Weißensee bestattet.

Recherche/Text: Micaela Haas.
Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Emil Joskowitz

HIER WOHNTE
EMIL JOSKOWITZ
JG. 1901
DEPORTIERT 12.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Elly Rothschild

HIER WOHNTE
ELLY ROTHSCHILD
GEB. LIPOWETZKY
JG. 1912
DEPORTIERT 2.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Elly Rothschild wurde als Elly Jary Lipowetzky (oft auch Lipovetzky geschrieben) am 12. Februar 1912 in Berlin geboren als zweites Kind von Michael Lipowetzky und seiner Frau Rose, geb. Goldenberg. Das Ehepaar kam kurz vor Ellys Geburt von Wien nach Berlin. In Wien hatten sie 1907 geheiratet, 1908 war Ellys ältere Schwester Sylvia dort zur Welt gekommen. Michael Lipowetzky war Kaufmann, er zog kurz nach Ellys Geburt von der Charlottenburger Kaiser-Friedrich-Straße in die Schöneberger Kufsteiner Straße 4. Er starb, als Elly 12 Jahre alt war, am 26. September 1919. Seine Witwe blieb mit den Kindern in der Kufsteiner Straße, zunächst als „Privatiere“, ihr Mann hatte wohl Rücklagen zurückgelassen. Nach einigen Jahren hatte sie offenbar ein selbständiges Geschäft, da sie im Adressbuch als „Kauffrau“ und „Geschäftsinhaberin“ eingetragen war. Ab 1927 nahm sie eine Stellung als „Aufsichtsdame“ an in dem Konfektionsgeschäft Siegbert Levy, in der Potsdamer Straße 6. Elly lernte Schneiderin, 1931 machte sie die Gesellenprüfung in einer Schneiderei in der Innsbrucker Straße. Danach machte sie sich selbständig mit einem eigenen Modeatelier, das sie in der mütterlichen Wohnung einrichtete. Sie beschäftigte noch eine weitere Schneiderin.

1935 – die Nationalsozialisten waren schon zwei Jahre an der Macht – emigrierte Ellys Schwester Sylvia in die USA. Vielleicht war dies der Anlass für Rose, mit Elly an den Kurfürstendamm 66 zu ziehen. Dort richtete sich Elly wieder ihr Modeatelier ein, von Kundinnen als „eleganter Salon“ bezeichnet. Laut ihrer Mutter hatte sie auch christliche Kundinnen, die, trotz der zunehmenden Judenfeindlichkeit, „ihr die Treue hielten und bis Ende 1936 noch bei Dunkelheit kamen“. 1937 musste die Firma Siegbert Levy Rose Lipovetzky entlassen, vermutlich wurde das Unternehmen „arisiert“. Mutter und Tochter mussten fortan von Ellys Einkommen leben. Dieses ging allerdings empfindlich zurück aufgrund von antisemitischen Einstellungen und diskriminierenden Verordnungen. 1938 heiratete Elly Erwin Rothschild und wohnte zunächst mit ihm in der mütterlichen Wohnung.

Stolperstein Erwin Rothschild

HIER WOHNTE
ERWIN ROTHSCHILD
JG. 1912
DEPORTIERT 2.3.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET IN
MITTELBAU DORA

Erwin Norbert Rothschild war der Sohn des Kaufmannes Israel Julius Rothschild und seiner Frau Elise geb. Meininger. Sie hatten 1905 geheiratet und waren nach Berlin gezogen. Dort kamen in der Heilbronner Straße 5 die Töchter Lucie und Margot 1907 und 1909 zur Welt. Um 1911 zog die Familie nach Wiesbaden, wo Erwin am 15. August 1912 in der Kleiststraße 25 geboren wurde. Schon im nächsten Jahr starb Israel Rothschild, und seine Witwe zog mit den Kindern nach Hildesheim, wo sie schon vor ihrer Heirat gelebt hatte. Sie wohnte in der Altpetristraße 15, möglicherweise bei Verwandten. Obwohl Erwin nicht auf ihrer Meldekarte eingetragen ist, ist anzunehmen, dass er hier aufwuchs.

1934 oder 1935 entschloss sich Erwins Mutter nach Palästina auszuwandern. Vielleicht war dies für Erwin der Anlass, nach Berlin zu gehen. Dort muss er bei Verwandten oder zur Untermiete gewohnt haben, bis er 1938 Elly Lipowetzky heiratete. Zum Zeitpunkt der Volkszählung am 17. Mai 1939, bei der alle Juden auf besonderen Ergänzungskarten erfasst wurden, waren Elly und Erwin bereits vom Kurfürstendamm 66 in die Bleibtreustraße 17 gezogen, wo sie zur Untermiete bei Max Bergwerk wohnten. Spätestens als die Familie Bergwerk im November 1941 nach Riga deportiert und dort ermordet wurde, mussten auch Elly und Erwin die Wohnung wechseln. Sie wurden in der Großgörschenstraße 24 in eine 1-Zimmer-Wohnung im Gartenhaus eingewiesen. Dort lebten sie zu dritt: am 8. März 1940 war ihr Sohn Dan zur Welt gekommen. Ellys Mutter Rose war bereits im August 1939 nach London zu ihrer Schwester geflüchtet.

1940 oder 1941 wurden Erwin und Elly zum Arbeitseinsatz zwangsverpflichtet. Der Zwangseinsatz war nach den Pogromen vom November 1938 am 20. Dezember zunächst für erwerbslose und wohlfahrtsunterstützte Juden angeordnet worden. Die Arbeit fand in der Regel in gesonderten Kolonnen getrennt von anderen Arbeitern statt, sog. „geschlossener Arbeitseinsatz“. Im Sommer 1940 wurde die Zwangsarbeit auf Juden im Allgemeinen ausgeweitet. Ein Jahr später waren in Berlin rund 28000 Juden und Jüdinnen Zwangsarbeiter, meist in der Rüstungsindustrie. Im Oktober 1941 wurde das „Beschäftigungsverhältnis eigener Art“ geschaffen, mit dem die jüdischen Zwangsarbeiter außerhalb der üblichen arbeits-, arbeitsschutz- und sozialrechtlichen Gesetzesnormen gestellt wurden. Wir wissen nicht, wo Erwin und Elly arbeiten mussten, sie bezeichneten sich zuletzt selbst lediglich als „Arbeiter“ und „Arbeiterin“.

Im April 1942 erhielt Rose Lipowetzky einen am 10. März datierten Rotkreuzbrief von Elly mit Absender Großgörschenstraße 24: „Geliebte Mutti! Hoffe Dich gesund. Wir auch. Ich arbeite auch. Peter bringt Dänny morgens 7 Uhr Kindergarten. Leika ist rührend zu uns. Baldiges Wiedersehen. Ellyka Peter u Danny“. Offenbar nannte sie Erwin Peter, wer Leika war, ist nicht bekannt. Ein gutes halbes Jahr später, im November 1942, mussten Erwin, Elly und sogar der 2-jährige Dan eine „Vermögenserklärung“ ausfüllen, der Vorbote der Deportation. Diese erfolgte jedoch nicht wie üblich kurz darauf, wahrscheinlich, weil Juden in der Rüstungsindustrie noch von der Deportation zurückgestellt waren. Aber Ende Februar beschloss das Reichssicherheitshauptamt, alle noch beschäftigten Juden zu deportieren.

Am 27. Februar 1943 und in den folgenden Tagen wurden in einer reichsweiten Aktion sämtliche noch in den Rüstungsbetrieben beschäftigte Juden ohne Vorankündigung an ihren bisherigen Arbeitsstätten verhaftet. In Berlin betraf das rund 8000 Juden, auch Erwin und Elly. Sie wurden zusammen mit dem kleinen Dan in das Sammellager Große Hamburger Straße 26, ein von den Nazis umfunktioniertes jüdisches Altersheim, gebracht und am 2. März 1943 vom Güterbahnhof Moabit aus nach Auschwitz deportiert. Dort wurden von 1756 Opfern in diesem Zug 535 Männer und 45 Frauen zur weiteren Zwangsarbeit aussortiert. Elly mit Dan gehörte vermutlich nicht dazu, da Mütter mit Kindern in der Regel mit den anderen sofort in den Gaskammern ermordet wurden. Erwin hingegen wurde zur weiteren „Vernichtung durch Arbeit“ bestimmt, Arbeit unter so unmenschlichen Bedingungen, das ein Überleben sehr unwahrscheinlich war. Dies galt noch verschärft für seine spätere Weiterverschleppung in das KZ Mittelbau-Dora, in Thüringen. Dort sollten nach der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde durch die Engländer, in unterirdischen Stollen vor allem Hitlers „Wunderwaffen“ V1 und V2 gebaut werden (V für Vergeltungswaffe). Die dorthin verschleppten Häftlinge mussten zunächst unter inhumanen Umständen – u.a. rund um die Uhr in den Stollen, Hunger, Staublunge durch Sprengungen – die unterirdische Fabrik erstellen, die Produktion lief Anfang 1944 an. Ob Erwin dies noch erlebte, wissen wir nicht. Tausende Häftlinge waren schon vorher an Unterernährung, Entkräftung oder Staublunge gestorben, weitere Tausende kamen noch um bis zur Befreiung am 11. April 1945 durch die Amerikaner. Erwin Rothschild war nicht unter den Überlebenden.

Erwins Schwester Lucie Rothschild wurde 1937 in Hamburg wegen Diebstahls zu einigen Monaten Haft verurteilt, nach der Haft aber nicht entlassen, sondern in die „Heil- und Pflegeanstalt“ Hamburg-Langenhorn eingewiesen. Von dort wurde sie am 23. September 1940 mit anderen aus ganz Norddeutschland stammenden jüdischen Patienten in das Zuchthaus Brandenburg an der Havel überführt und dort in einer Garage, die als Hinrichtungsstätte eingerichtet war – später „Mordgarage“ genannt – umgebracht. Erwins Schwester Margot ist nicht im Gedenkbuch des Bundesarchivs aufgeführt, man kann also hoffen, dass sie den NS-Mördern entkommen konnte.

Recherchen und Text: Dr. Micaela Haas.
Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Stadtarchiv Wiesbaden; Stadtarchiv Hildesheim; zu Lucie Rothschild und Auskünfte von Ingo Wille; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Lucie Adelsberger

Stolperstein Lucie Adelsberger

HIER WOHNTE
LUCIE ADELSBERGER
JG. 1895
DEPORTIERT 17.5.1943
AUSCHWITZ
TODESMARSCH
RAVENSBRÜCK
BEFREIT

Lucie Adelsberger kam am 12. April 1895 als Tochter des Weinhändlers Isidor Adelsberger und seiner Frau Rosa, geb. Lehmann, in Nürnberg zur Welt. Obwohl der Vater früh verstarb, konnte Lucie, die noch zwei jüngere Geschwister hatte, die höhere Töchterschule besuchen und im Jahr 1914 am Königlichen Realgymnasium das Abitur ablegen. Von 1914 bis 1919 studierte sie Medizin an der Universität Erlangen. Das praktische Jahr absolvierte sie am Cnopf’schen Kinderspital in ihrer Heimatstadt. 1920 erhielt sie die Approbation, 1923 folgte die Promotion.
1921 zog Lucie Adelsberger nach Berlin, wo sie Fachärztin für Kinderheilkunde und Innere Medizin wurde. Ab 1925 betrieb sie eine eigene Praxis, in der sie vor allem Patienten mit allergischen Erkrankungen behandelte. Auch ihr wissenschaftliches Interesse galt den Allergien. Von 1927 bis 1933 forschte sie am Robert Koch-Institut. Sie war Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde, dem Bund Deutscher Ärztinnen und der Berliner Medizinischen Gesellschaft.

Lucie Adelsberger ca.1920

Lucie Adelsberger ca.1920

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde ihr aufgrund ihrer jüdischen Herkunft zunächst die Kassenzulassung, 1938 die Approbation entzogen. Wohl auch um einem Ausschluss zuvorzukommen, gab Lucie Adelsberger ihre Mitgliedschaft in den Berufsverbänden und Fachgesellschaften auf. Trotz eines Stellenangebotes der Universität Harvard blieb sie bei ihrer kranken Mutter, die zu ihr nach Berlin gezogen war, und sorgte weiterhin für ihre Patienten.
Der letzte Umzug in Berlin führte Lucie Adelsberger und ihre Mutter am 6. Dezember 1941 in die Bleibtreustraße. Das Haus mit der Nr. 17 war als ein sogenanntes „Judenhaus“ von den Behörden ausgewiesen worden. In der Beletage einer 6½ Zimmer-Wohnung im 1. Stock wohnte seit 1933 das Ehepaar Moses und Hermine Lipschitz. Moses Lipschitz war Zahnarzt und betrieb seine Praxis in der eigenen Wohnung. Wie allen jüdischen Zahnärzten hatten die Nationalsozialisten auch ihm zum 31. Januar 1939 seine Approbation entzogen – seither durfte er sich nur noch als „Zahnbehandler“ bezeichnen und ausschließlich jüdische Patienten therapieren. Lucie Adelsberger und ihre Mutter bewohnten fortan in der Lipschitz’schen Wohnung zur Untermiete zwei Zimmer mit Diele, auf welcher Lucie auch ihre verbliebenen Patienten empfing. Nachdem Moses Lipschitz am 9. Januar 1942 gestorben war, nahm seine Witwe einen neuen Untermieter auf, den jüdischen Zahnarzt Benno Klein, der die Praxiseinrichtung als „Zahnbehandler“ weiter nutzte.
Der Gesundheitszustand von Lucie Adelsbergers Mutter verschlechterte sich zunehmend: Nach einem Schlaganfall war Rosa Adelsberger teilweise gelähmt und bettlägerig. Auf Anordnung der Behörden musste sie Ende 1942 in das jüdische Altersheim in der Auguststraße umziehen, wo sie am 30. Januar 1943 starb. Ihr Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee.
Gegen Ende 1942 wurde Lucie Adelsberger zum ersten Mal von der Gestapo in das zum „Sammellager” umfunktionierte ehemalige jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26 verbracht. Ursula Bohn, einer engen nichtjüdischen Freundin, gelang es, durch Zahlung einer beträchtlichen Summe an einen einflussreichen SS-Angehörigen Lucie Adelsberger freizukaufen und somit vorläufig vor der Deportation zu bewahren. Ein halbes Jahr später, am 6. Mai 1943, wurde Lucie Adelsberger zum zweiten Mal verhaftet und in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße eingewiesen. Eine erneute Geldzahlung von Ursula Bohn konnte nicht verhindern, dass Lucie Adelsberger am 17. Mai 1943 mit dem sogenannten „38. Osttransport” vom Bahnhof Putlitzstraße (heute: Westhafen) aus nach Auschwitz deportiert wurde. Dort wurde sie zur Arbeit als Häftlingsärztin im „Zigeuner- und Frauenlager“ von Birkenau gezwungen.
Als im Januar 1945 die Rote Armee immer weiter gen Westen vorrückte, entschieden sich die SS-Verantwortlichen dazu, das Lager Auschwitz aufzulösen. Wer von den Gefangenen in der Lage war zu laufen, wurde auf einen der sogenannten „Todesmärsche“ geschickt. Die Gruppe, der Lucie Adelsberger zugeteilt war, musste am 18. Januar aufbrechen. Von Auschwitz bis Loslau ging es zu Fuß, von dort aus zusammengepfercht in offenen Kohlenwagen mit dem Zug vorbei an Breslau, Frankfurt an der Oder, den östlichen Vororten Berlins, Oranienburg und Fürstenberg bis nach Ravensbrück. Kurz vor Kriegsende wurde Lucie Adelsberger in Neustadt-Glewe aus, einem Außenlager des KZ Ravensbrück, befreit.
1946 emigrierte sie in die USA. In New York war Lucie Adelsberger bis zu ihrem Tod als Ärztin und Wissenschaftlerin in der Krebsforschung tätig. Sie starb im Alter von 76 Jahren am 2. November 1971 an den Folgen einer metastasierten Brustkrebserkrankung.
Ihre publizierten Erinnerungen an Auschwitz sind ein bewegendes Dokument des Holocaust.

Recherche und Text: Dr. Benjamin Kuntz
Quellen:
- Adelsberger L (1956) Auschwitz – Ein Tatsachenbericht. Lettner-Verlag: Berlin
- Kuntz B (2020) Lucie Adelsberger. Ärztin – Wissenschaftlerin – Chronistin von Auschwitz. Jüdische Miniatur Band 265. Hentrich & Hentrich: Leipzig, Berlin