Stolpersteine Johannisberger Straße 3

Hausansicht Johannisberger Str. 3

Diese Stolpersteine wurden am 18.10.2014 verlegt.

Die Stolpersteine für Josef, Joseph und Bohumila Chotzen wurden am 21. Juni 2024 verlegt.

Stolperstein Hugo-Kurt Chotzen

HIER WOHNTE
HUGO-KURT
CHOTZEN
JG. 1915
DEPORTIERT 29.6.1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
1944 KAUFERING
ERMORDET 20.2.1945
DACHAU

Hugo-Kurt Chotzen wurde am 29. März 1915 in Berlin-Wilmersdorf geboren. Dort lebte er zusammen mit seinen Eltern und seinen drei Brüdern – Joseph, genannt Eppi, Erich und Ullrich – in der Johannisberger Straße 3. Seine Mutter Elsa und sein Vater Josef führten bis 1929 gemeinsam ein Wäschegeschäft. Danach arbeitete der Vater als Einkäufer einer Textilfirma. Um ihren Mann heiraten zu können, war die protestantische Elsa 1914 zum Judentum konvertiert. So waren christliche und jüdische Traditionen und Feiertage Bestandteil des Familienlebens der Chotzens.
Die vier Brüder wurden nach der NS-Rasse-Ideologie als sogenannte „Geltungsjuden “ klassifiziert. Da Elsa die jüdische Religion angenommen hatte, war die gesamte Familie Mitglied der Jüdischen Gemeinde. Mit Ausnahme der Mutter mussten alle Familienmitglieder ab September 1941 den Judenstern tragen – obwohl sie nicht besonders religiös waren.
In seiner Jugend begeisterte sich Hugo-Kurt Chotzen vor allem für den Sport: jeden Tag trainierte er auf dem Sportplatz des BSV 92. Er wollte Sportlehrer werden. Dieser Berufswunsch wurde ihm jedoch verwehrt: Im Zuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 musste Hugo-Kurt Chotzen den Sportverein verlassen. Zwar konnte er noch vor 1933 seine Schulausbildung beenden, jedoch wurden danach nur noch Lehramtskandidaten „arischer“ Abstammung zugelassen. So absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung in der Textilbranche. Im Jahre 1938 musste er seine Arbeit im Zuge der Arisierung der Firma, bei der er beschäftigt war, aufgeben und ab 1939 unterschiedliche Zwangsarbeiten, wie z.B. bei der Müllabfuhr, verrichten.
1937 lernte er Lisa Scheurenberg kennen. Das Paar heiratete im November 1941. Die Tatsache, dass Lisa nach den NS-Rassen-Gesetzen „Volljüdin“ war, sollte dem Ehepaar zum Verhängnis werden: Zwei Jahre später, am 29. Juni 1943, wurde Hugo-Kurt Chotzen zusammen mit seiner Frau Lisa, seinem Bruder Ullrich und dessen Frau Ruth nach Theresienstadt deportiert. Hugo-Kurts ältester Bruder Eppi, seine langjährige Freundin Bohumila Bytesnik (Bozska) und Mutter Elsa Chotzen schickten fast täglich ein Paket dorthin. Zeugnis dieser besonderen Hilfsaktion sind 369 Rückantwort-Postkarten aus Theresienstadt nach Berlin zwischen Sommer 1943 und Herbst 1944.
Am 29. September 1944 wurde Hugo-Kurt mit seinem Bruder Ullrich von Theresienstadt nach Auschwitz gebracht, um von dort wenige Tage später in das Dachauer Außenlager Landshut deportiert zu werden. Im Februar 1945 wurde Hugo-Kurt dort Opfer eines SS-Wachmanns, der ihn mit Faustschlägen und Fußtritten schwer misshandelte. An den schweren Verletzungen starb Hugo-Kurt Chotzen am 22. Februar 1945. Er ist keine 30 Jahre alt geworden.

www.chotzen.de

Biografische Zusammenstellung
Inga Jochimsen

Stolperstein Erich Chotzen

HIER WOHNTE
ERICH CHOTZEN
JG. 1917
DEPORTIERT 19.1.1942
RIGA
ERMORDET 26.3.1942

Erich Chotzen wurde am 28. Januar 1917 in Berlin-Wilmersdorf geboren. Dort lebte er zusammen mit seinen Eltern und seinen drei Brüdern – Joseph, genannt Eppi, Hugo-Kurt und Ullrich – in der Johannisberger Straße 3. Seine Mutter Elsa und sein Vater Josef führten bis 1929 gemeinsam ein Wäschegeschäft. Danach arbeitete der Vater als Einkäufer einer Textilfirma. Um ihren Mann heiraten zu können, war die protestantische Elsa 1914 zum Judentum konvertiert. So waren christliche und jüdische Traditionen und Feiertage Bestandteil des Familienlebens der Chotzens.

Die vier Brüder wurden nach der NS-Rassen-Ideologie als sogenannte „Geltungsjuden“ klassifiziert. Da Elsa die jüdische Religion angenommen hatte, war die gesamte Familie Mitglied der Jüdischen Gemeinde. Mit Ausnahme der Mutter mussten alle Familienmitglieder ab September 1941 den Judenstern tragen – obwohl sie nicht besonders religiös waren.

Als Jugendlicher trieb Erich Chotzen leidenschaftlich Sport: zusammen mit seinen Brüdern verbrachte er jeden Tag auf dem Sportplatz des BSV 92. Er besuchte das Heinrich-von-Kleist-Gymnasium, das er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 jedoch verlassen musste: Trotz seiner sehr guten Leistungen gab er auf Anraten des Schuldirektors und seiner Lehrer sein Abitur auf, da es Juden zu dieser Zeit bereits verwehrt wurde, ein Studium aufzunehmen. Ab 1939 musste Erich Chotzen, wie auch sein Vater und seine Brüder, Zwangsarbeit leisten.

Ende der 1930er Jahre lernte Erich die Jüdin Ilse Schwarz kennen. Beide heirateten am 7. November 1941. Es war eine religiöse Hochzeit in einer Synagoge. Nur zwei Monate später erhielt Erichs Schwiegermutter Käthe Schwarz die Aufforderung, sich zur Deportation bereit zu halten. Erich und Ilse meldeten sich freiwillig, um die Mutter zu begleiten. Am 19. Januar 1942 wurden die drei nach Riga deportiert, wo Erich am 25. März 1942 ermordet wurde. Er wurde 25 Jahre alt.

www.chotzen.de

Biografische Zusammenstellung
Inga Jochimsen

Stolperstein Ullrich Joachim Chotzen

HIER WOHNTE
ULLRICH JOACHIM
CHOTZEN
JG. 1920
DEPORTIERT 29.6.1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
1944 KAUFERING
ERMORDET 23.12.1944
DACHAU

Ullrich Chotzen wurde am 2. August 1920 in Berlin-Wilmersdorf geboren. Dort lebte er zusammen mit seinen Eltern und seinen drei älteren Brüdern – Joseph, genannt Eppi, Hugo-Kurt und Erich – in der Johannisberger Straße 3. Seine Mutter Elsa und sein Vater Josef führten bis 1929 gemeinsam ein Wäschegeschäft. Danach arbeitete der Vater als Einkäufer einer Textilfirma. Um ihren Mann heiraten zu können, war die protestantische Elsa 1914 zum Judentum konvertiert. So waren christliche und jüdische Traditionen und Feiertage Bestandteil des Familienlebens der Chotzens.

Die vier Brüder wurden nach der NS-Rassen-Ideologie als sogenannte „Geltungsjuden“ klassifiziert. Da Elsa die jüdische Religion angenommen hatte, war die gesamte Familie Mitglied der Jüdischen Gemeinde. Mit Ausnahme der Mutter mussten alle Familienmitglieder ab September 1941 den Judenstern tragen – obwohl sie nicht besonders religiös waren.

Als Jugendlicher verbrachte Ullrich seine Freizeit zusammen mit seinen Brüdern vor allem auf dem Sportplatz des BSV 92. Er besuchte das Heinrich-von-Kleist-Gymnasium, welches er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 verlassen musste. So begann er eine Ausbildung in der Baugewerkschule, wurde allerdings nicht zur Prüfung zugelassen und war danach gezwungen, als ungelernter Arbeiter tätig zu sein. Ab 1939 musste Ullrich Chotzen, wie auch sein Vater und seine Brüder, Zwangsarbeit leisten.

Im November 1939 lernte Ullrich Chotzen Ruth Cohn kennen, sie heirateten am 1. Dezember 1941. Die Tatsache, dass Ruth nach den NS-Rassen-Gesetzen als „Volljüdin“ klassifiziert war, sollte dem Ehepaar zum Verhängnis werden: Am 29. Juni 1943 wurde er zusammen mit seiner Frau Ruth, seinem Bruder Hugo-Kurt Chotzen und dessen Frau Lisa nach Theresienstadt deportiert. Ullrichs ältester Bruder Eppi, seine langjährige Freundin Bohumila Bytesnik (Bozska) und Mutter Elsa Chotzen schickten fast täglich ein Paket dorthin. Zeugnis dieser besonderen Hilfsaktion sind 369 Rückantwort-Postkarten aus Theresienstadt nach Berlin zwischen Sommer 1943 und Herbst 1944.

Am 29. September 1944 wurde Ullrich mit seinem Bruder Hugo-Kurt aus Theresienstadt nach Auschwitz gebracht, um von dort wenige Tage später in das Dachauer Außenlager Landshut deportiert zu werden. Am 3. Januar 1945 wurde Ullrich im Alter von 24 Jahren im bayerischen Landshut ermordet. Die genauen Todesumstände sind nicht bekannt.

www.chotzen.de

Biografische Zusammenstellung
Inga Jochimsen

Stolperstein Lieselotte Hanna Chotzen

HIER WOHNTE
LISELOTTE HANNA
CHOTZEN
GEB. SCHEURENBERG
JG. 1920
DEPORTIERT 29.6.1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
1944 BERGEN – BELSEN
ERMORDET

Lisa Chotzen wurde am 19. Dezember 1920 als einzige Tochter des jüdischen Ehepaars Paul und Luzie Scheurenberg in Berlin geboren. Sie wuchs mit ihrem jüngeren Bruder Klaus auf. 1934 begann sie eine Lehre bei der Schneiderin Bella Schornstein, die Korsetts und Miederwaren herstellte. Als sie dort nicht mehr arbeiten konnte, wurde sie Sprechstundenhilfe bei einem jüdischen Zahnarzt. 1936 nahmen die Nazis der Familie Scheurenberg ihre alte Wohnung wegen ihrer “Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse”. Die Scheurenbergs mussten mit Hilfe der Jüdischen Gemeinde eine neue Wohnung im Berliner Scheunenviertel beziehen.

Zwischen 1937 und 1938 lernte Lisa Chotzen in der “Jüdischen Sportgemeinschaft” Hugo-Kurt Chotzen kennen, den sie im November 1941 heiratete. Zusammen mit ihrem Mann, dessen Bruder Ullrich Chotzen und seiner Frau Ruth wurde sie am 29. Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert. Hugo-Kurts ältester Bruder Eppi, seine langjährige Freundin Bohumila Bytesnik (Bozska) und Mutter Elsa Chotzen schickten fast täglich ein Paket dorthin. Zeugnis dieser besonderen Hilfsaktion sind 369 Rückantwort-Postkarten aus Theresienstadt nach Berlin zwischen Sommer 1943 und Herbst 1944.

Mit einem der großen Transporte aus Theresienstadt gelangte Lisa am 9. Oktober 1944 nach Auschwitz, wo sie zufällig Ruth Chotzen wiedersah. Kurze Zeit nach dieser Begegnung wurde sie nach Bergen-Belsen deportiert, wo sie mit 24 Jahren umkam. Der genaue Zeitpunkt und die Umstände ihres Todes sind bis heute unbekannt. Ihr Bruder überlebte und schrieb ein Buch über seine Geschichte.

www.chotzen.de

Biografische Zusammenstellung
Inga Jochimsen

Stolperstein Ilse Chotzen

HIER WOHNTE
ILSE CHOTZEN
GEB. SCHWARZ
JG. 1923
DEPORTIERT 25.1.1942
RIGA
ERMORDET 1942

Ilse Chotzen wurde als jüngste Tochter des jüdischen Ehepaares Josef und Käthe Schwarz am 24. März 1923 in Berlin geboren. Ihrer älteren Schwester Ruth gelang es im Mai 1939, ein Permit nach England zu bekommen, wo sie als Hausangestellte arbeitete.

Als Ilses Vater Josef Schwarz im Jahr 1940 starb, schlossen sich Mutter und Tochter Schwarz noch enger zusammen. Ende der 1930er Jahre lernte Ilse Erich Chotzen kennen. Am 7. November 1941 heirateten beide in einer Berliner Synagoge.

Als am 19. Januar 1942 Käthe Schwarz in den “Osten” deportiert werden sollte, begleiteten Ilse und Erich sie freiwillig. Nachdem ihr Mann Erich am 25. März 1942 in Riga zu Tode kam, arbeitete Ilse in Wehrmachtsunterkünften außerhalb des Ghettos. Dort fand sie einen Soldaten, der ihre Briefe unter seiner Feldpostnummer an ihre Schwiegermutter Elsa Chotzen und Eppi, einem der Brüder ihres verstorbenen Ehemanns, nach Berlin schickte. Bis zum Jahresende 1942 konnte sie die Berliner informieren, danach verliert sich ihre Spur. Es ist bis heute unbekannt, wo und unter welchen Umständen ihr Leben endete. Sie wurde 20 oder 21 Jahre alt.

www.chotzen.de

Biografische Zusammenstellung
Inga Jochimsen

Josef Chotzen - Johannisberger Straße 3

HIER WOHNTE
JOSEF CHOTZEN
JG. 1883
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
TOT 27. JAN. 1942

Josef Chotzen wurde am 3. Juli 1883 in Oberglogau (Glogowek), Oberschlesien, geboren. Sein Vater Salo Chotzen war Kantor. In Cottbus lernte Josef Elsa Arndt kennen und verliebte sich in sie. Ihr erster Sohn Joseph wurde 1907 unehelich geboren. Die beiden Familien waren anfänglich gegen die Heirat, aber gaben sieben Jahre später ihr Einverständnis und Elsa konvertierte zum Judentum. Am 22. April 1914 heirateten Elsa und Josef Chotzen in Berlin. Am 29. März 1915 wurde Hugo-Kurt, am 28. Januar 1917 wurde Erich und am 2. August 1920 wurde Ullrich geboren.
1914 zog die junge Familie nach Berlin-Wilmersdorf, wo Josef Chotzen ein Wäschegeschäft eröffnete. Erste Adresse war die Johannisberger Straße 4.
Drei Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs und nachdem sein Bruder Hugo an der Ostfront gefallen war, wurde Josef Chotzen 1917 als Soldat eingezogen; ein Jahr später kehrte er zurück.
1920 konnte die sechsköpfige Familie in eine größere Wohnung in der Johannisberger Straße 3 ziehen. In dieser Wohnung erlebte die Familie zwischen 1933 und 1945 eine leidvolle Zeit.
Im August 1929 gab Josef Chotzen sein Wäschegeschäft auf und wechselte als Angestellter zur “Mitteldeutschen Textil-Einkaufgesellschaft (Mitex)”. Im März 1936 wurde er entlassen, um, wie es im Zeugnis heißt, „den Betrieb arisch zu gestalten“. Ab 1938 musste Josef Chotzen Zwangsarbeit im Gleisbau oder schwere Arbeit in einer Art Teerfabrik im weit abgelegenen Zernsdorf leisten. Immer wieder litt er an einer Wundrose am Bein. Im Jahre 1940 stellte der Vertrauensarzt der Ortskrankenkasse fest, dass er nur eine sitzende Tätigkeit im Büro ausüben könnte. Solche Arbeit gab es für Juden nicht. Sein Arbeitsbuch wurde geschlossen und eingezogen, für ihn gab es weder Arbeit noch Unterstützung.
Josefs Sohn Erich und dessen Frau Ilse wurden am 19. Januar 1942 nach Riga deportiert. Kurz danach, am 27. Januar 1942, starb Josef Chotzen im Alter von 58 Jahren im Jüdischen Krankenhaus in Berlin an Erschöpfung und Niedergeschlagenheit. Am 3. Februar 1942 wurde er von Rabbiner Oberländer auf dem Friedhof Weissensee beigesetzt.
Recherche und Text: Bernd Ansorge, Stolperstein-Initiative Stierstraße-Friedenau

Quellen:
  • Barbara Schieb, Nachrichten von Chotzen, Berlin, Edition Hentrich 2000
  • Informationen von Inbar Chotzen
  • www.chotzen.de
Joseph Chotzen - Johannisberger Straße 3

HIER WOHNTE
JOSEPH CHOTZEN
JG. 1907
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
ÜBERLEBT

Joseph Heinrich Chotzen, genannt Eppi, verfasste am 28. Februar 1952 einen Lebenslauf für die Entschädigungsbehörde:

„Ich wurde am 27.9.1907 als erster von vier Söhnen des jüdischen Kaufmannes Josef Chotzen und seiner Ehefrau Elsa, geb. Arndt, in Berlin geboren. Nach dreijährigem Besuch der 4. Gemeindeschule Wilmersdorf, Koblenzerstrasse, kam ich in die Treitschke Schule, Prinzregentenstr., die ich bis zur Untersekunda besuchte, um am 1. Mai 1924 meine zweieinhalbjährige kaufmännische Ausbildung im Textilkaufhaus M. Biermann A.G. in Gera zu beginnen. Anschliessend war ich dort noch ein halbes Jahr als Verkäufer tätig und nahm während dieser Zeit an einem Kursus der Webschule teil. Am 1. April 1927 begann ich im Seidenhaus Michels u. Cie. Berlin, Leipzigerstrasse und an der Gedächtniskirche, meine sechsjährige Tätigkeit als Verkäufer, später noch als Hilfsdekorateur und Substitut. Die wirtschaftliche und politische Lage, durch die Entwicklung der NSDAP besonders für uns Juden bedrohlich geworden, brachte es mit sich, dass ich mich 1929 der KPD anschloss. Ich beteiligte mich energisch am Kampf gegen die Nazis, hauptsächlich gegen die überaus aktive und einflussreiche NSBO Zelle bei der Firma Michels. Ende März 1933 musste ich auf Verlangen des Nazibetriebsrates entlassen werden und unter Drohungen das Haus verlassen. Im Zeugnis heisst das: ,Infolge der wirtschaftlichen Lage waren wir gezwungen Herrn Chotzen zu kündigen.ʻ Ich verschwand sofort aus Berlin, da ich die Absicht hatte, mich einer zu erwartenden Verhaftung zu entziehen. Meine Frau, damalige Freundin, mietete bei einem Bauern am Crossinsee eine Kabine auf ihren Namen, wo ich mich dann unangemeldet aufhielt. Ich wurde dort doch aufgespürt. Drei oder vier Tage vor meiner Verhaftung Mitte Juli 1933 warnten mich Kollegen von Michels; ich befürchtete jetzt aber Repressalien gegenüber meinen Angehörigen, wenn ich weiter in der Illegalität bliebe, die lange Zeit erfolgreich durchzuführen ohnehin überaus schwierig und mehr als fragwürdig erschien. Ich hoffte auf einen einigermassen glücklichen Verlauf und wurde so in Wernsdorf von der Gestapo verhaftet und in die Fidicinstrasse gebracht. Man fand anscheinend nichts besonders Belastendes, sodass ich schon nach knapp zwei Wochen wieder frei war.
Bis 1936 war es mir dann allerdings, weil ich Jude bin, nur möglich meine Arbeitslosigkeit durch kurze Aushilfsanstellungen zu unterbrechen. […] Daraufhin wurde ich in den äusserst gesundheitsschädigenden Betrieb: Sandstrahlbläserei Strauss, Eisenbahnstrasse, zwangsvermittelt. Hier habe ich mir die Grundlagen für mein Lungenleiden und den Gelenkrheumatismus geholt. Bei der Aktion gegen Juden Ende Februar 1943 wurden alle jüdischen Arbeiter dieser Firma verhaftet, dann evakuiert und ermordet. Ich hatte in einer anderen Schicht zu arbeiten und entging so der Verhaftung und verbarg mich bei der Mutter meiner Frau, damaligen Freundin, Berlin W 35, Woyrschstrasse 30 D (Genthinerstr.).
Bei derselben Aktion wurden auch zwei meiner Brüder mit ihren jungen Frauen evakuiert. Sie kamen zuerst nach Theresienstadt und sind später in Landshut und Dachau umgekommen. Mein dritter Bruder war schon 1942 mit seiner Frau und Schwiegermutter nach Riga verschleppt worden. Auch von ihnen konnte sich keiner dem Morden entziehen.
Ich wagte es am 12. April 1943 wieder aus der Illegalität auf dem Arbeitsamt in der Fontanepromenade zu erscheinen und wurde zur Abbruchfirma Strubel Söhne (Fliegerschadenbeseitigung) zwangsvermittelt. Hier arbeitete ich bis zum Beginn der Kampfhandlungen in Berlin.
Nach Kriegsende betätigte ich mich zuerst als Haus- und Strassenobmann und wurde am 1. Juli 1945 beim Bezirksamt Wilmersdorf angestellt. Als sich 1947 rheumatische Schmerzen immer mehr steigerten, begab ich mich in ärztliche Behandlung und wurde wegen Gelenkrheumatismus und allgemeiner Erschöpfungserscheinungen nach Bad Elster verschickt. Aber erst nach völlig verfehlter Kur wurde festgestellt, dass ich mir ein schweres Lungenleiden zugezogen hatte, welches jetzt zur Katastrophe zu führen schien. Ich musste aufhören zu arbeiten und bin seitdem Rentenempfänger.
Sobald es möglich war, und zwar am 8.6.45, hatte ich geheiratet. Meine Frau hatte, nachdem es aus verschiedenen Gründen versäumt war, vor dem Erlass der ,Nürnberger Gesetzeʻ 1935 zu heiraten, unausgesetzt treu zu mir gehalten und mir mit Erfolg alle schwierigen Situationen zu überwinden geholfen. Das war umso gefährlicher weil sie Christin ist, und ich wie mein Vater und meine drei Brüder als “Sternträger” herumlaufen musste. Auch jetzt verdanke ich es hauptsächlich ihrer aufopfernden Pflege, dass ich das Schlimmste überwunden habe. Allerdings macht meine schlechte wirtschaftliche Lage die weiterhin notwendige gute Pflege unmöglich, sodass meine Hoffnung, doch bald mal wieder meinen Unterhalt selbst verdienen zu können, sich wohl kaum so schnell erfüllen wird […].“

Wie Ilse Rewald, eine Freundin der Familie, es beschrieb, konzentrierte sich Eppi auf außerberufliche Dinge, spielte weiter Geige, lernte das Autofahren und genoss mit seiner Frau den gemeinsamen Schrebergarten in der Kleingartenkolonie Johannisberg – bis sie 1959 starb. Um seine Mutter, in deren Nachbarschaft er lebte, kümmerte er sich bis zu ihrem Tod 1982. 1974 lernte er Elsa Ruess kennen, mit der er bis zum seinem Tod am 17. April 1992 zusammen blieb. Ilse Rewald zitiert ihn mit den Worten: „Aber das Leben ist doch schön!“

Recherche und Text: Elke Beibler, Stolperstein-Initiative Tempelhof-Schöneberg

Quellen:
  • Landesverwaltungsamt Berlin, Abt. III – Entschädigungsbehörde – Rentenakte; Reg.Nr.: 3275
  • Barbara Schieb, Nachricht von Chotzen. Berlin: Edition Hentrich 2000
  • www.chotzen.de
Bohumila Chotzen - Johannisberger Straße 3

HIER WOHNTE
BOHUMILA CHOTZEN
GEB. BYTESNIK
JG. 1900
AUSGEGRENZT / DRANGSALIERT
ÜBERLEBT

Bohumila Filomena Bytesnik wurde am 4. Januar 1900 in Tišnov (Deutsch Tischnowitz) geboren – einem kleinen in Südmähren unweit von Brno gelegenen Ort mit etwas mehr als 3.500 Einwohnern im Jahre 1900. Ihre ebenfalls in Tišnov geborene Mutter, Cecilie Bytesnik, war zum Zeitpunkt der Geburt von Bohumila 19 Jahre alt.

Am 24. Februar 1902 wurde der Bruder von Bohumila, František Bytesnik, geboren. Sowohl bei František als auch bei Bohumila sucht man in den Kirchbüchern vergeblich nach dem Namen des Vaters. Über die Großeltern von Bohumila, Leopold Bytesnik und Františka Bytesnik, geb. Gvenar, ist nichts weiter bekannt.

Cecilie Bytesnik und ihre beiden Kinder verließen Tišnov in Richtung Berlin. Wann, aus welchem Grund und ob sie gemeinsam nach Berlin kamen, konnte bisher nicht festgestellt werden. Bohumila Bytesnik muss sich 1921 in Berlin aufgehalten haben, denn am 9. Januar 1921 wurde sie Mutter eines Sohnes mit dem Namen Karl. Dessen Geburtsurkunde ist zu entnehmen, dass er im Berliner Stadtteil Schöneberg geboren wurde. Es gibt keinen Hinweis darauf, wer der Vater von Karl war, und auch keine Informationen dazu, dass jemand die Vaterschaft anerkannt hätte.

Bohumila, auch Božka genannt, und Joseph Chotzen, auch Eppi genannt, lernten sich 1928 kennen. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Eppi über Božka: „Sie war Tschechoslowakin, in Tišnov bei Brünn geboren, also Mährin – worauf sie sehr viel Wert legte – und nicht Jüdin.“
Erst 17 Jahre später war es möglich, dass Božka endlich ihre große Liebe Joseph heiraten konnte. Božka und Eppi reisten, und neben Aufenthalten im Harz, in Wernsdorf oder Teupitz auch mehrere Male in den Geburtsort von Božka nach Tišnov. Hier entstanden „viele Aufnahmen mit der Verwandtschaft“ und der Umgebung, wie es in Barbara Schiebs Buch „Nachricht von Chotzen” heißt.

Im Juli 1933 wurde Joseph Chotzen verhaftet und im Gestapo-Gefängnis „Columbia-Haus“ in Berlin-Kreuzberg festgehalten. Bei Barbara Schieb heißt es: „Seine Freundin Božka arbeitete bei der dänischen Botschaft als Wirtschafterin. Ein bis heute Unbekannter dieser Botschaft setzte sich für Eppis Freilassung ein. Wie dies genau vor sich ging, ist unbekannt.“

In einer „Aufstellung sämtlicher vom 1. September 1939 bis Kriegsende auf dem Polizei-Revier 31 registriert gewesenen Ausländer“ vom Januar 1946 aus dem Archiv des ITS Arolsen werden Cecilie, als Köchin, Bohumila, ohne Angabe des Berufes, und František Bytesnik, als Elektromonteur, mit derselben Adresse aufgeführt, der Woyrschstraße 30 d, heute Genthiner Straße in Tiergarten. In einem im Dänischen Nationalarchiv befindlichen Schriftstück, datiert vom 23. Dezember 1941, „beehrt sich die Königliche Dänische Gesandtschaft, dem Auswärtigen Amte hierdurch ergebenst mitzuteilen, dass der Legationsrat Herr V. de Steensen-Leth gleichzeitig damit, dass er am 1. Januar nächsten Jahres die von dem früheren Amerikanischen Botschaftssekretär Landrath M. Harrison gemietete Wohnung in der Woyrschstrasse 30 c übernimmt, auch die Hausangestellten des Herrn Harrison die Angehörigen des Protektorats Böhmen und Mähren Frau Bozka Bytesnik und Frau Cecilie Bytesnik, in seinen Dienst nimmt“.

Im Frühjahr 1943 nahmen Božka und ihre Mutter Joseph Chotzen in die Wohnung in der Woyrschstraße auf, damit er sich dort für einige Wochen vor der Gestapo verstecken konnte. Möglicherweise war die Unterbringung von Joseph zu diesem Zeitpunkt etwas einfacher, da im Januar 1943 der Bruder von Božka in den Heimatort Tišnov zurückgekehrt war, aber dennoch war es für alle lebensgefährlich.

Im Mai 1943 benötigten auch Božka und ihre Mutter seelische Unterstützung. Sohn und Enkel Karl Bytesnik, wohnhaft in Berlin-Schmöckwitz, war mit 21 Jahren am 1. Dezember 1942 bei Zemena an der Ostfront gefallen. Die Sterbeurkunde ist datiert mit 29. Mai 1943.

Božka und Cecilie halfen, wo sie gebraucht wurden, von Anfang an und über das Kriegsende hinaus. Eppi berichtet später: „Božka war von Anfang an mit allen meinen Aktivitäten vertraut oder verbunden; wenn ich daher über mein Erleben in diesen drei Jahrzehnten zu erzählen versuche, spielt sie immer eine wichtige oft entscheidende Rolle. Sie und ihre Mutter Cilly waren jahrzehntelang in Diplomatenhaushalten als Haushälterin und Köchin angestellt. Sie waren beliebt, sehr gutmütig und stets hilfsbereit. Sobald die Notzeiten begannen, setzten sie sich, wo sie nur konnten, ringsum helfend ein. […] Entscheidend aber war ihre Hilfe, als meine Brüder und ihre Frauen mit Angehörigen in die Konzentrationslager abtransportiert wurden und meine Mutter die große Paketaktion begann! Ohne Božkas Unterstützung hätte meine Mutter das alles in dieser Dimension und Stetigkeit nicht durchführen können.“

Am 8. Juni 1945 konnten Božka und Eppi endlich heiraten. Im September desselben Jahres erhielten sie einen Pachtvertrag für einen Garten in der Kleingartenkolonie „Johannisberg“. Ilse Rewald, eine Freundin der Familie Chotzen, erinnert sich: „Er erfreute sich an seinem kleinen Schrebergarten und an der immerwährenden Veränderung der Natur.“ Eine Verbundenheit und Liebe zur Natur dürfte auch Božka innegewohnt haben.

Ob Božka und ihre Mutter Kontakt mit dem in Tišnov lebenden Bruder František Bytesnik und seiner Ehefrau Albina Bytesnik, geb. Odehnalova, hatten und halten konnten, ist bisher unbekannt. František starb am 23. Juni 1961 in Tišnov, seine Ehefrau Albina am 18. August 2004 ebenda. Die Ehe der beiden blieb kinderlos.

Božkas Mutter Cecilie, die sich stets um den erkrankten Eppi kümmerte und ihn umsorgte, starb am 3. November 1951 mit 69 Jahren in Berlin-Nikolassee.
Als Božka Chotzen, geb. Bytesnik, unerwartet am 5. Juni 1959 in Berlin verstarb, drei Tage vor ihrem 14. Hochzeitstag, brach für Joseph Chotzen eine Welt zusammen.

Recherche und Text Elke Beibler, Stolperstein-Initiative Tempelhof-Schöneberg Quellen:
  • Joseph H. Chotzen, Lebenserinnerungen. Archiv Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
  • Barbara Schieb, Nachricht von Chotzen. Berlin: Edition Hentrich 2000
  • copy of 2.1.5.1/131165899 in conformity with ITS Digital Archive, Arolsen Archives
  • Rigsarkivet, Berlin Diplomatisk Repræsentation, Gruppeordnede sager, aflev 1951: 5 P 4