HIER WOHNTE
BOHUMILA CHOTZEN
GEB. BYTESNIK
JG. 1900
AUSGEGRENZT / DRANGSALIERT
ÜBERLEBT
Bohumila Filomena Bytesnik wurde am 4. Januar 1900 in Tišnov (Deutsch Tischnowitz) geboren – einem kleinen in Südmähren unweit von Brno gelegenen Ort mit etwas mehr als 3.500 Einwohnern im Jahre 1900. Ihre ebenfalls in Tišnov geborene Mutter, Cecilie Bytesnik, war zum Zeitpunkt der Geburt von Bohumila 19 Jahre alt.
Am 24. Februar 1902 wurde der Bruder von Bohumila, František Bytesnik, geboren. Sowohl bei František als auch bei Bohumila sucht man in den Kirchbüchern vergeblich nach dem Namen des Vaters. Über die Großeltern von Bohumila, Leopold Bytesnik und Františka Bytesnik, geb. Gvenar, ist nichts weiter bekannt.
Cecilie Bytesnik und ihre beiden Kinder verließen Tišnov in Richtung Berlin. Wann, aus welchem Grund und ob sie gemeinsam nach Berlin kamen, konnte bisher nicht festgestellt werden. Bohumila Bytesnik muss sich 1921 in Berlin aufgehalten haben, denn am 9. Januar 1921 wurde sie Mutter eines Sohnes mit dem Namen Karl. Dessen Geburtsurkunde ist zu entnehmen, dass er im Berliner Stadtteil Schöneberg geboren wurde. Es gibt keinen Hinweis darauf, wer der Vater von Karl war, und auch keine Informationen dazu, dass jemand die Vaterschaft anerkannt hätte.
Bohumila, auch Božka genannt, und Joseph Chotzen, auch Eppi genannt, lernten sich 1928 kennen. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Eppi über Božka: „Sie war Tschechoslowakin, in Tišnov bei Brünn geboren, also Mährin – worauf sie sehr viel Wert legte – und nicht Jüdin.“
Erst 17 Jahre später war es möglich, dass Božka endlich ihre große Liebe Joseph heiraten konnte. Božka und Eppi reisten, und neben Aufenthalten im Harz, in Wernsdorf oder Teupitz auch mehrere Male in den Geburtsort von Božka nach Tišnov. Hier entstanden „viele Aufnahmen mit der Verwandtschaft“ und der Umgebung, wie es in Barbara Schiebs Buch „Nachricht von Chotzen” heißt.
Im Juli 1933 wurde Joseph Chotzen verhaftet und im Gestapo-Gefängnis „Columbia-Haus“ in Berlin-Kreuzberg festgehalten. Bei Barbara Schieb heißt es: „Seine Freundin Božka arbeitete bei der dänischen Botschaft als Wirtschafterin. Ein bis heute Unbekannter dieser Botschaft setzte sich für Eppis Freilassung ein. Wie dies genau vor sich ging, ist unbekannt.“
In einer „Aufstellung sämtlicher vom 1. September 1939 bis Kriegsende auf dem Polizei-Revier 31 registriert gewesenen Ausländer“ vom Januar 1946 aus dem Archiv des ITS Arolsen werden Cecilie, als Köchin, Bohumila, ohne Angabe des Berufes, und František Bytesnik, als Elektromonteur, mit derselben Adresse aufgeführt, der Woyrschstraße 30 d, heute Genthiner Straße in Tiergarten. In einem im Dänischen Nationalarchiv befindlichen Schriftstück, datiert vom 23. Dezember 1941, „beehrt sich die Königliche Dänische Gesandtschaft, dem Auswärtigen Amte hierdurch ergebenst mitzuteilen, dass der Legationsrat Herr V. de Steensen-Leth gleichzeitig damit, dass er am 1. Januar nächsten Jahres die von dem früheren Amerikanischen Botschaftssekretär Landrath M. Harrison gemietete Wohnung in der Woyrschstrasse 30 c übernimmt, auch die Hausangestellten des Herrn Harrison die Angehörigen des Protektorats Böhmen und Mähren Frau Bozka Bytesnik und Frau Cecilie Bytesnik, in seinen
Dienst nimmt“.
Im Frühjahr 1943 nahmen Božka und ihre Mutter Joseph Chotzen in die Wohnung in der Woyrschstraße auf, damit er sich dort für einige Wochen vor der Gestapo verstecken konnte. Möglicherweise war die Unterbringung von Joseph zu diesem Zeitpunkt etwas einfacher, da im Januar 1943 der Bruder von Božka in den Heimatort Tišnov zurückgekehrt war, aber dennoch war es für alle lebensgefährlich.
Im Mai 1943 benötigten auch Božka und ihre Mutter seelische Unterstützung. Sohn und Enkel Karl Bytesnik, wohnhaft in Berlin-Schmöckwitz, war mit 21 Jahren am 1. Dezember 1942 bei Zemena an der Ostfront gefallen. Die Sterbeurkunde ist datiert mit 29. Mai 1943.
Božka und Cecilie halfen, wo sie gebraucht wurden, von Anfang an und über das Kriegsende hinaus. Eppi berichtet später: „Božka war von Anfang an mit allen meinen Aktivitäten vertraut oder verbunden; wenn ich daher über mein Erleben in diesen drei Jahrzehnten zu erzählen versuche, spielt sie immer eine wichtige oft entscheidende Rolle. Sie und ihre Mutter Cilly waren jahrzehntelang in Diplomatenhaushalten als Haushälterin und Köchin angestellt. Sie waren beliebt, sehr gutmütig und stets hilfsbereit. Sobald die Notzeiten begannen, setzten sie sich, wo sie nur konnten, ringsum helfend ein. […] Entscheidend aber war ihre Hilfe, als meine Brüder und ihre Frauen mit Angehörigen in die Konzentrationslager abtransportiert wurden und meine Mutter die große Paketaktion begann! Ohne Božkas Unterstützung hätte meine Mutter das alles in dieser Dimension und Stetigkeit nicht durchführen können.“
Am 8. Juni 1945 konnten Božka und Eppi endlich heiraten. Im September desselben Jahres erhielten sie einen Pachtvertrag für einen Garten in der Kleingartenkolonie „Johannisberg“. Ilse Rewald, eine Freundin der Familie Chotzen, erinnert sich: „Er erfreute sich an seinem kleinen Schrebergarten und an der immerwährenden Veränderung der Natur.“ Eine Verbundenheit und Liebe zur Natur dürfte auch Božka innegewohnt haben.
Ob Božka und ihre Mutter Kontakt mit dem in Tišnov lebenden Bruder František Bytesnik und seiner Ehefrau Albina Bytesnik, geb. Odehnalova, hatten und halten konnten, ist bisher unbekannt. František starb am 23. Juni 1961 in Tišnov, seine Ehefrau Albina am 18. August 2004 ebenda. Die Ehe der beiden blieb kinderlos.
Božkas Mutter Cecilie, die sich stets um den erkrankten Eppi kümmerte und ihn umsorgte, starb am 3. November 1951 mit 69 Jahren in Berlin-Nikolassee.
Als Božka Chotzen, geb. Bytesnik, unerwartet am 5. Juni 1959 in Berlin verstarb, drei Tage vor ihrem 14. Hochzeitstag, brach für Joseph Chotzen eine Welt zusammen.
Recherche und Text Elke Beibler, Stolperstein-Initiative Tempelhof-Schöneberg Quellen:
- Joseph H. Chotzen, Lebenserinnerungen. Archiv Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
- Barbara Schieb, Nachricht von Chotzen. Berlin: Edition Hentrich 2000
- copy of 2.1.5.1/131165899 in conformity with ITS Digital Archive, Arolsen Archives
- Rigsarkivet, Berlin Diplomatisk Repræsentation, Gruppeordnede sager, aflev 1951: 5 P 4