Stolpersteine Konstanzer Straße 62

Diese Stolpersteine sind am 14. Oktober 2014 in Anwesenheit zahlreicher Mitglieder der Hausgemeinschaft verlegt worden.

Stolperstein Hertha Bick

HIER WOHNTE
HERTHA BICK
JG. 1922
DEPORTIERT
14.4.1942
WARSCHAU
ERMORDET

Hertha Bick ist am 5. Oktober 1922 in Berlin geboren. Von den Nationalsozialisten wurde sie nach deren Rassegesetzgebung als „Mischling“ eingeordnet, das bedeutete damals: sie hatte zwei jüdische und zwei nichtjüdische Großeltern. Von Beruf war sie Hausangestellte und Näherin. Sie war ledig.

Bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 wohnte sie in der Konstanzer Straße 62 als Untermieterin bei Oskar und Betty Grünfeld. Danach war sie zu mehreren Umzügen gezwungen – nach Berlin-Weißensee in die Langhansstraße 137, nach Mögelin/Brandenburg und dann nach Rathenow/Brandenburg in die Große Hagenstraße 40 a. Dort wohnte sie als Untermieterin bei Hermann Röding, in dessen Optischer Fabrik sie arbeitete.

Am 4.4.1942 musste Hertha Bick zur Vorbereitung auf die Deportation ihre Vermögenserklärung ausfüllen, die Enteignung folgte. Am 14. April 1942 wurde sie von Potsdam mit 835 Menschen deportiert, in Berlin-Grunewald kamen weitere hinzu. Der Zug ging ins Warschauer Ghetto, wo er am 16. April eintraf. Hertha Bick war 19 Jahre alt. Ihr Todesdatum ist unbekannt.

Stolperstein Bertha Blumenthal

HIER WOHNTE
BERTHA BLUMENTHAL
GEB. LACHS
JG. 1942
DEPORTIERT 4.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 23.9.1942

Bertha Blumenthal, geb. Lachs, wurde am 28. September 1867 (nach anderen Angaben 1869) in Breslau/Schlesien geboren. Der Name ihres Mannes ist nicht bekannt, sie hatten jedenfalls zwei Töchter: Erna Elsner, geboren am 4. Juni 1889 in Berlin, nach New York ausgewandert, und Käthe Heimann, geboren am 25. Oktober 1892 in Berlin, Arbeiterin, wohnhaft Brandenburgische Straße 38 bei Cohn. Sie tauchte am 13. Juni 1943 in die Illegalität ab, überlebte den Zweiten Weltkrieg und die Judenverfolgung und starb am 5. Dezember 1954.

Bertha Blumenthal bewohnte vor 1933 in der Altonaer Straße 10 eine 7-Zimmer-Wohnung, dann in der Paulsborner Straße 90 im Hochparterre eine 6-Zimmer-Wohnung. Bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 wohnte sie Konstanzer Straße 62 im Parterre als Untermieterin wie auch Hertha Bick bei Oskar und Betty Grünfeld in deren 4-Zimmer-Wohnung.

Laut Vermögenserklärung vom 31. August 1942 betrug ihr Vermögen ca. 4000 Reichsmark, die der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) im Sammellager Große Hamburger Str. 26 „übergeben“ werden mussten.

Deportiert wurde Bertha Blumenthal am 4. September 1942 ins Ghetto Theresienstadt. Dort ist sie am 23. September 1942 ums Leben gebracht worden.

Stolperstein Oskar Grünfeld

HIER WOHNTE
OSKAR GRÜNFELD
JG. 1886
DEPORTIERT 9.12.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Oskar Grünfeld wurde in Wien am 25. August 1886 geboren. Er war kaufmännischer Angestellter, als „letzte Tätigkeit“ vor der Deportation gab er an: Krankenpfleger. Verheiratet war er mit Betty Grünfeld, geb. Herrmann, geboren am 10. Oktober 1888 in Stettin.

Das Ehepaar Grünfeld wohnte Konstanzer Straße 62 im Erdgeschoss, wo sie zwei Untermieterinnen – Hertha Bick und Bertha Blumenthal – aufnehmen konnten. Im November 1942 mussten sie ins Nachbarhaus Konstanzer Straße 61 ziehen und bei Martha Herrmann, der Schwester von Betty Grünfeld, unterkommen, weil die Wohnung von einem Diplomaten beansprucht wurde.

Das Vermögen der Grünfelds wurde am 1.10.1942 eingezogen. Dies wurde ihnen im Sammellager Große Hamburger Straße 26, einem ehemaligen jüdischen Altersheim, amtlich mitgeteilt.

Am 19.10.1942, also kurz vor dem erzwungenen Umzug, nahm das Ungeziefer-Vernichtungs-Institut Carl Pulst aus der Mansteinstraße 8 eine Wohnungsbegehung vor und stellte am 22.10.1942 eine Rechnung an die Hausverwaltung für „Untersuchung der Wohnungen Köppen und Grünfeld auf das Vorhandensein von Wanzen (RM 10) und Ungeziefer incl. Bericht“. Am 5.12. folgte eine weitere Rechnung für die „am 24.11.1942 (durchgeführte) Vernichtung von Wanzen in der leeren Wohnung Grünfeld, 4 Zimmer, Mädchenkammer und Bad, vergast: RM 116“.

Deportiert wurden Oskar und Betty Grünfeld im Alter von 54 und 52 Jahren am 9. Dezember 1942 vom Güterbahnhof Moabit an der Putlitzstraße in einem Zug mit 994 Menschen nach Auschwitz. Martha Herrmann wurde am 3. März 1943 ebenfalls nach Auschwitz deportiert. Alle drei sind dort ermordet worden.

Am 25. Februar 1943 schrieb die Friedrich Wilhelm Lebensversicherung AG – Grundstücksverwaltung – an die Oberfinanzbehörde diesen herzlosen Brief:
„Unser früherer Mieter Oskar Israel Grünfeld hat seine 4-Zimmer-Wohnung in unserem Hause Konstanzer Str. 62 vorn Erdgeschoß auf Veranlassung des Herrn Generalbauinspektors im Nov. 1942 geräumt, weil die Wohnung dem Konsul Dr. Zimmermann zugewiesen worden ist. Er zog nach Konstanzer Str. 61 und ist lt. Auskunft der jüdischen Kultusvereinigung von dort am 9.12.1942 abgewandert. Wir haben gegen den Grünfeld noch den Anspruch auf Erstattung der Entwesungskosten einschließlich Voruntersuchung von zusammen 126 RM…“

Stolperstein Betty Grünfeld

HIER WOHNTE
BETTY GRÜNFELD
GEB. HERRMANN
JG. 1888
DEPORTIERT 9.12.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Käthe Galland

HIER WOHNTE
KÄTHE GALLAND
GEB. ELKUSS
JG. 1882
DEPORTIERT 29.11.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Käthe Galland, geb. Elkuss, ist am 16. November 1882 in Flatow/Westpreußen geboren. Sie war verwitwet, ihr Mann, der Rechtsanwalt Julius Galland, war 1938 gestorben, sie hatten drei Kinder: Hildegard Selma Plaut, geb. Galland, geboren am 8. September 1907 in Posen (Poznan), ausgewandert nach Sao Paulo/Brasilien; Wolf Galland, geboren am 11. Oktober 1908 in Posen, ausgewandert nach Massachusetts/USA; und Susanne Marck, geb. Galland geboren am 12. Dezember 1917 in Posen, ausgewandert nach Affuleh/Israel.

Bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 wohnte Käthe Galland noch in der Konstanzer Straße 62. Vom 1. März 1941 an musste sie zu ihrer Schwester Martha Elkuss in die Sächsische Straße 27, I. Etage links in ein möbliertes Zimmer ziehen, wofür sie 70 RM/Monat zu zahlen hatte.

Enteignet wurde Käthe Galland am 1. Oktober 1942, ihre Rente wurde konfisziert. Dies teilte ihr die Gestapo im Sammellager Große Hamburger Straße 26 mit, wo sie sich zur Deportation registrieren lassen musste. Die Deportation erfolgte dann am 29. November 1942 mit 988 anderen Menschen von Bahnhof Putlitzstraße nach Auschwitz. Dort ist sie an einem unbekannten Datum vergast worden.

Stolperstein Georg Plaut

HIER WOHNTE
GEORG PLAUT
JG. 1974
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
18.10.1941

Georg Plaut wurde am 13. Januar 1874 in Graudenz (Grudziadz) geboren.
Verheiratet war er mit Marta Plaut, geb. Ebbers, die nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen „arisch“ war, also keine Jüdin. Sie war am 19. August 1890 in Münster/Westfalen geboren und ist erst 1970 in Berlin gestorben.

Georg Plaut war Chemiker, promovierte und war Inhaber der Fabrik A. Palis Nachf. an der Mittenwalder Straße 6, die 1900 gegründet worden war und 1939 liquidiert wurde. Schon am 1. Juli 1937 musste Plaut die Firma an einen „arischen“ Mitarbeiter zwangsverkaufen. Als Verkaufssumme wurde eine lebenslange Rente von 1 000 Reichsmark pro Monat vereinbart und später auf 750 RM vermindert.

Bei der Volkszählung 1939 waren Georg und Marta Plaut in der Konstanzer Straße 62 als Untermieter bei Käthe Galland gemeldet. Um seine christliche Ehefrau nicht zu gefährden, ließ sich das Ehepaar am 14.2.1939 scheiden, am 15.12.1940 zog er als Untermieter zu den Brüdern Georg und Rudolf Brodnitz in die Bregenzer Straße 7.

1940 wurde die Firma A. Palis Nachf. „entjudet“, wie die endgültige Enteignung im Nazi-Deutsch genannt wurde. Das Reichswirtschaftsministerium reduzierte die Ausgleichsabgabe von 60 000 auf 15 000 Reichsmark und strich die Rente.

Am 3.10.1941 wurde die Enteignung endgültig vollzogen. Am 16. Oktober 1941 wurden Georg Plaut und seine Vermieter verhaftet und ins Sammellager Levetzowstraße 7-8 gebracht. Dort stellte die Gestapo ihm die am 12.10.1941 ausgefertige Vermögenserklärung zu.

In der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1941 vergiftete sich Georg Plaut. Die Brüder Brodnitz sind am 18. Oktober mit dem ersten Transport, der vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald abging, nach Lodz/Litzmannstadt deportiert worden. Diesem Schicksal hat sich Georg Plaut mit 67 Jahren entzogen.

Stolperstein Hans Rosenberg

HIER WOHNTE
HANS ROSENBERG
JG. 1889
DEPORTIERT 9.2.1944
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Hans Rosenberg wurde am 25. September 1889 in Grätz (Grodzisk) in der Region Posen (Poznan) geboren. Seine Eltern waren David Rosenberg, geboren am 7. Januar 1843 in Thorn (Thorun) und Jinka Rosenberg, geb. Foerder, geboren am 26. November 1865 in Wongrowitz.

Von Beruf war er Bankbeamter und Kaufmann. Er heiratete am 6.11.1924 Else Rosenthal, geb. Hauffe, geboren am 11. Februar 1892 in Berlin, gestorben am 12. Mai 1943 in Berlin. Sie war nach den Rassegesetzen der Nationalsozialisten „arisch“, er lebte mit ihr, wie es damals hieß, in „privilegierter Mischehe“ und war somit zunächst anscheinend geschützt.

Bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 wohnten sie in der Konstanzer Straße 62. Knapp neun Monate nach dem Tod seiner Frau, am 10. Februar 1944, ist Hans Rosenberg nach Theresienstadt deportiert worden. Am 9. Oktober 1944 wurde er nach Auschwitz weiterdeportiert und dort ermordet.

Stolperstein Eva Ries-Seelig

HIER WOHNTE
EVA RIES-SEELIG
GEB. WOLLENBERG
JG. 1893
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Eva Riess-Seelig, geb. Wollenberg wurde am 12. September 1893 in Berlin geboren. Bei der Volkszählung am 17.Mai 1939 wohnte sie in der Konstanzer Straße 62, sie war Untermieterin bei Ernst Wollenberg. Im Berliner Adressbuch 1937 stand unter dieser Adresse der Fondsmakler E. Wollenberg, der Bankier war und ein Büro Wollenberg & Nachholz führte. Wollenberg ist 1938 gestorben oder geflüchtet, jedenfalls wurde er bei der Volkszählung 1939 nicht erfasst. Eva Riess-Selig, vermutlich seine Schwester, musste sich in die Xantener Str. 20 umsiedeln lassen und gab als Anschrift die Konstanzer Straße 67 an.

Deportiert wurde Eva Riess-Seelig am 19. Oktober 1942 mit 959 Menschen, darunter 140 Kindern unter zehn Jahren, vom Güterbahnhof Moabit nach Riga. Gleich nach der Ankunft am 22. Oktober ist sie wie fast alle Insassen dieses Zuges in den umliegenden Wäldern erschossen und in Massengräbern verscharrt worden.

Stolperstein Johanna Eitig

HIER WOHNTE
JOHANNA EITIG
GEB. JACOBY
JG. 1865
DEPORTIERT 17.7.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET

Johanna Eitig, geb. Jacoby, ist am 23. November 1860 in Dirschau/Westpreußen geboren. Bei der Volkszählung 17. Mai 1939 wohnte sie in der Konstanzer Straße 62. Näheres ist über ihre Lebensumstände nicht zu erfahren.
Sie wurde am 17. Juli 1942 mit 100 Menschen vom Anhalter Bahnhof nach Theresienstadt deportiert. Dort ist sie 1942 im Alter von 81 Jahren umgekommen.

Recherchen und Texte: Ulf Borchardt (bearbeitet und ergänzt von Helmut Lölhöffel)

Der Hausbewohner Ulf Borchardt hat über die jüdischen Menschen, zu deren Gedenken Stolpersteine verlegt wurden, eine Broschüre verfasst.

  • STOLPERSTEINE KONSTANZER STR 62

    PDF-Dokument (60.7 kB)

Auszug der türkischen Tageszeitung Hürriyet

Der Hausbewohner Ahmet Kühlaci hat darüber in der türkischen Tageszeitung „Hürriyet“ eine Kolumne geschrieben.
Übersetzung des Textes von Ahmet Kühlaci, Berliner Kolumnist der türkischen Zeitung „Hürriyet“:

Die Nachbarn, die ich nicht kannte
Eines Abends, als ich nach Hause kam, fand ich eine Broschüre.
In der Broschüre stand die Adresse und die Hausnummer unseres Hauses drin.
Und es standen diese Namen dort:
Hertha Bick, geb. 05.10.1922 in Berlin
Bertha Blumenthal, geb. 28.09.1867 in Breslau
Johanna Eitig, geb. 20.11.1865 in Dirschau
Käthe Galland, geb. 16.01.1882 in Flatow
Oskar Grünfeld, geb. 28.08.1886 in Wien
Betty Grünfeld, geb. 10.10.1888 in Stettin
Georg Plaut, geb. 13.01.1874 in Graudenz (Polen)
Eva Riess-Seelig, geb. 12.09.1893 in Wollenberg
Hans Rosenberg, geb. 25.09.1889 in Graetz
Alle Nachbarn von uns!
Besser gesagt: Sie waren alle einmal Nachbarn.
Sie hatten alle eines gemeinsam. Sie waren deutsche Juden.
Und Sie haben alle in dem Haus gewohnt, wo wir vor sechs Jahren eingezogen sind.
Ich kenne sie alle nicht und hätte sie nie kennenlernen können.
Denn sie wurden alle während des Zweiten Weltkriegs zwischen 1941 und 1944 aus ihren Wohnungen vertrieben und mit Zügen in die Konzentrationslager gebracht.
Keiner von ihnen kam zurück!
Höchstwahrscheinlich wurden Sie durch die Nazis in sogenannte Gaskammern gesteckt und menschenunwürdig vergast.
In der Broschüre ging es um eine Initiative, Stolpersteine für die „Nachbarn die wir nicht kannten“, zu setzen.
An vielen Orten in Berlin gibt es solche Stolpersteine. Auch wenn die Stolpersteine aus zwei Begriffen stammen „Stolper“ und „Stein“, bestehen Sie nicht aus Stein, sondern aus Messing. Und Stolpern tut man nur innerlich, wenn man die Stolpersteine sieht. Daher kommt auch die Bezeichnung „Stolpersteine“.
Auf diesen Steinen stehen die Namen und Geburtsdaten von Naziopfern (manche sogar wann sie vertrieben und ermordet worden sind). Ganz oben steht „Hier wohnte“.
Jedesmal, wenn ich an den Stolpersteinen vorbeilaufe, nimmt es mich emotional mit.
Als ich hörte, dass in unserem diese Menschen lebten, die in Gaskammern ermordet worden sind, nur weil Sie Juden waren und die in unserem Haus gewohnt haben, hat es mich sehr tief berührt.
Immer wenn ich die Treppen hoch und runter steige, denke ich, dass Sie auch diese Treppen benutzt haben. Wenn ich auf den Balkon gehe und den berühmten Kudamm sehe, denke ich immer an diese Menschen.
Wenn ich im Wohnzimmer sitze, denke ich auch an die Menschen, die vielleicht im selben Wohnzimmer saßen und hier Bücher oder Zeitungen lasen oder sich einfach nur unterhielten, vielleicht auch sich liebten.
Natürlich denke ich nicht nur an meine „alten Nachbarn“, von deren Schicksal ich erfahren habe, sondern an alle, die von den Nazis unterdrückt worden sind wie die Sinti und Roma, Homosexuelle, Kommunisten, Linke, die Zeugen Jehovas, und alle Widerständler.