Erich Danziger wurde am 26. Dezember 1889 im schlesischen Gleiwitz als Sohn von Richard und Elise Danziger, geb. Wohl, geboren. Im Jahr 1910 legte er am Gymnasium von Pless (Schlesien) seine Abiturprüfung ab. Zum Sommersemester 1910 nahm ein Jurastudium an der Universität Freiburg im Breisgau auf, wechselte nach einem Jahr an die Universität München und schließlich 1912 an die Berliner Universität (heute Humboldt-Universität). Er schloss sein Studium 1916 in Breslau mit einer Dissertation unter dem Titel „Zur Lehre von der Begünstigung und Hehlerei“ ab. Unmittelbar nach Ende seines Studiums diente er als Unteroffizier in der preußischen Armee. Über seine militärische Laufbahn wissen wir nichts Genaues. Gegen Ende des Jahrzehnts lernte er Edith kennen, eine junge Frau, die wie er aus Schlesien kam und jüdisch war.
Nach einigen Monaten heirateten sie. Von 1922 bis 1923 wohnten sie am Dernburgplatz 1, wo die gemeinsamen Kinder Ellen und Hans Ernst zur Welt kamen. Die beiden Kinder wuchsen ab 1924 im Haus an der Taubertstraße 5 auf, in dem Erich auch seine Geschäftsräume hatte. Ein prominenter Nachmieter an dieser Adresse war ab 1928 der österreichisch-amerikanische Psychoanalytiker René A. Spitz. Spätestens 1929 richtete sich die Familie in Charlottenburg am Ufer des Lietzensees in der Kuno-Fischer-Straße 15 ein. Als nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Anfang der dreißiger Jahre die Repressionen zunahmen, beschloss die Familie auszuwandern. Bereits im Mai 1933 flohen die vier Danzigers nach Frankreich, zunächst nach Straßburg. Dort lebten sie bis zur Übersiedlung nach Paris im April 1938. In Paris entfremdeten sich die Eheleute zunehmend voneinander und Erich trennte sich von Edith. Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht ging Erich nach 1940 in
die sogenannte „Unbesetzte Zone“. Am 28. Februar 1943 wurde Erich Danziger in Chaudes-Aigues im Departement Cantal festgenommen. Er wurde zunächst im Lager von Gurs interniert. Am 4. März 1943 wurde er von Drancy aus zusammen mit 936 Männern, 66 Frauen und vier Kindern mit dem Transport Nr. 50 in die Todeslager des Ostens deportiert. Seine Deportationsnummer war 129120. Er ist am 9. März 1943 in Majdanek ermordet worden.
Edith Tichauer wurde am 5. April 1897 in Tarnowitz (Schlesien) als Tochter von Elfriede Stern und Max Tichauer geboren. Über ihre Kindheit und Jugend wissen wir wenig. Anfang der zwanziger Jahre heiratete sie Erich Danziger, hieß dann Edith Danziger, geb. Tichauer , und bekam mit ihm die Kinder Ellen und Hans Ernst.
Ihr ruhiges Leben als Gattin eines Juristen wurde durch die ersten Repressalien gegen das jüdische Leben in Berlin erschüttert. Als tiefgläubige Jüdin, die später gegen den Willen ihrer Tochter den Enkelsohn mit in die Synagoge nahm, ertrug sie diese Situation nicht. Die Flucht aus Berlin im Mai 1933 war für sie insofern weniger eine Zerreißprobe als vielmehr eine Befreiung. Ihre Familie war gesund und sicher, aber bis wann? Nachdem sie bis 1938 in Straßburg gelebt hatten, zog die Familie Danziger nach Paris. Die Ehe mit Erich ging in die Brüche. Sie nahm die Kinder und verließ ihren Mann nach 20 Jahren gemeinsamen Lebens.
Nach der Besetzung Frankreichs wurden 1940 Edith und ihre Tochter Ellen verhaftet. Sie wurden ins Vélodrome d’Hiver gebracht und später in das Internierungslager von Gurs transportiert. Bis zum 13. August 1940 wurden die beiden Danzigers in Gurs festgehalten, anschließend trafen sie in Luscan (Haute-Garonne) den Sohn und Bruder Ernst wieder.
Nach der erneuten Trennung von ihren Kindern ließ sich Edith freiwillig in eine Klinik für Psychiatrie in der Nähe von Grenoble einweisen. Dort konnte sie sich bis Kriegsende versteckt halten. Schnell konnte sie 1945 den Kontakt zu ihrer Tochter wiederherstellen. Sie begab sich nach Paris, ins Hotel Lutetia, um nach ihrem Sohn und ihrem Mann zu suchen, allen Hindernissen zum Trotz. Sie befürchtete, dass das Schlimmste eingetreten sei – und erlangte einige Jahre später Gewissheit.
Edith begann ein neues Leben mit dem Cousin ihres verstorbenen Ehemanns, Erich Kaufmann. Am 2. Dezember 1988 ist sie dort gestorben, wo sie nach den schwierigsten Zeiten für einige Jahre Zuflucht gefunden hat, am Ufer des Genfer Sees, in Vevey (Schweiz).
Ellen Danziger wurde am 9. September 1922 in Berlin-Charlottenburg am Dernburgplatz 1 geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit am Lietzensee und besuchte von April 1929 bis März 1933 die städtische Montessorischule. Nachdem sie bereits am katholischen Lyzeum Charlottenburg angemeldet war, flüchtete sie 1933 mit ihrer Familie nach Frankreich, nachdem ihr Vater seine Arbeit in Berlin verloren hatte. Nach der Ankunft in Straßburg im Mai 1933 besuchte Ellen dort die Schule bis zum Abschluss der zehnten Klasse im Juli 1937. Anschließend wurde sie mit ihrem Bruder für zwei Jahre in das Pensionat „Casa Bianca“ von Lilly Volkart in Ascona (Südschweiz) geschickt.
Zurück in Straßburg lebte sie in einer Pension für jüdische Mädchen, wo sie ihren Schulbesuch bis zum Abitur fortsetzte. Um einen Beruf zu erlernen, ging sie nach Paris, wo ihre Eltern bereits lebten, und belegte Kurse an einer privaten Handelsschule. Ab April 1939 arbeitete sie gleichzeitig zuerst als Hausmädchen, dann in der Bekleidungsfabrik Haymann, wo sie ein Jahr lang, bis Mai 1940, als Textilkleberin beschäftigt war. Zur damaligen Zeit wohnte sie in Paris am Boulevard Magenta. Nach der Besetzung Frankreichs durch die Wehrmacht wurde Ellen und ihre Mutter im Mai 1940 verhaftet und im Vélodrome d’Hiver festgehalten, später in das Internierungslager Gurs (Pyrénées-Atlantique) gebracht. Bis zum 13. August 1940 waren die beiden Danzigers in Gurs interniert, in Luscan (Haute-Garonne) trafen sie danach den Bruder und Sohn Hans Ernst wieder.
Nach ihrer Freilassung wurde Ellen Hausmädchen bei Dr. Batmale in Labarthe-Rivière, nur wenige Kilometer von Gurs entfernt. Nach dem Verlust ihrer Arbeit infolge der sich verschärfenden Lage in der unbesetzten Zone fand sie Anstellung in der Fabrik Lartigue in Nogaro, Departement Gers. Die Arbeit am Fließband in der Ziegelei war sehr erschöpfend und sie erlitt einen Arbeitsunfall, bei dem sie sich am rechten Schlüsselbein verletzte. Nach mehreren Monaten der Genesung, die durch ein Lungenleiden erschwert wurde, half ihr der sie betreuende Arzt, Jean De Brux, der sie der Klinik von Dr. Delteil als Krankenschwester empfahl. Dort arbeitete sie von Dezember 1942 bis Dezember 1944.
Dies war der Zeitpunkt, zu dem sie sich unter dem Pseudonym Renée Didier in der Gruppe „Myriel – Ramon – Delteil“ der Résistance anschloss. Den Vornamen Renée legte sie bis zu ihrem Lebensende nicht mehr ab. Sie heiratete 1947 Jaime Marti, den sie während ihrer Genesung gegen Kriegsende in Osseja (Pyrenées-Orientales) kennengelernt hatte. Gemeinsam bekamen sie zwei Kinder, Jean-François und Robert. Am Ende ihres Lebens, nachdem sie nie über ihre Kindheit, ihr Exil, ihre Lebensumstände während des Krieges oder ihre Beteiligung am französischen Widerstand gesprochen hatte, hinterließ sie ihren gesamten Nachlass ihren Enkelkindern Julie und Fabrice. Renée Didier Marti, geborene Ellen Danziger, starb am 2. September 1997.
Hans Ernst Danziger wurde am 30. Dezember 1923 am Dernburgplatz 1 in Berlin-Charlottenburg geboren. Mit seiner großen Schwester verlebte er eine unbeschwerte Kindheit. Sie waren unzertrennlich, besonders bei den winterlichen Schlittschuhpartien auf dem zugefrorenen Lietzensee. Über seine Schulzeit in Deutschland wissen wir nichts. Nach der Flucht mit seinen Eltern und seiner Schwester im Mai 1933 lebte er in Straßburg. Wahrscheinlich hat er in Frankreich einige Jahre die Schule besucht.
Von 1937 bis 1939 schickten ihn seine Eltern mit seiner Schwester ins Pensionat „Casa Bianca“ von Lilly Volkart ins schweizerische Ascona. Nach Ende des Aufenthalts kehrte er zu seinen Eltern nach Paris zurück. Was in dieser Zeit passierte, wissen wir nicht. Seine Spur tauchte mit seiner Ankunft in Luscan am 11. Mai 1940 wieder auf. Hier traf er seine Schwester und seine Mutter wieder und war als Lehrling in einer Konditorei beschäftigt. Durch viele kleinere Arbeiten lernte er mehrere Berufe kennen: Tischler, Handwerker, Landarbeiter…
Am 12. März 1942 wurde er in einem Bistro in Luscan von der Polizei wegen Störung der öffentlichen Ordnung verhaftet. Zunächst wurde er vom 12. März bis zum 16. Juli 1942 im Lager von Récébedou interniert, vom 16. Juli bis zum 8. August dann im Lager Le Vernet (Ariège). Am 8. August 1942 wurde er schließlich auf Anweisung des „Befehlshabers der Sicherheitspolizei“ von Frankreich in das Internierungslager Drancy gebracht. Auf Befehl des Reichssicherheitshauptamtes wurde er am 12. August 1942 in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Seine Deportationsnummer war 58828, er wurde als Jude und als politischer Häftling kategorisiert. Er wurde zur Arbeit im Lager der Häftlinge, die in der nahegelegenen Kohlemine arbeiten müssen, eingeteilt. Am 22. Januar 1945 wurde Hans Ernst Danziger mit der Deportationsnummer 117414 in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht, am 26. Januar in das Außenlager Ohrdruf überstellt. Schließlich kam er am 20. März 1945 in das
Konzentrationslager Bergen-Belsen.
Während an seiner Ermordung keine Zweifel bestehen können, existiert kein zeithistorisches Dokument, das seinen Tod bescheinigt. Die Befreiung von Bergen-Belsen erlangte traurige Bekanntheit: das Lager wurde am 15. April 1945 von britischen Truppen befreit. Aufgrund einer Typhusepidemie, die mangels Ausstattung und Fehleinschätzung des Ausmaßes nicht eingedämmt werden konnte, wurde das Lager unter Quarantäne gestellt. Die Baracken wurden in Brand gesetzt und die Leichen wurden in Massengräbern bestattet. In diesen ruht sicherlich auch Hans Ernst Danziger.
Zum Abschluss des Gedenkens anlässlich der Verlegung dieser Stolpersteine sagten Robert und Fabrice Marti:
p(. “Unser Dank gilt allen, die uns so loyal und freundlich bei diesem minutiösen Vorhaben der Familienforschung geholfen haben. Ganz herzlich bedanken möchten wir uns bei denen, die zu Freunden geworden sind, Anne Jordan und Christian Hoffmann sowie Oliver Gliech, Andreas Nürnberger und Caroline Elias. Wir möchten sehr herzlich Birgit Schmidt-Bartsch und den Bewohnerinnen und Bewohnern der Kuno-Fischer-Straße 15 danken und den Verantwortlichen der Stolpersteine-Initiative des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf.
p(. Pour que vive encore longtemps le devoir de mémoire. / Auf dass das Gedenken lange anhalte.
p(. Pour que l’amitié franco-allemande perdure. / Auf dass die deutsch-französische Freundschaft bestehe.
p(. Pour que rien ne soit oublié. / Auf dass nichts vergessen sei.
p(. Merci de partager ce jour avec nous. / Danke, dass Sie diesen Tag mit uns teilen.
p(. Zum Ende einige Worte von Victor Hugo, der in seiner Rede vom 24. Februar 1848 ausrief: „Die Erinnerungen sind unsere Kraft. Wenn die Nacht zurückzukehren droht, müssen wir die großen Ereignisse erleuchten wie wir unsere Fackeln entzünden.“ Ergreift diese Fackel der Geschichte, nehmt sie und reicht sie weiter!
p(. Es ist an Ihnen, diese Stolpersteine zu erleuchten in Erinnerung an diese Familie, die durch deutsche Geschichte so gelitten hat.”
Texte: Julie Giordano/Fabrice Marti, Übersetzung: Anne Jordan/Christian Hoffmann