Wilhelm Flanter wurde am 22. Oktober 1884 in Posen (Poznan/Polen) geboren, seine Frau Erna Flanter , geborene Waldo, am 10. Februar 1896 in Koschmin (Kozmin/Polen). 1925 wurde ihre Tochter Susanne geboren. Die Familie wohnte in der Suarezstraße 5, zunächst im Erdgeschoss, dann zogen sie in den 4. Stock.
Zur Verlegung der beiden Stolpersteine am 20. Mai 2014 verfasste Susanne Kenton, geb. Flanter, diesen Bericht:
p(. „Mein Vater besaß eine Buchhandlung, der ein Großhandel und eine Leihbücherei angeschlossen waren. Nach der Hochzeit meiner Eltern half meine Mutter, die sehr geschäftstüchtig war, das Unternehmen zu erweitern, so dass sie schließlich sieben Geschäfte in ganz Berlin betrieben. Sie waren sehr glücklich und extrem fleißige und hart arbeitende Menschen. Im Jahr 1925 wurde ich, Susanne, als einziges Kind geboren.
p(. Alles lief zufriedenstellend, bis Hitler im Januar 1933 an die Macht kam. Kurz darauf stürmten einige Nazi-Schläger in den Laden. Sie fuchtelten mit ihren Waffen herum und forderten meine Eltern auf, das Geschäft zu verlassen, ansonsten drohe ihnen Schreckliches. Bei meinen Großeltern mütterlicherseits fanden sie für die folgende Nacht Schutz. Danach kehrten sie jedoch in Wohnung und Geschäft zurück und versuchten, ihr Leben wie bisher so normal wie möglich zu leben. Aufgrund neuer Gesetze mussten sie alle ihre Mitarbeiter, die sie immer freundlich und großzügig behandelt hatten, aus dem Geschäft entlassen und den Kontakt mit ihnen meiden. Bald danach mussten sie das Geschäft ganz aufgeben. Auch ihr langjährig beschäftigtes Hausmädchen mussten sie gegen deren Willen entlassen.
p(. Die Situation der jüdischen Bevölkerung verschlechterte sich zusehends, und der nächste heftige Schock kam am 9. November 1938 in der sogenannten “Reichskristallnacht”. Viele jüdische Männer wurden von der Polizei aufgegriffen und in Konzentrationslager gebracht. Mein Vater war auch einer dieser Männer, die spät am Abend aus der Wohnung geholt wurden, was meiner Mutter und mir großen Kummer bereitete. Dem Polizist, der meinen Vater abholte, war das wenigstens noch peinlich, da er meine Eltern gut kannte. Er konnte jedoch nichts daran ändern: “Befehl ist Befehl”. Mein Vater wurde ins KZ Sachsenhausen bei Oranienburg nahe Berlin gebracht. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter täglich zur örtlichen Polizeiwache ging, um ausfindig zu machen, was mit ihrem Mann geschehen war, erhielt aber keinerlei Informationen. Dummerweise hatten meine Eltern geglaubt, dass der Wehrdienst, den mein Vaters für Deutschland im 1. Weltkrieg geleistet hatte,
ihn retten könnte, aber das zählte nichts mehr in den Augen der Nazis.
p(. Als mein Vater am 14. Dezember 1938 aus dem KZ entlassen wurde, erschütterte mich die sichtbare Veränderung seiner Persönlichkeit sehr. Er war immer glücklich und fröhlich gewesen; jetzt war er ein bedrückter Mensch, der all seinen Lebensmut verloren hatte. Obwohl er in meinem Beisein niemals über seine Gefühle sprach, wurde mir klar, dass er in diesen fünf Wochen durch die Hölle gegangen sein musste. Noch während mein Vater eingesperrt war, hatte meine jüdische Schule Kontakt mit dem Komitee aufgenommen, welches Kinder von Deutschland nach England mit einem sogenannten “Kindertransport” brachte. Ich kann nicht ermessen, wie schwer es meinen Eltern gefallen sein muss, die Entscheidung darüber zu fällen, dass ich nach England gehen sollte, um dort bei einer unbekannten Familie zu leben.
p(. Am Morgen des 30. Januar 1939 brachte mich meine Familie zum Bahnhof, nachdem wir am Tag zuvor ein letztes Freitag-Abendessen mit meinen Großeltern verbracht hatten. Wir hatten das Glück, dass meinen Eltern gestattet wurde, mir auf dem Bahnsteig “Auf Wiedersehen” zu sagen, was nicht bei allen Transporten möglich war. Ihr Mut wird mir bis zu meinem Lebensende immer vor Augen stehen, obwohl niemand von uns wissen konnte, dass dies ein Abschied für immer war. Ich habe sie nie wiedergesehen.
p(. Viele Jahre später erfuhr ich, dass meine Eltern mehrere Versuche unternommen hatten, Deutschland zu verlassen. Vergebens. Am 14. November 1941 wurden sie mit dem 5. Transport zusammen mit meiner Tante Herta von Berlin nach Minsk deportiert. Sechs Jahre später erreichten mich auf abenteuerliche Weise zwei herzzerreißende Briefe meiner Eltern, in denen sie Hilfe von Verwandten in den USA und in Palästina erflehten. Das Original des Briefes nach Amerika befindet sich im Archiv des Jüdischen Museums von Berlin, das des Briefes nach Palästina im Museum Ha Tvutsot in Tel Aviv/Israel.”
Text: Susanne Kenton (London). Übersetzung ins Deutsche: Elke Elsner
“My father owned a Book Shop which was also wholesale and a lending library. After my parents were married my mother, who was an excellent business woman, expanded the business and they ended up owning seven shops throughout Berlin. They were very happily married and extremely industrious and hard working people. In 1925 my mother gave birth to Me, Susanne, who was their only child. All went well until 1933 when Hitler came to power. One day soon after that some Nazi thugs stormed into the shop brandishing guns and told them to get out, or else…they had to seek refuge for the night in my mother’s parents home. However, they did return soon afterwards and tried to carry on as normal a life as possible. Slowly one after another of my parent’s employees, who had always been treated in a friendly and generous manner, had to leave and were afraid to have anything more to do with them. After some time they were forced to give up their business. The maid who looked
after their home and had been with them for many years was also forced to leave but very much against her will. Things went from bad to worse for Jews and the next big shock came in November 1938, when Kristall Nacht took place. Most Jewish men were rounded up by Police and taken to Concentration Camps. My father was one of those men and taken away late in the evening from his home, much to my mother’s and my distress. The Policeman who came for him had at least the good grace to feel embarrassed because he knew my parents well. However, orders were orders and he couldn’t do anything about it. My father went to Sachsenhausen Concentration Camp, not far from Berlin. I remember my mother’s daily trips to the local Police Station trying to find out what had happened to him, as we had no news at all. Foolishly my parent’s thought that my father having served in the German Army during the First World War would save him but it counted for nothing in the eyes of
the Nazis. Upon my father’s release from Concentration Camp in January 1939, it saddened me to see the change in his personality, from someone who was always happy and smiling, to a depressed person who had lost his Joie de vivre. Although he never discussed his feelings in front of me, I sensed he must have gone through hell in those six weeks. It was during my father’s incarcination that my Jewish School had been in contact with the committe in England, who had arranged to bring children to England on the Kindertransport. I cannot imagine how hard it had been for my parents to make the decision to allow me to go to England to live with an unknown family.
On the morning of 30th January 1939 my family accompanied me to the railway station, after having a last family Friday night dinner the night before with my Grandparents. We were lucky, unlike some other transports, that my parents were allowed to come onto the platform to say “goodbye”. Their bravery will stay with me for the rest of my life, although at the time neither of us knew that this would be for ever. I never saw them again. I learnt many years later that after many attempts to get out of Germany, they had been deported to Minsk on the 5th transport out of Berlin, together with my Aunt Herta, on 14th November, 1941. Two heartrending letters my parents had written came to me sixty years later, by some strange coincidence, to the date, begging for help from relatives who then lived in the United States and in Palestine. The original of the American letter is in the archives of the Jewish museum in Berlin and the letter to Palestine is in the Museum in Tel Aviv
(Ha Tvutst).”
Text: Susanne Kenton (London)