HIER WOHNTE
ADOLF DEILER
JG.1879
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ
Adolf Deiler wurde am 21. November 1879 in München geboren. Er arbeitete über zehn Jahre als Großkaufmann in der Berliner Damenkonfektion und war ab 1931 Teilhaber der Firma Bibo & Jackier in der Kronenstraße in Berlin-Mitte. Nachdem die Firma durch systematischen Boykott 1938 in Konkurs getrieben worden war, gründete er noch zweimal in kleinerem Umfang neue Geschäfte. Adolf Deiler konnte nicht mehr selbst hervortreten. Er war von einem von ihm eingesetzten nicht-jüdischen Geschäftspartner abhängig, blieb aber der eigentliche Leiter im Hintergrund, „bis ganz zuletzt“. Deilers Geschäft wurde von dem Geschäftspartner bis nach dem Zweiten Weltkrieg geführt.
Adolf Deiler hatte vier Schwestern, die alle deportiert wurden. Er wohnte zuletzt zur Untermiete in zwei Zimmern bei seiner Schwester Marie Ruthenburg, geboren am 17. September 1884, und deren Mann Bernhard Ruthenburg, geboren am 24. Dezember 1883, in der Westfälischen Straße 42, in deren Fünf-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock rechts. Gemeinsam wurden sie am 8. Januar 1943 zunächst in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße gebracht. Von dort wurden sie am 29. Januar 1943 mit dem von den Nazibehörden als 27. Osttransport eingeordneten Zug vom Bahnhof Grunewald – voll besetzt mit 1000 Menschen – nach Auschwitz deportiert.
Seine beabsichtigte Flucht nach Schweden soll an die Gestapo verraten worden sein.
Bei der Entschädigungsbehörde in Berlin existiert eine Akte auf den Namen Elli Deiler, geb. Soltau, geboren am 12. Juli 1882, verwitwete Blumenreich. Sie war Nicht-Jüdin und mit Adolf Deiler verlobt. Durch das Verbot von „Mischehen“ mit Juden wurde eine beabsichtigte Eheschließung verhindert. Viele Jahre später wurde Elli Deiler auf das Gesetz aufmerksam, das es ermöglichte, ihr „eheähnliches Verhältnis“ in eine rechtmäßige Ehe umzuwandeln. Die Ehe wurde durch das schleswig-holsteinische Landesjustizministerium in Kiel mit Rückwirkung vom 17. Juni 1935 anerkannt.
Erschütternde Einblicke in die Zeit ihres Lebens unter der Verfolgung und den Belastungen, denen beide ausgesetzt waren, gibt ein Brief Elli Deilers, der als Anlage 7 ihrem Antrag an das Berliner Entschädigungsamt vom 23.9.1952 beigefügt ist.
Darin heißt es unter anderem:
„Die Gestapo wurde auf uns aufmerksam und damit begann eine furchtbare Zeit. Ich wurde oft von der Gestapo vorgeladen – seltsamerweise mein Verlobter nicht. Zuerst wurde ich verwarnt, später schärfer bedroht. Wir konnten uns nicht mehr in unseren Wohnungen besuchen. Wir trafen uns zuerst in einem abgelegenen Lokal, dann nur noch auf der Straße und schließlich nur noch im Dunkeln und bei sehr schlechtem Wetter. Aber alles wurde auf dem Alexanderplatz gemeldet – man war über jeden Schritt von uns unterrichtet. (…)
Im Januar 1939 sagte man mir, die Geduld mit mir wäre nun zu Ende, das nächste Mal erwischt und ich flöge nach Dachau und der „Jude“ in ein anderes KZ. Nun mussten wir uns trennen. Ich verließ Berlin im Februar 1939. (…)
Wir waren natürlich in dauernder schriftliche Verbindung – immer unter der Adresse meiner Schwester. (…)
Auch in den Briefen waren wir sehr vorsichtig. Wir umschrieben alles, was die Zustände in Berlin betraf. Jeder Brief wurde verbrannt, das hatte ich fest versprechen müssen. Einmal im Jahr, immer im September zu den hohen jüdischen Feiertagen, fuhr ich nach Berlin, wo wir unter größter Vorsicht in seiner Wohnung zusammen kamen und uns einmal aussprechen konnten.
(…)
Ende September 1942 war ich zuletzt in Berlin, die Juden litten furchtbar – die Zeit brauche ich nicht zu schildern, das sind ja Tatsachen, die in Berlin bekannt sind. Mein Verlobter, seine Schwester und sein Schwager, die zusammen eine Fünfzimmer-Wohnung bewohnten, trauten sich kaum noch auf die Straße. Sie sahen alle drei krank aus, ihre Nerven waren völlig zerrüttet. Die meisten ihrer Bekannten und drei Schwestern waren bereits deportiert. Sie zitterten vor jeder Nacht.“
Elli Deiler starb am 6. Juni 1968 in Arnis (Schlei, Schleswig-Holstein).
Von vier Schwestern Adolf Deilers sind die Daten bekannt: Elise Cohn geb. Deiler, geboren am 15. April 1877 in Frankfurt am Main, deportiert am 31. August 1942 nach Theresienstadt, von dort nach Auschwitz; Selma Rothberg geb. Deiler, geboren am 17. September 1878, deportiert am 3. August 1942 nach Theresienstadt, dann nach Auschwitz; Fanny Feder geb. Deiler, geboren am 28. März 1882, deportiert am 18. Oktober 1941 nach Lodz/Litzmannstadt; Marie Ruthenburg geb. Deiler, geboren am 17. September 1884, deportiert am 29. Januar 1943 nach Auschwitz.
Quelle: FU Berlin (Hrsg.): Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Berlin 1995
Weitere Quellen: International Tracing Service Arolsen; Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin; Liste Jüdischer Gewerbetriebe in Berlin 1930-1945;
Text: Ilona Nickel
Beim Gedenken an Adolf Deiler am 11. Mai 2014 sagte die Patin des Stolpersteins, Ilona Nickel, unter anderem:
p(. „Lieber Adolf Deiler,
p(. wenn ich an verlegten Stolpersteinen vorbeikomme, halte ich inne, beuge mich nach unten, nehme den Namen wahr mit dem Satz: ‚Ich verneige mich vor dir und deinem Schicksal.‘
p(. Vor einigen Tagen ist auch für dich (ich erlaube mir auch hier die Du-Form) ein Stolperstein gesetzt worden.
p(. Heute möchte ich an dich – und stellvertretend an so viele Andere – erinnern.
p(. Du lebtest in zwei Zimmern zur Untermiete bei deiner Schwester Marie Ruthenberg und ihrem Mann Bernhard in der Westfälischen Straße 42. Ich schloss daraus, dass du ledig warst.
p(. Auch für Marie und Bernhard Ruthenberg wurden Stolpersteine verlegt.
p(. Am 29. Januar 1943 wurdest du nach Auschwitz deportiert und ermordet.
p(. (…)
p(. Lieber Adolf Deiler,
p(. ich verneige mich vor dir und deinem/eurem Schicksal.
p(. Ich schließe mit einem Dank an die Stolperstein-Initiatorinnen und Initiatoren. Mein ganz besonderer Dank geht an Monika Falkenhagen und Jutta Wilhelmy. Ich hatte und habe dadurch die Möglichkeit, als Nachkriegsgeneration ohne jüdische Wurzeln an einer ganz winzigen Stelle Verantwortung zu übernehmen.“